• Veröffentlichungsdatum : 07.09.2020
  • – Letztes Update : 01.10.2020

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Von der „Herbstübung 1965“ zur „Bärentatze“

Horst Pleiner

Im Jahre 1965 fand im niederösterreichisch-steirischen Voralpengebiet die erste Großübung des ÖBH unter der Bezeichnung „Herbstübung 1965“ statt. Diese war vom GTI, General dInf Erwin Fussenegger, konzipiert und dann auch von einem als Kommando der Feldtruppen strukturierten Leitungsstab geleitet worden. Diese Initiative des GTI fand nur bedingte „Gegenliebe“ bei der für derartige Übungsplanungen damals eigentlich zuständigen und vom General dInf Otto Seitz geleiteten Sektion III des BMLV. Der GTI betonte zwar das taktische Können und Verständnis des Sektionschefs, sah ihn aber nicht unbedingt als einen Offizier mit ausgeprägter Initiative an.

In dieser Übung waren die Gruppenkommanden I und II in ihrer Gesamtheit mit ihren Brigaden und Gruppentruppen sowie einige Verbänden der Gruppe III und der Heerestruppen mit einem Teil der Fliegerkräfte beteiligt und dabei nach den Grundsätzen, des neuen Verfahrens der „beweglichen Verteidigung“ (gemäß der in Bearbeitung befindlichen Dienstvorschrift des ÖBH „Truppenführung“ vorgesehenen) wechselseitig eingesetzt. Das Gelände des ausgedehnten Manöverraumes in dem hügelig-bergigen Gelände mit durchwegs schmalen Talfurchen war für die Anwendung dieses Verfahrens durch vorwiegend infanteristische Verbände gut geeignet und ermöglichte auch einen entsprechenden Verlauf mit dem Wechsel von zeitlich begrenzter Verteidigung, Verzögerungskampf und von frontalem aber vor allem umfassenden Gegenangriff.

Die dabei gegebenen Anforderungen an Stäbe und Truppen führten diese teilweise an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Allerdings fand diese Großübung nicht in einem der damals als operativ wesentlich beurteilten Hauptbedrohungsräume Alpenvorland/Donautal bzw. Steiermark vorwärts des Randgebirges statt und war damit für die erwartbaren Einsatzherausforderungen der Kräfte des ÖBH nur in sehr bedingtem Umfang als repräsentativ anzusehen. Den Abschluss der Großübung hatten die Verantwortlichen im BMLV als „Panzerschlacht“ konzipiert, der auf dem Gelände des Übungsplatzes Großmittel abgewickelt wurde. Dahinter stand die Überlegung einen positiven Eindruck für Soldaten und Öffentlichkeit zu erzielen und damit die Motivation für die Landesverteidigung intern und extern deutlich zu stärken, damit auch allenfalls die politische Bereitschaft, dem ÖBH einen doch höheren Budgetanteil zukommen zu lassen, erhöht werden würde.

In diesem Sinne war dem Vorhaben allerdings kein wirklicher Erfolg beschieden und die mediale und öffentliche Resonanz blieb überschaubar und weitgehend neutral. Auch die beiden tragischen Vorfälle mit dem Absturz einer L-20 (de Havilland Canada DHC-2; Anm.) und sechs Todesopfern sowie einem Leutnant, der sich nach Übungsende – nach gegen ihn möglicherweise vorliegender Verdachtsmomente, wegen der Weitergabe von Schlüsselunterlagen an eine ausländische Macht im Übungsraum – erschossen hatte, fanden bedauernden Widerhall in den Medien, entwickelten sich aber nicht zu einem etwaigem „Shitstorm“ heutiger Prägung. Diese „Herbstübung 1965“ blieb übrigens die einzige Großübung des ÖBH in der zwei Gruppenkommanden unter Leitung des für die Führung des Einsatzes vorgesehenen Spitzenoffiziers auf Gegenseitigkeit einbezogen waren. Das Verfahren der „beweglichen Verteidigung“ infanteristischer Kräfte fand nach Herausgabe der Vorschrift „TF“ (Truppenführung; Anm.) im ÖBH aber wegen meist fehlender Voraussetzungen nur eine sehr begrenzte Resonanz und blieb eine Randerscheinung.

Großübungen im Vier-Jahres-Rhythmus

Die von der Sektion III/BMLV in der Folge vorgesehene Übungssystematik enthielt eine größere Übung, die alle vier Jahre unter Leitung eines Gruppenkommandos abgehalten werden sollte. Damit stand für 1969 eine solche Übung heran, für die von der Sektion III/BMLV das Gruppenkommando I (Sitz im Kommandogebäude in Hütteldorf) mit territorialer Zuständigkeit für Wien, Niederösterreich und das nördliche Burgenland die Leitung übertragen erhielt. Für die ministeriellen Vorgaben waren in erster Linie der Leiter der Gruppe Operation Brigadier Johann Freihsler und der rührige Leiter der Ausbildungsabteilung Oberst dG Erwin Jetzl zuständig. Die Führung der Gruppe I lag seit 3. Oktober 1968 bei Generalmajor Ignaz Reichel, sein Stellvertreter war ab März 1969 der bisherige Leiter der Gruppe Wehrpolitik/BMLV Brigadier Anton Leeb und als Chef des Stabes fungierte seit 14. September 1964 der überaus gefechtserfahrene Oberst dG Karl Wohlgemuth.

Trotz dieser ausgezeichneten personellen Besetzung war nach 1965 eine zunehmend kritischere Haltung mancher Kreise der Öffentlichkeit und der Medien gegenüber dem ÖBH festzustellen. Dies ergab sich aus Schwierigkeiten mit der zum 1. Jänner 1963 eingenommenen Heeresgliederung, einem stärkeren Abgang älteren und erfahrenen Kaderpersonals in den Ruhestand oder eine zivile Tätigkeit, aber auch negativer medialer Rezeption verschiedener Vorgänge sowie deutlicher Kritik an der Handhabung der Entwicklungen im August 1968 während der Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschau-Paktes und aus zunehmenden Zweifeln an den Fähigkeiten des ÖBH für eine erfolgreiche Bewältigung der denkbaren strategisch-operativen Herausforderungen. Das war auch durch den Beschluss der Bundesregierung vom 11. Mai 1965 zu den Zielsetzungen der ULV und dem darin enthaltenen Auftrag an das ÖBH in den verschiedenen Anlassfällen der ULV nicht wesentlich beeinflusst worden.

In dem Zusammenhang ist auch auf die in diesen Jahren vor der Übung „Bärentatze“ im Bundesministerium ausgearbeiteten und an die nachgeordneten Kommanden zur Umsetzung ergangenen „Operationsfälle“ zu verweisen. Diese waren auf die Bedrohung Österreichs durch einzelne Staaten oder im Falle „Ungarn und CSSR“ durch eine Staatengruppe gemäß einer Weisung des Bundesministers Dr. Georg Prader ausgerichtet und hatten keine Vorbereitungen für den Verteidigungsfall zu enthalten. Das außerordentliche Problem für die militärischen Bearbeiter dieser Fälle, die auf Grund ihrer Bezeichnung nach Farben als „Farbenfälle“ bekannt wurden, lag in der Tatsache, dass es sich dabei um die denkbar unwahrscheinlichsten Bedrohungsfälle handelte, die in einem fast unauflöslichen Widerspruch zur Einbindung der einzelnen Staaten (ausgenommen Jugoslawien und die Schweiz) in die Bündnissysteme NATO oder Warschau-Pakt stand. Die gelegentlich beschworenen Stellvertreteraktionen der Einzelstaaten waren schlichtweg unrealistisch und das war den Bearbeitern nur zu bewusst.

Oberst dG Duic hatte sich daher in seiner Argumentation in Widerspruch zum Bundesminister Prader gestellt und war kurz danach „weg vom Fenster“. Oberstleutnant dG August Segur-Cabanac folgte ihm in diese undankbare Rolle nach. Aber Weisungen eines Bundesministers sind zu befolgen, soferne sie nicht die in der ADV genannten Ablehnungskriterien aufweisen. Verantwortliche Offiziere können einen Bundesminister beraten und haben aber dessen Entscheidung zu akzeptieren, Das entspricht eben dem geleisteten Gelöbnis. Man kann abweichende Meinungen dokumentieren (Aktenvermerk, Memorandum o.ä.) aber dann hat man die Umsetzung loyal vorzunehmen. Also bemühten sich die damals betroffenen Offiziere bei der Fallbearbeitung um entsprechende Erläuterungen der einzelnen strategisch-politischen Ausgangslagen, was dann spezielle – und später von Außenstehenden kritisiert bis belächelte – Formulierungen nach sich zog, um das politisch-strategische Problem irgendwie verständlicher zu machen. Der nunmehrige Hauptbearbeiter Oberstleutnant dG August Segur-Cabanac erstellte aber in eigener Verantwortung zu all den Fällen Weisungen für den Übergang zum Verteidigungsfall, die im Bedarfsfall zumindest als Anhalt einer aktuell auszugebenen Weisung aus der „Schublade“ (de facto aus dem Panzerschrank) herangezogen werden konnten und bis dahin nicht dem Minister vorgelegt, wohl aber intern aktualisiert werden, sollten. Nach einer Darstellung von General i.R. Segur-Cabanac gegenüber dem Autor war sein Vorgesetzter Gruppenleiter Freihsler über diese ergänzenden Entwürfe informiert.

Die Farbenfälle bis 1969 

Zum Zeitpunkt der Vorarbeiten im Ministerium für die Großübung 1969 waren fünf der Farbenfälle genehmigt und an die nachgeordneten Kommanden versandt worden. Der Neutralitätsfall Nord (Stichwort „Rosa“) ging von einer vierwöchigen Spannungszeit zwischen NATO und Warschau-Pakt aus, die in einen gewaltsamen Konflikt überging. Für das ÖBH blieb jedoch der konkrete Zeitpunkt der Mobilmachung „in der Schwebe“ und vom Bearbeiter wurde ein wahrscheinlich zögerliches Verhalten der Bundesregierung angenommen. Es wurde daher eine Phase vor Mobilmachung mit den seit 1. Jänner 1963 vorhandenen Einsatzbrigaden (ohne drittes Kampfbataillon, aber noch mit den jeweils dritten Kampfkompanien der Bataillone) angenommen, die nach Mobilmachung durch die teils „schwachen“ Reservebrigaden und die aufgefüllten Ausbildungsbataillone verdichtet werden sollten. Da für den Hauptangriff des Warschau-Paktes ein Flankenstoß durch das Mühlviertel über die Donau an den Inn und weiter nach Südostdeutschland sowie allenfalls ein Begleitangriff über das Weinviertel auf Krems, Tulln und dann nach Westen angenommen wurde, waren vorwärts des Raumes Erlauf, Traisen nur schwache Teile der Gruppe I und allenfalls die zwischen Amstetten und Stadt Haag dislozierte 9.PzGrenBrig als Armeereserve betroffen. Der spätere Übungsraum zwischen Obergrafendorf, Melk und der Erlauf wies daher für diesen Fall keine operative Relevanz auf. Darüber hinaus wies dieser Operationsfall, so wie der folgende Fall Nord-Süd (Stichwort „Rot“), auch nicht die typische Charakteristik eines Neutralitätsfalles auf. Er stellte vielmehr einen als Neutralitätsfall „getarnten“ Verteidigungsfall dar. Bundesminister Prader dürfte das entweder als Ausweg aus dem Grunddilemma gesehen haben, oder man hat es verstanden ihm das gekonnt zu „verkaufen“.

In dem Fall „Rot“ nahm die Planung Anlehnung an den Fall „Rosa“ mit den Hauptbedrohungsräumen aber nunmehr in Oberösterreich und in Kärnten. Dorthin wurde ein Südstoß aus Westungarn angenommen. Wiederum wurden vier bis sechs CVA-Divisionen über das Mühlviertel und weitere drei bis vier Divisionen CVA aus dem Raum Brno durch das Weinviertel erwartet. Den damals verfügbaren Kräften der UVA wurde nur geringer Kampfwert zugeordnet und daher für den „Südstoß“ die sowjetische SGT aus Südwestungarn heraus angenommen. Dieser Ansatz ging allerdings mit der Teilnahme der SGT über das Szenarium einer Stellvertreteraktion hinaus. Jedenfalls standen vorwärts der Enns südlich der Donau nur die 1.JgBrig in den Pforten ostwärts des Wienerwaldes und die 9.PzGrenBrig als Armeereserve im Raum Amstetten. Die 1.JgBrig sollte sich je nach Lage an die Erlauf zurückkämpfen und dort (unter Umständen) von Teilen der 9.PzGrenBrig aufgenommen werden, sofern sie nicht schon ostwärts der Erlauf auf das Voralpengebiet einschwenken musste. Damit wies auch dieser Fall keine brauchbare Relevanz für den Raum zwischen Traisen und Erlauf auf.

Der dritte Operationsfall Ungarn (Stichwort „Blau“) sah alle drei Gruppen zwischen Neuhaus im Südburgenland und Petronell an der Donau vor. Die Gruppe I hatte dabei den Nordteil des Einsatzraumes zugeordnet. Sie sollte in den Pfortenstellungen zunächst zeitlich begrenzt verteidigen und dann bis in die Tiefe des Wienerwaldes ergänzt durch die 2.ResBrig im Bedarfsfall hinhaltend kämpfen. Als Reserve stand die 4.PzGrenBrig anfangs ostwärts Amstetten zur Verfügung. Der seit 1956 neu aufgebauten UVA mit bestenfalls mittlerem Kampfwert wurde ein darüberhinausgehender Erfolg nicht zugeordnet. Daher gab es auch in diesem Fall keine Planungen für den Raum zwischen Pielach und Erlauf. Auch bei dem am 23. Februar 1967 genehmigten Operationsfall CSSR-Ungarn (Stichwort „Grün“) mit einem Ansatz der CVA und UVA (sowie allenfalls der nachfolgenden SGT) hatte die 1.JgBrig zwischen der Brucker Pforte und dem Geschriebenstein zu sichern und zeitlich begrenzt zu verzögern. Die 9.PzGrenBrig sollte einen Verfügungsraum im Tullner Feld beziehen, im Weinviertel (mit Teilen) verzögern und den Übergang Tulln halten. Die 2.ResBrig hatte nach Herstellen der Einsatzbereitschaft eine zeitlich begrenzte Verteidigung im Nordteil des Wienerwaldes vorzubereiten. Auf den Südteil des Wienerwaldes sollte dann die vorne befindliche 1.JgBrig zurückgehen, wobei die als Armeereserve bereitgestellte 3.PzGrenBrig allenfalls im Alpenvorland einen hinhaltenden Kampf vorwärts des Erlauftales zu führen hatte, nicht aber für eine nachhaltige Verteidigung entlang der Erlauf nach Osten vorgesehen war. Denn es war klare Absicht der operativen Führung aus den angeführten Räumen mit den Brigaden nach Südwesten bzw. Süden einzuschwenken und auf den Zentralraum zurückzugehen.

Die größte Relevanz für den Teil des Alpenvorlandes zwischen Traisen und Erlauf hatte der am 19.April 1967 genehmigte Fall CSSR (Stichwort „Violett“). Dabei wurde der Ansatz von acht bis zehn Divisionen der CVA angenommen. Vor Mobilmachung war dabei eine Disposition der eigenen Verbände wie im Fall „Grün“ vorgesehen. Nach Mobilmachung hatte die Gruppe I mit einem Angriff aus dem Raum Engerau/Kittsee südlich der Donau auf die Pforten und die Eingänge in den Wienerwald und aus dem Raum Brno durch das Weinviertel in Richtung Krems, Tulln zu rechnen. Daher war die 1.JgBrig in den beiden Pforten vorwärts Wien eingesetzt. Teile der durch das PzB 4 verstärkten 9.PzGrenBrig und 16 Grenzschutzkompanien sollten den Feindansatz im Weinviertel verzögern, während andere Teile im Raum Tulln zur Abwehr einzusetzen waren. Zwischen Tulln und Krems war die 2.ResBrig zur Abwehr an den Donauübergängen vorgesehen. Der Gruppe II waren in diesem Fall das Waldviertel (5.JgBrig rechts und 4.PzGrenBrig links) und der Donauabschnitt zwischen Melk und Mauthausen zugeordnet. Allenfalls sollten Kräfte der Gruppe II eine Aufnahme der Gruppe I an der Erlauf vorbereiten. Südlich der Donau hatte sich die 3.PzGrenBrig im Führungsbereich der Gruppe II unter einem Führungsvorbehalt als Armeereserve bereitzustellen. Nach einer Zurücknahme sollte auch die 4.PzGrenBrig (mit verbliebenen Teilen) südlich der Donau als Armeereserve verfügbar gehalten werden, während die 3.PzGrenBrig je nach Lage zur Gänze oder mit Teilen an der Erlauf die Aufnahme der Gruppe I unterstützen oder in der Abwehr wirksam werden sollte . Die Gruppe III weiter westlich in Oberösterreich spielte daher im Raum ostwärts der Enns keine Rolle. Nur in diesem Fall „Violett“ kam der Erlaufstellung und dem vorgelagerten Raum bis zur Traisen eine besondere Bedeutung zu, die für die Übung 1969 wichtig gewesen wäre. Die verantwortlichen Übungsplaner der Sektion III mussten sich allerdings auf Grund noch darzustellender Umstände für eine andere Vorgangsweise entscheiden.

Literatur zu den Operationsfällen

Eder, Philipp (2000): Die operativen Planungen des österreichischen ÖBH zwischen 1963 und 1973; Band 1, Milwiss. Arbeit; LVAk, Wien; S. 134-167; Pleiner, Horst (2020): Die strategisch-operativen Planungen des ÖBH 1955 bis 1979 und die Entwicklung der Führungsstruktur; in: Pallasch Nr 68/2; Milizverlag, Salzburg 2020; S. 139-165; Rauchensteiner, Manfried (2010): Sandkästen und Übungsräume. Operative Annahmen und Manöver des ÖBHes 1955 bis 1979; in: Rauchensteiner, Manfried (Hg) (2010): Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich; Band 36 der Schriften des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried Haslauer Bibliothek, Salzburg; Böhlau Verlag Wien-Köln-Weinmar; S. 281-289.  

Komplexe Rahmenbedingungen

Das Klima der Wahrnehmung des ÖBH durch die Öffentlichkeit hatte sich nach der „Verstärkung der nördlichen Garnisonen“ , der Nichtaufbietung der Kompanien des Grenzschutzes und dem Verzicht der Bundesregierung auf eine Erklärung zumindest des „Krisenfalles“ (es hätte auch ein „Neutralitätsfall“ sein können) im August 1968 sowie der struktur- und personalbedingten Diskussion um die „Leerläufe“ während des Grundwehrdienstes deutlich verschlechtert. Aspekte der Chancenlosigkeit eines Widerstandes, Diskussionen um eine „Verteidigung von Mittersill“, gelegentliche Medienbeiträge von „Experten“ und ernstgemeinte Vorschläge für einen Gewaltlos-status Österreichs warfen nicht nur bei klaren Gegnern einer militärischen Landesverteidigung Fragen nach der Sinnhaftigkeit der Verteidigung auf.

In dieser etwas aufgeheizten Atmosphäre hatte also die Sektion III die Rahmenbedingungen für die Herbstübung 1969 auszuarbeiten. Dabei ging es einerseits um eine Art Nachweis der für einen modernen Abwehrkampf unzureichenden Bewaffnung und Ausrüstung und andererseits um einen positiven Eindruck für die beteiligten Soldaten und die Öffentlichkeit. Daher sollten auch Verbände, der aus den Grenzschutzkompanien usw. seit Dezember 1968 gebildeten Landwehrregimenter einbezogen und Erkenntnisse für deren zweckmäßigen Einsatz gewonnen werden. Es war daher für die angreifende Übungspartei beabsichtigt einen Ost-Verband (etwa eine Division) simulieren zu lassen.

Das waren aber äußerst schwierige Ansätze. 1968 wies eine motSchützendivision in Ost-Gliederung drei motSchützenregimenter, ein Panzer- sowie ein Artillerieregiment, ein Panzerjäger-und ein Aufklärungsbataillon sowie verschiedene Divisionstruppen auf. Im Normfall waren bei einer Division der Kategorie A in den motSchützenregimentern zwei bis drei motSchützenbataillone und ein Panzerbataillon vorhanden, ausgerüstet teils noch mit SPz des Typs BTR-152 und zu geringerem Teil mit BTR-60 sowie KPz T-54/55. Vereinzelt gab es in sowjetischen Verbänden Panzerregimenter mit KPz T-62.

Nach dem Überschreiten der Donau oder Durchstoßen des Wienerwaldes war mit dem Ansatz einer Vorausabteilung und dahinter je nach Gelände mit einem motSchützenregiment oder auch schon dem Panzerregiment der vorderen Division zu rechnen. Die üblichen Verstärkungen und Mischungen waren bei diesen Regimentern zu erwarten.

Auswirkung auf die Übungstätigkeit

In den Planübungen und Beispielen aus dieser Zeit im ÖBH war durchwegs die Annahme des Ansatzes einer durch ein motSchützenregiment verstärkten Panzerdivisionen entlang der West-Autobahn als Hauptachse enthalten. Vorwiegend wurde für das Vorgehen südlich der West-Autobahn im Raum zwischen Hiesberg und den Begleithöhen des Pielachtales einer ebenfalls noch mit einem Panzerbataillon und allenfalls einem motSchützenregiment verstärkten motSchützendivision gerechnet. Dabei war zu berücksichtigen, dass je nach Verlauf der Offensive an und über die Donau bzw. durch die Pforten und durch den Wienerwald auch ein Staffelwechsel, der bis dahin vorne angesetzten Divisionen, zu erwarten war, daher noch einigermaßen intakte Kräfte ostwärts des Wienerwaldes zu erwarten waren. Allerdings würde diese Offensive nicht mehr in der Gliederung des ersten Antretens nach kurzer Bereitstellung jenseits der Staatsgrenze, sondern in einer typischen auf rasches Gewinnen des Raumes nach Westen ausgerichteten Truppeneinteilung erfolgen. Ebenso waren größere Abstände zwischen den Angriffsverbänden mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Das ÖBH musste für die Feinddarstellung daher zumindest eine möglichst umfassend verstärkte Panzergrenadierbrigade heranziehen. Für diese Verstärkungen bildete jedoch der Personal- bzw. Rekrutenstand zum Übungszeitpunkt einen einschränkenden Faktor. Aber in Umsetzung der zu erwartenden Angriffsführung Ost beabsichtigte die Sektion III/BMLV in den ersten Überlegungen den „Feind“ aus dem Wienerwald antretend nach Westen „angreifen“ zu lassen und mit der Partei „Blau“ einen Verzögerungskampf zwischen Traisen und Erlauf zu führen sowie dann eine zumindest zeitlich begrenzte Verteidigung in der Erlauf aufzunehmen.

Der Hindernischarakter der Erlauf und die Struktur des Angeländes waren schon in bisherigen Geländebesprechungen und Beurteilungen als dafür gut bis sehr gut bewertet worden. Daher hatte man auch mit dem Bau Fester Anlagen begonnen. Allerdings wollte man diese nicht durch die Einbeziehung in die Übung „enttarnen“ und sah daher deren strikte Ausklammerung vor; sie waren also von den Verteidigern zu „vergessen“. Dabei erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass diese Bautätigkeit den „interessierten“ Nachbarn entgangen wäre, waren doch eine ganze Reihe von Hinweisen auf „verdächtige“ Bereisungen gerade im Alpenvorland und entlang der Donau vorliegend. Aber diese Festen Anlagen waren als nicht vorhanden einzuordnen und durften nach außen nicht erwähnt werden. General Spannocchi hat zehn Jahre später als Armeekommandant genau das Gegenteil getan und damit ohne Zweifel einen gewissen „Abhalteeffekt“ erzielt.

Nach Verbindungsaufnahme mit der Niederösterreichischen Landesregierung lag allerdings deren Wunsch vor, keine Übungsteile ostwärts der Traisen vorzusehen. Außerdem waren die Autobahn und die Bundesstraße 1 auszusparen und Panzerbewegungen auf die Bewegungslinien zu beschränken und nur im Ausnahmefall im Gelände vorzusehen. Es musste daher die Ausgangslage in den Raum zwischen der Traisen und der Pielach verschoben und in ihren Dimensionen vorwärts der Erlauf deutlich vermindert werden. Die zeitlichen Konsequenzen daraus sollten sich im Verlauf des ersten Übungstages im November 1969 als drastisch erweisen. Die Entfernungen waren nun für einen solchen Grundgedanken eigentlich zu gering geworden.

Dazu kamen vier weitere schwierig zu lösende Bereiche. Das war in erster Linie die Problematik der „feindlichen“ Luftunterstützung und der eigenen Schwäche in der Luftverteidigung sowohl vom Boden als auch in der Luft. Die, in der Taktikausbildung so beliebten und im Gefechtsdienst meist weitgehend ausgeklammerten, „grünen“ Luftstreitkräfte konnten in einer solchen Übung nicht angesprochen werden und die eigenen Fliegerkräfte waren für eine auch nur ansatzweise realistische Darstellung der Luftbedrohung unzureichend. Man konnte nur auf das wahrscheinliche Novemberwetter „wie am Übungstag“ hoffen und ansonsten eben der Improvisation in der internen und externen Argumentation vertrauen. So viel zum Thema Hellseherei in Bezug auf die Wetter- und Luftlage. Aber das war eben die Situation für das ÖBH auf diesem Gebiet.

Weitreichende Übungseinschränkungen

Weiters durfte keine Anlehnung an einen Operationsfall erfolgen. Die Partei „Blau“ hatte daher eine andere Gliederung einzunehmen. Es sollten vorhandene Landwehreinheiten einbezogen werden, die aber auf Grund des geringen Zeitabstandes zur Anordnung der neuen Landwehrstruktur im Dezember 1968 nur zu geringen Teilen in funktionsfähige Bataillonsstrukturen eingebunden waren. Die Partei „Blau“ entschied sich dann in der Übung diese wenigen Einheiten in der Tiefe an den Übergängen entlang und hinter der Erlauf einzusetzen. Das erfolgte an Stelle der im Operationsfall dafür angedachten stärkeren Kräfte, die zum Teil von den Gruppen III oder II (Teile 4.PzGrenBrig, Teile einer JgBrig und der 3.PzGrenBrig) gestellt werden sollten und allenfalls hier zurückkommender Teile der Gruppe I.

In der Übung 1969 war auch die von der Politik immer angesprochene grenznahe Aufnahme des Kampfes zu demonstrieren, da zu dem damaligen Zeitpunkt im Wehrgesetz noch der Schutz der Grenzen als vorrangige militärische Aufgabe vorgegeben war. Die Übungsleitung hat daher eine dem Übungsraum entsprechende „Staatsgrenze“ erfunden, die dann westlich des Pielachtales auf den begleitenden Höhenzügen verlief. Dies veränderte aber den Grundcharakter der Übung entscheidend und stand, bedingt aber durch die ministeriellen Vorgaben, dem eigentlichen Übungszweck diametral entgegen. Der „Ostfeind“ traf daher auf die Partei „Blau“ nicht in Formationen und Zuständen des Angriffes aus der Bewegung (oder gar schon des Stoßes in die Tiefe), sondern hatte nach grenznaher Bereitstellung die grenznah befindlichen „blauen“ Verbände zu durchbrechen.

Das unterstreicht einen weiteren Widerspruch der Landesverteidigung in den ersten Jahrzehnten ab 1955: der Kampf sollte ab der Grenze aufgenommen werden, aber wie sollte dann tatsächlich verteidigt werden? Welche Kräfte waren nach einem grenznahen Ansatz der Abwehr dann überhaupt südlich der Donau usw. verfügbar, sofern man vorne nicht nur minimale Kräfte belassen wollte? Die Reduzierung auf die 16 Grenzschutzeinheiten würde nach vorliegenden Erfahrungen aus den Diskussionen um den ersten Landesverteidigungsplan vor 1960 und den Auseinandersetzungen – etwa mit General Albert Bach zur „Verteidigung von Mittersill“ – von der Politik nicht zur Kenntnis genommen werden und der seit Dezember 1968 vorgesehene Ausbau der Landwehrregimenter zu Verbänden mit mehreren Bataillonen war zeitlich – gemessen an den Budgetmitteln und bisherigen Erfahrungen in der Beschaffung der dafür erforderlichen Ausrüstung und Bewaffnung – nicht abzusehen. Schließlich war von der Sektion III/BMLV auch eine entsprechende Motivation und ein positiver Eindruck für Soldaten und Öffentlichkeit durch einen „erfolgreichen“ Gegenangriff einer PzGrenBrig als Abschluss der Übung 1969 gefordert. Aber die Gruppe I hatte nur die 3. und 9.PzGrenBrig sowie das PzB1 mit AMX 13. Damit mußte die 9.PzGrenBrig verstärkt durch das PzB 1, die HAA und einige infanteristische Kräfte zur Darstellung eines „starken“ Ostfeindes herangezogen werden und der Gruppe I blieb somit nur mehr die 3.PzGrenBrig für diesen Gegenangriff der Partei „Blau“.

Für die „grenznahe“ Verzögerung in einem rund 12 bis 14 km aber maximal 20 km breiten Abschnitt zwischen dem Hiesberg (die Autobahn war auszuklammern) und den Piealchtaler Höhen sowie zur Verteidigung entlang der Erlauf waren damit in der Gruppe I nur die 1.JgBrig und etliche Landwehrkompanien verfügbar. Die Bewältigung dieses Problems wurde zur Zentralfrage der gesamten Übungsplanung und des Übungsablaufes für die Herbstübung 1969, für die der inzwischen zum Gruppenkommando I versetzte Oberst dG Segur-Cabanac die treffende Bezeichnung „Bärentatze“ fand.

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General i. R. Horst Pleiner war von 2000 bis 2002 der letzte Generaltruppeninspektor des ÖBH.

 

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