Sonderausstellung Wien Museum

The International Patrol for your protection, 1946, Wienbibliothek im Rathaus, P-7026. (Grafik: Fuhrer, Wien)
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Das Kriegsende bedeutete in Österreich nicht nur die Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern auch den Beginn der Besatzungszeit. Der Friede war erreicht, die Freiheit noch nicht. Vor 70 Jahren – zehn Jahre später – endete auch diese Epoche. Am 26. Oktober 1955 erlangte Österreich wieder die staatliche Souveränität, die es im März 1938 verloren hatte.
Der Alltag der Wiener war im April 1945 von Zerstörungen, Wohnungsnot, Hunger und Kälte geprägt. Trotzdem florierte das kulturelle Leben rasch wieder. Bereits am 27. April 1945 wurde dieses auf Befehl der sowjetischen Besatzer wiederaufgenommen und am 1. Mai 1945 begann der Betrieb der Staatsoper und des Burgtheaters. Kurz nach ihrer Ankunft in Wien im September 1945 wurden auch die anderen Alliierten – Frankreich, Großbritannien und die USA – aktiv. Somit erfolgte neben der politischen auch eine kulturelle Neuorientierung. Nie zuvor war Wien in so wenigen Monaten mit so vielen unterschiedlichen Einflüssen aus anderen Staaten konfrontiert wie im Jahr 1945.
Das primäre Ziel der Alliierten war jedoch nicht die Internationalisierung der Wiener Kulturlandschaft. Die zahlreichen Aktivitäten sollten, neben ihrem Beitrag für den Wiederaufbau, die emotionale Basis für eine demokratische österreichische Identität schaffen – ein österreichisches Bewusstsein, das ohne Deutschland funktionierte.
„Kontrollierte Freiheit. Die Alliierten in Wien“ – so heißt die aktuelle Sonderausstellung, die seit dem 10. April und noch bis zum 7. September 2025 im Hauptgebäude des Wien Museums am Karlsplatz zu sehen ist. Im Zentrum steht Wien im Jahr 1945: Der Krieg ist vorbei, doch der Frieden hat Bedingungen. Genau diesem Zustand zwischen (erzwungener) Ordnung und neu gewonnener kultureller Freiheit widmet sich die Ausstellung. Sie zeichnet ein facettenreiches Bild der Besatzungszeit in der österreichischen Bundeshauptstadt – mit besonderem Fokus auf das kulturelle Leben der Wiener ebenso wie jenem der Alliierten. Im Mittelpunkt steht der Einfluss des vielfältigen Angebots: von Ausstellungen, Büchern, Filmen und Radiosendungen über Sprech- und Musiktheater bis hin zu Zeitungen.
Die Ausstellung
Auf etwa 700 m² entfaltet sich eine vielschichtige Schau, die ein Schlaglicht auf die Kulturpolitik der Alliierten wirft – ein Aspekt, der im kollektiven Gedächtnis der Österreicher oft im Schatten steht. Und doch war gerade diese kulturelle Einflussnahme von zentraler Bedeutung für den Wiederaufbau demokratischer Strukturen, ideologischer Neuorientierungen und „Entnazifizierung“ nach der nationalsozialistischen Diktatur.
Die Ausstellung gliedert sich in vier zentrale Themenbereiche: Neuanfang, Militärverwaltung, Kulturpolitik und Überreste. Schon im Eingangsbereich wird der Blick auf den „Kampf um Wien“ gelenkt: Originaldokumente, Fotografien und Berichte zeigen das Ausmaß der Zerstörung und die erstaunlich rasch einsetzende kulturelle Reaktivierung, etwa durch Aufführungen des Burgtheaters oder der Wiedereröffnung von Kinos.
Der Raum mit dem Schwerpunkt Militärverwaltung bietet einen knappen, aber ausreichend strukturierten Überblick über das System der vier Besatzungszonen sowie die Besonderheit der interalliierten Verwaltung des ersten Bezirks – bekannt geworden durch das Bild der „Vier im Jeep“.
Das Herzstück der Ausstellung stellt jedoch der Themenbereich Kulturpolitik dar. Die Besucher tauchen in ein dichtes Netz aus Plakaten, Zeitungen, Radiotexten und Filmausschnitten. Sie begegnen sowjetischen Wochenschauen, hören Ausschnitte von Radiosendungen – darunter solche des deutschsprachigen Senders „Rot-Weiß-Rot“ der US-Besatzung – oder entdecken Berichte über Gastspiele internationaler Künstler wie den Musiker, Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein. Zudem geben Interviews, etwa mit der Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi, persönliche Einblicke: „Wenn man in die Scala („Russentheater“) ging, hat man das nicht an die große Glocke gehängt.“ Die Ausstellung macht deutlich: Kulturelle Teilhabe war stets auch ein politisches Statement.
Die Alliierten nutzten Kultur als „Soft Power“. Besonders engagiert zeigten sich dabei die Franzosen, die ihre Ausstellungen – wie den 1947 erstmals in Wien präsentierten Salon d’Automne – als Beitrag zur „geistigen Entgiftung“ von der nationalsozialistischen Kunstdoktrin verstanden. Während die Sowjets auf sozialistische Heldenfiguren und antifaschistische Botschaften setzten, propagierten Amerikaner und Briten die Ideale von Liberalismus und Individualität. Hier gelingt es der Ausstellung, diese Gegensätze nicht gegeneinander auszuspielen, sondern gegenüberzustellen.
Der abschließende Bereich Überreste steht im Kontrast zur Überfülle des kulturellen Materials im Abschnitt zuvor und verweist damit womöglich subtil auf die Verdrängung dieses prägenden Kapitels der Zeitgeschichte in der österreichischen Erinnerungskultur. Hier werden die materiellen Spuren der Besatzungszeit sichtbar gemacht, beispielsweise mit der Ausstellung von als V-Discs bezeichneten Vinylplatten, die zwischen 1943 und 1949 in New York hergestellt wurden.
Highlights der Sonderschau sind sowohl ihre Multisensorik als auch ihre Barrierefreiheit. Über 20 Stationen ermöglichen eine Annäherung mit allen Sinnen: Eine Riechstation erweckt die Düfte von in amerikanischen CARE-Paketen enthaltenen Gegenständen, wie Seife, Tee und Tabak. Mit einem Hörer lässt sich das Stück „Wien ist eingeteilt jetzt in vier Zonen“ von Ernst Arnold anhören und vertieft so das historische Gefühl. Darüber hinaus lädt eine interaktive Karte, die per Mobiltelefon gescannt werden kann, zum eigenständigen Entdecken und Erkunden ein.
Stadterkundung
Ein Museum kann und soll Wissen auf vielfältige Weise vermitteln. Das Wien Museum hat anlässlich der Sonderausstellung ein vielfältiges Begleitprogramm ins Leben gerufen. Dabei gibt es unter anderem Vorträge im Gesprächsformat, bei denen der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky oder die renommierte Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi über ihre Jugend im besetzten Wien erzählen. Eine andere aktive Möglichkeit, um in diese Epoche einzutauchen sind Führungen, für die sich die Wiener Erinnerungslandschaft gut eignet. Mit Brigadier i. R. Rolf Urrisk-Obertynski hat das Museum jenen Mann engagiert, der die wohl umfassendste militärische Expertise zur Bundeshauptstadt aufweist. Der Generalstabsoffizier und Autor des neunbändigen (!) Werkes zur Militärgeschichte Wiens („Wien. 2000 Jahre Garnisonsstadt) kennt jedes Denkmal und alle Orte Wiens zu diesem Thema. In seinen Publikationen legt er den Schwerpunkt auf die Besatzungszeit – schließlich hat er diese selbst prägend erlebt. Der Band 6 seines Werkes heißt „Die vier Alliierten 1945-1955“ und war eine wesentliche Grundlage der aktuellen Sonderausstellung.
Für seine monatlichen Führungen kalkuliert Urrisk zwei Stunden ein. Startpunkt ist der Ostarrichipark vor dem Holocaust-Denkmal. Dort befindet sich die Nationalbank – einst das Hauptquartier der US-Besatzungsmacht in Wien. Der Gedenkstein, eines der wenigen Denkmälern für diese Zeit in Österreich, ist wegen einer Baustelle aktuell zwar nicht sichtbar, dennoch ist der Ort ein idealer Ausgangspunkt für einen militärhistorischen Spaziergang. Von dort geht es über die 2er-Linie zum Palais Auersperg (erster Sitz der interalliierten Militärpatrouille), zum Justizpalast (Interalliierte Kommandantur und Polizeizentrum), zum Palais Epstein (sowjetische Stadtkommandantur von Wien), über dem Heldenplatz, die Hofburg (Interalliierte Zivilverwaltung, Bezirkskommandantur des I. Bezirkes etc.), und den Stephansplatz zum Schwarzenbergplatz mit dem Haus der Industrie (Hauptquartier der Alliierten Kommission für Österreich und zweiter Sitz der interalliierten Militärpatrouille) sowie dem „Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee“. Letzteres ist nicht nur das zentrale Symbol des Sieges der Sowjetunion über das Deutsche Reich, sondern auch das wesentlichste Erinnerungszeichen an die Besatzungszeit in Österreich.
Die Führung ist nicht nur aufgrund der Wissensvermittlung ein „historischer Leckerbissen“. Urrisk versteht es gekonnt, die „große Erzählung“ mit vielen Details auszuschmücken und so ein Gespür der Zeit bzw. der Umstände, in denen die Wiener damals lebten, zu vermitteln. Die eine oder andere Anekdote fehlt genauso wenig wie der augenzwinkernde Verweis auf die aktuelle Situation. Diese didaktische Vorgehensweise verleiht der Führung nicht nur eine angenehme Atmosphäre, sondern schafft einen positiven Zugang zu diesem nicht immer leicht verdaulichen Thema. Schließlich waren die ersten zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur von Hoffnung geprägt, sondern auch von Entbehrung und Not, sowie von der Ungewissheit über die eigene Zukunft oder dem Schicksal von Angehörigen, die noch in Kriegsgefangenschaft waren oder als vermisst galten. Die Botschaft, die Urrisk vermittelt, ist klar: Die Erinnerung an den Krieg mahnt zum Frieden!
Exkurs: Wien Museum
Das Wien Museum am Karlsplatz zählt zu den bedeutendsten kulturhistorischen Museen Österreichs. Es versteht sich als urbanes Universalmuseum, das die Geschichte, Kunst und Alltagskultur der Stadt von den Anfängen der Besiedelung bis zur Gegenwart dokumentiert. Gegründet wurde das Museum 1887 als „Historisches Museum der Stadt Wien“, damals noch im Wiener Rathaus. Der heutige Standort am Karlsplatz wurde 1959 eröffnet.
Da sich das bestehende Gebäude am Karlsplatz zunehmend als ungeeignet für ein modernes Stadtmuseum erwies, initiierte der frühere Direktor Wolfgang Kos gemeinsam mit der Stadt Wien eine mehrjährige Standortsuche, die 2013 in der Entscheidung mündete, das Bauwerk am Karlsplatz neu zu gestalten. Ab 2019 wurde das Objekt umfassend erweitert und modernisiert. Die Wiedereröffnung fand am 23. Dezember 2023 statt. Durch den Umbau konnte die Nutzfläche von 6.900 auf 12.000 m2 vergrößert werden.
Seit 2023 präsentiert die neu konzipierte Dauerausstellung „Wien.Meine Geschichte“ auf 3.300 m2 und über drei Etagen anhand von 1.700 Objekten die Historie der Stadt – von der Frühzeit bis heute. Zentrale Ausstellungsstücke wie ein fünfeinhalb Meter hohes Modell des Stephansdoms, Gustav Klimts berühmtes Porträt von Emilie Flöge oder der Praterwalfisch „Poldi“ bilden den Mittelpunkt der Sammlung. Der Eintritt zur Dauerausstellung ist kostenlos.
Für wechselnde Sonderausstellungen steht ein eigenes Geschoß zur Verfügung. Seit 2023 wurden sieben im vierten Stock des Wien Museums veranstaltet. Darüber hinaus gibt es noch 16 Außenstellen, unter anderem die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten, das Römermuseum am Hohen Markt oder die Otto Wagner Kirche am Steinhof.
Auf einen Blick
Die Ausstellung „Kontrollierte Freiheit – Die Alliierten in Wien“ ist eine klug kuratierte, sinnlich dichte und historisch fundierte Ausstellung, die die vielschichtige Rolle der Alliierten im Wien der Nachkriegszeit sichtbar macht. Die Inhalte der Ausstellung spiegeln die Ambivalenzen dieser Zeit wider: zwischen Befreiung und Besatzung, zwischen Hoffnung und Aussichtslosigkeit, zwischen dem Wunsch nach Selbstbestimmung und den Zwängen alliierter Kontrolle. Ein kleiner Wehrmutstropfen: Die Schau hätte dem konkreten Alltagsleben der Wiener unter den Bedingungen der Besatzung stellenweise noch mehr Raum geben können, auch wenn dieses Thema implizit durch die Medienangebote mitschwingt. Die Frage nach Identität – wer oder was ist Österreich nach 1945 – wird punktuell aufgeworfen, verbleibt jedoch eher als Hintergrundrauschen.
Fazit: „Kontrollierte Freiheit“ ist eine Einladung zum Erinnern und ein Anstoß zur Debatte darüber, wie kulturelle Identität entsteht und wem sie „gehört“. Vor allem ist es eine Ausstellung, die jeder zeitgeschichtlich Interessierte besuchen sollte, da sie neben einzigartigen Artefakten und einem gelungenen didaktisch-pädagogischen Ansatz neue Perspektiven eröffnet und dem Besucher die Möglichkeit bietet, in diese beinahe vergessene, jedoch prägende Epoche der österreichischen Historie einzutauchen.
-red-
Sonderausstellung „Kontrollierte Freiheit. Die Alliierten in Wien“
Wien Museum, Karlsplatz 8, 1040 Wien
10. April bis 7. September 2025
Dienstag, Mittwoch, Freitag 09:00 bis 18:00
Donnerstag 09:00 bis 21:00
Samstag, Sonntag 10:00 bis 18:00