• Veröffentlichungsdatum : 14.12.2022
  • – Letztes Update : 15.12.2022

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180-Grad-Wende

Gerold Keusch

Mit dem Aufbauplan 2032 wird das Österreichische Bundesheer in den nächsten zehn Jahren etwa 16 Mrd. Euro für Investitionen für moderne Ausrüstung erhalten. Generalmajor Bruno Hofbauer ist als Planungschef des Bundesheeres für den Aufbauplan 2032 verantwortlich. Im TRUPPENDIENST-Interview erklärt er dessen Eckpunkte, gibt einen Einblick in die Hintergründe und gewährt einen Ausblick auf die Zukunft des Bundesheeres. Das Gespräch führte Gerold Keusch.

TRUPPENDIENST: Herr Generalmajor, Danke für die Möglichkeit mit Ihnen als Planungschef über die Zukunft des Bundesheeres zu sprechen. Wie sah der Pfad aus, der zum Aufbauplan 2032 führte?

Generalmajor Bruno Hofbauer: Ab dem Jahr 2020 wurde verstärkt  die Frage diskutiert, was militärische Landesverteidigung bedeutet und welche Rolle das Bundesheer wahrzunehmen hat. Im Zuge dessen wurde das Risikobild neu beurteilt, Ableitungen getroffen und Streitkräfteprofilvarianten entwickelt. Das Ergebnis waren sechs Varianten, von denen die Ministerin im März 2021 das Streitkräfteprofil, das als „Unser Heer“ bekannt ist, ausgewählt hat. Zu dessen Realisierung muss eine völlige Veränderung der Grundausrichtung des Bundesheeres, inklusive der Zuweisung finanzieller Mittel, erfolgen. Jetzt setzen wir dieses Konzept um. Aufgrund des Ukraine-Krieges kam es auf der politischen Ebene zu einem Umdenken und auch zur Zuweisung von finanziellen Mitteln, die im Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz niedergeschrieben sind. Das neue Streitkräfteprofil bedeutet eine 180-Grad-Richtungsänderung für die Ausrichtung des Bundesheeres. Das Motto im neuen Streitkräfteprofil „Unser Heer“ lautet: „Zu Hause stark, im Ausland fokussiert!“ Ausgewählte Elemente werden auch weiterhin in den Auslandseinsatz Einsätze erfüllen, der Fokus liegt aber klar im Inland. Das gesamte Bundesheer muss nach einer Mobilmachung in der Lage sein, im Zuge einer Schutzoperation Einsatzaufgaben zu erfüllen.

TD: Die Geschichte, der Ukraine-Krieg, hat also bewiesen, dass die Überlegungen im Ressort richtig waren?

Hofbauer: Das ist korrekt. Darüber hinaus haben sich die Beurteilungen und Überlegungen, die bereits 2017 im Militärstrategischen Konzept (MSK 17; Anm.) formuliert wurden, bestätigt. Heute gibt es auch den politischen Willen die Bedarfe des Bundesheeres zur Sicherstellung seiner Aufgaben umzusetzen und einen Aufbauplan für die nächsten zehn Jahre umzusetzen.

Was sind die Eckpunkte des Aufbauplanes 2032?

Hofbauer: Die Eckpunkte sind die drei Bereiche: Mobilität der Einsatzkräfte, Schutz und Wirkung von Soldaten sowie Autarkie und Nachhaltigkeit. Bei der Autarkie und Nachhaltigkeit geht es jedoch nicht nur um die Blackout-Vorsorge in den Kasernen, damit ist auch die materielle Durchhaltefähigkeit des Bundesheeres in einem Einsatz gemeint. Dies ist die Basis der Verteidigungsfähigkeit Österreichs. Ein Beispiel dafür ist das Vorhandensein von ausreichender Munition für alle Waffensysteme.

Wo sind die Kernelemente des Aufbauplanes 2032?

Hofbauer: Die Ausgaben des Bundesheeres lassen sich in die drei Bereiche Personal, Betrieb und Investition einordnen, die miteinander verbunden sind. Die öffentliche Diskussion wird häufig auf den Ankauf von modernem und leistungsfähigem Gerät reduziert, den Bereich der Investitionen. Modernes und leistungsfähiges Gerät benötigt jedoch Personal, das es betreibt. Vor allem beim Personal ist es aktuell schwierig den Stand zu halten bzw. die vorhandenen freien Stellen zu besetzen. Somit muss der Aufbauplan 2032 auch mit einer Personaloffensive verbunden sein. Wenn mehr Gerät zuläuft, ist auch der Bereich des Betriebes betroffen, vor allem die Logistik. Wenn wir beispielsweise mehr Pandur-Mannschaftstransportpanzer haben, brauchen wir auch mehr Werkstätten oder Garagen. Das gilt sinngemäß auch für eine vermehrte Übungstätigkeit, die einen erhöhten Bedarf an Betriebsmitteln mit sich bringt, aber auch Investitionen in Unterkünfte und vieles andere mehr. Der Kernbereich des Aufbauplanes ist eigentlich Schutz und Wirkung für unsere Soldatinnen und Soldaten, Autarkie und Nachhaltigkeit ermöglicht das aber erst.

TD: Wie sieht der Fahrplan aus, um das Ziel im Jahr 2032 zu erreichen? Wann wird das erste Gerät zulaufen?

Hofbauer: Wir wollen der Truppe zeigen, dass es so schnell wie möglich geht. Das ist insofern schwierig, da die Rüstungsindustrie weltweit aktuell sehr gefordert ist. Einerseits ist die Nachfrage sehr hoch, anderseits sind die Kapazitäten begrenzt und werden durch zusätzliche Probleme wie Lieferengpässe beeinträchtigt. Erschwerend kommt hinzu, dass Österreich ein relativ kleiner Abnehmer im Vergleich zu anderen Staaten ist . Realistisch muss man somit festhalten, dass am Anfang eher wenig Gerät zulaufen wird, später jedoch immer mehr. Dazu kommt der Umstand, dass wir in manchen Bereichen, zum Beispiel bei  der Luftabwehr mittlerer Reichweite eine komplett neue Fähigkeit implementieren wollen. Hier dauert es Jahre bis diese Systeme im Bundesheer einsetzbar sind, da die Erstellung der Planungsdokumente, die Auftragsvergabe nach dem Ausschreibungsverfahren, die Produktion und Lieferung, aber auch die Ausbildung am System Zeit benötigen. Kleinere Projekte können wesentlich rascher umgesetzt werden. Ich hoffe, dass sehr bald die ersten Drohnensysteme zur Truppe kommen, aber auch mehr Nachtsichtmittel oder das StG 77A2.

TD: Die Summe von 16 Mrd. Euro wird immer wieder genannt. Was ist konkret damit gemeint?

Hofbauer: Es geht zweimal um den Betrag von jeweils etwa 16 Mrd. Euro. Erstens sind im Bundesfinanzrahmen, der gesetzlich die Finanzmittel der nächsten vier Jahre festlegt, insgesamt 16 Mrd. Euro für das Bundesheer vorgesehen. Zweitens sind für den Bereich Investitionen – ohne die Bereiche Personal, Betrieb und Infrastruktur – in den nächsten zehn Jahren ebenfalls etwa 16 Mrd. Euro reserviert. Um das erhöhte Verteidigungsbudget bis 2032 abzusichern, wurde das Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz beschlossen. Damit verbunden ist ein Landesverteidigungsbericht, der dem Nationalrat jährlich vorzulegen ist. Aus meiner Sicht ist das ein essenzielles Tool, mit dem wir dem Parlament regelmäßig über den Zustand des Bundesheeres berichten. Somit haben wir den gesetzlichen Auftrag unsere Ziele darzustellen und über den Grad der Umsetzung zu berichten.

TD: Teilweise hört man den Vorwurf, dass man das Geld mit der Gießkanne über das Bundesheer schütten würde. Stimmt das?

Hofbauer: Wir haben in jedem Bereich des Bundesheeres einen hohen Handlungsbedarf. In manchen Bereichen sieht es besser aus, wie etwa beim Jagdkommando oder der Militärpolizei. Der Rest des Bundesheeres ist teilweise auf dem Niveau der 1990er-Jahre stehengeblieben, hinsichtlich der Mengen des Materials liegen wir sogar deutlich unter den Anforderungen. Für größere Übungen müssen wir zum Beispiel die Fahrzeuge aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenziehen, es fehlen die Kampfunterstützungselemente in den Milizbataillonen und für die Pandur-Mannschaftstransportpanzer und die Schützenpanzer Ulan müssen wir die Systemfamilie herstellen. Die Mobilmachungsstärke von 55.000 Soldatinnen und Soldaten ist  mit der Notwendigkeit der Vollausstattung dieser 55.000 verbunden. Das beginnt bei der Mannesausrüstung und endet mit den dazugehörigen Fahrzeugen – auch für die Miliz. Mehr moderne Ausrüstung verlangt aber auch nach mehr Übungen, das gilt ebenfalls für die Miliz. Das alles kostet Geld, bedeutet aber nicht, dass wir es nach dem Gießkannenprinzip ausgeben, also keinen Plan hätten – ganz im Gegenteil.

TD: Muss man sich beim Bundesheer von wirtschaftlichen Überlegungen trennen, die beispielsweise niedrige Lagerbestände zur Folge hatten?

Hofbauer: Ja, das ist richtig. Das hat die Corona-Krise bereits deutlich gezeigt und auch der Ukraine-Konflikt bestätigt das. Für das Bundesheer ist keine Just-In-Time-Logistik möglich. Wir sind ein Sicherheitssystem und dieses muss immer über Redundanzen verfügen. Gerade im Bereich der Miliz ist sehr viel zu tun, um die Anforderungen eines Bundesheeres, das insgesamt mobilgemacht werden kann, gerecht zu werden. Ein modernes, aber den militärischen Anforderungen entsprechendes, Logistiksystem ist Voraussetzung, dass im Einsatzfall die Einsatzbereitschaft überhaupt erreicht und dann auch gehalten werden kann.

TD: Modernes und leistungsfähiges Gerät ist hochkomplex. Grundwehrdiener sind sechs Monate beim Bundesheer, drei davon im Assistenzeinsatz. Ist es möglich in den drei verbleibenden Monaten auf modernem Gerät ausgebildet zu werden, unabhängig der Herausforderung dieses auch in einem Verband sinnvoll einsetzen zu können?

Hofbauer: Die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres wird auf lange Sicht nur dann gegeben sein, wenn die Soldaten – vor allem das Kaderpersonal – mit ihrem Gerät üben können, egal ob dieses sich schon lange bewährt hat oder ganz modern ist. Wir dürfen uns keiner Illusion hingeben: Wir haben seit Jahren de facto nicht mehr im Kompanie-, Bataillons- oder Brigaderahmen geübt, weil der aktuelle Einsatzdruck auf die Truppe zu hoch ist. Dieser muss dringend reduziert werden, um wieder eine waffengattungsspezifische Ausbildung auf allen Ebenen durchführen zu können. Hochkomplexe Waffensysteme stellen gerade auch die Kameraden der Miliz vor die Herausforderung, diese im Einsatzfall bedienen zu können. Dazu ist eine ausreichende Zeit der Einsatzvorbereitung nötig. Schon die Mobilmachung der Miliz bei der Pandemie hat das bewiesen.  

TD: Wird es ohne Wiedereinführung der Truppenübungen oder dem Ausbau von Kaderpräsenzeinheiten möglich sein im vollen Spektrum einsatzfähig zu werden?

Hofbauer: Es wird uns gar nichts anderes übrigbleiben als attraktive Arbeitsmodelle zu entwickeln. Das muss nicht zwingend das Modell der Kaderpräsenzeinheiten sein. Jedenfalls brauchen wir ein mobilzumachendes Bundesheer, egal ob mit oder ohne verpflichtende Truppenübungen. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig zu betonen, dass wir zumindest zwei Monate für die unmittelbare Einsatzvorbereitung benötigen, bis eine Truppe nach der Mobilmachung in den Einsatz gehen kann. Um diese zwei Monate zu überbrücken brauchen wir jedoch Reaktionskräfte, eine Truppe die sofort für einen Einsatz bereitstehen. Das können Kaderpräsenzeinheiten sein, aber auch Elemente der Miliz, die einen höheren Bereitschaftsgrad aufweisen. Wir sollten es auch ermöglichen, dass Soldaten, die bei uns bleiben wollen, dies ohne KPE-Verpflichtung oder Kaderanwärterausbildung machen können. So können wir Richtschützen, Kraftfahrer oder andere Funktionen längerfristig besetzen.

TD: Die Miliz muss demnach gestärkt werden?

Hofbauer: Ich bin für eine stärkere Verschränkung zwischen den präsenten und den mobilzumachenden Bataillonen. Wenn die verpflichteten Waffenübungen nicht realisiert werden können, wird man sich etwas überlegen müssen, um einen Anreiz zu bieten. Das betrifft nicht nur die Milizsoldaten, sondern auch deren Arbeitgeber. Aktuell gibt es einen Versuch mit einer Art Reaktionsmiliz im kleinen Umfang, die fünfmal im Jahr für ein Wochenende und zusätzlich noch eine Woche lang übt, wofür die Soldatinnen und Soldaten eine entsprechende Prämie bekommen. Ob und wie das funktioniert wird man sehen, aber das Ziel ist klar: Miliz in höherer Bereitschaft ist zu realisieren!

TD: Bis in die 1990er-Jahre hatten wir so ein ähnliches System und ein hochgerüstetes Bundesheer. Geht es wieder in diese Richtung?

Hofbauer: Wir wollen kein Retro-Bundesheer! Es gibt sicher kein zurück in eine reine Territorialisierung, schon alleine aufgrund der relativ geringen Mobilmachungsstärke von insgesamt 55.000 Soldaten. Jeder österreichische Soldat muss an jedem Ort eingesetzt werden können. Was wir aber machen müssen, ist das Herstellen der Kampffähigkeit in allen Bereichen. Der Ukraine-Krieg zeigt uns eindeutig, dass der Soldat des 21. Jahrhunderts zusätzlich zu den klassischen Fähigkeiten auch die modernen Fähigkeiten beherrschen muss. Der moderne Soldat muss wissen, wie ein Spähtrupp funktioniert, er muss dabei aber in der Lage sein modernes Gerät wie ein Battle Management System zu bedienen, um die Aufklärungsergebnisse in Echtzeit zu übertragen. Dort müssen wir hin! Um das zu schaffen, benötigen wir aber Jahre und ich hoffe, dass wir diese Zeit auch tatsächlich zur Verfügung haben.

TD: Sind bei den Beschaffungsvorgängen internationale Kooperationen geplant, wie beim Hubschrauber Leonardo?

Hofbauer: Dort wo es geht wollen wir kooperieren. Unser Ziel ist es, nicht nur interoperabel zu sein, sondern in gewissen Bereichen gleiche Rüstungsgüter wie andere Armeen zu haben, wo das möglich ist und sinnvoll ist. Jedenfalls sind wir gut beraten international zusammenzuarbeiten. Bei neuen Fähigkeiten, wie der bereits erwähnten Luftabwehr mittlerer Reichweite, ist es jedenfalls nötig mit anderen Staaten, die das Know-how bereits haben, eng zusammenzuarbeiten. Bei geplanten Vorhaben sollten wir uns so früh wie möglich einbringen.

TD: Gibt es auch Überlegungen zu einem Wiederaufbau einer österreichischen Verteidigungsindustrie?

Hofbauer: Das ist primär eine Frage eines gesamtstaatlichen Ansatzes bzw. der wirtschaftlichen Landesverteidigung. Wo es möglich ist, soll auch  eine Wertschöpfung für Österreich möglich sein, wie bei den „Pandur“-Mannschaftstransportpanzern.

TD: Stichwort gesamtstaatlicher Ansatz. Wie wichtige ist die geistige Landesverteidigung zur Umsetzung des Aufbauplanes 2032?

Hofbauer: Die geistige Landesverteidigung ist ein wesentlicher Faktor für den Aufbau des Bundesheeres. Wenn wir der Bevölkerung nicht klarmachen können, warum es wichtig ist unseren Staat und damit unsere Werte, die nicht selbstverständlich sind, auch im Falle eines Angriffes zu verteidigen, dann waren alle Bemühungen umsonst. Aktuell gibt es wegen des Ukraine-Krieges ein Bewusstsein dafür. Wenn dieser Krieg jedoch aus den Schlagzeilen verschwindet, andere Krisen zunehmen , kann die Stimmung rasch  kippen.

TD: In militärstrategischen Konzepten und Überlegungen war immer von einer zehnjährigen Vorlaufzeit die Rede. Hängt der Planungshorizont von zehn Jahren auch damit zusammen?

Hofbauer: Die Idee einer zehnjährigen Vorlaufzeit müssen wir ablegen, das ist erledigt. Wir müssen uns bemühen das Bundesheer möglichst rasch wieder auf Vordermann zu bringen und in den nächsten Jahren unsere militärischen Kernfähigkeiten wieder beherrschen. Jedenfalls müssen wir mehr ausbilden, mehr schießen, mehr üben und mehr fliegen. Damit können wir jederzeit beginnen. Das Bundesheer ist jedenfalls gut beraten, den Fokus auf die Ebenen Gruppe, Zug und Kompanie zu legen und dort die Handwerksfähigkeiten – die Basics – zu verbessern. Ich bin zuversichtlich, dass gemeinsam mit der Direktion 1 (die Streitkräfte; Anm.) die notwendigen Schritte gesetzt werden. Wir müssen jedenfalls das Geld für Überstunden, Übungsmunition etc. zur Verfügung stellen, damit wir in sechs Monaten beispielsweise einen Infanteristen ausbilden können, der in der Lage ist seinem Gruppenkommandanten zu folgen und im Gefecht zu bestehen. Die Kernkompetenz liegt auf der Ebene der Gruppe und des Zuges. Dort muss auch zunächst das Schwergewicht liegen.

TD: Herr Generalmajor, Danke für das Interview.

TD-Artikel zum Aufbauplan 2032

Hofrat Gerold Keusch, BA MA ist Leiter Online-Medien in der Redaktion TRUPPENDIENST.

 

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