• Veröffentlichungsdatum : 16.03.2016
  • – Letztes Update : 24.03.2016

  • 16 Min -
  • 3206 Wörter

Together for a stronger Europe

Günther Rozenits

Im Beitrag werden die Maritime Sicherheitsstrategie der Europäischen Union (European Union Maritime Security Strategy - EUMSS) und die Begegnung von Cyber-Bedrohungen in der europäischen Zusammenarbeit sowie die Fähigkeitenentwicklung zur Abwehr und Analyse von behelfsmäßigen Sprengkörpern behandelt. Diesen gemeinsamen Bemühungen ist der Leitspruch der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) zugrunde gelegt: „Together for a stronger Europe!“


Der Europäische Rat Verteidigung hat 2013 die Erstellung einer Maritimen Sicherheitsstrategie in Auftrag gegeben. Diese wurde am 24. Juni 2014 beschlossen. Zur Umsetzung der EUMSS wurde im Dezember 2014 ein Umsetzungsplan festgelegt (EUMSS Action Plan) und der EDA eine besondere Rolle übertragen.

Mit diesen Rahmenbedingungen wird ein Teilbereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) gestärkt. Dabei wird umfassend und politikfeldübergreifend agiert. Praktisch werden damit Meeressicherheit, Verteidigung, Grenzkontrolle, Zollangelegenheiten, Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen, Schutz der Umwelt, Kontrolle des Fischereiwesens, Forschung und Entwicklung zusammengeführt.

Somit werden die zivil-militärische Zusammenarbeit und die Koordinierung zwischen interner und externer Sicherheit, insbesondere Polizei, Küstenschutz und Verteidigung, verbessert. Mittelfristig ergeben sich klarere Verantwortlichkeiten, mehr Kosteneffizienz und eine verbesserte Wirksamkeit.

Ausgangslage

Europas Bürger schätzen „das Meer“ als Erholungsort und Erlebniswelt und in Küstennähe für die Nahrungsmittelversorgung auch als Basis der eigenen Existenz. Über die großen Zusammenhänge, also die Bedeutung der Meere als Lebenslinie der Europäischen Union (EU) und der globalisierten Welt, wird meist nur in geschlossenen Zirkeln sowie Think Tanks nachgedacht. Vor allem Bewohnern von Binnenstaaten wie Österreich ist viel zu wenig bewusst, wie sehr auch unser Wohlstand „meeresbasiert“ ist.

Im Zusammenhang mit „See“ werden oft nur die österreichischen Seen wahrgenommen. Von den 28 EU-Ländern sind 23 Küstenstaaten und 26 betreiben internationale Handelsflotten. Die Küstenstaaten haben immense Kosten für die Sicherung und Verteidigung der maritimen Grenze, aber auch für die Vorkehrungen gegen Naturkatastrophen zu tragen (z. B. Sturmflutwehr vor Rotterdam). Von den EU-Bürgern leben knapp zwei Drittel in einem überschaubaren Nahbereich zur ca. 68 000 km langen Küstenlinie. Diese umspannt die Arktis, die Baltische See (Ostsee), die Nordsee, den nordöstlichen Atlantik, das Mittelmeer mit der Adria, das Schwarze Meer sowie die EU-Überseegebiete, wobei diese bis in die Antarktisregion reichen.

Insgesamt werden in der EU etwa 1 200 Handelshäfen (davon 764 große) und 8 100 Schiffe (über 500 GT) betrieben. Jährlich passieren über 400 Millionen Menschen europäische Häfen und etwa 90 Prozent des EU-Außenhandels und 40 Prozent des Binnenhandels laufen über Seetransportwege - Tendenz steigend.

Die Meere und Ozeane selbst bilden einen Wirtschaftsraum mit mannigfaltigen Ressourcen und Interessensgebieten. Aufgrund der Eisschmelze gelangt die Arktis mit den Rohstoffvorkommen und der möglichen Verkürzung der Handelswege zusehends in das Blickfeld.

Von besonderer Bedeutung sind u. a. die Bereiche Tourismus mit ca. 3,2 Millionen Beschäftigten und etwa 183 Milliarden Euro Umsatz, in der Nahrungsmittelerzeugung, Rohstoffgewinnung (z. B. Erdgas, Erdöl) und im Transport. Weltweit waren 2014 etwa 11 000 Schiffe für Öl und chemische Stoffe sowie 1 500 Tanker für verflüssigtes Gas (LNG) auf Hoher See unterwegs. Von Europäern werden über 40 Prozent der Welthandelsflotte - 55 Prozent der Containerschiffe und 35 Prozent der Tankschiffe - betrieben. Im Jahr 2011 hatten die EU-Staaten 83 014 Schiffe im Fischereiwesen unter ihrer Flagge und diese erwirtschafteten 1 696 175 Tonnen Fischgut.

Für die Energieversorgung - insbesondere mit Öl und Gas (z. B. 50 Prozent der Weltproduktion, North Stream und North Stream II) und auch die Telekommunikation ist das Meer bzw. die „See“ ein bedeutender Aspekt, da der Großteil des Telekommunikationsverkehrs über Seekabel am Meeresgrund läuft.

Mit dem Blick auf die „nasse“ EU-Außengrenze ergeben sich umfangreiche Herausforderungen für die Sicherheit, wie Grenzmanagement, Entwicklung und Stabilität in den angrenzenden Regionen. Die Europäische Union ist sich seit Jahren der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Meere und Ozeane bewusst und hat erste Antworten im maritimen Bereich entwickelt. Beispiele dafür sind die erste maritime GSVP-Operation EUNAVFOR Atalanta (Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika) sowie EUCAP „Nestor“ (Stärkung maritimer Kapazitäten am Horn von Afrika und im Westlichen Indischen Ozean).

Unter dem Dach der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX (zuständig für die Sicherung der Schengen-Außengrenze, inkl. Such- und Rettungsaufgaben) startete ab dem 1. November 2014 die Operation „Triton“.

Nach zahlreichen humanitären Ka­tastrophen im Mittelmeer hat sich am 18. Mai 2015 der Europäische Rat auf die Durchführung einer Militär­operation (EUNAVFOR MED) ge­einigt. Nach der Einleitung der Operation im Juni wurde diese mit ­7. Oktober 2015 in die zweite Phase „High Seas“ als Operation „Sophia“ übergeführt. Diese untersteht dem Europäischen Auswärtigen Dienst mit seiner Leiterin Federica Mogherini. Mit dem Einsatz soll das Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im Mittelmeer zerschlagen werden. Der italienische Flugzeugträger „Cavour“, ist seit Juni 2015 das Flaggschiff der EUNAVFOR MED Operation „Sophia“.

EUCAP „Nestor“
EUCAP „Nestor“ (European Union Mission on Regional Maritime Capacity Building in the Horn of Africa) wurde am 16. Juli 2012 von der EU eingesetzt und dient zur Stärkung der maritimen Kapazitäten der fünf Länder in der Region „Horn von Afrika und im Westlichen Indischer Ozean“ - Dschibuti, Kenia, Somalia, Seychellen und Tansania.

EUNAVFOR Somalia - Operation „Atalanta“ (European Union Naval Force Somalia)
Das Operationsgebiet mit ca. 2 Mio. nautischen Quadratmeilen bzw. 3,7 Mio. km² oder ca. das 1,5-fache des europäischen Festlandes umfasst den Süden des Roten Meeres, den Golf von Aden und einen großen Teil des Indischen Ozeans, einschließlich der Seychellen.

MARSUR (Maritime Surveillance Capabilities)

Dieses EDA-Projekt wurde im Oktober 2014 als „operational“ bekannt gegeben. MARSUR stellt die Interoperabilität der verschiedenen zivil-militärischen Beobachtungssysteme sicher. Erste Tests fanden bereits im Juni 2011 statt und daran nahmen sechs Länder teil. Im Jahr 2013 unterfertigten 13 Mitgliedstaaten einen Vertrag im Wert von 950 Mio. Euro zur Weiterentwicklung des Projektes. Unter der Leitung von Finnland nehmen nun bereits 17 EU-Länder und Norwegen teil.

Grenzmanagement
Der erste Schritt zum gemeinsamen Schutz der Außengrenzen der EU wurde am 14. Juni 1985 unternommen, als fünf der zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft das Schengener Abkommen unterzeichneten. Fünf Jahre später wurde dieses durch das Übereinkommen zur Durchführung des Schengener Abkommens ergänzt. Der geschaffene Raum ohne Grenzkontrollen, der Schengen-Raum, besteht gegenwärtig aus 26 europäischen Ländern.

Fazit

Mit der Maritimen Sicherheitsstrategie macht die Europäische Union ihre Interessen im maritimen Bereich geltend. Als Union haben wir damit einen weiteren Schritt in Richtung Global Player unternommen. Nun gilt es, die EUMSS in die Europäische Sicherheitsstrategie, welche vom Europäischen Rat im Juni 2015 in Auftrag gegeben wurde, einzubetten.

 

Cyber-Bedrohung

Cyber-Bedrohung ist ein gängiger Begriff. Allein das Wort Cyber zu hören, erzeugt in den Köpfen der Menschen Bilder. Das Schlimmste ist wohl, wenn die privaten Ersparnisse illegal abgehoben werden oder ein Hacker den Account löscht. Im Bereich Cyber ist daher hohe Sensibilität gegeben. Cyber-Defence ist eines der Schlüsselprojekte der EDA in Umsetzung der Aufträge des Europäischen Rates Verteidigung. Aber auch die internationale Gemeinschaft räumt der Begegnung von Cyber-Bedrohungen seit geraumer Zeit einen erhöhten Stellenwert ein.

Untersuchungen zeigen, dass hierzu in den nächsten Jahren bis zu einer Million (!) Experten notwendig sein werden, um europaweit ein gesichertes Netz verfügbar zu haben. Hier besteht für junge Leute und erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit in einem spannenden Bereich einen krisenfesten Arbeitsplatz zu ergattern.

Cyber-Strategie

Aus den inzwischen entwickelten umfassenden Strategien wurden konkrete Richtlinien zur Umsetzung auf strategischer und operationeller Ebene abgeleitet. Strategisch ist dabei die Ebene der EU mit den EU-Mitgliedern und erstreckt sich operationell bis zum User. Die Implementierung erfordert eine intensive Zusammenarbeit aller internen und externen Stakeholder. Den steigenden Herausforderungen wird mit vergleichbaren Zielsetzungen begegnet.

Cyber-Abwehr - strategische Zielsetzungen

  • Erhöhen der Sensibilisierung für die Erfordernisse der Cyber-Sicherheit bei den Bedarfsträgern (Usern).
  • Schaffen bzw. Optimieren des rechtlichen Rahmens für die Legitimierung von Cyber-Sicherheits- und Abwehrmaßnahmen/Aktivitäten (Cyber-Security und Cyber-Defence).
  • Verbessern der Fähigkeiten zur Begegnung von Bedrohungen im Cyber-Raum.
  • Motivieren der Nationen/EU-Mitglieder für Maßnahmen zur Steigerung der Cyber-Sicherheit (Österreich hat dazu im März 2013 die „Österreichische Strategie für Cyber-Sicherheit“ beschlossen).
  • Intensivieren der internen und externen Kooperationen - durch das Schaffen von regionalen, multinationalen und internationalen Communities of Interest.
  • Verstärkte Einbindung des wissenschaftlichen Umfeldes (Akademien, Forschungseinrichtungen etc.) und der Industrie.

EU Cyber-Sicherheitsstrategie 2013

Die EU unternimmt seit einigen Jahren erhöhte Anstrengungen zur Verbesserung ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Bedrohungen aus dem Cyber-Raum. Hierzu arbeitet sie unter anderem bei der Implementierung der EU-Cyber-Sicherheitsstrategie 2013 äußerst ambitioniert an den Richtlinien zur Erhöhung der Netzwerk- und Informationssicherheit.

Im November 2013 brachten die EU-Außenminister ihren politischen Willen zur Verstärkung der Cyber-Verteidigungsmaßnahmen zum Ausdruck. Wenige Wochen danach definierte der Europäische Rat Verteidigung Cyber als eine der europäischen Schlüsselfähigkeiten. Schließlich wurde die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) mit der Entwicklung bzw. Verbesserung der Cyber-Verteidigungsfähigkeit beauftragt. Dabei koordiniert sich diese auch mit der NATO.

Im Bericht der EU-Außenbeauftragten für den Europäischen Rat Verteidigung im Juni 2015 wurde auf die verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Auswärtigen Dienst, der Europäischen Kommission (EK) und der EDA hingewiesen. Denn nur gemeinsam kann der Cyber-Bedrohung entsprochen werden. Nach dem Beschluss der Verteidigungsminister beim EDA-Lenkungsausschuss ist Cyber-Defence (Cyber-Abwehr) Teil der Prioritätenliste des Fähigkeitenentwicklungsplanes (Capability Development Plan) und die EU-Mitgliedstaaten analysieren die Ausbildungsnotwendigkeiten.

Cyber-Schutz für GSVP-Missionen und Operationen

Für die Auftragserfüllung bei GSVP-Missionen und -Operationen wurden durch Federica Mogherini die Ausarbeitung eines „Cyber Defence Policy Frameworks“ (CDPF) und von Schutzmaßnahmen in Auftrag gegeben. Inzwischen ist Cyber-Abwehr Bestandteil der Bedrohungsanalyse und der Entscheidungsfindung, aber auch der Ausbildung der Kommanden der EU-Einsätze. Weiters wurden multinationale Cyber Defence Trainingseinrichtungen (Cyber Ranges) installiert und einheitliche Ausbildungsmodule festgelegt.

Initiativen für „Cyber-Hygiene“

Schwachstellen im Cyber-Raum sind häufig Menschen. Durch individuelles Fehlverhalten oder mangelnde Sorgfalt beim Umgang mit Anwendungen oder Geräten kommt es zur Bedrohung eigener Cyber-Netze. Auf Initiative von Estland wurde das Projekt „Cyber-Hygiene“ ins Leben gerufen, und die EDA entwickelt ein Programm zur Personalschulung. Verteidigungsminister Gerald Klug hat mit seiner Unterschrift im Mai 2015 die Kooperationsbereitschaft Österreichs bekundet.

Gemeinsam mit Estland, Finnland, Lettland, Litauen und den Niederlanden, sowie der EDA und dem Europäischen Auswärtigen Dienst, ist Österreich in der ersten Reihe der Länder, die das Thema umfassend behandeln. Nun sollen durch individuelles Training sowie mittels Lernprogrammen (E-Learning Programme) die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums weitergebildet und sensibilisiert werden.

Fazit

Der Cyber-Raum stellt unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen und bietet zugleich die Chance für breite Kooperation über die bisherigen Grenzen hinweg. In der EU können Cyber-Bedrohungen nur durch gemeinsame politische und strategische Aktivitäten begegnet werden. Dies beginnt mit der gemeinsamen Zielfestlegung und reicht bis zur Ausbildung des Personals. Erfreulicherweise ist international eine erhöhte Kooperationsbereitschaft erkennbar.

EDA-Aktivität zur Abwehr von behelfsmäßigen Sprengkörpern - Counter-Improvised Explosive Device (C-IED)

Behelfsmäßige Sprengkörper (Improvised Explosive Device - IED) sind seit Jahren eine effektive Waffe mit operationellen und teilweise strategischen Auswirkungen. Sie stellen derzeit die größte Bedrohung für die Soldaten sowie für Mitarbeiter im Einsatz dar. Dieser Trend wird aufgrund der Verbreitung moderner Militärtechnologie und der Zunahme ferngesteuerter Vorrichtungen weiter anhalten. Der IED-Einsatz unterliegt keinen festen Mustern. Sie können nahezu jederzeit und überall mit unterschiedlichen Techniken und Taktiken verwendet werden. Im Vorfeld beobachtet ein Angreifer die beabsichtigten Angriffsziele, wertet das Verhalten sowie die angewendeten Taktiken und Gefechtstechniken aus und passt seine Einsatztaktik kontinuierlich an Schutzmaßnahmen des Gegners und die aktuelle Lage an.

Eine neue Herausforderung könnte die Kombination von IED mit chemischen, biologischen, radiologischen sowie nuklearen Stoffen (Chemical, Biological, Radiological, Nuclear - CBRN) werden. Hierzu bietet das Bundesheer mit der EDA einen umfassenden Kurs auf internationaler Ebene an.

Gegenmaßnahmen
Die Maßnahmen gegen behelfsmäßige Sprengkörper, unter dem Begriff Counter Improvised Explosive Device (C-IED) ruhen auf drei Säulen:

  • Ausbilden der Soldaten (Prepare the Force);
  • Identifizieren und Zerschlagen der Netzwerke (Attack the Network);
  • Beseitigen der aufgefundenen ­Spreng­körper (Defeat the Device).

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich aufgrund der unmittelbaren Relevanz für die Soldaten auf den Aspekt der Beseitigung von Sprengkörpern.

Counter Improvised Explosive Device

C-IED ist die Gesamtheit aller Maßnahmen und Ebenen zur Vorhersage, Verhinderung, Reduktion oder Beseitigung der Auswirkungen aller Arten von IEDs, die gegen eigene Kräfte und Nicht-Kombattanten eingesetzt werden, entsprechend dem Grundauftrag. Diese Maßnahmen umfassen: Doktrin und (militär-) politische Zielsetzung, Ressourcen, Ausbildung, Organisation, Informationsgewinnung und Aufklärung, Einsatzverfahren, Taktik und Gefechtstechnik, Ausrüstung und Gerät, Technologie sowie Forschung und Entwicklung.

Bedrohung durch IED

Viele kennen sie, die Bilder aus Afghanistan oder dem Irak, wo Anschläge mit diesen Bomben zum täglichen Erscheinungsbild gehören. Das IED ist eine behelfsmäßig angebrachte bzw. hergestellte Vorrichtung, die der Zerstörung, Verunstaltung, Störung oder Beunruhigung dient. Es kann militärische Stoffe enthalten, besteht allerdings meist aus zivilen Materialien. IED bestehen im Wesentlichen aus den Modulen Wirkladung, Gehäuse, Zünder, Auslösevorrichtung und Stromquelle. In das Ziel und zur Wirkung werden sie entweder durch einen Attentäter, durch Fernsteuerung, durch das Opfer selbst oder mittels Zeitzündung gebracht.

Mögliche Erscheinungsformen von IED sind nur durch die Phantasie der Attentäter begrenzt. In den aktuellen Einsatzräumen wurden bis dato folgende Einsatzformen erkannt als

  • sogenannte „Roadside Bomb“, dabei wird das IED unter der Fahrbahn oder am Straßenrand positioniert,
  • Autobombe, hier wird das Fahrzeug von einem Attentäter zum Anschlagsort gefahren und zur Detonation gebracht,
  • zeitgesteuerter Raketenangriff auf eine militärische oder zivile Einrichtung,
  • Selbstmordattentat (kommt immer häufiger zum Einsatz) mit am Körper getragener Sprengstoffweste oder einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug.

Aufgrund neuer technischer Entwicklungen könnten bald selbstfahrende bzw. ferngesteuerte Fahrzeuge ein neues Gefahrenpotenzial darstellen.

Antwort der Abwehrexperten (IEDD)

Die Ausrüstung eines Entschärfungsteams besteht im Wesentlichen aus Bomben-Personenschutz, fernlenkbaren Robotern, diversen Schießgeräten und Sprengladungen. Für die Neutralisierung von behelfsmäßigen Sprengkörpern gibt es einen eingeübten Ablauf. Im Idealfall kommt der ferngelenkte Roboter zum Einsatz. Eine Annäherung von Personen an das IED erfolgt nur im äußersten Notfall und beschränkt sich auf die minimal notwendige Zeit, um eine Waffe oder anderes Gerät zur Zerstörung des IED in dessen Nähe zu bringen. Die Auslösung der Waffe erfolgt dann aus einer für den Entschärfer sicheren Entfernung. Nur in ganz seltenen Fällen muss der Entschärfer selbst direkt an der Vorrichtung arbeiten.

„Worst Case Szenario“
Komplexe IED sind gegen jede Art von Manipulation, wie Bewegen, Öffnen oder Eindringen gesichert. Manipulationen an ihnen wie Hand­entschärfung kann die Vorrichtung unverzüglich zur Auslösung bzw. Explosion bringen. Daher wird die Hand­entschärfung als „Worst Case Szenario“ eingestuft. In den letzten Jahren konnte ein kontinuierlicher Anstieg der Komplexität bezüglich der verwendeten Komponenten und Sensorik zur Auslösung eines IED beobachtet werden. Die Fähigkeit zur manuellen Entschärfung gewinnt daher an Bedeutung und muss stets weiter ausgebaut werden. All dies ist ein permanent verlaufender Vorgang, welcher vor allem durch den Einfallsreichtum der Angreifer bestimmt wird.
Die Notwendigkeit zur manuellen Neutralisation (Handentschärfung) er­gibt sich bei folgenden Szenarien:

  • Selbstmordattentäter, dem die Auslösung nicht möglich war;
  • „Geisel-IED“ (zuletzt in Australien im September 2011);
  • IED mit strahlendem, biologischem oder chemischem Stoff als Hauptladung (Anthrax-Briefe in Österreich bzw. Saringas-Anschlag der Aum-Sekte 1995 in einer U-Bahn in Japan);
  • Das IED würde hochsensible, kritische Infrastruktur beschädigen oder zerstören;
  • Zerstörtes IED würde notwendige forensische Beweismittel (DNA, Fingerabdrücke etc.) vernichten (Briefbombenserie in Österreich von 1993 bis 1996).

Die Herausforderungen bei einer Hand­entschärfung sind vielfältig. Jede Elek­tronikkomponente kann als Auslöser fungieren. Dazu gehören lichtempfindliche, Erschütterungs-, Schall- wie auch Bewegungssensoren, Funksysteme und auch Zeitschaltuhren. Der „österreichische Briefbomber“ F. Fuchs hat mit seinen eigens dafür entwickelten Schaltkreisen eine vorher noch nicht aufgetretene Komplexität geschaffen.

Handentschärfer
Aufgrund der aufgezeigten Komplexität muss ein Handentschärfer über ein sehr hohes Wissen in der Elektrik und auch Elektronik verfügen. Nur damit kann er solche Schaltkreise rasch analysieren und neutralisieren.
Eine weitere Herausforderung ist die Überwindung von Absicherungsmaßnahmen gegen ein Eindringen in den Behälter, in dem sich Schaltkreis, Zünder und Sprengstoff befinden. Abhängig vom Material des Behälters müssen unterschiedliche Werkzeuge und Techniken verwendet bzw. angewandt werden. Schlussendlich müssen diese Verfahren und Techniken in der sogenannten „Kill-Zone“ teilweise stundenlang, auch in Dunkelheit und mit angelegter ABC-Schutzausrüstung beherrscht werden.
Die Ausbildung von IED-Abwehr­experten, welche Roboter, Röntgensysteme, diverse Schusssysteme und Waffen verwenden, ist Bestandteil der meisten Armeen und von Spezialisten der Sicherheitsexekutiven (Polizeiorganisationen). Viele Jahre hindurch wurde diesem Umstand zu geringe Beachtung beigemessen und es entstanden erhebliche Fähigkeitslücken.

EDA Projekt - Manuelle Neutralisierung (MNT) von IED
Aufgrund der fehlenden Kapazitäten im Bereich der Handentschärfung brachte Österreich mit Unterstützung der Europäischen Verteidigungsagentur das Thema ins Zentrum der Betrachtung.

So wurden in den Jahren 2010 und 2011 zwei Lehrgänge ver­anstaltet und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, diese Fähigkeit national aufzubauen. Die Weiterführung dieser Initiative mündete nun in einem mehrjährigen Projekt, welches unter österreichischer Führung mit fünf Nationen Kurse und Übungen an der Heereslogistikschule in Wien anbietet.

Bei der jährlichen Übung „EUROPEAN GUARDIAN“ werden in Wien Handentschärfer geschult. Zweck dieser einzigartigen Übung ist es, die gelernten Verfahren und Techniken für das manuelle Neutralisieren/Entschärfen von komplexen unkonventionellen Spreng-/Brandvorrichtungen anzuwenden. Des Weiteren werden im Rahmen der Interoperabilität mit den teilnehmenden Nationen koordinierte Abläufe erarbeitet bzw. Lessons Identified- und Lessons Learned-Prozesse für neue Gegenmaßnahmen
durchgeführt.

Gemeinsam verlegbares Auswerte- und Analyselabor - Joint Deployable Exploitation and Analysis Laboratory (JDEAL)

JDEAL ist neben der von Österreich geleiteten Handentschärfung ein Projekt mit der EDA und dient zur Erweiterung der Fähigkeit zur technischen Analyse von IED.

Bedarf zur Auswertung
IED dienen höchst effizient zur Einschüchterung und zum Terror in Einsatzräumen und auf dem Gefechtsfeld. Die Häufigkeit der Verwendung von IED wird in den kommenden Jahren nicht abnehmen. Daher kommt der Verbesserung von Gegenmaßnahmen eine bedeutende Rolle zu. Alle Gegenmaßnahmen (Counter-IED) zielen auf die Abwehr gegenwärtiger Gefahren und auf das gesamte dahinterstehende Netzwerk ab. Dabei kommt der Aufklärung mit einer möglichst umfassenden Sammlung und Auswertung von Daten eine Schlüsselrolle zu.

Gemeinsame Fähigkeit
Besonders der Einsatz in Afghanistan hat die Notwendigkeit zur fundierten Auswertung und Analyse von IED aufgezeigt. Daher wurde 2010 durch die EDA im Rahmen von Pooling & Sharing ein Auswerte- und Analyselabor, das sogenannte MNTEL (Multinational Theatre Exploitation Laboratory Demonstrator), entwickelt. Mitte 2011 wurde dies an Frankreich als Lead-Nation zur Verwendung in Afghanistan übergeben. Dort wurden in der International Security Assistance Force (ISAF) etwa 6 000 Beweisstü­cke untersucht. Österreich war ab 2011 bedeutender Partner des Projektes. Mitte 2014 wurde das MNTEL von Afghanistan nach Soesterberg in den Niederlanden verbracht, wo es als Trainings- und Ausbildungsinfrastruktur im Kampf gegen IED dient.

Einsatzauswertung - vom MNTEL zum JDEAL
Seit Mai 2013 fungieren die Niederlande als Lead-Nation für das neue Projekt JDEAL (Joint Deployable Exploitation and Analysis Laboratory). Dieses bietet neben einer Trainingsinfrastruktur in Zukunft auch zwei Auswertelabore. Das erste soll Ende 2015 ausgeliefert werden und 2016 einsatzbereit und innerhalb von zwei Wochen für GSVP-Einsätze verfügbar sein.

Ziel von JDEAL

Das Projekt JDEAL verfolgt vier konkrete Zielsetzungen:

  • Verbesserung der Fähigkeit der Mitgliedstaaten zur technischen Analyse von IED;
  • Bereitstellung einer permanenten Trainingsinfrastruktur;
  • Beschaffung von zwei Auswertela­boren;
  • Bereitstellung einer Basis für Forschung und Entwicklung.

JDEAL soll die Einsatzerfahrungen nutzen sowie das Wissen und die Fertigkeiten für europäische Counter-IED-Operationen weiter ausbauen. Dabei stellt die enge Kooperation mit dem „NATO Center of Excellence“ (CoE) in Madrid einen wesentlichen Aspekt dar. Neben den Niederlanden nehmen Österreich, Belgien, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Italien, Luxemburg, Portugal, Spanien und Schweden am Projekt teil.

Unter Exploitation wird im Kontext von IED die Erfassung, Aufzeichnung und Auswertung sämtlicher relevanter Informationen von Vorfällen, Schauplätzen, den technischen Komponenten und Materialien verstanden. Ziel ist es dabei, die technischen und taktischen Informationen des Angriffes aufzudecken und die dahinterstehende Versorgungskette zu identifizieren.

Conclusio

Die Beschlüsse des Europäischen Rates Verteidigung bringen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union näher zusammen. Jedes Mitglied der EU hat im gemeinsamen Entscheidungsprozess die Chance auf die Verwirklichung seiner Interessen. Insgesamt sind allerdings die Bürger, und in Verteidigungsbelangen die Soldaten, die Gewinner. Aus den weniger werdenden Mitteln wird mittelfristig gemeinsam mehr gemacht - vor allem für die Sicherheit im Einsatz stehender Truppen.

Die Maritime Sicherheitsstrategie der EU und die Begegnung von Cyber-Bedrohungen sind zwar strategische Themen, schlagen sich aber in allen Lebensbereichen der Bewohner der EU nieder. Eine direkte Auswirkung zeigt sich aber auch im Bereich behelfsmäßiger Sprengkörper. Die Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger sowie die Vorbereitung der Einsatzkräfte,auf diese permanente Gefahr ist eine unabdingbare Notwendigkeit. Jedes Erkennen von Cyber-Bedrohungen und die Beseitigung von IED schützt vor Schäden und rettet Menschenleben. Das Aufdecken der dahinter stehenden kriminellen oder terroristischen Netzwerke eröffnet die Chance, weitere Cyber-Verbrechen sowie Anschläge zu verhindern.

Aufgrund der Komplexität sind diese Aktivitäten nur im Verbund leistbar. Die Gremien der EU schaffen die Rahmenbedingungen für intensivere Zusammenarbeit und die Mitgliedstaaten setzen diese mit konkreten Maßnahmen um. Die Europäische Verteidigungsagentur mit ihrem Leitspruch, „Together for a stronger Europe!“ ist ein entscheidender Motor, der von den Mitgliedstaaten betrieben wird.


Oberst dG Ing. MMag. Günther Rozenits ist Leiter der Rüstungsabteilung der Militärvertretung Brüssel.

Siehe dazu auch: Die Militärvertretung Brüssel

 

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