• Veröffentlichungsdatum : 22.03.2017
  • – Letztes Update : 08.05.2018

  • 16 Min -
  • 3138 Wörter

Reste der Voralpenstellung

Gerold Keusch

Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in Österreich zahlreiche Verteidigungsanlagen errichtet. Damit wollte die Führung des Dritten Reiches den Vormarsch, vor allem der Roten Armee aufhalten. Die bekannteste Anlage war die Alpenfestung. Ihr vorgelagert entstand die Voralpenstellung. Im Alpenvorland kann man noch Reste davon finden. TRUPPENDIENST-Redakteur Gerold Keusch war vor Ort auf Spurensuche.

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Ein warmer Sommertag lädt dazu ein, mit Freunden auf der Terrasse zu sitzen und über „Gott und die Welt“ zu reden. Es ist interessant, auf welche Themen man dabei kommt. „Bei euch in der Gegend sind im Krieg ja ziemlich viele Bomben niedergegangen. Gibt es da noch Bombentrichter im Wald?“ Wir sind bei einem ernsten Thema gelandet. „Ja, da sind irgendwelche Löcher. Die sind sicher von Bomben. Außerdem sind da auch Gräben aus dem Krieg. Da haben wir als Kinder oft gespielt.“ Klingt interessant, sollte ich mir einmal ansehen. „Warum redet ihr schon wieder über so hässliche Dinge, sprechen wir doch über etwas Lustiges.“ Kein Problem, schließlich möchte ich meiner Frau nicht den Tag verderben. In den nächsten Tagen werde ich mir den Wald einmal genauer ansehen.

Spurensuche

Ein paar Tage später mache ich mich auf den Weg zu den Relikten aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich parke mein Auto in einer kleinen Straße in der Siedlung neben dem Wald, in dem die Schützengräben und Bombentrichter sein sollen. „Kann ich Ihnen helfen?“ - auf dem Land ist man selten unbemerkt. „Ich suche in dem Wald hinter ihrem Haus nach Bombentrichtern und Stellungen aus dem Krieg.“ Der junge Mann, der mir helfen wollte, findet das Thema interessant. Er erzählt mir, dass hinter seinem Haus ein „ganz großer Krater einer Bombe wäre“, und dass es auch noch andere geben müsste.

Hinter dem Haus am Waldrand befindet sich tatsächlich ein Loch mit einen Durchmesser von etwa neun Metern in der Böschung. Es ist der Bombentrichter von dem der Mann gesprochen hat. Nachdem ich mir den Krater genauer angesehen habe, gehe ich den Hügel hinauf, auf dem ich die Stellungen vermute. Oben angekommen, sehe ich zwischen den Pflanzen tatsächlich ein paar Vertiefungen. Das könnten die Reste von Laufgräben sein. Ich gehe dem kleinen Graben, der kaum zu bemerken ist nach. Links von mir sehe ich einen großen Trichter in der Erde - ein Bombentrichter. Das Loch in der Erde hat einen Durchmesser von acht Metern und ist etwa eineinhalb Meter tief. Ich gehe zurück zu den Schützengräben. Nun erkenne ich die Gräben besser. Der Bodenbewuchs ist niedriger und das System der ehemaligen Verteidigungsanlage deutlich zu sehen.

Der Bau der Alpenfestung

Am 20. April 1945 entschied Adolf Hitler, die Alpenfestung auszubauen. Zehn Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, am 28. April 1945, wurde der „Führerbefehl“ dazu erlassen. Darin wurden die Erkundung und der Ausbau der „Kernfestung Alpen“, besser bekannt als „Alpenfestung“, befohlen. Diese hätte ihren nördöstlichen Punkt in Waidhofen an der Ybbs gehabt. Entlang der Linie Dürrenstein - Amstetten - Donau und von dort Richtung Westen bis Linz und zum Hausruck war die Voralpenstellung geplant.

Diese, der Alpenfestung vorgeschobene Verteidigungslinie, hätte das Industriegebiet von Linz und Steyr schützen sollen. Das Stellungssystem im Osten von Amstetten war Teil der Voralpenstellung. Es bestand, so wie die Alpenfestung und viele andere geplante und teilweise realisierte Verteidigungsanlagen in Österreich, nur auf dem Papier. Weder waren die Stellungen ausreichend ausgebaut, noch konnten sie von kampfkräftigen Truppen verteidigt werden. 

Geländetaufe

Um das Stellungssystem und das umliegende Gelände sowie einen möglichen Kampfplan zu veranschaulichen, werden zuerst das Gelände und die vermutlich dort eingesetzten Kräfte benannt. Anhand dessen können die weiteren Aussagen anschaulicher dargestellt werden.

Gelände

  • Hügel - Ort des Stützpunktes
  • Waldzunge - Bereich des Waldes mit dem Gruppennest
  • Waldinsel - Wald südöstlich der Waldzunge
  • Senke - Geländeteil vor den Stellungen des Gruppennestes und des Stützpunktes 

Eingesetzte Kräfte

  • Stützpunkt - Stellungen und Gräben für den Zug auf dem Hügel
  • Gruppennest - Kampfgraben in der nordöstlichen Waldzunge
  • Zug - die im Stützpunkt eingesetzten Gruppen (1. bis 3.)
  • 1.Grp - der nördliche Gruppenbereich mit dem B-Posten und der MG-Stellung
  • 2. Grp - der mittlere Gruppenbereich
  • 3. Grp - der südliche Gruppenbereich
  • 4. Grp - Gruppe in der Waldzunge

Das Stellungssystem am Hügel

Die Schützengräben auf dem Hügel verlaufen fünf bis zehn Meter hinter der Geländekante auf einem Plateau. Von dem Hauptgraben biegen Verbindungsgräben zu den Stellungen an der Geländekante ab. In den Stellungen erkennt man, wie weit diese hätten wirken und beobachten können. Das Gelände vor dem Hügel hat sich kaum verändert. Der Wald ist zwar 70 Jahre älter, die Bäume deshalb höher, und am Fuße des Hügels befinden sich Häuser, die damals nicht standen. Der Verlauf der Straße, die Waldränder, Wiesen und Äcker sahen 1945 ähnlich aus.

In einem der Gräben und zwischen zwei Stellungen befinden sich runde Vertiefungen mit etwa drei Meter Durchmesser - Bombentrichter. Diese waren bereits vor dem Bau der Stellungssystems dort und wurden teilweise in die Laufgräben integriert. Der letzte schwere Bombenangriff auf Amstetten, bei dem auch dieser Wald getroffen wurde, fand am 20. März 1945 statt. Etwa einen Monat später begann der Bau der Schützengräben auf dem Hügel.

Der Stützpunkt

In dem Stellungssystem hätten drei Gruppen eingesetzt werden können - es handelte sich also um einen Stützpunkt. Wenn man die Anlage der Gräben im Grundriss betrachtet, erkennt man tatsächlich drei Gruppenbereiche. In jedem Gruppenbereich hätten sechs bis acht Schützen kämpfen können. Der Hauptgraben hinter der Geländekante hätte die Bereiche der Gruppen verbunden und eine gedeckte Bewegung innerhalb des Zuges sichergestellt. Der (in Richtung des Gegners) linke Teil des Grabensystems ist der höchste Punkt des Hügels. Er bietet eine gute Möglichkeit für eine weitreichende Beobachtung und Wirkung. Dort hätte sich der Beobachtungsposten und daneben die Stellung für das Maschinengewehr befunden.

Einen Gruppenunterstand dürfte es nicht gegeben haben, aber es gab einen Stichgraben. Dieser ist so weit von der Geländekante abgewandt, dass man von dort verdeckt in den Schützengraben gelangen konnte. Wenn in der Nähe des Stichgrabens ein paar Zelte gestanden wären, hätten diese als behelfsmäßige Unterkunft ausgereicht. Nur etwa 200 m in dem Graben hinter dem Hügel mit dem Grabensystem befand sich im Krieg ein Luftschutzstollen. Er diente den Bewohnern der Ortschaft neben der Verteidigungsanlage als Schutz vor alliierten Luftangriffen. Der Stollen hätte auch den Verteidigern als Schutz bei einem Bombenangriff oder bei Steilfeuer dienen können. Heute ist der Stollen verschüttet und man erkennt kaum noch Spuren von dessen Eingang im Wald.

Ein Zug des Volkssturms

In dem Stellungssystem sollte vermutlich ein Zug des Volkssturmes kämpfen. Dieser war das letzte Aufgebot zur Verteidigung des Dritten Reichs und bestand aus „allen waffenfähigen Männern zwischen 16 und 60“. Bis zur Gründung des Volkssturmes waren diese entweder zu jung oder zu alt für den Einsatz an der Front oder in einem kriegswichtigen Unternehmen beschäftigt gewesen. Wie viel Personal der Volkssturm im Dritten Reich tatsächlich hatte, ist nicht bekannt. Seine theoretische Stärke hätte etwa sechs Millionen „Volkssturmpflichtige“ betragen. Die Rüstungsindustrie war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr in der Lage, den Bedarf der Wehrmacht an Waffen, Munition und Ausrüstung zu decken. Dementsprechend schlecht waren auch die Volkssturmeinheiten ausgerüstet und oft nur mit Panzerfäusten bewaffnet. Ob die Kräfte, die in Amstetten zum Einsatz gekommen wären, über ein Maschinengewehr oder andere wirkungsvolle Waffen verfügt hätten, ist demnach fraglich.

Aus der Sicht des Angreifers

Wie sieht der Stützpunkt von der anderen Seite aus? Ich gehe den Hügel, auf dem sich das Stellungssystem befindet, hinunter. Von dort aus kann man sehen, ob die Stellungen zu erkennen gewesen wären und wie sie sich für einen Angreifer dargestellt hätten. In der Senke vor dem Verteidigungssystem und aus einer größeren Distanz, ist der Verlauf der Geländekante kaum zu erkennen. Die Stellungen sind nicht zu sehen, obwohl die Bäume neben ihnen hoch sind und der Wald licht. Ein möglicher Angreifer hätte sie nicht erkannt. Wenn er in die Senke gekommen wäre, hätte ihn das Feuer der Verteidiger überrascht. Er wäre ziemlich sicher vernichtet worden. Nur mit großer Mühe hätten nachfolgende Kräfte die Verteidiger aus dieser Richtung besiegen können.

Verteidigungsanlage der NS-Führung

Das Stellungssystem wurde, so wie beinahe alle anderen Verteidigungsanlagen am Ende des Krieges, von der jeweils örtlichen NS-Führung errichtet. Diese war nicht nur für den Volkssturm, sondern auch für die Organisation der territorialen Verteidigung verantwortlich. Die Qualität der Vorbereitungsmaßnahmen hing davon ab, ob die Verantwortlichen vor Ort über eine militärische Ausbildung und Erfahrung verfügten oder nicht.

Die Übertragung der Verantwortung über die örtliche Verteidigung auf Parteiorgane geschah nicht ohne Grund. Den meisten Soldaten der Wehrmacht, vor allem jenen in Führungspositionen, war klar, dass der Krieg verloren war. Manchen führenden Parteimitgliedern war das jedoch entweder noch nicht bewusst oder sie wollten es nicht wahr haben. Viele von ihnen hatten, aufgrund ihrer Tätigkeit während des Krieges, mit harten Konsequenzen im Falle des Zusammenbruchs des NS-Regimes zu rechnen. Sie hatten deshalb eine besonders hohe Motivation „ihre Haut“ zu retten.

Blick in die Vergangenheit

Ich befinde mich auf dem Höhenrücken in der Waldzunge östlich des Stellungssystems. In den Bäumen sind Schnitzereien, die ich mir genauer ansehen möchte. Es könnten Baumzeichen sein, mit denen die Soldaten vor Ort etwas markieren wollten. In vielen Gegenden, in denen die deutschen Streitkräfte am Ende des Zweiten Weltkrieges kämpften, finden sich solche Zeichen. Was sie tatsächlich bedeuten ist unklar. Aus den Schnitzereien die ich erkenne - Herzen mit Initialen und andere Dinge - kann ich nichts ableiten. Dazwischen sind aber auch einige Bäume mit Hakenkreuzen „verziert“. Die Stellungen des Krieges sollten eigentlich dazu mahnen, Abstand zu solchen Schmierereien zu halten. Irgendjemand dürfte das jedoch anders sehen.

Dieser Teil des Waldes hat eine besondere Vergangenheit. Während des schwersten Bombenangriffes auf Amstetten suchten hier männliche KZ-Häftlinge zwischen den Bäumen Schutz vor alliierten Bomben. Ich stehe zwischen den Bäumen mit den eingeritzten Hakenkreuzen und blicke auf den Ort, an dem sich das Drama am 20. März 1945 ereignete. Von hier aus konnten die männlichen KZ-Häftlinge ihre Leidensgenossinen sehen, die sich in der Waldinsel südöstlich von ihnen befanden. Die Frauen in dem Wald wurden zu Opfern eines alliierten Bombenangriffes, der mehrere Stunden dauerte und bei dem auch Tiefflieger den Wald angriffen. Viele von ihnen starben an diesen Tag oder wurden schwer verletzt. Die KZ-Häftlinge wurden deshalb von den alliierten Bomben zerrissen, weil sie den nur wenige hundert Meter entfernten Luftschutzstollen nicht betreten durften. (Bombenkrieg im Alpenvorland - Teil 2)

Die Stellungen in der Waldzunge

Ich gehe entlang dem Höhenrücken weiter und auf einen Hochstand zu. Auf dem Waldboden vor mir erkenne ich ein paar Vertiefungen, die ebenfalls wie Reste eines Schützengrabens aussehen. Tatsächlich verlaufen die Vertiefungen entlang der Geländekante. Stellungen gibt es hier keine. Der Graben würde sich jedoch als Kampfgraben dazu eignen, einen Gegner zu bekämpfen und sich dann zu verschieben, um ein paar Meter daneben wieder aufzutauchen. 

Das Grabensystem ist etwa 150 m von den restlichen Gräben abgesetzt. Eine Gruppe mit acht bis zehn Soldaten hätte darin ausreichend Platz gefunden. Der Kampfgraben würde es ermöglichen, sichttote Räume vor den Stellungen des Zuges auf dem Hügel zu bekämpfen bzw. flankierend zu wirken. Wenn dieses Gruppennest in die Einsatzführung des restlichen Zuges inkludiert war, wovon auszugehen ist, ergibt sich ein anderes Bild vom Einsatz der Verteidiger. Der Zug hätte dann nicht als Stützpunkt, sondern aus schachbrettartigen Stellungen heraus verteidigt, konkret war es eine Mischform.

Der Kampfplan der Verteidiger

Anhand der Lage des Stützpunktes und des Gruppennestes sind die Planer der Verteidigungsanlage vermutlich von folgenden Überlegungen in Bezug auf ein Gefecht ausgegangen: Die Kräfte im Stützpunkt hätten frontal, jene des Gruppennestes flankierend auf die Senke gewirkt. Ein Angreifer, der sich dort befunden hätte, sollte so vernichtet werden. Die Voraussetzung für einen Abwehrerfolg wäre jedoch gewesen, dass die gegnerischen Kräfte auch über die Senke vorgegangen wären. Die Frage, die sich in diesen Zusammenhang stellt. ist: Wie wollte man den Gegner dazu bringen, die Stellungen auf dem Hügel anzugreifen?

Anschießen des Gegners

Der Angreifer wäre mechanisiert bzw. motorisiert entlang der Straße vorgegangen. Er wäre nicht von sich aus auf die Idee gekommen in die Senke zu gehen. Um den Angreifer vor die Stellungen zu locken, hätte man ihn angeschossen. Dadurch wäre der Angreifer auf die Verteidiger aufmerksam geworden und hätte dann, unter Umständen entlang der Senke und über die freie Fläche, angegriffen. Ein Anschießen der Kräfte auf der Straße wäre möglich gewesen, weil diese etwa 400 m von den Stellungen entfernt ist. Auf diese Distanz hätten geübte Schützen, auch mit dem Karabiner 98, Ziele auf der Straße bekämpfen können.

Das Anschießen des Gegners hätte mehr Erfolg gehabt, wenn es mit Maschinengewehren und Panzerabwehrwaffen ausgeführt worden wäre. Wie bereits beschrieben, ist es fraglich ob die Verteidiger Maschinengewehre gehabt hätten; über Panzerabwehrwaffen in Form von Panzerfäusten verfügten sie bestimmt. Mit diesen hätte niemand ernsthaft auf die Fahrzeuge auf der Straße geschossen. Ihre Einsatzschussweite lag, je nach Ausführung, bei 30 bis 100 m.

Umfassen und Absetzen

Bei ihren Überlegungen hinsichtlich des Kampfplanes, haben die Verteidiger vermutlich nicht berücksichtigt, dass der Angreifer entlang der Waldinsel und der Waldzunge hätte vorgehen können. Darüber hinaus haben die Verteidiger den Einsatz von gegnerischen Unterstützungselementen in der nördlichen Flanke bzw. im Rücken nicht berücksichtigt. Dort hätte der Angreifer Panzer in Stellung bringen und so seine Schützen mit Bord-MG und Panzerkanonen unterstützen können. Eine Stellung hätte zwar Richtung Norden gewirkt, wenn diese den Gegner erkannt hätte, wäre sie aber schon selbst unter Feuer gelegen.

Was die Verteidiger bei der Planung des Stützpunktes berücksichtigt haben, war eine mögliche Umfassung von rechts. Darauf deuten die Stellungen für eine Gruppe am rechten Teil des Stützpunktes hin. Diese hätten auf die damals freie Fläche südlich des Hügels gewirkt. Ein Absetzen unter Feinddruck wäre für das Gruppennest nur schwer, für die Mannschaft des Stützpunktes jedoch relativ leicht möglich gewesen. Die dem Gegner abgewandte Seite des Hügels ermöglicht eine verdeckte Bewegung zur Straße nordwestlich der Stellungen. Wenn der Druck des Angreifers zu stark geworden wäre, hätten sich die Verteidiger Richtung Nordwesten absetzen können.

Der „Planer“ der Stellungen

Einen Angriff über die Senke anzunehmen, ohne die überhöhte linke Flanke und den Rücken zu berücksichtigen, war ein Beurteilungsfehler. Dieser wirkt umso schwerer, da man eine Umfassung über rechts entlang der freien Fläche beim Bau des Stellungssystems annahm. Das lässt den Schluss zu, dass der für den Stellungsbau verantwortliche Kommandant, die Gefechtsabläufe im Zweiten Weltkrieg nur ungenau kannte. Die grundsätzliche Anlage der Gräben und Stellungen zeigt hingegen, dass dieser Kommandant über Erfahrungen im Grabenkrieg verfügt haben muss.

Das bedeutet, dass der Planer der Verteidigungsanlage vermutlich im Ersten Weltkrieg gedient hat, wo vor allem zu Beginn des Krieges frontal und ohne dem Einsatz eines Nahunterstützungselementes angegriffen wurde. Mit einer beweglichen und raschen Einsatzführung von mechanisierten Kräften hatte er offensichtlich keine Erfahrungen. Der Kommandant, der den Einsatz geplant hat, war im Ersten Weltkrieg wahrscheinlich Zugs- oder Kompaniekommandant.

Die Waldinsel

Nachdem ich die Stellungen gefunden habe, möchte ich mir die Waldinsel ansehen, in der vor über 70 Jahren die KZ-Häftlinge bei dem Bombenangriff umkamen. Ich gehe aus dem Wald und dann weiter auf einem Weg, der nach Osten zu einem Bildstock führt. Dieser wurde im Gedenken an die Opfer des Bombenangriffes dort aufgestellt. Von dort aus kann ich durch den lichten Waldrand einen Krater erkennen, der wie ein Bombentrichter aussieht. Ich gehe dort hin. Tatsächlich ist auch dieses Loch mit einem Durchmesser von acht Metern ein Relikt des Bombenangriffes vom 20. März 1945.

In dem Wald bei Amstetten treffen zwei wesentliche Aspekte des nationalsozialistischen Regimes zusammen. Jene des Krieges und jene der Verfolgung und Vernichtung. An kaum einem anderen Platz verknüpfen sich diese beiden Aspekte so sichtbar, wie in diesem Ort im Osten von Amstetten.

Weitere Stellungssysteme in Amstetten

Neben dem Stellungssystem in Eisenreichdornach gab es noch weitere vorbereitete Stellungen bzw. Stellungssysteme in und um Amstetten. Diese befanden sich

  • bei Preinsbach,
  • zwischen Eisenreichdornach und Amstetten Richtung Schimming,
  • nördlich des Krankenhauses im Spitalswald und
  • südlich von Amstetten zwischen Allersdorf und Schaffenfeld.

Alle Verteidigungsanlagen nördlich von Amstetten befanden sich entlang der ersten Geländekante nördlich der Stadt. Sie hätten flankierend auf die Straße parallel zur B 1 gewirkt bzw. ein Ausweichen des Gegners von der Straße Richtung Norden verhindern sollen. In Preinsbach war darüber hinaus eine Stellung für eine 8,8-cm-Panzerabwehrkanone vorgesehen, die auf das nördliche Ybbsfeld Richtung Osten bzw. Süden gewirkt hätte.

Der taktische Zweck dieser Anlagen im Norden ist jedoch zweifelhaft. Ein Abwehrerfolg wäre nur gegeben gewesen, wenn man den mechanisierten Kräften des Gegners eine frontale Abwehr entgegengesetzt hätte. Dadurch wäre dieser erst zum Ausweichen über die Flanke gezwungen worden, wo der Kampfplan, auf den die Anlage der Stellungen schließen lässt, umsetzbar gewesen wäre. Der frontale Einsatz von Kräften wäre entweder durch den Einsatz von Kampf- und Jagdpanzern, als auch durch Panzerabwehrkanonen möglich gewesen. Wie weit es diesbezüglich Pläne gab ist nicht bekannt. Die 15 Panzersperren in der Stadt selbst, die sich beispielsweise am Allersdorfer Platz, beim Bezirksgericht oder beim Hotel Kickinger befanden, wären mit den Stellungssystemen nicht in Verbindung gestanden.

Südlich von Amstetten, bei den Stellungen zwischen Allersdorf und Schaffenfeld, etwa einen Kilometer nördlich der Ostarrichi-Kaserne, waren die Stellungen anders angelegt. Diese befanden sich auf einer freien Fläche, mit etwa 200 m Breite, wo das entwickelte Vorgehen eines Panzerzuges möglich gewesen wäre und hätten frontal auf einen Gegner aus dem Osten gewirkt. Etwa 500 m westlich von diesem Stellungssystem befanden sich vier Stellungen für 8,8-cm-Kanonen. Diese hätten jedoch nicht zu dem Einsatz der Kräfte in den Stellungen gepasst, da sie hinter diesen lagen (bei einer gegnerischen Angriffsrichtung aus dem Osten). Sie waren vermutlich für Fliegerabwehrgeschütze vorgesehen, die dort jedoch nicht stationiert waren.

Einen knappen Kilometer nördlich dieser Stellungen befand sich dort, wo heute die St.-Marien-Kirche steht, ein Barackenlager, das ab 1939 als Kaserne verwendet wurde. Es ist deshalb davon auszugehen, dass das Stellungssystem südlich von Amstetten vor allem der Ausbildung diente. Im Anlassfall hätte man es aber auch für die tatsächliche Verteidigung adaptieren können. In Allersdorf gab es noch ein zweites Lager für die Wehrmacht. Dieses befand sich dort, wo heute die Voralpensiedlung steht, diente jedoch nicht nur als Kaserne. In den letzten Kriegsmonaten wurden Teile dieser Anlage zum letzten KZ-Nebenlager von Mauthausen umfunktioniert und dort Häftlinge untergebracht, die vor allem zur Instandsetzung der Bombenschäden an der Westbahn eingesetzt wurden.

Insgesamt zeigen die Verteidigungsanlagen in und um Amstetten, dass die NS-Führung tatsächlich entschlossen war, in der Stadt zu kämpfen. Sie sind aber auch ein Zeugnis davon, dass die Vorbereitungen ohne einen zusammenhängenden Plan im Großen und ohne eine gediegene militärische Beurteilung und Planung erfolgten. Im scharfen Schuss hätten sie die angreifende Rote Armee zwar mit großen Verlusten verzögern, aber auf keinen Fall aufhalten können.

Der Kampf findet nicht statt

Zum Kampf in Amstetten kam es nicht. Der sowjetische Vorstoß auf die Stadt erfolgte erst am letzten Kriegstag. Die örtliche NS-Führung hatte bereits am 6. Mai 1945 damit begonnen ihre Spuren zu beseitigen und floh in die Berge. Noch einige Tage zuvor hatte sie Deserteure auf offener Straße erschießen und an Ort und Stelle liegen lassen. An den Panzersperren und bei einigen Kreuzungen wurden ebenfalls Deserteure aufgehängt und dort als abschreckendes Beispiel hängen gelassen. „Im Bezirk Amstetten wird gestanden und gekämpft!“ stand auf Plakaten, welche die lokalen NS-Bonzen anbringen ließen. Für sie selbst galt das offensichtlich nicht.

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Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur bei TRUPPENDIENST.

 

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