- Veröffentlichungsdatum : 26.09.2023
- – Letztes Update : 04.06.2024
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PerspektivenReich: Dual-Use-Motor der EU
Die im allgemeinen Sprachgebrauch benannte Rüstungsindustrie wird mittlerweile als Defence bezeichnet. Die zugehörige Förderschiene ist der European Defence Fund (EDF), der im Jahr 2016 unter dem damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, vorgeschlagen und 2017 etabliert wurde. Er hat das Ziel, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken und staatenübergreifende Projekte zu fördern. Der Fond unterstützt Konsortien von Unternehmen verschiedener Staaten und verbindet so regional agierende Rüstungsbetriebe zu einem größeren Cluster.
Die Herausforderung ist, dass die europäischen Verteidigungsmärkte zu regional strukturiert und auf sich gestellt sind. Projekte, die vom EDF gefördert werden, brauchen als Konsortien ein staatenübergreifendes Vorhaben, das regionale Player verbindet. Kurz: es geht um die europaweite Vernetzung von Fachwissen am Defence-Sektor. So werden über die Grenzen von Staaten hinweg gemeinsame Rüstungsprojekte durch Kooperationscluster angestrebt. Das Nudging – das Schupsen in eine Richtung – und der Schulterschluss von Regionen, bringt somit innovative neue und europäische Produkte hervor.
Im aktuellen Zeitraum (2021 bis 2027) befinden sich 7,9 Mrd. Euro im Fonds. Er besteht aus dem Forschungsbereich, in dem gemeinsam zu innovativen Verteidigungstechnologien geforscht wird, und aus dem Entwicklungsbereich, der die Entwicklung gemeinsamer Verteidigungsprodukte und -technologien kofinanziert.
Österreich ist im internationalen Marktvergleich des Defence-Sektors klein und hat eine begrenzte Teilnahme am Markt. Spezialisierungen von regionalen Unternehmen haben bisher für eine positive Auftragslage gesorgt. Das österreichische Unternehmen Achleitner zieht beispielsweise ein Toyota-Modell als Basis heran und macht es durch eine Beschichtung mit Titan kugelsicher. Das Fahrzeug wird dazu vollständig in seine Einzelkomponenten zerlegt, die dann beschichtet und erneut zusammengesetzt werden. Dies geschieht bisher jedoch ohne Förderungen und bedient eine Nische.
CBRN SaaS (Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Surveillance as a Service) hingegen, ist ein Projekt, das seit November 2020 läuft und über den EDF gefördert wird. Das Projektziel ist das Erstellen eines anerkanntes CBRN-Bildes für zivile und militärische Zwecke. CBRN Schutz ist der moderne und internationalisierte Begriff für den früheren ABC-Schutz (Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren), der im Volksmund häufig auf „chemische Waffen“ reduziert wurde. Neben Österreich sind Kroatien, Ungarn und Slowenien an dem Projekt CBRN SaaS beteiligt, das seit 12. Dezember 2019 läuft. Seither wurden Verhandlungen zwischen dem Konsortiumführer, dem Austrian Institut of Technology (AIT) und den Verteidigungsindustrien der vier beteiligten Staaten mit ihren regionalen Unternehmen, geführt.
Eine Herausforderung der Anfangsphase des Projektes war die Zusammenführung der unterschiedlichen Beteiligten und ihrer, oft sehr spezialisierten, Fähigkeiten. Der nächste Schritt war die Erarbeitung der praktischen Umsetzung in Kombination mit der Entwicklung von Arbeitspaketen in einem Ablaufplan. Diese Packages wurden danach einzelnen Unternehmen zugewiesen, die damit in ihren Fachgebieten und regionalen Spezialisierungen aktiv wurden. Das Ergebnis ist ein „Demonstrator“, der im Jahr 2024 fertiggestellt sein soll. Das Folgeprojekt zur Herstellung eines „Prototypen“ bis zum Jahr 2026 wurde bereits eingeleitet.
Ein Projekt, das die zivil-militärische Komponente aktueller Investitionen zeigt, ist die Entwicklung einer Smarten Abfalltonne mit einem Geruchssensor in der Region Tulln an der Donau. Das AIT arbeitete zwischen 2018 und 2020 im zivilen Teil des Projektes (auf der Projektlandkarte des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung sichtbar), an diesem Sensor. Zwischen 2021 und 2022 wurde so eine Smarte Müllentsorgungs-Logistik-Lösung mittels mittels halbleiterbasierter elektrisch reduzierter Graphen-Oxid-Geruchssensoren entwickelt. Ähnliche Lösungen könnten auch zur Detektion anderer Gase bzw. von Kampfstoffen – für den militärischen Bereich – verwendet werden.
Nachdem aus ökomischen Gründen im Rüstungsbereich oft das Dual-Use-Prinzip (Nutzung von gleichen Technologien im zivilen und militärischen Bereich) angewandt wird, kann davon ausgegangen werden, dass Know-how aus Österreich auch in das EDF-Projekt CBRN Saas einfließen wird. Die verstärkte Verschränkung des zivilen Umfeldes mit dem militärischen im Rüstungsbereich – auch aufgrund der immer komplexer werdenden allgemeinen Bedrohungen für die Sicherheit – wird in Zukunft jedenfalls noch viele interessante Projekte zur Folge haben.
Mag. Katharina Reich lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.