• Veröffentlichungsdatum : 23.12.2022
  • – Letztes Update : 22.12.2022

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Pannendienst für das Gefecht

Karl Vukics

Wenn Räder- und Kettenfahrzeuge im Gelände ausfallen, dann sind die Bergung und deren Transport eine Herausforderung. Bergefahrzeuge müssen deshalb besonders leistungsfähig sein. Der Ersatz der alten Steyr-Lastkraftfahrzeuge sowie der Kranwägen und Zugfahrzeuge des Bundesheeres von ÖAF war längst überfällig.

Die gesamte Bergefahrzeugflotte des Österreichischen Bundesheeres hat nach einer langen Nutzungsdauer ihren Endpunkt erreicht. Eine Beschaffung von neuen Fahrzeugen war dringend notwendig. Nachdem bereits drei schwere, geschützte Bergefahrzeuge des Typs MAN/RMMV HX2 41.545 8x8 (MAN – Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg) im November 2019 übernommen wurden, folgt bis Ende 2023 die Verstärkung mit mittleren und leichten Bergefahrzeugen einschließlich Tiefladeanhängern. Damit ist eine adäquate Nachfolge für die inzwischen in die Jahre gekommenen ÖAF-Kranwägen (ehemalige Österreichische Automobil-Fabriks-AG; Anm.) sowie für die 25-t-Tiefladeanhänger Goldhofer und die 30-t-Schwerlastsysteme gesichert.

Die leichten bzw. mittleren Bergefahrzeuge gehören zur sogenannten HX-Baureihe. Sie werden von der Firma Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH (RMMV) in Wien erzeugt und wurden speziell für den Einsatz im unwegsamen Gelände entwickelt. Die ersten Fahrzeuge übergab Bundesministerin Klaudia Tanner am 5. Juli 2022 in der Maria-Theresien-Kaserne an die Truppe. Bis Ende 2022 soll die Auslieferung der leichten Bergefahrzeuge samt den 4-Achs-Tiefladeanhängern abgeschlossen sein. Mit dem Zulauf der mittleren Bergefahrzeuge bis spätestens Ende 2023 wird das gesamte Beschaffungsprojekt der Bergefahrzeugflotte erledigt sein.

Konkret umfasst das Paket:

  • 71 Stück leichte Bergefahrzeuge vom Typ MAN HX 42M 6x6 mit Seilwinde;
  • 24 Stück mittlere Bergefahrzeuge des Typs MAN HX 42M 6x6;
  • 35 Stück teleskopierbare 4-Achs-Tiefladeanhänger 48t der Firma EMPL.

Leichtes Bergefahrzeug 

Das leichte, geländegängige Bergefahrzeug (lBgeFzg) MAN HX 42M 6x6 mit Seilwinde-Anlage eignet sich zum Bergen von liegengebliebenen Fahrzeugen, zum Transport von Gütern und zur Beförderung eines ISO-10-Fuß-Containers (genormter Großraumbehälter) auf der Ladefläche. Das allradangetriebene Fahrzeug ist mit einer Längssperre und mit elektropneumatisch zuschaltbaren Quersperren (Hinterachse/Vorderachse) geländetauglich. Es kann Radfahrzeuge über 7,5 Tonnen höchstzulässiger Gesamtmasse (bis zu 120 kN Zugleistung) bergen und bis zur nächsten Abschubmöglichkeit verbringen. Das Fahrerhaus verfügt über drei Sitze, sodass neben dem Bergetruppkommandanten (dieser ist auch der Fahrzeugkommandant) und dem Heereskraftfahrer&MechGehilfen (Kfz) ein zusätzlicher Bergegehilfe dort einen Platz finden kann. Bei Fahrten des Bergefahrzeuges ohne den Tiefladeanhänger ist ein Beifahrer oder Fahrzeugkommandant nicht zwingend erforderlich.

Die Geländegängigkeit des Fahrzeuges erlaubt es, abseits befestigter Fahrbahnen und auf wenig griffigen Böden zu fahren sowie Hindernisse und Steigungen zu überwinden und Wasser bis 1,5 Meter Tiefe zu durchfahren. Der Böschungswinkel von 29,5 Grad vorne und 28,5 Grad hinten erlaubt es, diese Steigungen ohne Berührung von Karosserieteilen auf dem Boden zu befahren.

Für einen möglichen Gefahrenguttransport ist folgende Ausstattung am Fahrzeug montiert:

  • Feuerlöscher;
  • ADR-Warntafel (Kennzeichnung);
  • Fahrzeugplane in ADR-Ausführung; 
  • Heckblitzleuchte in ADR-Ausführung.

Technische Daten im Überblick:

  • Motor: Sechs Zylinder 4-Takt-Dieselmotor mit Aufladung, Ladeluftkühlung und Common-Rail-Einspritzung mit einer Leistung von 324 kW (440 PS).
  • Eigenmasse: 15.815 kg.
  • Gesamtzugmasse: 76 Tonnen.
  • Seilwinde: Fa. Sepson mit 60 Meter Seillänge und 120 kN Zugleistung.

Mittleres Bergefahrzeug

Das mittlere, geländegängige Bergefahrzeug (mBgeFzg) MAN HX 42M-HX6X6 ist mit einem Ladekran, einem teleskopierbaren Abschlepparm und einer Seilwinde-Anlage (bestehend aus zwei Seilwinden) ausgestattet und für das Bergen und den Transport von liegengebliebenen und verunfallten Räderfahrzeugen bestimmt.

Dieses vielseitig einsetzbare Spezialfahrzeug unterscheidet sich vom leichten, geländegängigen Bergefahrzeug dahingehend, dass zwei Seilwinden mit je 120 kN und 60 Meter Seillänge zur Verfügung stehen. Zudem erhöhen ein Palfinger-Ladekran und ein EMPL-Abschlepparm die Einsatzmöglichkeiten dieses Fahrzeuges deutlich. Mit einer Bodenfreiheit von 344 mm und den gleichen Böschungswinkeln wie das leichte, geländegängige Bergefahrzeug ist es gut für Bewegungen im Gelände geeignet. 

Technische Daten:

  • Motor: Sechs Zylinder 4-Takt-Dieselmotor mit Aufladung, Ladeluftkühlung und Common-Rail-Einspritzung mit einer Leistung von 324 kW (440 PS).
  • Eigenmasse: 27.635 kg.
  • Gesamtzugmasse: 78 Tonnen.
  • Seilwinden: Zwei Seilwinden der Fa. Sepson mit je 60 Meter Seillänge und 120 kN Zugleistung,
  • Teleskopierbarer Abschlepparm mit einer Ausladung von 1.670 mm bis 2.170 mm.

Besonders leistungsfähig ist der Palfinger-Fahrzeugkran 41002 EH mit Fernbedienung und einer Tragfähigkeit von 8.900 kg bei vier Meter Ausladung bzw. 3.800 kg bei 9,5 Meter Ausladung. Waren Kräne der Krangruppe „e“ (Fahrzeug? und Ladekrane über 300 kNm) bis jetzt hauptsächlich bei den Pionier-Bataillonen in Villach, Melk und Salzburg stationiert, wird mit diesem Fahrzeugkran flächendeckend ein Ladekran in Betrieb genommen, der den Ansprüchen der Truppe gerecht wird. Mit seinen sechs hydraulischen Abstützungen und dem Sicherheits- und Steuersystem PALTRONIC 50 kann der Ladekran mit dem Flurbedienstand auf beiden Seiten oder mit der Funkfernsteuerung betrieben werden. Die Elektronik steuert und überwacht den Kran und sorgt für mehr Sicherheit im Betrieb.

Das eingebaute Palfinger High Performance Stability Control-System (HPSC) ist ein elektronisches System zur Überwachung der Standsicherheit des Fahrzeuges mit Ladekran. Dieses System basiert auf einer Echtzeitberechnung der tatsächlichen Standsicherheit, entsprechend des jeweils aktuellen Abstützzustandes. Als Ergebnis entsteht eine Grenz-Hubkraftkurve über den gesamten Schwenkbereich, die sich der tatsächlichen Standsicherheit des Fahrzeuges annähert. Mit HPSC ist ein Ladekran auch dann standsicher, wenn die Abstützzylinder und Abstützausleger des Fahrzeuges nicht oder nur teilweise ausgefahren verwendet werden. Dadurch ist auch in beengten Platzverhältnissen ein sicheres Arbeiten mit dem Ladekran möglich.

Das mittlere, geländegängige Bergefahrzeug verfügt im Zubehörsatz über eine Lasttraverse. Diese verstellbare und zusammenklappbare H-Traverse ist für das Heben und Verladen von Fahrzeugen und Wechselaufbauten mit einer maximal zulässigen Tragkraft von fünf Tonnen vorgesehen. Sie ist in einer eigens dafür vorgesehenen Halterung am Heck des Fahrzeuges verstaut. 

4-Achs-Tiefladeanhänger 

Sowohl für das mittlere als auch für das leichte Bergefahrzeug werden künftig insgesamt 35 Stück 4-Achs-Tiefladeanhänger 48 t der Firma EMPL zur Verfügung stehen. Die Anhänger werden die alten 25-t-Tiefladeanhänger Goldhofer und die 30-t-Schwerlasttransportsysteme ersetzen.

Der 4-Achs-Tiefladeanhänger ist mit einer DOLL Quattro Hybrid-Lenkung und einem Drehschemel, kombiniert mit hydraulischer Zwangslenkung, ausgestattet. Das sorgt für gute Kurvenlaufeigenschaften und einen niedrigen Reifenverschleiß. Über Funkfernbedienung besteht darüber hinaus die Möglichkeit, im Bedarfsfall eine manuelle Nachlenkung vorzunehmen, womit Rangiermanöver in Schrittgeschwindigkeit bei engen Kurven oder Hindernissen bzw. bei beengten Platzverhältnissen ermöglicht werden. Der Tiefladeanhänger ist mit einer Liftachse ausgestattet, die je nach Beladungszustand (abhängig von der Achslast) automatisch angehoben oder abgesenkt wird.

Eine Smart-Board-Bedieneinheit ermöglicht das Bedienen und Überwachen der Anhängerfunktionen. Beispielsweise lassen sich mit der Bedieneinheit

  • unterschiedliche Fahrniveaus programmieren,
  • die Liftachse steuern,
  • die Reifendrücke kontrollieren und 
  • die Achslasten überwachen.

Je nach Einsatzzweck kann die Ladeplattform in der Länge und Breite variabel verstellt werden. Des Weiteren lassen die integrierten Radmulden Transporte von hohen Ladegütern zu. Mit der autarken Energieversorgung durch zwei Batterien können das elektrohydraulische Pumpenaggregat, die Rundumblitzleuchte und die Arbeitsscheinwerfer mit Strom versorgt werden.

Ausbildung 

Die Voraussetzung für das Lenken des leichten Bergefahrzeuges ist die Heereslenkberechtigung (HLB) der Fahrzeugklasse (FzgKl) „C“. Die Geräteeinweisung am Heeresfahrzeug sowie die gerätespezifische Bedienung und Handhabung der Seilwinde erfolgen bei der Truppe durch berechtigte Heeresfahrschullehrer. In Kombination mit dem Tiefladeanhänger (Abschubsystem) ist allerdings die Heereslenkberechtigung (HLB) „CE“ Voraussetzung.

Die Ausbildung der Heeresfahrschullehrer für das mittlere Bergefahrzeug sowie die gerätespezifische Bedienung und Handhabung für den teleskopierbaren EMPL 4-Achs-Tiefladeanhänger 48 t erfolgt für das Kraftfahrfachpersonal in einem mehrwöchigen Lehrgang am Institut Kraftfahrwesen der Heereslogistikschule. Hierfür sind die Lehrberechtigungen für die Fahrzeugklassen „CE“ sowie die Krangruppe „e“ als Grundlage für die Teilnahme an der Schulung definiert.

Zusätzlich müssen die Heeresfahrschullehrer eine Erfahrung in der Planung und Durchführung von Sondertransporten mitbringen. Über die Ladungssicherung, die bei der Durchführung eines Transportes nicht zu vernachlässigen ist, muss der zukünftige Ausbilder informiert und auskunftsfähig sein. Danach werden die Kraftfahrer durch diese Heeresfahrschullehrer bei der Truppe bei einer Geräteeinweisung auf das komplexe System eingeschult. Anschließend kann die Bergebesatzung mit dem neuen Berge- und Abschubsystem alle Aufgaben schnell und vor allem sicher bewältigen.

Die Ausbildung umfasst je nach Gerät (leicht/mittel) theoretische und praktische Lektionen:

  • Gerätelehre/Pflege und Wartung von Kran, Fahrzeug, Bergeaufbau und Zusatzausrüstung;
  • Typenspezifische Ergänzungen und allenfalls spezielle fahrbetriebliche Regelungen;
  • Fahren im öffentlichen Verkehr und im Gelände;
  • Berge- und Abschubtätigkeiten;
  • Abschleppen von Räder- und Kettenfahrzeugen bzw. Anhängern mit einer Vielzahl an Befestigungsmöglichkeiten.

Nicht nur die neuen Bergefahrzeuge, sondern auch das neue, umfangreiche Zubehör erleichtern der Bergemannschaft die Arbeit erheblich. Mit dem neuen Anschlagmitteladapter der Firma EMPL – von der Mannschaft scherzhaft „Kleeblatt“ genannt – ist das Verbinden der Anschlagmittel mit dem Windenseil bedeutend einfacher geworden.

Die große Menge an Zubehör, die für einen Bergeeinsatz sowie für das Arbeiten mit dem Ladekran PALFINGER PK41002 EH und dem Abschlepparm nötig sind, erfordert ein umfangreiches Verstau-
system. Zahlreiche Staukästen mit Ladensystemen, Halterungen und Befestigungsmöglichkeiten schaffen Stauraum für das sichere Verstauen des Zubehörs.
 

Fazit 

Die Schulungen für das leichte Bergefahrzeug sind in vollem Gange. Die ersten Kraftfahrer und Bergekräfte sind nach Absolvierung der vorgesehenen Lehrgänge bereits vollständig ausgebildet und können jederzeit mit dem neuen Gerät für Bergeaufgaben eingesetzt werden.

Die Bilanz nach den ersten Ausbildungsevaluierungen am leichten Bergefahrzeug kann sich sehen lassen. Kraftfahrer und Bergepersonal äußerten sich übereinstimmend positiv: „Dieses Bergefahrzeug ist ein echtes Highlight. Wir sind äußerst zufrieden.“ Das neue Bergefahrzeug stelle eine erhebliche Weiterentwicklung in der Technik und Ausstattung der Bergefahrzeugflotte dar und überzeuge durch ein gutes Leistungsspektrum, erklärte ein erfahrener Bergekommandant während seiner Ausbildung. Tatsächlich bringt dieses Fahrzeug einen bedeutenden Fähigkeitszuwachs in der Bergetechnik mit und wird vom Bergefachpersonal mit hoher Motivation aufgenommen.

Für das mittlere Bergefahrzeug werden aktuell die ersten Firmenschulungen für das Kraftfahrfachpersonal des Institutes Kraftfahrwesen durchgeführt. Die ersten Lehrgänge für das Kraftfahrfachpersonal haben im Dezember 2022 begonnen.

Auf einen Blick

Nach der Implementierung des schweren Bergefahrzeuges im November 2019 erfolgt nun der Zulauf der leichten und mittleren Bergefahrzeuge. Diese komplettieren – einschließlich des Tiefladeanhängers – bis Ende 2023 das Beschaffungspaket der „neuen Bergefamilie“. Mit dieser Investition steht dem Österreichischen Bundesheer ein modernes Berge- und Abschubgerät auf dem neuesten Stand der Technik zur Verfügung. Damit wird nicht nur ein adäquater Ersatz für die inzwischen veralteten und zunehmend auslaufenden Systeme beschafft, sondern auch die Fähigkeiten im Bereich Bergen und Abschub deutlich gesteigert. Der Ankauf dieser Geräte war längst notwendig, um weiterhin effiziente Berge- und Abschubmaßnahmen sowie Transportaufgaben gewährleisten zu können. Die gesamte Fahrzeugflotte wird fast zur Gänze in Österreich erzeugt und komplettiert. Die Bergefahrzeuge laufen bei der Firma Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH am Standort Wien vom Band, die Tiefladeanhänger werden in Kooperation mit der Firma EMPL Fahrzeugwerk Ges.m.b.H und der deutschen Firma DOLL hergestellt. Die Kranfirma PALFINGER rüstet die mittleren Bergefahrzeuge mit Ladekränen aus. Damit kommt der überwiegende Teil des 71 Millionen Euro starken Investitionspaketes auch der österreichischen Wirtschaft und Industrie zugute.

Vzlt Karl Vukics; Sachbearbeiter Grundlagen & Entwicklung am Institut Kraftfahrwesen der Heereslogistikschule.

 

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