• Veröffentlichungsdatum : 21.12.2023
  • – Letztes Update : 08.01.2024

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Ohne Kultur ist alles nichts!

Roman Schuh

Das Bundesheer ist geprägt von Hierarchie und Strategie. Es beschäftigt sich intensiv mit diesen beiden Grundpfeilern der Organisationsentwicklung. Oftmals wird der wichtige dritte Pfeiler - die Kultur - vernachlässigt. Militärkultur ist jedoch entscheidend für das gute Funktionieren und Zusammenwirken im Bundesheer.


Die Militärkultur entfaltet sich als soziale Praxis entlang der Kernaufgaben des Militärs. Sie bewegt sich in einem relativ geschlossenen Rahmen und nährt sich aus Normen, Werten, Verhaltensweisen und Glaubenssätzen, die das Militär gestalten und organisieren. In der Organisation Bundesheer werden Werte vorgelebt, die eine Form des Miteinanders, die Kameradschaft sowie die Art des Zusammenlebens fördern. Dies geschieht anhand von Überzeugungen, Denkformen, Normen und Werten. All das sollte darauf ausgerichtet sein, dass im Fall des Einsatzes das Bundesheer gut funktioniert und Soldaten sowie Zivilbedienstete den Auftrag bestmöglich erfüllen können. Die Bevölkerung soll dem Bundesheer vertrauen können. Sie soll wertschätzen, dass es eine Organisation gibt, die fähig ist, mit Gewalt umzugehen, um Menschen, Güter, Lebensweisen und Werte zu schützen sowie zu verteidigen, wenn es erforderlich ist.

Entscheidungen, Prozesse oder Abläufe sind manchmal noch nicht perfektioniert, weshalb Soldaten und Zivilbedienstete manchmal nicht wissen, wie Befehle und/oder Weisungen umzusetzen sind. Es stellt sich die Frage, ob es nicht wünschenswert wäre, dass möglichst wenige Fehlentscheidungen getroffen werden? Wäre es nicht vorteilhaft, wenn gewisse Meinungen von Fachleuten gehört und respektiert würden und dass eine Fehlerkultur nicht von einem strafenden Charakter geprägt wäre? Kann die Kultur im Bundesheer dazu etwas beitragen?

Harmonie und Gewalt

Dass die Militärische Landesverteidigung in der Vergangenheit nicht immer von allen in der Gesellschaft wertgeschätzt wurde, ist ein Faktum. Einige heeres- und budgetnotwendige Einsparungen bezeugen das.

Die Militärische Landesverteidigung ist nicht immer eine einfache und bequeme Aufgabe. Bis zu einem gewissen Grad ist es verständlich, dass solche Maßnahmen durchgeführt werden. Sie erfordern einen großen psychischen und physischen Einsatz jedes Einzelnen, um im Notfall das zu tun, was vom Militär verlangt wird: mit Gerät und Waffe zu kämpfen und einsatzbereit zu sein. Dafür werden Soldaten ausgebildet, üben regelmäßig und gehen in den Einsatz. Die Bevölkerung möchte zu Recht in Frieden, Freiheit und Demokratie leben. Menschen wollen Wohlstand und Harmonie. Diese nachvollziehbare Gesellschaftskultur differiert jedoch damit, was in der Subkultur des Militärs erforderlich ist. Die Militärkultur hat sich vornehmlich an den Aufgaben, die dem Bundesheer gesetzlich zugeordnet sind, zu orientieren, muss aber gleichzeitig beachten, dass die Bediensteten aus einer Gesellschaft kommen, in der Harmonie, Gewaltfreiheit, Frieden und Sicherheit als Grundbedürfnisse vorherrschen. Die in der Militärorganisation gelebte Kultur ist an die jeweilige Gesellschaftskultur angelehnt, hat aber Eigenheiten, die zum Zwecke des Funktionierens notwendig sind. Sie sind im Wandel der Zeit zu prüfen und entsprechend weiterzuentwickeln. Dazu ist es erforderlich, ein Bewusstsein zu schaffen, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen, zu beurteilen und sie im Bedarfsfall verändern zu können.

Um ein Bewusstsein für die Militärkultur zu entwickeln, ist es notwendig, dass sich das Militär nicht nur technologisch, sondern auch kulturell weiterentwickeln kann, um seine Aufgaben zu erfüllen. Kulturelle Entwicklungen sind nicht unmittelbar durch Weisung oder Befehl zu verändern. Sie benötigen Zeit, müssen systemisch betrachtet werden und einen Sinn ergeben. Erst dann werden sie von den Menschen in der Organisation akzeptiert und verändert. Es bedarf der Überzeugung, des Vorlebens, der Einbindung und des Mitgestaltens aller betroffenen Personen im Ressort.

Führen im Frieden und Einsatz

Eine Besonderheit im Militär ist die Dichotomie zwischen Frieden und Einsatz. Speziell beleuchtet seien hierbei die Besonderheiten beim Führungsverhalten im Einsatz und im Dienstbetrieb. Dies betrifft nicht nur den Dienst im Militär, sondern auch viele andere Einsatzberufe. Im Militär kommt dieser Aspekt jedoch besonders zum Tragen, da einerseits der Einsatzbetrieb weniger oft stattfindet und andererseits ein Militäreinsatz Unterschiede zu einem Zivileinsatz aufweist (z. B. Durchhaltefähigkeit, Einsatzmittel, Einsatzverfahren).

Während im militärischen Einsatz das Führen über Befehl und Gehorsam notwendig ist, sind in jeglicher Form der Einsatzvorbereitung (Ausbildung, Fortbildung, Dienstbetrieb) das Vertrauen in die Befehle und die Menschen der Praxisgegenstand, um den notwendigen Gehorsam zu erfüllen. Dies erfordert für die Führungskräfte eine hohe Führungsfähigkeit, eine Bandbreite an Führungsverhaltenstools, Flexibilität, Einfühlungsvermögen und viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, besonders in schwierigen Situationen. Dies muss durch Übung, Reflexion und Training ständig geschult und ausgebildet werden. Dem wird auch eine hohe Bedeutung beigemessen, da der Erfolg immer erst durch ein gutes Zusammenspiel von und zwischen Menschen erreicht wird.

Elemente der Militärkultur

Zentrale Kulturdimensionen im Militär sind Hierarchie und Gemeinschaft. Klare Abstufungen in den Entscheidungshierarchien tragen dazu bei, auf allen Ebenen Beurteilungs- und Entscheidungsverfahren zu etablieren. Dieses Grundprinzip sollte nicht durchbrochen werden, da es für den Führungserfolg im Gefecht von hoher Bedeutung sein kann. Es gibt allen Handelnden in der Führungskette, vor allem in schwierigen Situationen, Sicherheit und Klarheit. Der Faktor Gemeinschaft mit seiner speziellen Form der Kameradschaft ist eine weitere wichtige organisationskulturbestimmende Säule. Sie ermöglicht es, in jeder Situation auf den anderen zu schauen und niemanden im Stich zu lassen.

Im Zivilleben gibt es die Kollegialität, also die Bereitschaft, den Frieden am Arbeitsplatz zu wahren und sich gegenseitig zu helfen. Kameradschaft ist jedoch weitaus mehr – es ist die bedingungslose Hilfsbereitschaft unter Soldaten. Jeder Soldat im Bundesheer, egal ob General oder Grundwehrdiener, ist ein Kamerad. Kameradschaft knüpft eine Verbindung und Zusammengehörigkeit, die auch starke Belastungen ertragen lässt. Dazu gehört es, die Rechte des jeweils anderen zu achten und Meinungen sowie Anschauungen zu tolerieren. Sich gegenseitig zu beleidigen, zu mobben oder gar zu misshandeln, sind schwere Vergehen, welche die Einsatzfähigkeit stark gefährden können. Wenn so etwas passiert, ist nicht mehr sichergestellt, dass sich Täter und Opfer in extremen Situationen bedingungslos helfen. Kameradenhilfe ist eine Pflicht, die viel Mut und Tapferkeit erfordert und mehrere Faktoren einer Organisationskultur umfasst.

Tugenden, Werte und Normen

In den eigenen Reihen gelten Tugenden, Werte und Normen als Faktoren, die überholt, konservativ oder nicht zeitgemäß sind. Viele Menschen außerhalb des Militärs erwarten, dass Tugenden wie Disziplin, Gehorsam, Pünktlichkeit und Ordnung im Militär gelebt werden. Tugenden sind kulturbildende Faktoren, die in der Militärorganisation einen besonderen Stellenwert genießen. Wenn sie über Bord geworfen werden, welche Vorstellungen sollten dann das Leben im Militär prägen? Welche Faktoren sind es, die ein gemeinsames Wirken mit den heutigen Rahmenbedingungen, der Digitalisierung, der Volatilität, der Unsicherheit, der Komplexität und Ambivalenz der Welt eine Militärorganisation erfolgreich werden lassen?

Tugenden sind Verhaltensmuster, die gesellschaftlich als nützlich erachtet werden. Werte hingegen sind Idealzustände, soziale Maßstäbe, die die Organisation an ihre Mitglieder stellt. Normen sind konkrete Verhaltensregeln, die zu befolgen sind. Einige Tugenden sind elementar für das Funktionieren des Bundesheeres und die Auftragserfüllung. Nur wer sie verinnerlicht hat, ist als Soldat geeignet.

Tapferkeit

Wer tapfer ist, der hält in schwierigen Situationen stand, wie bei Verletzungen oder einer lebensbedrohlichen Krankheit. Tapfer ist jener, der für  Schwächere einsteht. Dies sollte für alle Menschen gelten, besonders für Soldaten. Leider gibt es im Bundesheer noch keine Auszeichnung für Tapferkeit. Wenn es sie geben sollte, wäre das gerade für Soldaten von großer Bedeutung. Für sie müssten strenge Kriterien gelten und sie sollten nur bei außergewöhnlicher Gefährdung unter Gefahr für Leib und Leben für mutiges und standfestes Verhalten im militärischen Einsatzszenario verliehen werden.

Treue

Alle Soldaten legen ein Treuegelöbnis ab. Dabei geloben sie, die Menschen, das Land und die Gesetze zu schützen und nötigenfalls auch zu verteidigen. Auf Dauer treu zu sein setzt voraus, sich selbst treu zu sein. Die Treuepflicht ist bei Nichterfüllung der Aufgaben verletzt, dies gilt auch bei bloßem Dienst „nach Vorschrift“. Soldaten sind verpflichtet, den Dienst nach bestem Wissen und mit ihren gesamten Kräften wahrzunehmen. Für Soldaten gilt es, dem Staat, seinen Institutionen, Organen und seinem demokratischen Rechtssystem gegenüber loyal zu sein. Mit „vollem Herzen und ganzer Kraft“ einer Sache zu dienen, funktioniert aber nur dann, wenn man an die Institution oder an die Sache glaubt, da man dafür bereit sein soll, seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben zu gefährden. Somit ist es die Pflicht des Staates und der Gesellschaft, alles zu tun, damit ein Soldat die Treuepflicht bestmöglich wahrnehmen kann.

Ehre

Ehre muss verdient werden und ist zugleich auch der gute Ruf. Sie wird zugesprochen, wenn man vortreffliche Leistungen erbringt oder einen guten Charakter aufweist. In jeder Gesellschaft wird Ehre unterschiedlich zugesprochen, abgesprochen, verstärkt oder abgeschwächt. Respektlosigkeit oder schlechte Behandlung kann die Ehre verletzen. Das Verhalten Einzelner kann die Ehre einer Gruppe oder von Institutionen bestimmen. Im Soldatentum dient die Ehre dazu, den inneren Zusammenhalt zu stärken. Eine ehrbare Truppe erfüllt ihren Auftrag besser als eine unehrenhafte. Mit Ehrenzeichen werden jene sichtbar ausgezeichnet, die in besonderer Weise ihre Pflicht erfüllt haben.

Gehorsam

Gehorsamkeit ist im Bundesheer das Befolgen von Befehlen. Dies ist einer der Grundpfeiler des militärischen Handelns und damit eine der zentralen Pflichten eines Soldaten. Wenn dieses Grundkonzept nicht ernsthaft umgesetzt wird, ist die Funktionsfähigkeit des Militärs gefährdet. Auch der Ungehorsam ist eine Tugend und zwar dann, wenn der Befehl gegen die Menschenwürde oder gegen Strafgesetze verstoßen würde. Soldaten sollten keine blinden Vollstrecker an der Waffe sein, sondern reflektierte Menschen, die im Zweifelsfall ihr Gewissen über den Gehorsam stellen.

Pflichterfüllung

Pflichterfüllung bedeutet, seine Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen. Es ist erforderlich, die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zurückzustellen, da die Pflicht nicht immer Freude macht. Daher braucht die Pflichterfüllung oftmals andere Fähigkeiten wie Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung. Pflichterfüllung um ihrer selbst Willen ist nicht tugendhaft, vor allem dann, wenn es sich dabei um ein Verbrechen handelt. Hier erfordert die Pflicht, Widerstand zu leisten und Unrecht zu beenden.

Tradition

Tradition ist für das Bundesheer wichtig, weil sie das Bewusstsein für die eigene Geschichte und den Stolz auf die eigenen Leistungen stärkt. Sie entsteht durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und ist zugleich richtungsweisend für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln. Zudem sollen Soldaten durch die Beschäftigung mit der österreichischen Militärvergangenheit „soldatische“ Tugenden und Haltungen entwickeln. Der Wille zusammenzuhalten, Belastungen zu ertragen und zu kämpfen, wenn es erforderlich ist, festigt die Gemeinschaft aller Angehörigen des Bundesheeres. Gemeinsame Werte und überlieferte Vorbilder schaffen diesen inneren Zusammenhalt. Durch Tradition werden diese Werte anschaulich gemacht und bewahrt. Die Identifikation mit ihnen hilft bei der Auftragserfüllung und Führung – das erhöht die Kampfkraft.

Bewusstseinsbildung der Militärkultur

Die Militärkultur ist bei allen Armeen ähnlich, aber nicht gleich. Es ist entscheidend, ob die jeweilige Armee in autokratischen oder demokratischen Systemen eingebettet ist. Die Militärkultur wird dadurch geprägt, wie sie von den jeweiligen Soldaten gelebt und umgesetzt wird. Sie beschreibt die Organisationskultur sowie die Betriebskultur und kann Auskunft über das Betriebsklima geben. Es ist wichtig, dass eine Militärkultur bewusst gelebt, gepflegt und weiterentwickelt wird. Das Bundesheer lebt schließlich nicht in einer Blase, sondern ist eingebettet in die österreichische Gesellschaft, die sich ständig entwickelt und verändert.

Einzelnen Phänomenen oder plötzlich auftretenden, dem Militär schadenden Ereignissen ist Aufmerksamkeit zu schenken. Extremismus, Radikalisierung, Verschwörungstheorien oder Ideologien sind Phänomene, die im Bundesheer keinen Platz haben. Hier hilft es, eine klare Vorstellung zu haben, nach welchen Normen, Werten und Haltungen die Auftragserfüllung bestmöglich gelingen soll. Eine bewusst gelebte Organisationskultur, die jegliche extreme Erscheinungen im Grunde ausschließt und eine klare berufsethische Vorstellung von Pflichterfüllung hat, ist der beste Schutz gegen diese Phänomene.

Fazit

Das Ziel des Bundesheeres ist es, eine wertschätzende menschenorientierte Organisationskultur zu pflegen, die durch einen respektvollen Umgang miteinander geprägt ist. Sie soll den Gemeinschaftsgedanken und den Zusammenhalt – die Kameradschaft –
in den Vordergrund rücken. Dies ist umso wichtiger, dass nicht alle Fehlentwicklungen in ein Disziplinarrecht münden. Oft ist es nur die Spitze des Eisberges, die zum Vorschein kommt. Eine klare bewusste „innere Haltung“ als Prinzip der Organisationskultur ist der beste Garant dafür, leistungsfähig, erfolgsorientiert, durchhaltefähig und pflichterfüllend die gestellten Aufgaben für das Land und die Menschen, die darin leben, zu erfüllen.

Brigadier Mag. Dr. Roman Schuh, MBA; Leiter der Abteilung Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik im BMLV.


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 4/2023 (394).

Zur Ausgabe 4/2023 (394)


 

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