• Veröffentlichungsdatum : 06.04.2022
  • – Letztes Update : 19.04.2022

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Militärhistorisches Lebenswerk

Gerold Keusch

Jedes Jahr erscheinen unzählige Bücher. Manche dienen zum Zeitvertreib, andere zur Entspannung, einige sind dazu verdammt ungelesen im Bücherregal zu verstauben. Und dann gibt es Werke, die Geschichte schreiben, weil sie erklären, lehren und den Leser dennoch unterhalten und ihn zum Staunen bringen. Eines davon ist das auf mittlerweile sieben Bände angewachsene Werk von Brigadier Rolf Urrisk-Obertynski zur Geschichte der Wiener Garnison.

„Wenn ich ein Buch schreibe, kann ich meine drei großen Leidenschaften verbinden: Meinen Beruf, meine Heimatstadt Wien und meine Frau.“  Brigadier i. R. Prof. Mag. Rolf Urrisk-Obertynski hat unzählige Bücher geschrieben und Publikationen veröffentlicht. Sein bekanntestes Werk ist die auf mittlerweile sieben Bände angewachsene Darstellung der zweitausendjährigen Militärgeschichte Wiens, von den Römern bis heute. Tausende Stunden durchstöberte er Archive, studierte Dokumente und besuchte alle Ecken der Stadt. „Meine Frau hat mich fast immer begleitet und unterstützt – bei der Recherche, der Bildauswahl oder beim Schreiben.“  Ohne ihre Mithilfe wäre es für den pensionierten Generalstabsoffizier kaum möglich gewesen, dieses – man muss es so bezeichnen – Lebenswerk zu verfassen. „Alle militärischen Dienststellen in Wien ab der Größe einer Kompanie seit den Römern sind darin dokumentiert“, erklärt der Brigadier in Ruhe den Anspruch und das Ziel seines Wirkens. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die bisher etwa 2.500 erschienen Seiten mit etwa 7.000 Fotos, sondern betreibt auch die Website www.militärgeschichte.at

Rätsel, Gerüchte und Abenteuer 

Wie kam es dazu, dass sich Urrisk dieser Aufgabe verschrieb? „Eigentlich wollte ich im Ruhestand einen kleinen militärhistorischen Führer von Wien machen. Ich war viele Jahre dienstlich im Ausland und hatte nun endlich Zeit, meine Heimat zu erkunden. Ich musste jedoch rasch erkennen, dass sich die Wiener Militärgeschichte nicht in einem Heft darstellen lässt.“  Aus der Not hat der Autor nicht nur eine Tugend gemacht, sondern mit seiner Frau einen neuen Lebensinhalt entdeckt, der viele „Abenteuer“ bietet. „Bei unseren Recherchen stolpern wir über viele Kuriositäten, zumeist durch Zufall. Wir lösen dabei kleinere und größere Rätsel, blicken hinter Gerüchte, finden so manchen historischen Schatz und erwecken vergessene Geschichten zu neuem Leben“, erzählt Urrisk von seinen Ausflügen.

Manche Erlebnisse „hauen einen beinahe um!“, sagt der Professor. So wie die Geschichte eines kleinen Buben, der während der Besatzungszeit zwei Leidenschaften hatte: eine Kamera, die er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte und das Beobachten der britischen Wachsoldaten der Maria-Theresien-Kaserne. Da er die Wachsoldaten nicht fotografieren durfte, diese ihn aber in ihr Herz geschlossen hatten, inszenierten sie für ihn eine Wachablöse vor der Kaserne, von der er Bilder machen durfte. Als Erwachsener wurde der kleine Bub von damals ein Freund von Rolf Urrisk und gab ihm diese Fotos. Viele Jahre später besuchte ein ehemaliger britischer Unteroffizier Wien, den Urrisk in der Stadt begleitete. Dabei zeigte ihm Urrisk das Foto, das der kleine Junge geschossen hatte. „That´s me!“, erschrak der ehemalige Besatzungssoldat als er die Aufnahme sah. Tragische Notiz am Rande: Bei einem seiner letzten Dienste „drehte“ ein Kamerad des Briten im Wachlokal „durch“ und schoss um sich. Der britische Unteroffizier verlor dabei ein Auge.

Militärhistorische Anekdoten

Zurück zum Buch, das unter anderem die Geschichte der Maria-Theresien-Kaserne dokumentiert. Die als SS-Kaserne im Zweiten Weltkrieg errichtete Anlage ist heute ein Teil des Weltkulturerbes Schloss Schönbrunn. Was nur Wenige wissen: Auf dem Areal sollte ursprünglich ein anderer Gebäudekomplex entstehen, die Dollfuß-Führerschule. „Sie war eine von drei zentralen Erinnerungsorten für den von den Nationalsozialisten ermordeten Kanzler, dessen Fundament bereits fertig war“, erklärt Urrisk. Die anderen waren die Dollfuß-Gedächtnis-Kapelle auf der Hohen Wand und ein Dollfuß-Denkmal im Bereich der Höhenstraße. „Dieses Denkmal wurde bereits eingeweiht, bevor es fertig war“, schmunzelt der Autor. „Deshalb hat man zunächst eine Holzattrappe angefertigt. Das Monument aus Stein wurde nie fertiggestellt und fand somit auch nie seinen Weg auf die Höhenstraße, da der Anschluss Österreichs an Deutschland schneller kam als dessen Fertigstellung. Eine symbolisch tragische, aber irgendwie auch typisch österreichische Geschichte.“

Neben unzähligen Zahlen, Daten und Fakten bietet das Buch viele weitere interessante „Geschichten“ und Anekdoten. Ein Beispiel ist der britische Militärflugplatz vor dem Eingang vom Schloss Schönbrunn, wo sich heute Besucherparkplätze befinden. Eine wertvolle Ergänzung ist die Einbettung dieser – aus heutiger Sicht – Kuriositäten in ihren historischen Kontext. Bei besagtem Flugplatz war das die mögliche Blockade Wiens durch die Sowjets, wie sie Berlin im Jahr 1948 tatsächlich erleben musste. Aber selbst diese historischen Fakten werden mit Zeitdokumenten erklärt, die diese nicht nur greifbar, sondern auch spannend machen. Darüber hinaus laden gerade diese Geschichten die Leser dazu ein, die im Buch beschriebenen Orte zu besuchen und diese aus einer militärhistorischen Perspektive zu betrachten.

Stolz und Wehmut

Vor allem Kasernen sind Orte, an denen der Brigadier i. R. vor Ort recherchierte – sowohl ehemalige als auch jene, die noch vom Bundesheer genutzt werden. Dabei kam er auch ins Gespräch mit aktiven Kameraden und hatte die Gelegenheit die aktuelle Ausbildung und das dabei verwendete Gerät zu sehen. Das Urteil des ehemaligen Generalstabsoffiziers ist eindeutig: „Was das Bundesheer leistet ist gewaltig! Als aktiver Soldat ist mir oft nicht aufgefallen, was wir außerhalb meines eigenen Betätigungsfeldes alles können und machen. Ich weiß schon, dass die finanziellen Mittel bescheiden sind und wir von manchem Gerät auch mehr haben sollten. Dennoch: Das Bundesheer kann viel und es beweist das auch, zum Beispiel während der Corona-Krise.“

Die Entdeckungsreisen waren für Rolf Urrisk-Obertynski aber nicht immer nur freudige Ereignisse. Wenn Spuren der Vergangenheit aus Unkenntnis, Gleichgültikeit, Ignoranz oder Bosheit vernichtet werden, bedrückt das den ehemaligen Berufssoldaten. Vor allem wenn das Andenken an Gefallene zerstört wird, fehlt ihm das Verständnis. „Erinnerungszeichen sind Zeichen der Mahnung und des Gedenkens. Sie sind aber auch Dokumente des damaligen Zeitgeistes, die zum Nachdenken anregen sollen“, sagt Urrisk. „Aus meiner Sicht ist es zwar falsch gefallene Soldaten als ,Helden‘ zu bezeichnen, schließlich waren sie ,arme Kerle‘, was man so natürlich nicht auf einen Grabstein oder eine Gedenktafel schreiben kann. Das Wort ,Held‘ einfach mit einem Klebeband zu überkleben, auf dem jemand das Wort ,Opfer' gekritzelt hat, ist jedenfalls der falsche Weg. Besser wäre es eine Zusatztafel anzubringen, deren Text sorgfältig gewählt sein sollte.“
 

Zukünftige Projekte

Der, für ihn teilweise, problematische Umgang mit der Vergangenheit ist nicht das einzige „Problem“, dem Urrisk als Autor begegnete „Wer ein Buch schreibt, der hat halt viele kleine und größere Probleme”, sagt er, nun jedoch wieder mit einem Lächeln und guter Laune, denn „manche kann man relativ einfach und mit etwas Hilfe lösen“. Ein Beispiel dafür ist die Bildauswahl, da von den vielen tausenden Fotos, Plänen und Grafiken aus seinem Archiv nur einige hundert in einem Buch Platz haben und die Auswahl oft schwierig ist. Das gilt auch für die Texte, die viele länger sein könnten, aber da und dort auch einmal gekürzt werden müssen, weil der Platz nicht ausreicht.

Ein Blick auf die Cover der im Weishaupt Verlag erschienen Bücher zeigt, dass die Militärgeschichte einiger Wiener Bezirke in dem Band noch fehlt. Die schlechte Nachricht ist, dass sich der Brigadier in Ruhe auch weiterhin mit den „Problemen eines Autors“ auseinandersetzen darf. Doch bevor es so weit ist, soll noch ein Buch erscheinen, das den Soldatengräbern und Soldatendenkmälern in den Kirchen und auf den Wiener Friedhöfen gewidmet ist. „Ich hatt´ einen Kameraden“ wird dieses Buch heißen. Mit diesem ist die gute Nachricht verbunden, dass wir uns auf weitere Bücher von Rolf Urrisk-Obertynski freuen dürfen. Bis dahin können wir in seinen bisherigen Publikationen blättern, lesen und staunen. Aber Achtung: man sollte sich auch im „Wiederholungsfall“, aufgrund der Fülle an Informationen, immer „etwas Zeit“ nehmen. Als „Faszinierend!“, brachte die Tageszeitung Die Presse, die mit Superlativen eigentlich sparsam umgeht, ihren Eindruck des aktuellen Bandes auf den Punkt. Bis auf die Aufforderung: „Lesen!“ ist dem eigentlich nichts hinzuzufügen.

Hofrat Gerold Keusch, BA MA ist Leiter Online Medien beim TRUPPENDIENST.

 

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