• Veröffentlichungsdatum : 16.04.2016
  • – Letztes Update : 03.11.2017

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Kriegsheld und Friedensfürst

Gerold Keusch

Am 4. November 1995 tötete ein radikaler Student den israelischen Staatschef Yitzhak Rabin. Mit den Schüssen auf den Politiker starb auch die Chance auf Frieden im Nahen Osten. Bis dato konnte sie nicht wiederbelebt werden.


Polizisten zerren eine Bahre in ein Krankenhaus. Türen springen auf. Ärzte laufen durcheinander. Sie eilen durch Gänge. Mit einer Bahre hasten sie in einen Operationssaal. Auf der Bahre liegt Yitzhak Rabin, der Ministerpräsident von Israel. Die Menschen vor Ort wirken geschockt, erstarrt und regungslos. So beginnt ein Film, der den letzten Tag im Leben des Präsidenten zeigt. Dem Mann, der im Krieg zum Helden wurde und für sein Friedensengagement im Nahen Osten starb. 

Beim Attentat von Tel-Aviv am 4. November 1995 tötete Jigal Amir nicht nur einen Menschen. Der jüdische Fundamentalist verübte einen "Mord am Frieden" für Israel. Dieser hätte das Vermächtnis von Rabin und seinem Konterpart Arafat werden sollen. Es kam anders. Der Friedensprozess ist gescheitert. Seit mehr als zwanzig Jahren kommt er nicht mehr in Fahrt. Wer war der Mann, mit dem der Frieden starb?

Wurzeln des Konflikts

Israel entstand dort, wo das Alte Testament geschrieben wurde. Hier lebten die Stammesväter der Juden und ihr Volk, bevor man es in mehreren Wellen vertrieb. Ende des 19. Jahrhunderts wanderten sie wieder ein (Rückkehr der Juden nach Palästina - Alija); in ein Land, das nun von Arabern bewohnt wurde. Noch fünf Jahre vor der Gründung Israels 1948 lebten hier eine knappe Million von ihnen. Bei der Ausrufung des neuen Staates waren es nur noch etwa Hunderttausend.

Der General

Am 14. Mai 1948 wird der Staat Israel gegründet - endlich erhalten die Juden ihren lang ersehnten Staat. Seit über zweitausend Jahren warten sie auf diesen Moment. Schon in der Gründungsnacht wird dem neuen Staat jedoch der Krieg erklärt. Alle Nachbarn fallen über das kleine Land her. Die etwa 800 000 Einwohner werden zur Zielscheibe einer Übermacht. Einer von ihnen ist Yitzhak Rabin, ein 26-jähriger Offizier einer Eliteeinheit.

Der Marsch Rabins ins Präsidentenamt beginnt in einem Kibbuz bei Haifa. Hier lebten Juden als gleichberechtigte Mitglieder in einer Siedlung und betrieben Landwirtschaft. Es gab kein Privateigentum und der Alltag war gemeinschaftlich organisiert. Dort wurde der spätere Präsident 1941 für die militärische Untergrundorganisation Hagana rekrutiert. Ihr Ziel: der Nationalstaat Israel als Heimat der Juden in Palästina. Hier beginnt der Kampf, der ihn sein Leben lang begleitet und sein Schicksal wird.

1948 kämpft Rabin als stellvertretender Befehlshaber des südlichen Frontabschnittes in der Wüste Negev gegen Ägypten. Im Jahr darauf handelt er als Teil der israelischen Delegation den Waffenstillstand mit Ägypten aus. Es ist seine erste politische Handlung. 1953 wird Rabin zum General befördert und ist für die Ausbildung in der Armee verantwortlich. Zum Kriegshelden wird er 1967 im Sechstagekrieg. Hier war er als Generalstabschef wesentlich für den Erfolg verantwortlich, bei dem auch Jerusalem von israelischen Truppen erobert wurde. Der Name „Sechstagekrieg“ war seine Schöpfung. Nach dem Krieg verlässt er das Militär und geht in die Politik.

Knochenbrecher

Die neue Laufbahn von Yitzhak Rabin beginnt als Botschafter in den USA. Er sah die Möglichkeiten Israels zu tiefen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und gilt als Mitbegründer dieser engen Verbindung. Die Freundschaft zwischen beiden Staaten wird heute als wesentliches Merkmal Israels in der Welt wahrgenommen.

1973 kehrt er nach sechs Jahren in seine Heimat zurück und zieht für die Arbeitspartei ins Parlament ein. Bereits im nächsten Jahr ist er der israelische Regierungschef - eine Bilderbuchkarriere. Diese erfuhr 1977 jedoch einen Knick. Rabin schlitterte in politische Krisen und trat zurück.

1984 kam er wieder als Verteidigungsminister in die Regierung zurück. Seine Amtszeit war geprägt vom ersten Palästinenseraufstand, der Intifada. Seine brutalen Methoden, um diese niederzuschlagen und der Ausspruch „Wir sollten ihre Hände und Beine brechen“  trugen ihm den Namen "Knochenbrecher" ein. Er war ein Hardliner im Palästina-Konflikt.

Wandlung als Regierungschef

„Nach den nächsten Wahlen wirst du mit deinem Mann auf dem Marktplatz hängen (…)“  schrien jüdisch-orthodoxe Fanatiker der Ehefrau des Kriegshelden zu. Menschen, für die er gekämpft hat, denen er einst ideologisch sehr nahe stand. Rabins Einstellung hatte sich gewandelt.

Ab 1990 nahm er eine immer aktivere Rolle im Friedensprozess mit der arabischen Bevölkerung (Palästinenser) ein. Auch die Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten sollten sich normalisieren. Er stürzte seinen Parteichef Shimon Perez, kandidierte selbst für das Amt des Regierungschefs und errang dieses 1992. Seine Partei ging als klarer Sieger aus der Wahl hervor. Der neue Ministerpräsident nutzte dieses Ergebnis, um den Friedensprozess nun auch offiziell einzuleiten.

Es begannen Verhandlungen mit dem bisherigen Feind Israels, der PLO (Palestine Liberation Organization - Palästinensische Befreiungsorganisation; Anm.). Diese führten zur Unterzeichnung des Oslo-Abkommens 1993. Der Handshake mit PLO-Chef Arafat ging um die Welt. Der Frieden war zum Greifen nah. Der Nobelpreis, den beide Männer erhielten, unterstrich ihre Bemühungen für ein Ende der Gewalt.

Gaza-Jericho-Abkommen

Das Gaza-Jericho-Abkommen (auch Oslo-Abkommen genannt) besiegelt den ersten Schritt zur Autonomie der Palästinenser. Gemäß dem Abkommen sollte eine palästinensische Selbstverwaltung gebildet werden, die in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen mit Israel kooperieren sollte. Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO verpflichtete sich im Gegenzug dazu, aus ihrer Charta alle Passagen zu streichen, die die Vernichtung Israels zum Ziel haben. Beide Seiten erkannten einander damit erstmals offiziell an.

Friedensopfer

„Ich möchte gerne jedem einzelnen von Euch danken, der heute hierhergekommen ist, um für Frieden zu demonstrieren und gegen Gewalt (...)"  sagte Rabin bei seiner letzten Rede kurz vor seinem Tod. Er lag falsch. Das Treffen am Platz der Könige in Tel-Aviv zeigte, wie schnell Friede der Gewalt weichen kann. Zwei Schüsse beendeten das Leben von Rabin auf dem Platz der heute nach ihm benannt ist. Der Mann auf der Bahre wurde dort zum König des Friedens in einer Region des Krieges.

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.

 

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