• Veröffentlichungsdatum : 13.01.2021
  • – Letztes Update : 22.01.2021

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„Ironwar” im Ultra-Triathlon

Gerold Keusch, Luis Wildpanner

Zur Weltmeisterschaft nach Lévis in der kanadischen Stadt und gleichnamigen Provinz Québec reiste Wildpanner nicht mehr an, um Wettkampfluft zu schnuppern oder „gerade mal“ dabei zu sein. Er war frisch gebackener Europameister und – was in diesem Zusammenhang noch bedeutender war – er hatte dabei in beeindruckender Manier den alten Weltrekord über diese Distanz pulverisiert. Somit war er – ob er wollte oder nicht – in der klaren Favoritenrolle und wusste, dass er dieses Mal der Gejagte sein würde. Das hatte auch zur Folge, dass die Augen aller Konkurrenten und Zuseher vor allem auf ihn gerichtet sein würden.

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Die Vorbereitungen für den Bewerb in Kanada waren zeitlich äußerst knapp bemessen. Wildpanners penible Planung und das große Engagement seines Teams, das abermals von Herbert Egger geleitet wurde, waren von entscheidender Bedeutung für diese Wettkampfteilnahme. Sein Team, das beim Start des Rennens in Neulengbach nur aus zwei Personen bestand, hatte sich noch während des laufenden Bewerbes verdoppelt. Somit war der Bewerb in Neulengbach auch die Geburtsstunde des Betreuerteams, das ihn bis zum Ende seiner sportlichen Laufbahn begleiten sollte. Bereits bei der Weihnachtsfeier im Jahr zuvor, hatte der erst kürzlich in den HSV Melk eingetretene Herbert Egger seine Betreuung zugesagt. Kurz vor Beginn des Wettkampfes sagte auch der angehende Diplomingenieur Robert Lechner zu. Während des Bewerbes stießen noch Werner Planer, der ihn als Einziger bei allen 12 Ultras begleiten sollte, und Hans Plasch (zwei erfahrene Unteroffiziere des Österreichischen Bundesheeres) dazu. Damit war der Kern des Betreuerteams komplett. 

„Werner Planer, damals selbst ein begnadeter Läufer und alter Sportsfreund, wusste als einer von ganz wenigen im Vorfeld von meiner Absicht, in Neulengbach zu starten. Er kam für mich völlig unerwartet mit seiner Familie während des Wettkampfes vorbei und war von dem Bewerb, meiner Leistung und dem sich abzeichnenden Erfolg völlig überrascht und begeistert. Noch während des Radbewerbes brachte er seine Frau und die beiden Kinder nach Hause, kam wieder und betreute mich bis zum Zieleinlauf mit vollem Einsatz. In der Nacht stieß dann auch noch mein alter Kamerad und langjähriger Freund, Hans Plasch, der damalige Leiter der Sektion Laufen des HSV Melk, dazu. Mein Betreuerteam hatte ihm telefonisch von meinem bisherigen Husarenritt berichtet. Plasch schrie sich seine Euphorie wegen meiner unerwarteten Leistung mit einem Megaphon solange aus dem Hals, bis er eine Verwarnung des Veranstalters aufgrund Beschwerden von Anrainern wegen nachhaltiger Ruhestörung kassierte.“ 

In Neulengbach, wo Luis neben „Teamchef“ Herbert Egger und dem Computer- und Rechenspezialisten Robert Lechner nun auch Werner Planer und Hans Plasch zur Seite standen, wurde der Kern des Betreuerteams aus der Taufe gehoben. Dieses Team war nicht zuletzt aufgrund des in Neulengbach eingefahrenen Erfolges hochmotiviert, den Extremsportler auch auf seinem nächsten Weg nach Kanada zu begleiten. Ab diesem Bewerb sollten ihn diese „vier Musketiere“ mit großem persönlichen Einsatz auch in den darauffolgenden Jahren bei den meisten seiner weiteren Wettkämpfe begleiten und ihm auch außerhalb der Wettkämpfe jederzeit mit Rat und Tat treu zur Seite stehen. Wildpanner ist bis heute sehr dankbar für die Hilfe und Unterstützung, die seine Freunde in dieser Zeit für ihn geleistet haben. „Jeder hat seine Aufgaben genau wahrgenommen, die wir im Vorfeld gemeinsam bis in das kleinste Detail festgelegt haben. Wenn ich beispielsweise den Wunsch nach einer Suppe hatte, wurde mir diese – je nach Rundenlänge – spätestens in der übernächsten Runde verabreicht.“ Keiner seiner Konkurrenten hatte ein vergleichbar professionelles Betreuerteam. Vereinzelt gab es echte Individualisten unter den Teilnehmern, die das Rennen sogar unterbrachen, um sich Verpflegung aus dem Auto zu holen. Diese Athleten waren aber – auch aufgrund ihrer fehlenden Mannschaft – keine Anwärter auf Spitzenplätze. Das Beispiel zeigt jedoch, wie groß die Unterschiede bei der persönlichen Betreuung der Athleten waren und welche konkreten Auswirkungen diese hatten. Aufgrund des Wissens über diesen wesentlichen Vorteil bin ich allen Mitgliedern meines Betreuungsteams bis an mein Lebensende dankbar! Das Team – und das waren immerhin bis zu zehn Personen pro Wettkampf – war von entscheidender Bedeutung für meine Erfolge. Ohne meine Betreuer wären die meisten Siege wahrscheinlich nicht möglich gewesen!“ 

Nicht zuletzt wegen ihrer langjährigen Treue und Verlässlichkeit ist Wildpanner mit vielen seiner Betreuer bis heute in Kontakt. Auch wenn die Beziehungen nach der geraumen Zeit, die seit dem Ende seiner sportlichen Karriere vergangen ist, nicht mehr so intensiv sind wie damals, gibt es nach wie vor Treffen. Dabei lassen die Sportkameraden aber nicht nur die Vergangenheit mit ihren prägenden gemeinsamen Erlebnissen Revue passieren – sie unternehmen auch gemeinsame Läufe oder Bergtouren. Dabei steht aber nicht die Leistung, sondern das Naturerlebnis und vor allem die freundschaftliche Verbundenheit im Mittelpunkt. Im Jahre 2013 gab es ein Treffen der besonderen Art. Damals feierte Wildpanner mit seinem Betreuerteam das Jubiläum seines ersten WM-Titels über die dreifache Ironman-Distanz und das zehnjährige Bestehen seines offiziellen Weltrekordes über diese Strecke. Ein Rekord, der noch fünf weitere Jahre bestehen bleiben sollte.

Das Abenteuer beginnt

Hauptorganisator der Weltmeisterschaft in Kanada war Jean-Pierre Morin, Vorstandsmitglied der I.U.T.A (International Ultra Triathlon Association). Er unterstützte die unmittelbare Vorbereitung von Luis vor Ort nach besten Kräften und brachte damit seine Anerkennung für Wildpanners Leistung bei der EM in Neulengbach zum Ausdruck, auch wenn er das Fehlen des Streckenprotokolls bedauerte, ohne dem der Weltrekord nicht offiziell anerkannt werden konnte. Im Zuge der Gespräche erwähnte Morin auch einen Deutschen, den er als Mitfavoriten einschätzte: Heiko Stoklossa, den Vizeweltmeister des Vorjahres. Er wurde 2001 nur vom Franzosen Emmanuel Conraux geschlagen, der damals Weltmeister wurde und bis zum Ende von Wildpanners Karriere sein härtester Konkurrent werden sollte. 

Stoklossa war als einer der wenigen Favoriten des Rennens in Québec nicht bei der EM in Neulengbach am Start gewesen, da er sich offensichtlich einzig und alleine auf die Weltmeisterschaft in Kanada vorbereiten wollte. Bei seiner Anreise war ihm allerdings ein böses Missgeschick passiert: der Rahmen seines Rennrades wurde während des Flugtransports so schwer beschädigt, dass er sich wenige Tage vor dem Start ein Ersatzrad beschaffen musste. Das gelang ihm letztendlich auch mit Hilfe des Veranstalters und stellte in weiterer Folge keinen wesentlichen Nachteil für ihn dar. Allerdings war der Deutsche nicht der einzige, dem kurz vor dem Bewerb ein Malheur passiert war. Luis wollte am Tag vor der Veranstaltung noch einen kurzen regenerativen Lauf über längstens eine Stunde in moderatem Tempo unternehmen. In seinen Gedanken war er allerdings bereits im Wettkampf, achtete zu wenig auf die ihm fremde Umgebung und verlor schließlich die Orientierung im Straßengewirr der Vorstadt. Somit wurden aus der geplanten Stunde letztendlich zweieinhalb. Diese unabsichtlich viel zu lange geratene Laufeinheit wäre ihm am nächsten Tag um ein Haar zum Verhängnis geworden.

Ironwar

Der „Ironwar“ ist die Bezeichnung für das Kopf-an-Kopf-Rennen von Dave Scott und Mark Allen beim Ironman Hawaii im Jahr 1989, dem berühmtesten Duell im Triathlon-Sport. Nachdem die beiden Athleten bereits beim Schwimmen und Radfahren de facto gleichauf waren, liefen sie auch den Marathon beinahe Seite an Seite. Erst wenige Kilometer vor dem Ziel konnte sich Mark Allen von Dave Scott lösen, die Führung übernehmen und das Rennen gewinnen. Der Sieg von Allen war die Ablöse des bis dahin erfolgreichsten Triathleten Dave Scott und der Beginn von Allens „Alleinherrschaft“ beim Ironman auf Hawaii. Beide Athleten gewannen diesen Wettkampf jeweils sechs Mal. Der Marathon-Streckenrekord, den sie beim „Ironwar“ aufstellten (2h 40 min), sollte noch 27 Jahre lang halten. Er wurde erst 2016 vom Deutschen Patrick Lange um 19 Sekunden unterboten.

Kein Rennen nach Plan

Obwohl dem Favoriten aus Österreich unmittelbar vor dem Start das Band seiner Schwimmbrille riss – Herbert Egger verknotete kurzerhand die abgerissenen Enden, was den Augendruck entsprechend erhöhte und Luis während des Schwimmens das Aussehen eines „Froschkönigs“ verlieh – verlief das Rennen zunächst nach Plan. Der Schwimmbewerb fand im über 200 m tiefen Sankt-Lorenz-Strom statt, der an dieser Stelle für den meterhohen Unterschied des Wasserspiegels aufgrund der Gezeiten und der daraus resultierenden unberechenbaren Strömungen berüchtigt ist. Aus Sicherheitsgründen wurde jedem Athleten ein Kanufahrer zugewiesen, der während des gesamten Schwimmbewerbes für seinen Schützling verantwortlich war. Wildpanner bekam wegen seiner Favoritenrolle den erfahrensten Kanuten zugeteilt, der die Strömungsverhältnisse entlang der Schwimmstrecke wie seine Westentasche kannte und ihn geschickt durch die Fluten manövrierte. Nicht zuletzt deshalb stieg Luis dieses Mal gemeinsam mit dem regierenden Weltmeister, Emmanuel Conraux, im ersten Drittel aus dem Wasser. 

Auf dem Rad holte er – wie bereits in Neulengbach – kontinuierlich auf. Das französische Team mit Conraux (in Neulengbach „nur“ Vierter), war seit der Europameisterschaft vorgewarnt und stimmte seine Taktik nun speziell auf die Stärken des Österreichers ab. Ab dem Rad-Split wurde Luis permanent vom Franzosen Didier Wolozin – einem der stärksten Radfahrer im Feld – attackiert, wodurch er das vom Franzosen vorgegebene hohe Tempo nicht nur halten musste, sondern diesen auch immer wieder kräftezehrend überholte, um sich dessen Zermürbungstaktik nicht aufzwingen zu lassen. Zu allem Überdruss mischte diesmal auch der Deutsche Heiko Stoklossa von Beginn an kräftig mit, der nicht umsonst vom Veranstalter als Mitfavorit genannt worden war. Stoklossa entstieg nicht nur als Erster den Fluten des Sankt-Lorenz-Stromes, sondern fuhr auch von Beginn des Radbewerbes ein derart hohes Tempo, dass Wildpanner kaum Boden auf ihn gutmachen konnte. Die beeindruckende Leistung des Deutschen verleitete Luis dazu, ein weitaus höheres und wegen der ständigen Attacken der Franzosen auch ungleichmäßigeres Tempo zu fahren, als er ursprünglich geplant hatte. 

Exakt bei Einbruch der Dunkelheit begann es zu allem Überdruss auch noch zu regnen. Dieser Wetterumschwung belastete Wildpanner zusätzlich – wie sein Puls deutlich zeigte: aufgrund der Ereignisse während des Radrennens war seine Herzfrequenz dieses Mal unerwartet hoch. Gemäß seiner Planung sollte sie bei einem Renntempo von knapp 38 km/h bei durchschnittlich 145 liegen und nicht bei 160, die seine Pulsuhr nun anzeigte. Luis musste das Tempo deutlich drosseln, um einen unweigerlich bevorstehenden Leistungseinbruch zu verhindern.

Da der Deutsche bereits uneinholbar weit vor ihm lag, die stundenlangen zermürbenden Attacken der Franzosen an seiner Substanz zehrten und das die ganze Nacht andauernde nasskalte Wetter zusätzlich Energie kostete, dachte Luis sogar ernsthaft daran, das Rennen vorzeitig zu beenden. „Dass ich dennoch weiterkämpfte hatte  im Nachhinein betrachtet vor allem drei Gründe: erstens, für mein professionelles und hochmotiviertes Team, das mich die gesamte Nacht durchpeitschte und mir jeden Wunsch von den Lippen ablas, um mir diesen in der nächsten Runde zu erfüllen. Zweitens, das ORF-Team, das nur wegen mir und meinem erhofften Erfolg mitgekommen war, um der heimischen Bevölkerung unmittelbar und hautnah darüber zu berichten. Drittens, die intensiven Vorbereitungen auf diesen Bewerb, die wegen des Wettkampfortes in Übersee unvergleichlich aufwendiger und teurer waren als bei der EM in Neulengbach. Darüber hinaus fühlte ich mich auch meinem Hauptsponsor gegenüber verpflichtet, der große Erwartungen in mich gesetzt hatte.“ 

Die zahlreichen Attacken, das daraus resultierende hohe Tempo und die nächtlichen Strapazen setzten aber nicht nur Wildpanner, sondern dem gesamten Starterfeld und damit auch den Franzosen zu. Letztendlich mussten sie Luis wegen seiner überlegenen Leistungsfähigkeit doch ziehen lassen, sodass er den Radbewerb zwar mit relativ knappen Energiereserven, aber doch mit einem komfortablen Vorsprung auf den Großteil der Konkurrenz beenden konnte. Nur Heiko Stoklossa startete mit etwa 20 min Vorsprung in den Laufbewerb. Der Deutsche hatte sich geschickt aus dem Geplänkel zwischen dem Österreicher und den Franzosen herausgehalten, fuhr unbeirrt sein gleichmäßig hohes Tempo und blieb daher das gesamte Rennen hindurch an der Spitze.

Lauf mit Höllenqualen

Da Wildpanner seine Füße wegen der völlig durchnässten und eiskalten Radschuhe kaum noch spüren konnte, begann er den Laufbewerb mit ungewohnt wackeligen Beinen und mit dem unsicheren Gefühl im Bauch, dass dieses Rennen für ihn doch nicht wunschgemäß verlaufen könnte. Die ersten zehn Runden der etwa zwei Kilometer langen Strecke lief Luis einsam, da Stoklossa bereits gute zwei Laufrunden Vorsprung hatte und die anderen Konkurrenten noch am Rad saßen. Für den weiteren Wettkampfverlauf sollte die Charakteristik der Laufstrecke noch von großer Bedeutung sein, da es sich um eine 2 km lange Wendestrecke entlang eines Radweges handelte. Das bedeutet, dass jeder Athlet seinen Gegnern während des Laufbewerbes immer wieder begegnete und diese – je nach Leistungsvermögen – entweder überholte oder von ihnen überholt wurde. Jedenfalls stand jeder Teilnehmer unter ständiger Beobachtung, was ein großer Vorteil für die stärkeren aber ein eindeutiger Nachteil für die schwächeren Läufer war. 

„Wie durch ein Wunder kam bereits innerhalb der ersten Laufkilometer das gewohnte Laufgefühl in meine Beine zurück. Meine Schritte wurden wieder runder und – was noch viel wichtiger war – auch deutlich lockerer. Bereits nach wenigen Runden merkte ich, dass ich wesentlich schneller lief als Stoklossa, der mir in jeder Laufrunde zweimal begegnete.“ Nach und nach kamen nun auch die anderen Athleten auf die Laufstrecke, auf der es zunehmend hektischer wurde. 

In der zehnten Runde geschah allerdings etwas, mit dem Wildpanner nicht im mindesten gerechnet hatte. Trotz seines relativ hohen Tempos wurde er überholt. Der Franzose Emmanuel Conraux, der regierende Weltmeister, war mit „unglaublicher Geschwindigkeit“ an ihm vorbeigelaufen. Bei der Europameisterschaft war der Franzose „nur“ Vierter geworden und Luis nicht aufgefallen, da er dort kein Gegner für ihn war. Für Conraux war der Bewerb in Neulengbach allerdings nur ein Aufbauwettkampf, den er nicht in Topform absolviert hatte, wie er Luis später erklärte. Mit einem erneuten Platz abseits des Podiums wollte sich Conraux in Kanada jedoch nicht mehr zufriedengeben. „Ich war völlig geschockt! Conraux hatte mich mit einem derartigen Affenzahn überholt, dass ich nicht einmal den Versuch unternehmen konnte, ihm zu folgen. Ich war nun – obwohl ich noch nicht einmal in Führung lag – was sich aber bald ändern sollte – plötzlich der Gejagte. Somit musste ich meine Rennstrategie erneut anpassen, da für mich damals nur eines zählte: der WM-Titel.“

Wildpanner hatte am Beginn des Laufes zwei Runden Vorsprung auf Conraux. Dieser wurde nun aber kontinuierlich kleiner. Nach dem Überholvorgang von Conraux betrug sein Vorsprung nun nur noch eine Runde. Er durfte ihn keinesfalls ein weiteres Mal überholen, sonst würde er die Führung übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt war aber bereits klar, dass Stoklossa diesen Bewerb wegen seines zu geringen Lauftempos nicht gewinnen konnte. In dieser, für den Ausgang der WM entscheidenden Situation, war die Streckencharakteristik ein großer Vorteil für den Franzosen. Er war motiviert, sein Tempo weiterhin hoch zu halten, um Wildpanner das eine entscheidende weitere Mal zu überholen – und tatsächlich holte er Runde für Runde weiter auf.

Ass im Ärmel

Wildpanner hatte allerdings noch ein Ass im Ärmel: sein Team, das auch bei diesem Bewerb das Rückgrat seines Erfolges werden sollte. Allen voran Herbert Egger, der Luis immer wieder verschiedene hilfreiche Tipps und Tricks zurief, aber auch Werner Planer und Robert Lechner, die unermüdlich die Wettkampfnahrung zubereiteten, neben ihm herliefen und ihm unentwegt den aktuellen Vorsprung auf den Franzosen und vor allem motivierende Worte mitgaben. Unbezahlbar waren in dieser Situation die untrüglichen und verlässlichen Informationen von Robert Lechner, dem Computer- und Programmierexperten, der ihn bereits in Neulengbach zum Sieg und Weltrekord begleitet hatte und glücklicherweise auch in Kanada vor Ort war. 

Nachdem Luis das erste Mal von Conraux überholt wurde und kurz darauf völlig geschockt an Robert vorbeilief, sagte dieser seelenruhig zu ihm: „Mach‘ dir keine Sorgen – wenn du so weiterläufst, gewinnst du das Rennen immer noch mit einer halben Runde Vorsprung.“ Lechner hatte speziell für diesen Wettkampf ein Programm vorbereitet, mit dem er die wahrscheinlichen Endzeiten der Athleten aufgrund deren aktuellen Laufzeit hochrechnen konnte. Dabei wurde auch die voraussichtliche körperliche Ermüdung während der restlichen Wettkampfdauer und der damit verbundene Leistungsabfall berücksichtigt. Diese Informationen gingen immer vom Idealfall seiner Konkurrenten und damit von Wildpanners „Worst Case“ aus und erwiesen sich von Anfang an als sehr verlässlich.

„Mit zunehmender Dauer wurde das Rennen in Québec zu einem wahren Höllenritt! Meine Muskeln waren dieses Mal durch die stundenlange intensive Vorbelastung schon ungewöhnlich stark ermüdet, die Schmerzen in meinen Beinen nahmen beängstigende Ausmaße an. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde mir bei jedem Bodenkontakt ein Stromstoß durch die unteren Extremitäten meines völlig erschöpften Körpers gejagt. Ich musste mein Tempo aber unter allen Umständen aufrecht halten, um Weltmeister zu werden.“ Vor allem zu Beginn von Conrauxs Aufholjagd waren für Luis die Renninformationen mit den Zahlen, Daten und Fakten von entscheidender Bedeutung. Im Verlauf des Rennens, als noch etwa 50 Laufkilometer vor ihm lagen, wurde jedoch die mentale Komponente immer wichtiger. Dabei unterstützten ihn Robert Lechners stetige Informationen, mit wieviel Vorsprung er voraussichtlich gewinnen würde, die ihn in der Ungewissheit der Situation immer wieder beruhigten. 

Nun griff aber auch Conraux in seine mentale Trickkiste. Seine Taktik war es offensichtlich, Wildpanner weiter zu verunsichern, indem er ihn deutlich schneller überholte, als er – außerhalb der Sichtweite – weiterlaufen konnte. Diese Überlegung des Franzosen war vor allem zu Beginn sehr wirkungsvoll. Es gelang ihm damit, einen subjektiv anderen Eindruck zu vermitteln als es die objektiven Daten erlaubten, die Luis von seinen Betreuern erhielt. Somit musste das österreichische Team eine Gegenstrategie entwickeln und griff ebenfalls zu einer List: Herbert Egger gab Luis den – im wahrsten Sinne des Wortes – goldenen Tipp: „Herbert hat vorgeschlagen, den Franzosen über meine wahre körperliche Verfassung im Unklaren zu lassen und ihn zusätzlich zu verwirren. Er riet mir, Conraux ab sofort bei jeder Begegnung anzufeuern und ihm gleichzeitig zu seiner tatsächlich bewundernswerten Laufleistung zu gratulieren. Herbert, Werner und Robert würden das gleiche machen. Diesen Trick haben wir ab sofort in die Praxis umgesetzt und – die für den Franzosen völlig unerwarteten Begeisterungsstürme ob seiner Laufleistung – haben diesen vermutlich so verwirrt, dass er sein Lauftempo unbewusst soweit reduzierte, bis er letztlich einsehen musste, dass er mich nicht mehr einholen konnte.“

Unvergesslich, und einer der beeindruckendsten Momente während des gesamten Rennverlaufes, war für den angehenden Weltmeister als er zum letzten Mal – es war die vorletzte Runde für Conraux – auf den Franzosen traf. „Emmanuel blieb wenige Meter vor mir stehen, nahm die Grundstellung ein, verbeugte sich und zog dabei seine Kappe vom Kopf. Danach reichte er mir die Hand und gratulierte mir in gebrochenem Englisch zu meiner Leistung und somit als Erster zu meinem unmittelbar bevorstehenden Weltmeistertitel. Von diesem Moment an zählte ich Conraux nicht nur zu einem meiner größten Konkurrenten, sondern aufgrund dieser sportlichen Geste und der damit zum Ausdruck gebrachten Fairness – die er auch in Zukunft immer beibehalten sollte – auch zu einem meiner beliebtesten.“ Bis zum Ende seiner sportlichen Karriere sollte der Franzose – wie Wildpanner – insgesamt sechs Weltmeistertitel sein eigen nennen können (je zwei im Double- und Triple- sowie je einen im Quintuple- und im Deca-Ironman). Wildpanner konnte er bei den insgesamt acht direkten Aufeinandertreffen jedoch nur einmal schlagen – bei der Weltmeisterschaft 2005 über die doppelte Ironman-Distanz in Litauen.

Weltmeister mit Weltrekord

Als Luis wenige Minuten später mit der österreichischen Flagge unter dem Jubel der großteils kanadischen Zuseher endlich in das erlösende Ziel lief, hatte er sein ganz großes Ziel erreicht. Noch wenige Wochen zuvor hätte er nicht einmal davon zu träumen gewagt, bei einem Ultra-Triathlon jemals auf dem Stockerl zu stehen. Nun war er nicht nur Europameister und aktueller Weltrekordinhaber, sondern sogar Weltmeister! Sein Vorsprung, der teilweise nur noch sieben Minuten betragen hatte, reichte letztendlich aus, um als Sieger über die Ziellinie zu laufen. Und als wohlverdiente Draufgabe stellte er, trotz der denkbar schlechten Bedingungen während des Radbewerbes, obendrein auch noch einen neuen Streckenrekord in Kanada auf. Luis benötigte für das Rennen 20h 26min (Schwimmen: 2h 8 min, Rad: 11h 01 min, Lauf: 7h 10min), Emmanuel kam nach 20h 44min ins Ziel (Schwimmen: 2h 8 min, Rad: 11h 19 min, Lauf: 7h 07min).

Innerhalb von nur sieben Wochen wurde der ambitionierte Leistungssportler Luis Wildpanner, den bis dahin nur wenige kannten – sein Sieg bei der 100-km-Europameisterschaft im Laufen aus dem Jahre 1994 war weitgehend vergessen und ist bis zum heutigen Tage auch nur wenigen Insidern bekannt – zum Europa- und Weltmeister in einer der härtesten Sportarten. Nach dem Sieg in Neulengbach wusste Wildpanner zwar, dass er Europameister inmitten eines hochkarätigen Starterfeldes wurde und mit seinem gewaltigen Vorsprung von etwa eineinhalb Stunden gleichzeitig einen neuen Weltrekord errungen hatte, er konnte diesen Erfolg aber vorerst noch nicht richtig einordnen. „Spätestens nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft in Kanada war aber auch für mich endgültig klar, dass ich zur absoluten Weltelite in dieser Sportart aufgestiegen war. Schließlich bin ich neben den kürzlich errungenen Erfolgen als Europameister und Weltrekordinhaber nun auch Weltmeister.“

Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.

 

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