• Veröffentlichungsdatum : 10.09.2018
  • – Letztes Update : 11.09.2018

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Erinnerungen an den August 1968

Franz Teszar

Am 21. August 2018 waren es 50 Jahre, dass die Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR einmarschierten und dem „Prager Frühling“, der vielen Menschen Hoffnung auf mehr Freiheit und Demokratie gegeben hatte, ein jähes und blutiges Ende bereiteten. Trotz der langen Zeit, die seither vergangen ist, sind Brigadier i. R. Franz Teszar, die Ereignisse aus dem Jahr 1968 so deutlich in Erinnerung geblieben als hätten sie sich gestern zugetragen. In diesem Beitrag schildert er seine Erlebnisse:

Als junger Soldat und Offizier des Österreichischen Bundesheeres war ich mir sicher, dass ich im Laufe meiner Dienstzeit einmal einen Krieg erleben würde. Schließlich war der Zweite Weltkrieg zu Beginn meiner Dienstzeit noch keine zwanzig Jahre vorbei und in der Bevölkerung sowie im Bundesheer - aufgrund der kriegsgedienten Kadersoldaten - noch präsent. Darüber hinaus fiel der „Kalte Krieg“ und mit ihm das „Gleichgewicht des Schreckens“ in meine Dienstzeit, der währenddessen sowohl seinen Höhepunkt erreichte als auch zu Ende ging. Im August 1968 war es dann beinahe tatsächlich so weit, dass meine Befürchtungen Realität werden könnten.

Vorgeschichte des Einmarsches

Ich war damals Oberleutnant beim Panzergrenadierbataillon 9 in Horn und als Kommandant eines Panzergrenadierzuges gerade „arbeitslos“ geworden. Meine Kompanie war bei der damaligen Heeresreform - als „Rationalisierung und Straffung“ bezeichnet - aufgelöst worden. Deshalb war ich als Feldzeugoffizier eingeteilt, ohne hierzu irgendeine Ausbildung absolviert zu haben. De facto fungierte ich als „Mädchen für Alles“.

Diese Heeresreform hatte die gesamte 3. Panzergrenadierbrigade und somit auch das Panzergrenadierbataillon 9 getroffen. Dieser Verband besaß nun eine Friedensstärke von nur mehr zwei Panzergrenadierkompanien (je eine in Horn und Weitra), die dritte Kompanie war eine Mobeinheit. Da das Panzerbataillon 10 ebenfalls aus nur mehr zwei aktiven Panzerkompanien bestand, verfügte die gesamte 3. Panzergrenadierbrigade lediglich über vier Einsatzkompanien.

Als Radiohörer hatte ich täglich das Ö1-Mittagsjournal gehört und die Entwicklung in der CSSR mit Interesse verfolgt. Vor allem die „ewig langen“ bzw. mehrmals verlängerten Stabsübungen der Warschauer-Pakt-Kommanden im Frühling und Sommer des Jahres 1968 erfüllten mich und viele meiner Kameraden mit einer gewissen Sorge. Obwohl sich die Lage offensichtlich zuspitzte, habe ich - zumindest in meiner Führungsebene - kaum etwas von Vorausmaßnahmen gehört. Lediglich die „Rufbereitschaft“ der Kommandanten war angeblich angeordnet worden.

Auf die Anregung von mir und anderen jungen Offizieren, ob man nicht - wegen der zu erwartenden langen Dauer der Spannungen in der CSSR - zumindest eine teilweise Munitionsabholung durchführen sollte, wurden wir mit Worten in die Schranken gewiesen, wie: „Die Führung wird schon wissen, was notwendig ist und was nicht - kümmert Euch um Eure Angelegenheiten!“

21. August 1968

Ich selbst wurde - trotz eigener Bedenken - Mitte August in den Urlaub geschickt. Nachdem man aus den Inhalten der Nachrichten auf eine Beruhigung der Lage schließen konnte, wollte ich eine kleine Reise unternehmen und ein paar Bekannte besuchen. Am 20. August 1968 war ich deshalb zu Gast bei einem Freund in Scheibbs, wo ich auch die Nacht verbrachte.

Als ich am nächsten Tag, dem 21. August, bereits um 0630 Uhr mit meinem Freund auf dem Weg zu einem Frühstückslokal war, bemerkte ich zahlreiche Gendarmen, die in voller Ausrüstung mit Karabiner und Tornister zum Bezirksgendarmeriekommando eilten. Auf die Frage, was denn los sei, erfuhren wir, dass „die Russen in der CSSR einmarschiert wären“. Ich begab mich unverzüglich in das Bezirksgendarmeriekommando. Dort wies ich mich als Offizier des Bundesheeres aus und bat um die Vermittlung eines Telefongespräches zu meiner Dienststelle nach Horn.

Da die Verbindung nicht sofort zustande kam, konnte ich um 0700 Uhr das Morgenjournal im Radio hören, in dem der damalige Bundeskanzler Josef Klaus sprach. Der Bundeskanzler sagte sinngemäß, dass die Österreicher und auch die ausländischen Feriengäste wegen des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen keine Angst zu haben bräuchten. Schließlich wäre alles zum Schutz der Bürger aufgeboten, die Zollwache, die Gendarmerie, das Rote Kreuz, sonstige Hilfsorganisationen etc. und auch das Bundesheer wäre alarmiert. Als das Bundesheer so nebenbei erwähnt wurde, waren alle Blicke auf mich gerichtet. Ich bin „knallrot angelaufen“ und habe mich geschämt, wie noch selten zuvor.

Nachdem ich eine Lageinformation durch den Adjutanten und den Befehl zum sofortigen Einrücken erhalten hatte, fuhr ich unverzüglich zu meinem Truppekörper. Als ich über die Donaubrücke von Ybbs-Persenbeug und von dort weiter ins Waldviertel fuhr, hoffte ich, dass mir nicht „die Russen“ entgegenkommen würden, da ich mich nicht hätte wehren können. In der Horner Radetzkykaserne angekommen, sah ich, dass bereits alle Einheiten abmarschbereit versammelt waren - nur die Munition fehlte noch.

Zu meiner großen Überraschung hatten die Einheiten noch nicht die garnisonsnahen Verfügungsräume bezogen. Auf meine Frage, warum das noch nicht geschehen wäre, bekam ich zur Antwort, dass die Truppe gemäß Befehl „von oben“ in der Kaserne zu verbleiben hätte (was sich bis zum Ende des Einsatzes auch nicht ändern sollte und von uns Soldaten in der gegenwärtigen Lage nicht verstanden wurde). Alle warteten auf den Abmarschbefehl, der nicht kam, und es dauerte elf Stunden bis die Munitionskolonne wieder vollständig in der Kaserne angekommen war.

Erste militärische Maßnahmen Das Kommando der 3. Panzergrenadierbrigade richtete nach der Alarmierung am Truppenübungsplatz Allentsteig, in der Baracke 26 (der „legendären Kommandobaracke“) des Lagers Kaufholz, den Brigadegefechtsstand ein. Das Panzerbataillon 10 aus Spratzern verlegte über Tulln und Horn im Landmarsch mit Masse ebenfalls nach Allentsteig. Eine Panzerkompanie rollte in die Horner Kaserne. Die beiden kleinen Verbände der Brigade wurden gemischt. Das Panzergrenadierbataillon 9 gab die 2. Panzergrenadierkompanie aus Weitra an das Panzerbataillon 10 ab und erhielt dafür die 1. Panzerkompanie. Die beiden Kampfverbände der Brigade bestanden nun aus jeweils drei Kompanien, einer Stabs- und zwei Kampfkompanien.

Die Alarmierung des gesamten Panzergrenadierbataillons lief - obwohl es keine Vorwarnung gab - „präzise wie ein Uhrwerk“ und (bis auf die Verzögerung bei der Abholung der Munition) klaglos ab. Praktisch alle auf Urlaub befindlichen Kadersoldaten rückten, ohne einen Befehl abzuwarten, unverzüglich ein, einige sogar aus ihren Urlaubsorten im Ausland. So brach zum Beispiel ein Vizeleutnant, nachdem er um 0300 Uhr in Rijeka (Jugoslawien) in den Nachrichten vom Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR gehört hatte, seinen Aufenthalt dort ab und begab sich unverzüglich zu seiner Einheit. Während die 1. Panzergrenadierkompanie mit den anderen Horner Teilen in der Kaserne verbleiben musste, bezog die 2. Panzergrenadierkompanie in Weitra den garnisonsnahen Verfügungsraum. Dort warteten sie darauf, dem Panzerbataillon 10 unterstellt und auf den Truppenübungsplatz Allentsteig befohlen zu werden.

„Angst und Schrecken“ bei der Bevölkerung

Am ersten Alarmierungstag kam es unbeabsichtigt zu zwei Situationen, die die Bevölkerung von Horn und Weitra in „Angst und Schrecken“ versetzten. Die eine ergab sich aus der Tatsache, dass die 2. Panzergrenadierkompanie die Kuenringer-Kaserne in Weitra verließ und ihren garnisonsnahen Verfügungsraum bezog, der taktisch richtig etwa fünf Kilometer ostwärts der Stadt in einem Waldstück rund um eine Straßenkreuzung lag.

Viele Bewohner von Weitra dachten, der einzige Auftrag der dort stationierten Einheit wäre der Schutz der Stadt, die nur wenige Kilometer von der Grenze zur CSSR entfernt ist. Das Verlassen der Kaserne in Richtung Zwettl, weg vom Grenzraum in das Landesinnere, erweckte bei ihnen den Eindruck, dass die Kampftruppe im Moment der Gefahr die Stadt verließ und „die Flucht“ ergreifen würde. Die Bewohner fühlten sich durch diese Maßnahme im Stich gelassen - umso mehr, da die für diesen Raum vorgesehenen Grenzschutzeinheiten nicht aufgeboten wurden.

Noch viele Jahre später, als ich in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren Kommandant der Garnison Weitra war, hielt mir der - mir sonst äußerst wohlgesinnte - Bürgermeister zu vorgerückter Stunde häufig dieses „im Stich lassen und flüchten, wenn Gefahr besteht“ vor. Er hatte diese Episode auch noch nicht vergessen als ich viele Jahre später als Kommandant des Panzergrenadierbataillons 9 häufig in die Stadt kam und mit ihm zusammentraf. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwähnen, dass das Bataillon im Jahr 1968 den garnisonsnahen Verfügungsraum später in einen Raum im Nordwesten der Stadt verlegte. Das war einerseits taktisch vertretbar, andererseits wurde damit das Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung berücksichtigt.

Die zweite Begebenheit, die „Angst und Schrecken“ unter den Bewohnern hervorrief, spielte sich am späten Abend des 21. August 1968 in Horn ab. Wie oben erwähnt, wurde dem Panzergrenadierbataillon 9 die 1. Panzerkompanie des Panzerbataillons 10 mit dem Kampfpanzer M60A1 unterstellt, die in Horn Quartier bezog. Die 2. Panzerkompanie rollte jedoch mit ihren Kampfpanzern um etwa Mitternacht im Landmarsch durch die Stadt. Diese fuhren auf der „Reichsstraße“, wie die Bundesstraße 4 genannt wurde (die Umfahrung gab es damals noch nicht), auf den Truppenübungsplatz Allentsteig.

Viele Bewohner von Horn schliefen in dieser warmen Nacht bei offenem Fenster als sie plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurden. Der „unheimlich“ und furchterregend klingende Panzerlärm, der etwa 15 Kampfpanzer M60A1, der von den Hauswänden reflektiert und verstärkt wurde, sorgte für bange Minuten. Viele Menschen befürchteten aufgrund der Situation: „Jetzt sind die Russen da!“

Enttäuschender Einsatzbefehl

Ich selbst habe von all dem nichts mitbekommen, denn ich hatte - zusammen mit einem zweiten Offizier - am frühen Abend den Auftrag erhalten, vom Brigadekommando den Einsatzbefehl für das Panzergrenadierbataillons 9 abzuholen. Wir fuhren mit drei Jeeps, geladenen und voll aufmunitionierten Handfeuerwaffen sowie einer Bedeckung vor und einer hinter unserem Kfz ins Lager Kaufholz. Dort angekommen meldeten wir uns beim Chef des Stabes, Oberstleutnant des Generalstabes Josef Marolz.

Der Einsatzbefehl war aber noch nicht eingetroffen, und wir mussten bis 0200 Uhr warten, bis dieser umgesetzt und ausgefertigt war. Was uns während des Wartens zur „Weißglut“ gebracht hat, war weniger die Tatsache, dass dieser für die Fortführung des Einsatzes entscheidende Befehl so spät beim Brigadekommando einlangte. Vielmehr war es der Umstand, dass dieses geheime Geschäftsstück lediglich mit einem Kradmelder ohne Bedeckung nach Allentsteig gebracht wurde, während wir bewaffnet und mit drei Jeeps zum Brigadekommando gekommen waren.

Der Inhalt des Einsatzbefehles, soweit ich davon Kenntnis erlangte, war für mich in höchstem Maße deprimierend. Die darin befohlenen Maßnahmen wurden von uns, aufgrund der vorherrschenden Lage, als völlig unzureichend empfunden. So mussten die Einheiten des Panzergrenadierbataillons 9 ungedeckt, ungetarnt und offen in Linie aufgestellt in der Horner Kaserne verbleiben. Das Bataillon durfte die Bundesstraße 4 - außer im Auftrag des Bataillonskommandanten beispielswiese für Erkundungszwecke - nicht nach Norden überschreiten. Darüber hinaus wurde keine Mobilmachung angeordnet, und auch der Grenzschutz nicht aufgeboten.

Alarmzug mit „Systemerhaltern“

Bereits in den ersten Tagen nach der Alarmierung erhielt ich den Befehl aus den „Systemerhaltern“ der Horner Garnison einen Alarmzug zusammenzustellen. Das funktionierte anfangs gut, und wir betrieben Tag und Nacht Ausbildung in einer Intensität, wie sie diese Präsenzdiener weder vorher noch nachher erlebt hatten. Mit Hilfe meiner Gruppenkommandanten, die ich mir unter Einsatz all meines Durchsetzungsvermögens ausbedungen hatte, gelang es, die Funktionssoldaten in kurzer Zeit zu einer tadellosen Teileinheit zusammenzuschweißen.

Je länger der Einsatz allerdings dauerte und je offensichtlich ungefährlicher sich die „große Lage“ entwickelte, desto mehr kehrten wieder „friedensmäßige“ Verhältnisse, verbunden mit zunehmender Bürokratie, ein. So benötigte man plötzlich wieder den Tankwartgehilfen, den Schreiber oder den Nachschubgehilfen, sodass mein Alarmzug immer mehr an Stärke und somit an Kampfkraft einbüßte. Schließlich wurde er aufgelöst, und ich versah meinen Dienst wieder am Bataillonskommando.

Geheimmission an der Staatsgrenze

Eines Tages ließ mich der Bataillonskommandant rufen. Er erklärte mir, dass er einen Offizier für einen Geheimauftrag des Brigadekommandos suche und dabei an mich gedacht hatte. Ich sollte mit meinem Privatauto und in Zivilbekleidung nach Allentsteig fahren und mich dort beim Chef des Stabes melden. Auch müsste ich mich darauf einrichten, dass die Durchführung des Auftrages länger dauern könnte.

Voll Erwartung packte ich persönliche Gegenstände für mehrere Tage ein, darunter das TRUPPENDIENST-Taschenbuch über den Warschauer Pakt und fuhr mit meinem VW Käfer los. Wie befohlen meldete ich mich in der Baracke 26 beim Chef des Stabes. Dieser erklärte mir, dass sich die Gesamtlage verschärft habe, da laut Meldungen von Ausreisenden aus der CSSR eine größere sowjetische Panzerkolonne mit schweren Kampfpanzern zum Grenzübergang Neunagelberg rollen würde. Ich erhielt den Auftrag, diese Information durch Befragung von Zollwachebeamten und Zivilisten, die aus der CSSR kamen, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und Details über diese Panzerbewegungen zu erfahren. Anschließend sollte ich dem Chef des Stabes unverzüglich Meldung erstatten.

An der Grenzkontrollstelle angekommen, stellte ich mich beim Kommandanten der Zollwache vor und schilderte ihm meinen Auftrag. Dieser ging mit mir zu den Zollbeamten, die mir erklärten, dass einige Österreicher, die aus der CSSR kamen, erzählt hätten, dass sie eine stehende Panzerkolonne auf der Straße in Grenznähe gesehen haben. Jedoch seien diese Leute längst weitergefahren und nun die Grenze überhaupt gesperrt, weshalb niemand mehr kommen würde. Meine Fragen nach dem „Wer, wann, was, wie, wo?“ betreffend der Panzerkolonne konnten die Zollbeamten nicht beantworten, da sie selbst keine näheren Auskünfte eingefordert hatten. Überhaupt waren die Herren wenig über die militärische Lage informiert und zeigten daran auch kein besonderes Interesse. So kannten sie beispielsweise keine der Panzertypen, die ich ihnen anhand der Fotos des TRUPPENDIENST-Taschenbuches zu beschreiben versuchte.

Wenig begeistert über diese „magere Ausbeute“ fuhr ich, nachdem ich noch einige Zeit vergeblich an der Grenze auf Passanten gewartet hatte, wieder zurück zum Brigadegefechtsstand. Dort meldete ich die „Erledigung“ meines Auftrages dem - gleich wie mir vom Ergebnis der Befragungen enttäuschten - Chef des Stabes. „Außer Spesen nichts gewesen“, war das traurige Motto dieser „Geheim-Mission“. Apropos Spesen: Selbstverständlich gab es keine finanzielle Abgeltung für meine „Mission“, weder für Benzin noch für sonst etwas. Ich getraute mich auch nicht diesbezüglich nachzufragen. Jedenfalls zeigt dieses Beispiel, dass sich durch die Abwesenheit des Heeres an der Staatsgrenze schwerwiegende Nachteile für das Erstellen eines möglichst vollständigen Lagebildes ergaben. Um dieses Manko auszugleichen, wäre ein ständig bei der Zollwache stationierter Verbindungsoffizier dringend nötig gewesen.

Gendarmeriebeamte in der Radetzkykaserne

Bald nach Beginn des Einsatzes wurden etwa 60 Gendarmeriebeamte aus ganz Niederösterreich in der Horner Radetzkykaserne zusammengezogen. Sie sollten dort in Bereitschaft stehen, um bei einem etwaigen Flüchtlingsstrom an der Staatsgrenze eingesetzt zu werden. Da die sowjetischen Invasoren aber - zum Unterschied von 1956 in Ungarn - unverzüglich alle Grenzübergänge gesperrt hatten und ins Landesinnere sicherten, gab es kaum Flüchtlingsbewegungen nach Österreich. Somit waren die Gendarmen „arbeitslos“ und hielten sich ohne Auftrag in der Kaserne auf.

Das hätte uns Soldaten nicht sonderlich gestört, wenn da nicht der Umstand gewesen wäre, dass diese Beamten die vollen Gebühren für das „Warten auf einen Auftrag“ erhielten. Wir Soldaten, die Tag und Nacht im Einsatz standen, wurden jedoch mit einer geradezu „lächerlichen“ Einsatzgebühr abgespeist. Das brachte uns deshalb in Rage, da wir dadurch den Eindruck erhielten, dass wir Soldaten dem Staat offensichtlich „wenig wert“ waren.

Gefechts- und Schießausbildung auf dem Truppenübungsplatz

Während der „Tschechenkrise“ betrieben die Soldaten des Panzergrenadierbataillons innerhalb und außerhalb der Kaserne eine intensive Ausbildung. Die Kampfkompanien verlegten praktisch täglich zu Schieß- und Übungszwecken auf den Truppenübungsplatz Allentsteig, der ganz für diesen Verband zur Verfügung stand. Endlich konnte das Bataillon - zumindest anfangs - ungestört von „Friedensbetrieb“ oder sonstigen Einschränkungen wie Normdienstzeit, Mangel an Ersatzteilen und Betriebsmitteln etc. auf dem gesamten Truppenübungsplatz ausgiebig üben und scharf schießen. Besonders das Zusammenwirken von Panzern und Panzergrenadieren, der „Kampf der verbundenen Waffen“ wurde intensiv trainiert, wodurch die Kampfeinheiten einen hohen Grad an Einsatzbereitschaft erreichen konnten.

„Erscheinungen“ eines längeren Einsatzes

Zu Beginn eines militärischen Einsatzes, das hat sich auch beim Sicherungseinsatz an der Südgrenze 1991 gezeigt, sind die Umstände „richtig militärisch“ und die Einflüsse, die einen effizienten Dienstablauf hemmen, bleiben weitgehend aus. Je länger ein Einsatz dauert, und je „ungefährlicher“ die Lage wird, desto mehr kehren Bürokratie und andere Einschränkungen des „Friedensbetiebes“ wieder zurück.

Ähnlich verhält es sich auch mit der „Besuchsdiplomatie“. In den ersten Tagen, als es gefährlich war, ließ sich kaum ein Vorgesetzter blicken. Als jedoch die direkte Gefahr - zumindest scheinbar - geringer wurde, gaben sich die Besucher fast die Hände. Ich erinnere mich aber auch an den Besuch des damaligen Landeshauptmannes von Niederösterreich und anderer politischer Mandatare und an deren sorgenvolle Gesichter. Wir haben dem Landeshauptmann jedoch hoch angerechnet, dass er als einer der ersten hohen politischen Vertreter kam, als es noch gefährlich war. Auch der damalige Generaltruppeninspektor, General Erwin Fussenegger, inspizierte das Panzergrenadierbataillon 9. Er versprach Verbesserungen betreffend Vorausmaßnahmen und Neuregelung der Munitionsabholung, die umgesetzt und somit eingehalten wurden.

Wesentlich unangenehmer und „lästiger“ waren die zahlreichen, ebenfalls erst nach Beruhigung der Lage einsetzenden, Inspizierungen der einzelnen Fachgebiete. Diese wollten „alles“ genau wissen, verlangten bürokratische, aufwändige und aus meiner Sicht „völlig nutzlose“ Berichte, die weder eine reale Auswirkung hatten, noch dabei halfen, irgendwelche Verbesserungen zu bewirken. Besonders „gescheit“ waren viele Inspizierende - egal welcher Waffengattung sie angehörten - auf dem Gebiet der Infanterie. Viele dachten, sich bei den Panzergrenadieren auf diesem Sektor „austoben“ zu können. So verstanden es manche dieser „Experten“ beispielsweise ausgezeichnet, „wichtige“ Angelegenheiten wie den Platz einer Maschinengewehr-Stellung persönlich zu beurteilen und diesbezüglich (zumeist verzichtbare) Ratschläge zu erteilen. Bei realen und in ihrem Bereich zu lösenden Problemen schufen sie jedoch keine Abhilfe.

Auswirkung der politischen Maßnahmen

Die Auswirkungen der gesetzten Maßnahmen der Politik und - aufgrund der politischen Vorgaben - der militärischen Führung waren für das Verhältnis zwischen dem Österreichischen Bundesheer und der Bevölkerung äußerst negativ. Das galt vor allem für das Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit des Bundesheeres den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten und resultierte in einer Schwächung des Willens für eine wirksame Landesverteidigung einzutreten. Aber auch das Vertrauen der Truppe in die politische und militärische Führung war schwer angeschlagen.

Besonders gravierend, und für mich besonders beschämend, war die Tatsache, dass die Bewohner des Grenzraumes die „kleinen Soldaten“ für die politischen und militärischen Entscheidungen verantwortlich machten. Sie gaben diesen die Schuld daran, dass das Militär nicht mit allen verfügbaren Kräften zu ihrem Schutz und zur Demonstration der Souveränität Österreichs an der Staatsgrenze erschienen war. Das hatte zur Folge, dass in der Bevölkerung bald Witze über das Bundesheer die Runde machten, wir verächtlich angesehen oder sogar beschimpft wurden.

Manche Soldaten, die einen Auftrag außerhalb der Kaserne zu erfüllen hatten, waren auch verbalen Attacken ausgesetzt. Sätze wie „Geht heim, ihr seid ja eh´ zu nichts fähig!“, „Was macht ihr in der Kaserne, ihr gehört an die Grenze!“, „Jetzt, wo es gefährlich ist, traut ihr euch eh´ nicht hinaus und lässt uns im Stich“ oder „Das Bundesheer ist aus der Kaserne hinausgefahren, aber dann haben sie auf die Munition vergessen und mussten wieder zurückfahren!“  waren keine Seltenheit.

Enttäuscht und frustriert, dass man sie in der militärisch ernsten Lage nicht brauchte, waren zahlreiche Reservisten des Grenzschutzes (den Begriff „Miliz“ gab es damals noch nicht). Viele von ihnen waren trotz Ferien und Erntezeit in voller Uniform und Ausrüstung vor dem Kasernentor erschienen, um sich zum Dienst zu melden. Sie mussten jedoch wieder heimgeschickt werden, da es keine Weisung für eine Mobilmachung gab.

Auf einen Blick

Meiner Ansicht nach haben die politischen Entscheidungsträger damals nicht die richtigen Entscheidungen hinsichtlich des militärischen Einsatzes getroffen. Zusätzlich hat die militärische Führung vermutlich nicht den erforderlichen Druck auf die Politik ausgeübt, um die in der prekären Situation erforderlich erscheinenden Maßnahmen zu setzen. Dadurch fühlten sich weite Teile der Bevölkerung, in Unkenntnis der Führungsverhältnisse und des „Primates der Politik“, vom Bundesheer im Stich gelassen.

Die Abwesenheit der bewaffneten Macht im Moment der Gefahr hatte gravierende wehrpolitische Nachteile zur Folge, an denen die Soldaten der Garnisonen in der Grenzregion zur CSSR noch lange zu leiden hatten. Das Vertrauen der Grenzbewohner in das Bundesheer war auf einen nie gekannten Tiefpunkt gesunken, die jahrelange wehrpolitische Aufbauarbeit in der Region mit einem Schlag wie weggewischt. Aber auch das Vertrauen der Soldaten in die politische und obere militärische Führung hatte einen absoluten Tiefpunkt erreicht.

Der Einsatz blieb mir aber auch in vielerlei Hinsicht positiv in Erinnerung. Besonders hervorzuheben ist - neben den präzisen militärischen Abläufen - die Tatsache, dass es weder Versorgungsengpässe noch Schwierigkeiten mit der Ersatzteilbeschaffung gab, da die Heeresversorgung rund um die Uhr arbeits- und ausgabebereit war. Die Truppe war von der Alarmierung bis zum Einsatzende engagiert und hatte, aufgrund der begleitenden intensiven Schieß- und Gefechtsausbildung, eine hohe Einsatzbereitschaft erlangt.

Fazit

Der „CSSR-Einsatz“ im Jahr 1968 war für mich ein einschneidendes Erlebnis, das meine gesamte Dienstzeit nachhaltig geprägt hat. Er ermöglichte mir sowohl einen Einblick in die Einflüsse der Politik auf einen militärischen Einsatz, als auch in die Effizienz, zu der eine militärische Organisation unter einsatzmäßigen Bedingungen fähig ist. Diese Effizienz hat mich fasziniert, und seither bin ich davon überzeugt, dass keine andere Organisation oder Einrichtung mit einer eingespielten Truppe im Einsatz mithalten kann.

Brigadier i. R. Franz Teszar ist Ehrenpräsident des Niederösterreichischen Kameradschaftsbundes. In seiner Aktivzeit war er unter anderem Kommandant des Panzergrenadierbataillons 9 und des Truppenübungsplatzes Allentsteig.

 

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