• Veröffentlichungsdatum : 27.03.2020
  • – Letztes Update : 22.12.2020

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Einsatz des ÖBH in der Corona-Krise

Gerold Keusch

Ende Dezember 2019 berichteten Medien über eine neue Lungenkrankheit in China. Einige Wochen später gab es die ersten Meldungen, dass diese – mittlerweile als COVID-19 benannte – Krankheit, die vom Coronavirus ausgelöst wird, auch Europa erreicht hat. Nun war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis das Virus die österreichische Grenze überschreiten würde. Nachdem es in Österreich angekommen war und sich rasch ausbreitete, kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz am 12. März 2020 den „Lockdown“ des Staates ab dem 16. März an. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar, dass auch das Bundesheer benötigt werden wird, um dieser Pandemie zu begegnen.

Das Österreichische Bundesheer (ÖBH) hatte das Coronavirus und das Szenario einer Pandemie schon auf dem Radar. Bereits am 27. Jänner 2020, als COVID-19 noch weit entfernt schien, veröffentlichte das ABC-Abwehrzentrum ein Fact Sheet zum Coronavirus. Am 25. Februar wurde Verteidigungsministerin Klaudia Tanner über die Planungen und Maßnahmen des ÖBH zur Corona-Situation informiert. Tanner ordnete daraufhin eine erhöhte Bereitschaft an, die vorerst nur das Führungspersonal betraf. Zusätzlich wurde die Verfügbarkeit der ABC-Kräfte, der Militärpolizei und des Sanitätspersonals sowie der Transportraum für Land- und Lufttransporte festgestellt. Gegenüber der Bevölkerung betonte die Verteidigungsministerin, dass das ÖBH alle Maßnahmen ergreifen werde, um bei einem Assistenzeinsatz rasch und umfassend zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt überprüften Ingenieure vom Amt für Rüstung und Wehrtechnik bereits Grippemasken, die 2006 wegen der Vogelgrippe angeschafft worden waren, aber nur eine Haltbarkeit bis 2016 aufwiesen.

Breites Einsatzspektrum 

In den Morgenstunden des 16. März 2020 – dem ersten Tag des Lockdown – begannen Angehörige des ÖBH mit den ersten Unterstützungsleistungen in den Lagern großer Lebensmittelketten, um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Seither sind Soldaten und Zivilbedienstete des ÖBH in einem umfassenden Bereich tätig, der sich ständig erweitert und ändert. Bisher waren und sind die Kräfte des ÖBH unter anderem eingesetzt bei

  • verschiedenen Handelsketten in Lebensmittelgroßlagern, um den Warenumschlag und die Auslieferungen in die Lebensmittelgeschäfte sicherzustellen,
  • einem Pharmaunternehmen, um die Versorgung mit Medikamenten zu gewährleisten,
  • Hotlines, wie jene der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), des Außenministeriums oder des Informationsteams Vorarlberg,
  • Grenzkontrollen von Zügen und Fahrzeugen bzw. deren Insassen, wobei unter anderem Gesundheitschecks bei Einreisenden durchgeführt werden,
  • der Herstellung von Desinfektionsmitteln für das Justizministerium,
  • dem Abreisemanagement aus den Quarantänegebieten bzw. der Zutrittskontrolle zu diesen,
  • dem Objektschutz von Botschaften in Wien, wo sie die Polizei ablösten,
  • der Kontrolle des Gesundheitszustandes vor dem Betreten des Landeskrankenhauses Graz und
  • dem Transport von medizinischem Material wie Schutzmasken.

Zusätzlich wurden und werden

  • eine Transportmaschine C-130 „Hercules“ bei der Zurückholung von österreichischen Soldaten,
  • Jagdkommandosoldaten bei den Rückholaktionen des Außenministeriums,
  • Experten in diversen Lagezentren und Koordinierungsstäben und
  • ABC-Soldaten zur Desinfizierung eingesetzt sowie
  • im ehemaligen Flakturm der Wiener Stiftkaserne Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, in denen der ORF ein Fernsehstudio eingerichtet hat, das er im Bedarfsfall nutzen kann.

Der Einsatz des Bundesheeres erfolgt aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen der Bundesverfassung (Art. 79) und des Wehrgesetzes (§ 2) nach der Anforderung durch eine Behörde oder im Zuge einer Unterstützungsleistung im Rahmen der Ausbildung. Am 27. März 2020 waren 1.144 Soldaten im Assistenzeinsatz gegen das Coronavirus, 375 unterstützen den Betrieb von Hotlines und Lebensmittellagern. Zusätzlich zu diesen 1.519 Soldaten standen 808 Soldaten im Assistenzeinsatz an der Staatsgrenze und 1.166 Soldaten im Auslandseinsatz, wodurch an diesem Tag 3.493 Soldaten des Bundesheeres im Einsatz waren - eine Zahl die täglich steigt.

Einsatz von Experten und „Exoten“

Ein interessantes Detail des aktuellen Einsatzes ist, dass dieser nicht nur von „normalen“ Assistenzeinheiten durchgeführt wird, sondern auch von einer Vielzahl von Experten. Beispiele dafür sind die Techniker vom Amt für Rüstung und Wehrtechnik, die Schutzmasken überprüfen oder die Mitarbeiter der Heereslogistikzentren, die in den Lagern von Lebensmittelketten arbeiten. Zusätzlich werden auch Experten aus „exotischen Waffengattungen“ eingesetzt. So helfen zahlreiche Heeressportler, deren Saison das Coronavirus frühzeitig beendet hat, beispielsweise in Lebensmittellagern mit. Aber auch Militärmusiker haben ihre Instrumente für einige Wochen an den Nagel gehängt. So unterstützt ein Assistenzzug von Militärmusikern des Militärkommandos Oberösterreich die Exekutive an der Staatsgrenze zu Deutschland, während ihre Kameraden der Gardemusik bereits seit dem 17. März Fragen bei der AGES-Hotline beantworten.

Neben den Verbänden, die bereits im Einsatz stehen, wurden in mehreren Bataillonen Assistenzkompanien formiert und die Soldaten auf den Einsatz vorbereitet, der jederzeit für sie beginnen kann. Dabei werden vor allem jene Ausbildungsinhalte vermittelt, die bei einem sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz benötigt werden, wie die Fahrzeug- und Personenkontrolle. Einen besonderen Stellenwert bei dieser Einsatzvorbereitung haben die Maßnahmen für den Selbstschutz, da das Virus auch nicht vor Soldaten haltmacht. Zusätzlich halten sich Teile des ÖBH zu Hause für den Einsatz bereit und sind dort jederzeit telefonisch abrufbar. Diese Maßnahme hängt damit zusammen, dass sie bis zu ihrer Alarmierung ihre Einsatzbereitschaft – in diesem Fall ihre Gesundheit – erhalten müssen. Das betrifft auch jene KFOR-Soldaten, die das aktuelle Kontingent ablösen. Auch sie sind zu Hause, um gesund in den Auslandseinsatz gehen zu können, der nach wie vor weitergeführt wird.

Beispiele für kleine Verbände, deren Einheiten bereits im Einsatz stehen sind

  • das Jägerbataillon 17 (Strass/Steiermark), das mit zwei Assistenzkompanien in der Stärke von jeweils 140 Soldaten die Exekutive in Vorarlberg und Tirol unterstützt,
  • das Jägerbataillon 18 (St. Michael/Steiermark), das mit einer Kompanie in der Stärke von 120 Soldaten an der Staatsgrenze zu Deutschland in Salzburg eingesetzt ist,
  • das Jägerbataillon 19 (Güssing/Burgenland), das zwar „nur“ einen Assistenzzug stellt, aber bereits zwei Kompanien an der burgenländischen Grenze und eine im Kosovo eingesetzt hat.

Die Ausbildung von Rekruten, Kaderanwärtern und Soldaten in der Einsatzvorbereitung wird trotz der aktuellen Umstände so gut wie möglich fortgesetzt. Um das Risiko der Soldaten im Ausbildungsdienst zu minimieren wurden die folgenden Maßnahmen getroffen: Alle Soldaten werden sanitätsdienstlich überwacht, sie halten den Mindestabstand von einem Meter ein, wodurch die Ausbildung ohne Körperkontakt erfolgt, in den Speisesälen wird nur eine Tischseite benutzt und ein großer Abstand eingehalten, Desinfektionsmittel sind jederzeit verfügbar und die Grundwehrdiener werden angehalten, zu Hause zu schlafen. Die gegenwärtige Situation hat auch eine Auswirkung auf die Angelobungen. Diese werden nach wie vor durchgeführt, jedoch nur noch in Kasernen ohne Eltern, Verwandte, Ehrengäste oder der Militärmusik, jedoch mit einem Sicherheitsabstand zwischen den Soldaten.

Miliz im Einsatz

Am 15. März gab die Bundesministerin für Landesverteidigung, Klaudia Tanner, bei einer Pressekonferenz mit Elisabeth Köstinger, die als Landwirtschaftsministerin auch für den Zivildienst verantwortlich ist, die Einberufung der Miliz und die Verlängerung des Grundwehrdienstes (Aufschubpräsenzdienst) zur Bewältigung der Corona-Krise bekannt. Aber nicht nur die Grundwehrdiener müssen ihren Präsenzdienst verlängern, auch die Zivildiener dienen länger. Darüber hinaus rief Köstinger ehemalige Zivildiener dazu auf, einen außerordentlichen Zivildienst zu leisten, um etwaigen Engpässen im Pflege- und Gesundheitsbereich zu begegnen. Eine Einberufung von Teilen der Miliz gab es in der Zweiten Republik noch nie. Diese Maßnahme zeigt, wie ernst die Lage ist, die von der Bundesregierung bereits als größte Herausforderung Österreichs seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bezeichnet wird.

Am 18. März wurde im Ministerrat der Einsatz des ÖBH für vermutlich drei Monate im gesamten Bundesgebiet beschlossen. Zu diesem Zweck wurde ein Personalmix von 50 Prozent Milizsoldaten, 25 Prozent Berufssoldaten und 25 Prozent Grundwehrdienern festgelegt. Der Anteil der Miliz soll etwa 3.000 Soldaten betragen, die ab dem Mai jene Kräfte ablösen sollen, die bis dahin im Einsatz stehen werden. Als Aufgaben der Einheiten im Assistenzeinsatz wurden der vorbeugende Schutz von Rechtsgütern, der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit und von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen sowie anderer Völkerrechtssubjekte, aber auch das Bewachen der kritischen Infrastruktur festgelegt. Der Einsatz findet seine Grundlage im Wehrgesetz (§ 2, Abs. 1, lit. b) und im Sicherheitspolizeigesetz (§ 19: „Aufgaben der ersten allgemeinen Hilfeleistung“ und § 22: „Der vorbeugende Schutz von Rechtsgütern“).

Am 23. März gab Verteidigungsministerin Klaudia Tanner in einer Pressekonferenz, die sie mit Generalstabschef Robert Brieger und dem Milizbeauftragten des Österreichischen Bundesheeres Generalmajor Erwin Hameseder gab, Details zum Einsatz der Miliz bekannt. So soll ab dem 10. April feststehen, welche Einheiten in den Einsatz gehen werden, deren Soldaten ab Mitte April einen Einberufungsbefehl erhalten werden. Sie sollen ab dem 4. Mai zu einer etwa zweiwöchigen Einsatzvorbereitung einrücken und ab dem 18. Mai in den Einsatz gehen. Bei dieser Pressekonferenz betonten die Verantwortlichen, dass bei der Teilmobilmachung die Interessen der Unternehmen, Milizsoldaten und der Bevölkerung nach Schutz und Hilfe so gut wie möglich berücksichtigt werden sollen.

Ausblick

Die Entwicklung der Lage an der „Corona-Front“ lässt sich aktuell nicht einschätzen. Zurzeit scheint die Strategie der Bundesregierung aufzugehen. Diese verfolgt das Ziel, die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und möglichst viele Menschen – vor allem Angehörige von gefährdeten Gruppen – zu schützen. Mit den umfassenden und für die Bevölkerung einschneidenden Anstrengungen und Maßnahmen soll eine Situation, wie sie derzeit in Südeuropa zu beobachten ist, vermieden werden. Dort musste das Militär in Bergamo (Italien) bereits für den Abtransport von Leichen eingesetzt werden und in der spanischen Hauptstadt Madrid wird gegenwärtig sogar eine Eishalle als Leichenhalle verwendet, da die Kapazitäten der Bestatter nicht mehr ausreichen. Unabhängig von den zukünftigen Entwicklungen wird das ÖBH auch in den kommenden Wochen als strategische Reserve der Republik ein breites Aufgabenspektrum wahrnehmen und damit Schutz und Hilfe für die Bevölkerung in dieser außergewöhnlichen Situation gewährleisten.

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.

 

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