• Veröffentlichungsdatum : 19.03.2024
  • – Letztes Update : 14.05.2024

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  • 1637 Wörter

Diagnose mit Telemedizin

Romina Nemecek

Die Welt ging mit der COVID-19-Pandemie auf Abstand: Home-Office, Distance Learning und Social Distancing waren Teil des Lebens. Der militärmedizinische Alltag wurde digitaler. Das Bundesheer führte die fachärztliche Expertise bei Erkrankungen der Haut via Telemedizin ein. Dem Truppenarzt steht damit ein „Tool“ zur Diagnose und Therapie von Hauterkrankungen zur Verfügung.

Die Telemedizin – ein Sammelbegriff für die Vernetzung von Patienten und Gesundheitsdienstleistern mit Informations- und Kommunikationstechnologien – ist keineswegs neu. Diesem Versorgungskonzept wird bereits seit Jahren intensiv nachgegangen. Im Fokus stehen dabei die Durchführbarkeit und die Kosten-
Nutzen-Effizienz. Die Telemedizin eignet sich zur Fernüberwachung (Telemonitoring) chronischer Erkrankungen und für die flächendeckende Bereitstellung fachärztlicher Expertise mittels Telekonsultationen (auch für das Einholen einer Zweitmeinung). Die Telemedizin hat den Vorteil, dass sie eine digitale  „Rund-um-die-Uhr“-Betreuung möglich macht, die Krankenhaus- bzw. Ambulanzressourcen schont und Zeit spart.

Die Herausforderungen der Telemedizin sind bis dato die Finanzierung der benötigten Hard- und Software, der Datenschutz sowie eine entsprechende Honorierung durch die zuständigen Krankenversicherungen. Zudem können viele Bereiche der Medizin telemedizinisch unterstützt, aber keinesfalls abgedeckt werden.

Etablierung von Hard- und Software

Das Forschungsprojekt „Telemedizin – Fachärztliche dermatologische Betreuung im Inland und im Auslandseinsatz“ wurde in der Abteilung für Dermatologie und Tropenmedizin (Sanitätszentrum Ost) durchgeführt. Darin wurden die technischen Gegebenheiten für Telemedizin erhoben, erprobt und schließlich in den Routinebetrieb aufgenommen.

Zunächst wurde ein positives Ethikvotum für die Erprobung im In- und Ausland eingeholt, danach ein telemedizinfähiges, webbasiertes Patientendokumentationssystem ausgewählt und dieses schließlich mit dem Datenschutzbeauftragten sowie mit der Abteilung für Informations- und Kommunikationstechnologie Systeme (IKTS) des Bundesheeres evaluiert und als geeignet eingestuft.

Um die Dokumentation von Hautveränderungen jederzeit und überall gewährleisten zu können, wurden dienstliche Smartphones zugewiesen. Über diese kann in das geschützte Patientendokumentationssystem eingestiegen und eine elektronische Patientenakte angelegt werden. Wird in weiterer Folge ein Foto aufgenommen, so ist das über die Kamerafunktion im Browser möglich und gewährleistet eine direkte Zuordnung des Fotos, inklusive Datum und Uhrzeit, zum Patienten. Ein weiterer Vorteil ist, dass es zu keiner Zwischenspeicherung der Fotos auf dem mobilen Endgerät kommt, da diese über die Kamerafunktion direkt auf den Server hochgeladen werden. Die nun entstandene elektronische Patientenakte kann gesichert und zur Konsultation an die dermatologische Ambulanz geschickt werden. Die Begutachtung der Patientenakte durch die zuständigen Dermatologen kann zeitunabhängig erfolgen – dauert in der Regel jedoch nicht länger als einen Tag. Wie die elektronische Patientenakte aussieht, zeigt beispielhaft der Screenshot in der Abbildung. Diese Art der Konsultation kann auch für die Ausbildung von Fachärzten und Studenten herangezogen werden und eignet sich auch zur Dokumentation seltener Krankheitsbilder.

Dermatologie

Das Fachgebiet der Haut- und Geschlechtskrankheiten ist sehr optisch orientiert, weswegen Teledermatologie bereits von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) empfohlen wird. Besonders geeignet für die Telemedizin sind Hauterkrankungen wie die Schuppenflechte (Psoriasis) und Neurodermitis, aber auch in der Hautkrebsvorsorge wird die Technik zum Einholen einer Zweitmeinung befürwortet.

Internationale Einsätze

Im Bundesheer macht die Teledermatologie Sinn: Es existiert aktuell österreichweit nur eine einzige fachärztliche Abteilung (Abteilung für Dermatologie und Tropenmedizin im Sanitätszentrum Ost), an der Patienten mit Hauterkrankungen begutachtet und behandelt werden können. An allen anderen Standorten werden diese Patienten an externe, zivile Gesundheitseinrichtungen überwiesen oder Konsiliarärzte (Konsilium ist eine patientenbezogene Beratung von Ärzten durch den entsprechenden Facharzt) hinzugezogen. Gerade in den Einsatzgebieten des Bundesheeres fern der Heimat steht in der Regel kein Hautarzt zur Verfügung. Eine teledermatologische Konsultation durch den vor Ort eingesetzten Truppenarzt mit einem Facharzt aus dem Heimatland wäre daher erstrebenswert. Zudem befinden sich Einsatzräume wie Mali oder der Libanon in Regionen, in denen Hauterkrankungen besonders häufig auftreten können. Für deren Diagnose und Behandlung ist ein fundiertes dermatologisches und tropenmedizinisches Wissen notwendig und mit diesem Wissen kann – durch Telemedizin – ein Facharzt den Arzt vor Ort unterstützen.

Schwachstelle Foto

Neben einer detaillierten Beschreibung der Symptome steht und fällt die Qualität der Telekonsultation mit aussagekräftigen, scharfen Fotos der Hautveränderungen. Die erforderliche Qualität der Fotos scheitert meistens nicht an den technischen Gegebenheiten, sondern am Fotografen. Da es aktuell keine Leitlinien für die klinische Fotografie gibt, wurde in Kooperation mit dem Leiter der Arbeitsgruppe „Teledermatologie der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie“ an der Medizinischen Universität Graz ein Leitfaden in Folder-Form erarbeitet.

Neben den „5 goldenen Regeln der klinischen Fotografie“ finden sich Anregungen für ein sinnvoll strukturiertes Erfragen der Symptome im Folder. Aus praktischen Gründen (gute Verfügbarkeit, ausreichend gute Bildqualität der integrierten Kameras) wurde der Leitfaden für die Fotoaufnahme mit einem Smartphone konzipiert.

Der erstellte Folder ist als Printausgabe sowohl an der Medizinischen Universität Graz als auch an der dermatologischen Ambulanz im Sanitätszentrum Ost und an den teilnehmenden truppenärztlichen Ambulanzen erhältlich. Um bereits den medizinischen „Nachwuchs“ in Richtung Teledermatologie zu sensibilisieren und zu schulen, soll in naher Zukunft ein Ausbildungsmodul „Klinische Fotografie“ an der Gesunden- und Krankenpflegeschule des Österreichischen Bundesheeres angeboten werden. Mit einer solchen Ausbildung wird das Bundesheer österreichweit eine Vorreiterrolle in diesem Bereich übernehmen. Zusätzlich soll dieses Modul die künftigen Sanitätsunteroffiziere dazu motivieren, ihr Wissen an ihrem zukünftigen Arbeitsort (im In- und im Ausland) anzuwenden und weiterzugeben.

Telemedizinisches Foto: Fünf Regeln

1. Gute Beleuchtung:

  • homogenes Licht – am besten Tageslicht;
  • Überbelichtung (Kamerablitz, direkte Sonnenstrahlung) vermeiden.

2. Keine optischen Störfaktoren:

  • Schmuck und Kleidungsstücke entfernen;
  • einfärbigen Hintergrund verwenden.

3. Kein Verwackeln:

  • das Smartphone mit beiden Händen halten.

4. Fokussieren:

  • scharf stellen der zu befundende Stelle auf dem Touchscreen.

5. Aufnahmewinkel:

  • Kamera parallel zur Hautoberfläche halten;
  • neben der Hautveränderung soll gesunde Haut als Referenz zu erkennen sein.

In- und Ausland

Nach einer Evaluierung des telemedizinfähigen Patientendokumentationssystems „4myhealth“ wurde das System in den Routinebetrieb der dermatologischen und tropenmedizinischen Ambulanz des Sanitätszentrums Ost übernommen. Im nächsten Schritt wurde die Anwendung für folgende Kasernen bzw. deren sanitätsdienstlichen Einrichtungen zugänglich gemacht: Sanitätszentrum Süd (Graz), Maximilian-Kaserne (Wiener Neustadt), Benedek-Kaserne (Bruckneudorf) und Dabsch-Kaserne (Korneuburg). Das Feedback der zuständigen Truppenärzte zeigte, dass der Zeitaufwand für die Erstellung der telemedizinischen Konsultation dank der benutzerfreundlichen Anwendung überschaubar blieb. Auch die kurze Einschulungszeit (einmal zwei Stunden) erwies sich als ausreichend, was zusätzlich für die gute Anwendbarkeit des telemedizinfähigen Patientendokumentationssystems spricht. Insgesamt wurde das teledermatologische Angebot im Inland gerne angenommen, wenngleich dies zeitlichen Schwankungen unterworfen war.

In Auslandsentsendungen wurde das teledermatologische Konsil z. B. bei Patienten in Brasilien, Ost-Afrika, Französisch-Guyana, dem Libanon und dem Kosovo genutzt. Ein besonderes Augenmerk lag auf der Gewährleistung des Datenschutzes. Durch die fehlenden Angaben von Patientendaten (Name, Versicherungsnummer etc.) konnte die Anonymität der Patienten sichergestellt werden. Die große Mehrheit, nämlich 80 Prozent der telemedizinischen Anfragen, konnte dank der ausreichend detaillierten Anamnese und Fotodokumentation beantwortet werden. Die fachärztliche Begutachtung übernahmen die Fachärzte des Sanitätszentrums Ost.

Ausgewählte Erkrankungen

  • Beispiel aus Französisch-Guyana;
  • Beispiel aus dem Kosovo;
  • Beispiel aus Tansania (Titelfoto).

Eine 25-jährige tansanische Patientin mit frisch diagnostizierter HIV-Erkrankung klagte über Hautveränderungen. Die kleinen, nur gering schmerzhaften Knötchen waren an beiden Armen sowie im Gesicht aufgetreten. Aufgrund der tropenmedizinischen Expertise der dermatologischen Ambulanz des Sanitätszentrums Ost wurde auch in diesem Fall die passende Verdachtsdiagnose gestellt, nämlich eine Leishmaniose. Diese Erkrankung ist hauptsächlich in den Tropen sowie im östlichen Afrika und im Nahen Osten zu finden. Sie wird durch die Sandmücke – einer Untergattung der Stechmücke – übertragen und bildet im Regelfall eine einzelne, schmerzlose, geschwürige Beule an der Haut aus. Bei Beeinträchtigung des Immunsystems – wie hier durch die HIV-Erkrankung bedingt – kann der Befall wesentlich ausgeprägter sein. Durch den Klimawandel sind Sandmücken auch im Mittelmeerraum und sogar vereinzelt in Österreich anzutreffen. Daher ist das Wissen um diese Erkrankung für den heimischen Truppenschutz von Bedeutung.

Französisch-Guyana

Ein Beispiel aus Französisch-Guyana: Bei einem Soldaten fielen Veränderungen an den Fußsohlen auf. Der Soldat befand sich in der fünften Ausbildungswoche im Dschungel. Zum Zeitpunkt der teledermatologischen Konsultation hatte der Patient noch keine Therapie angewandt. Diese – militärhistorisch gesehen – altbekannte Erkrankung wird „Dschungelfäule“ genannt und entsteht durch die chronische Durchfeuchtung der Füße. Bekannt und gefürchtet wurde diese Krankheit als „Schützengrabenfuß“ (im Englischen „trench foot“) bereits zu den Zeiten der Napoleonischen Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie im Ersten Weltkrieg. Ohne korrekte Diagnose und Behandlung kann es zu einer lebensgefährlichen Infektion der geschädigten Haut kommen. In dem hier vorgestellten Fall konnte die Infektion noch rechtzeitig mit desinfizierenden Fußbädern sowie mit einem konsequenten „Trockenlegen“ der Füße während der Nachtruhe erfolgreich behandelt werden. Bereits nach wenigen Tagen kam es zu einer deutlichen Verbesserung und in weiterer Folge zum Abheilen der anormalen Hauterscheinungen.

Kosovo

Ein Beispiel aus dem Kosovo: Mit einer besonders eindrucksvollen Hautveränderung präsentierte sich ein Soldat in der truppenärztlichen Ambulanz der Austrian/Swiss ROLE I im Camp „Filmcity“ in Pristina. Er gab an, dass er um die Mittagszeit ein „seltsames“ Gefühl an den Füßen verspürt habe, weswegen er die Schuhe wechselte. Am frühen Abend kam ein starker Juckreiz hinzu. Kurz bevor er die Ambulanz aufsuchte, bildeten sich Blasen, und es trat eine starke Rötung auf. Dank der strukturiert geschilderten Anamnese sowie der hoch auflösenden Fotoaufnahmen konnte teledermatologisch die korrekte Diagnose einer Kontaktdermatitis gestellt werden. Die daraufhin durchgeführte Behandlung mit einem Antibiotikum (zur Vermeidung einer bakteriellen Infektion der stark angegriffenen Haut) sowie einer Salbentherapie mit Cortison zeigte sich rasch eine Besserung. Nach einer Behandlungswoche waren nur noch bräunliche Hyperpigmentierungen, bedingt durch die durchlaufene Entzündungsreaktion der Haut, festzustellen.

Ausblick

Wegen der COVID-Pandemie kam es weltweit zum verstärkten Einsatz und zu einer immer größer werdenden Akzeptanz von Telemedizin. Auch im Bundesheer gewinnt die Telemedizin aufgrund der oftmals weiten Entfernung zu den Soldaten immer mehr an Bedeutung. Durch die Telemedizin können auch Soldaten im Auslandseinsatz von dieser schnellen Form der fachärztlichen Expertise profitieren. Die hier vorgestellten Fälle unterstreichen die Durchführbarkeit und Effizienz dieser Herangehensweise. Ausschlaggebend sind jedoch die notwendigen technischen Voraussetzungen (Hard- und Software), eine entsprechende Einschulung der zuständigen Sanitätsfachkräfte sowie eine technisch „motivierte“ Grundeinstellung. Zusätzlich zum Weiterführen der teledermatologischen Konsile sind ein Ausbildungsmodul zur klinischen Fotografie an der Gesunden- und Krankenpflegeschule des Österreichischen Bundesheeres sowie ein internationaler Kongress zum Thema Tropendermatologie geplant. Dieser wird speziell auf die militärischen Anforderungen zugeschnitten sein und leistet einen wertvollen Beitrag zum Truppenschutz.

Hauptmannärztin DDr. Romina Nemecek; Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie Krankenhaushygiene am Sanitätszentrum Ost.


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 1/2024 (396).

Zur Ausgabe 1/2024 (396)


 

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