• Veröffentlichungsdatum : 07.06.2022

  • 7 Min -
  • 1428 Wörter
  • - 9 Bilder

Der Einsatz von Drohnen im Ukraine-Krieg

Markus Reisner

Bei der Beobachtung des Krieges in der Ukraine liegt der Fokus oft auf den Landstreitkräften, auf Panzern und ballistischen Raketen. Eine umfassende Analyse muss aber auch den Einsatz von Drohnen berücksichtigen. – Dieser ist als Teil der modernen Kriegsführung nicht mehr wegzudenken.

Der Begriff „Drohne“ deckt ein großes Spektrum an unbemannten Flugobjekten ab. Dieser reicht von kleinen, handelsüblichen Drohnen (z. B. chinesische DJI-Drohnen) bis hin zu militärischen Drohnen in der Größe von Verkehrsflugzeugen. Die Einteilung kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgen, wie

  • Gewicht,
  • Leistungsfähigkeit,
  • Distanz,
  • Größe oder
  • Art (Flächenmodell oder Helikopter mit Rotoren).

Die Drohne RQ-4B GLOBAL HAWK mit der Größe eines Verkehrsflugzeuges wird beispielsweise der Klasse 3 zugeordnet und von der USA und der NATO eingesetzt. Sie spielt auch im Ukraine-Krieg eine Rolle, da sie beispielsweise im Schwarzen Meer zur Aufklärung der russischen Streitkräfte im Süden der Ukraine eingesetzt wird.

Bei Drohnen gilt: Je kleiner, desto günstiger und geringer der technische Aufwand. Je größer, desto höher der Aufwand und Preis – dafür gibt es ein breiteres Spektrum an Einsatzmöglichkeiten. Je nach Einsatzart entscheidet sich auch, ob man eine Aufklärungs- oder eine bewaffnete Drohne verwendet. Reine Aufklärungsdrohnen können sich die ukrainischen Streitkräfte (beispielsweise durch Crowdfunding) selbst beschaffen. Größere, militärische Drohnen, die auch bewaffnet werden können, werden vor allem durch Waffenlieferungen anderer Nationen ins Land gebracht.

Welche Drohnen setzt Russland ein?

Die russischen Streitkräfte verfügen über verschiedene Drohnen der Klassen 1, 2 und 3, wie taktische und kleinere Drohnen (z. B. FORPOST oder ORLAN10), aber auch größere Modelle (z. B. ORION, vergleichbar mit PREDATOR der US-Streitkräfte). Diese Drohnen kamen bereits in Syrien, aber auch in der Ukraine seit 2014 zum Einsatz. So klärten russische Drohnen (z. B. FORPOST) bereits 2014 ukrainische Streitkräfte in Grenznähe auf, um sie dann durch den Einsatz von Artillerie und Mehrfach-Raketenwerfern gezielt zu bekämpfen.

Russland setzt darüber hinaus Loitering Munition bzw. Loitering Weapons – auch Kamikaze-Drohnen genannt – ein. Dabei handelt es sich um Lenkwaffen, die ohne bestimmtes Ziel gestartet werden und dann bis zur Erfassung eines Zieles über diesem kreisen (Anm.: „herumlungern“ oder auf Englisch „loiter“). Lokalisieren sie ein Ziel, schlagen sie zu. Im Ukraine-Krieg setzte Russland beispielsweise das Modell KUB-BLA in Kiew ein. Drohnenaufklärung in Kombination mit Artilleriefeuer erwies sich für Russland als effektiv. Elektronische Kampfführung (EloKa) mit der Unterstützung von Drohnen kann aber auch anders aussehen. So kam die ORLAN10 beispielsweise als Teil eines Komplexes der EloKa zum Einsatz, mit der gezielt Nachrichten versendet wurden.

Welche Drohnen setzt die Ukraine ein?

Aus dem Einsatz von Drohnen gegen ihre Streitkräfte konnte die Ukraine lernen und ihre Fähigkeiten in Bezug auf Resilienz bzw. Einsatz von Drohnen verbessern. Sie verfügt über einige Drohnenmodelle der Klasse 1 und 2, erhält seit Kriegsbeginn aber auch Spenden bzw. Lieferungen anderer Systemen (z. B. QUANTIX-RECON oder VECTOR).

Die Ukraine beschaffte beispielsweise das türkische Modell BAYRAKTAR TB2. Dieses zeichnet sich durch sein kleines, kompaktes Design und die Fähigkeit zum Mitführen von Luft-Boden-Raketen aus. BAYRAKTAR TB2 kann Raketen der MAM-L, MAM-C und MAM-T (Mini Akilli Mühimmat – Smart Micro Munition für Drohnen) einsetzen. Im Jahr 2020 wurden die türkischen Drohnen erstmals eingesetzt, als die Ukraine damit Radarstationen auf der Krim beobachtete. Ein Jahr später beschoss man mit der BAYRAKTAR TB2 eine Artilleriestellung in den Separatistengebieten der Ostukraine. Auch seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 bekämpft diese Drohne Ziele auf russischer Seite.

Die Ukraine verfügt zudem über Loitering Munition, wie das polnische Modell WARMATE. Diese Drohne stürzt sich selbst in ein Ziel und zerstört dieses durch den Einschlag. Der Gefechtskopf erlaubt es sogar starke Panzerungen zu durchschlagen. Erwartet wird die Anlieferung von Modellen der NATO und der USA. Konkret handelt es sich um die Systeme SWITCHBLADE 300 oder 600 (befinden sich in Zulieferung in den Donbass) und PHOENIX GHOST. Beide Systeme könnten einen großen Effekt auf dem Gefechtsfeld erzielen.

Taktik: Möglichkeiten des Drohneneinsatzes

Die Einsatzmöglichkeiten von Drohnen sind vielfältig. Folgende zehn Taktiken werden häufig angewandt:

  • Recce/Support
  • Targeted Strike
  • Area Strike
  • Strike (unguided)
  • Strike (guided)
  • Strike (loitering)
  • Strike (long range)
  • Strike (high-value targets)
  • Electronic warfare
  • Schwarm

Recce/Support

Klassische Aufklärung. Beispiel: Die Drohne des Typs ZALA unterstützt die russischen Streitkräfte indem sie ein verbessertes Lagebild liefert.

Targeted strike

Gezielter Einsatz von Artillerie auf Basis der erflogenen Daten. Beispiel: Eine Drohne klärt ein Ziel auf und die Artillerie-Granate schlägt gesteuert dort ein. Unter Umständen beleuchtet die Drohne das Ziel sogar. Dafür eignen sich eine ganze Reihe von Modellen, wie etwa das handelsübliche Mavic Pro System.

Area strike

Einsatz der Drohne zur Aufklärung für Artilleriesysteme, die eine Flächenwirkung erzielen. Beispiel: Die russische FORPOST-Drohne generiert Daten, auf deren Basis danach eine Artilleriebatterie (z.B. 2S19-Geschütze) ein Ziel bekämpfen kann.

Strike (unguided)

Drohne wird mit Abwurfkörpern beladen. Beispiel: Die Ukraine verwendete in den ersten Kriegswochen Multicopter, die mit Abwurfmitteln versehen wurden. Mit einer entsprechenden Durchschlagsleistung war es sogar möglich mechanisierte Ziele zu zerstören.

Strike (guided)

Flächendrohne mit Zuladung, mit der gezielte Angriffe geflogen werden. Beispiel: Die von der Ukraine eingesetzte Drohne UKRJET-22.

Strike (loitering)

Drohne, die sich selbst in das Ziel stürzt und es beim Einschlag zerstört. Beispiel: Die von der Ukraine entwickelte Loitering Munition (z. B. ST-35) hat eine Durchschlagsleistung, mit der selbst starke Panzerungen zerstört werden können.

Strike (long range) 

Drohnensysteme, deren mitgeführte Luft-Boden-Raketen Ziele über eine weite Distanz bekämpfen können. Beispiel: Die BAYRAKTAR TB2-Drohne, die nur schwierig erkannt wird, da sie klein und kompakt ist und einen geringen Radarquerschnitt hat. Dadurch erfolgt der Einschlag der Rakete überraschend, wenn der Gegner diese nicht detektieren kann.

Strike (high-value targets)

Die Drohne wird verwendet, um ein bestimmtes Ziel über längere Zeit aufzuklären und dann präzise zuzuschlagen. Beispiel: Die russische ORION-Drohne eignet sich mit ihrer Luft-Boden-Rakete für den Angriff auf ein Hochwert-Ziel. Indizien dafür gab es beim Einsatz im Raum Kiew. Hier sah man den ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj mehrmals vor einem Blue Screen auftreten. Das deutete darauf hin, dass er nicht ins Freie ging, um den russischen Drohnen nicht als High-Value-Target zu dienen.

Electronic warfare

Drohne als Plattform bzw. Teil der elektronischen Kampfführung. Beispiel: Die russische Drohne ORLAN10 fungiert wie ein fliegender Handymast als Teil des Komplexes für EloKa RB341. Handys können sich erzwungenermaßen in die Drohne einwählen und diese nutzen, um gezielt entsprechende Nachrichten zu versenden.

Schwarm

Einsatz mehrerer Drohnen in einem Schwarm. Wenn die Drohnen miteinander kommunizieren, spricht man von einem intelligenten Schwarm. Wenn mehrere Drohnen gleichzeitig eingesetzt werden, macht es vor allem die Masse möglich, das Ziel zu erreichen. Beispiel: Möglicherweise werden die ukrainischen Streitkräfte die SWITCHBLADE- oder PHOENIX GHOST-Drohnen in hoher Zahl einsetzen, um damit die gegnerischen Abwehrsysteme zu überfordern und sich einen Vorteil am Gefechtsfeld zu verschaffen. Der Einsatz von Drohnen im Schwarm könnte also ein taktischer „Gamechanger“ sein.

„Gamechanger“ in der Kriegsführung?

Der Einsatz von Kamikaze-Drohnen (Loitering Munition) in Schwärmen lässt die Frage entstehen, ob der Panzer auch in Zukunft noch eine Bedeutung auf dem Gefechtsfeld haben wird. Tatsächlich ist es so, dass Panzer nach wie vor die einzige Möglichkeit darstellen, Gelände in einer Kombination aus Panzerung, Feuerkraft und Beweglichkeit in Besitz zu nehmen. Um das auch in Zukunft zu können, müssen sie gegen Drohnen-Bedrohungen entsprechend geschützt werden, z. B. mechanisierte Verbände auf dem Marsch zum Angriffsziel. Die Herausforderung besteht unter anderem im sehr kleinen Radarquerschnitt von Kamikaze-Drohnen. Alle mitfahrenden Systeme der Abwehr müssen dennoch in der Lage sein, Drohnen zu erkennen und entgegenzuwirken. Werden viele Drohnen gleichzeitig eingesetzt, müssen die Abwehrsysteme so gestaltet sein, dass diese bekämpft werden können. So kann der Panzer in Zukunft seine Bedeutung behalten. Ein Beispiel dafür ist das TOR M1-System der Russen, das auch in der Ukraine eingesetzt wird. Dieses wurde aufgrund der Erfahrungen in Syrien nachgerüstet, um speziell gegen kleine Drohnen eingesetzt zu werden.

Ein weiterer Faktor ist die Komplexität von Drohnen. Die russische ORLAN10-Drohne hat beispielsweise sehr einfach gestaltete Bauteile, die Großteils aus dem zivilen und nicht dem militärischen Bereich stammen. Das hat Vor- und Nachteile. So erreichen sie möglicherweise nicht die Qualität militärischer Bauteile, können aber einfach mit handelsüblichen Produkten erzeugt (z.B. chinesischer Motor, Bauteile auf dem Modellflug) und zu einer leistungsfähigen militärischen Drohne adaptiert werden. Derartige Systeme können kaum durch Sanktionen „bekämpft“ werden, weil die Bauteile im zivilen Bereich erhältlich sind.

Fazit

Am Beispiel des Ukraine-Krieges zeigt sich die Transformation der modernen Kriegsführung. Drohnen können sowohl bei der Aufklärung als auch beim Angriff den entscheidenden Vorteil am Gefechtsfeld bringen. Gleichzeitig ergeben sich aber Herausforderungen in Bezug auf Beschaffung, Bedienung und Einsatz. Zudem eröffnet sich ein ethisches und moralisches Dilemma, wenn derartige System in zukünftigen Versionen auch autonom – ohne menschliches Zutun – Aktionen durchführen. Das humanitäre Völkerrecht beispielsweise geht bisher noch nicht explizit auf solche Waffen ein.

Literaturempfehlung: Robotic Wars 

Oberst dG Dr. Markus Reisner, PhD; Leiter der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)