• Veröffentlichungsdatum : 22.07.2021

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Befragung zum „Annus horribilis“ 2020

Gloria Straub

Ende 2019 ahnte wohl noch niemand, dass sich eine der größten Pandemien der Geschichte ankündigt. Und doch nahm COVID-19 seit Ausbruch Ende 2019 pandemische Ausmaße an und wurde zu einem festen Bestandteil des Alltags. Anfangs noch als Ausnahmezustand wahrgenommen, entwickelte sie sich zu einer „neuen Normalität“ (vgl. TD-Heft 373, S. 229).

Notfallpsychologische Konzepte zeigen, dass Betroffene, die mit enormen Umstellungen in ihrem täglichen Leben konfrontiert werden, oftmals ihre fundamentalen Bedürfnisse nach einer sicheren, geordneten Welt nicht mehr erfüllen können. Ausschlaggebend dabei ist, dass eine Situation für sie nicht mehr kontrollierbar ist. Ähnlich wie ein Notfallereignis sich außerhalb des emotionalen und kognitiven Bezugsrahmens einer Person befindet, ist auch eine Pandemie eine Situation außerhalb des alltäglichen Wahrnehmungsspektrums.

Assistenzeinsätze durch COVID-19

Durch COVID-19 ergab sich ein hoher Bedarf an Assistenzeinsätzen für das Österreichische Bundesheer. Darüber hinaus wurde erstmals seit Gründung der Zweiten Republik die Miliz zu einem Einsatz einberufen. Bedienstete leisteten und leisten ihren Beitrag zur Bekämpfung der Auswirkungen der Pandemie. Manche Personen sind dabei einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt.

Besondere Herausforderungen von militärischen Arbeitsbedingungen

Militärische Arbeitsbedingungen bringen naturgemäß besondere Herausforderungen mit sich, wobei es kaum möglich ist, sie zu minimieren oder gänzlich zu vermeiden. Darüber hinaus ist militärisches Personal oft mit Erlebnissen konfrontiert, die negative Folgen mit sich bringen können. In der Psychologie spricht man von „potenziell traumatischen Ereignissen“ (PTE). Diese können sich negativ auf die psychische Fitness auswirken. Die Beeinträchtigungen der Pandemie können derartige Stressoren verstärken, wodurch die psychische Gesundheit erheblich belastet wird. Dauer und Krankheitswellen der Pandemie verstärken diese negativen Auswirkungen zusätzlich.

Anstieg psychischer Beanspruchung

In einer durch das Kommando Streitkräfte und dem Psychologischen Dienst zwischen 15. Mai und 10. Juni 2020 durchgeführten Befragung konnten Daten von 727 Personen, die zu diesem Zeitpunkt im Einsatz waren, gewonnen werden (Rücklauf: 24 Prozent). Die Befragung ermittelte unter anderem, wie häufig PTE während des Einsatzes erlebt wurden. Es zeigte sich, dass sieben Prozent der Personen im Einsatz mindestens ein solches Erlebnis erfahren hatten. Vergleicht man diesen Wert mit früheren Studien des Bundesheeres, so zeigt sich, dass der Wert in einem niedrigen Bereich liegt. Möglicherweise stellen durch COVID-19 bedingte Einsätze zwar spezielle Anforderungen an das Personal, jedoch sind sie nicht mit anderen Einsätzen in heikleren Einsatzräumen oder mit speziellen Umständen (z. B. Einsätze während der Migrationswelle 2015) vergleichbar, bei den häufiger von PTE berichtet wurde. Es könnte auch sein, dass die Bediensteten durch die „unsichtbare Bedrohung“ von COVID-19 weniger mit tatsächlich „greifbaren“ Erlebnissen (z. B. dem Erleben von schweren Krankheitsverläufen oder Versterben) konfrontiert waren als das medizinische Personal im zivilen Bereich. Zu beachten ist außerdem, dass Einsatzpersonal durch seine spezielle Ausbildung für negative Ereignisse, die berufsbedingt erlebt werden können, sensibilisiert wird, wodurch auch die Resilienz steigt.

Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die Pandemie durchaus negative Auswirkungen auf die mentale Fitness aufweisen kann. So fühlten sich 13 Prozent der Befragten durch Konzentrationsschwierigkeiten, 29 Prozent durch Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, 39 Prozent durch ein vermehrtes Schlafbedürfnis sowie neun Prozent durch eine erhöhte Ängstlichkeit beeinträchtigt, seit sie im Einsatz waren.

In der Statistik des Helpline-Service des Psychologischen Dienstes erhöhte sich 2020 die Anzahl der Anrufe. Waren es 2019 rund 250 Anrufe, so gingen 2020 etwa 400 Telefongespräche ein. Eine mögliche Interpretation könnte eine stärkere Unsicherheit und damit einhergehende psychische Beeinträchtigung der Bediensteten aufgrund der Pandemie sein.

Ausblick

Durch die Verfügbarkeit von Impfstoffen gibt es mittlerweile einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Wie lange die Pandemie noch andauert, ist noch nicht absehbar. Bis dahin kommt der Aufrechterhaltung der psychischen Fitness und Resilienz eine hohe Bedeutung zu. Um bestmöglich auf den Bedarf der Bediensteten eingehen zu können, wäre es von großem Interesse, bei zukünftigen Studien den Fokus stärker auf psychologische Resilienzfaktoren zu richten.

Kommissär Mag. Gloria Straub, Militärpsychologin im Heerespsychologischen Dienst

 

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