• Veröffentlichungsdatum : 14.03.2022
  • – Letztes Update : 16.03.2022

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ABC-Risikoanalyse - Planungsverfahren

Bernhard Traxl

Die Soldaten des Bundesheeres sind mit vielen verschiedenen ABC-Bedrohungen konfrontiert. Das Bedrohungsbild ABC-Abwehr geht daher weit über die klassische Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen hinaus. Chemische Waffen wurden von fast allen Staaten vernichtet, dennoch gibt es Reststände. So tauchten in den letzten Jahren immer wieder z. B. Nowitschok und VX bei Anschlägen auf. Auch die Entwicklung kleinerer nuklearer Gefechtsköpfe mit geringerer Zerstörungskraft lässt die Hemmschwelle für einen Einsatz von „Mini-Nukes“ sinken. Die Corona-Pandemie lässt erahnen, welche Auswirkungen eine bewusste Freisetzung eines biologischen Kampfstoffes mit sich bringen würde.

Neben ABC-Kampfmitteln stellt auch die große Anzahl von Betrieben, die gefährliche Stoffe erzeugen, lagern oder verarbeiten, eine potenzielle Bedrohung dar. Durch die bewusste oder unabsichtliche Freisetzung von Gefahrstoffen, können die eigenen Kräfte oder die eigene geplante Einsatzführung betroffen sein. Das tatsächliche, mit derartigen ABC-Objekten verbundene Risiko, kann nur durch eine gründliche Analyse ermittelt werden. ABC-Risikoobjekte (RObj) sind alle ober- und unterirdischen Gebäude, Anlagen, Fabriken, Lager- und Produktionsstätten sowie verlegbare Komponenten, von denen die Gefahr einer Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen ausgeht. 

Die ABC-Abwehr steht einer großen Anzahl von Bedrohungen gegenüber. Diese gehen unter anderem von Einzelpersonen, Gruppierungen, Konfliktparteien und ABC-Risikoobjekten aus. Dadurch ergeben sich folgende Fragestellungen: 

  • Welches Risiko ist am höchsten? 
  • Was beeinflusst meine Handlungsfreiheit am stärksten? 
  • Was verursacht den größten Schaden an der Gesundheit und an der Umwelt und welche Maßnahmen müssen getroffen werden?

Das Ziel der ABC-Risikoanalyse ist es, der ABC-Fachberatung, den ABC-Abwehroffizieren und dem ABC-Reachback/ABCAbwZ eine Verfahrensweise zu geben, um die Bedrohungen richtig beurteilen zu können.

Die vorgestellte Methode ist ein Leitfaden, der sich am normierten Risikomanagementprozess (RM-Prozess) orientiert, aber dem taktischen Führungsverfahren folgt. Dadurch entsteht ein Werkzeug, das sich in den militärischen Bereich integrieren lässt und zu effizienten sowie effektiven Maßnahmen führt. Die grafische Darstellung der Risiken anhand einer Matrix bietet die Möglichkeit, ein sofortiges Bewusstsein für eine Bedrohungslage zu schaffen.

Das Verfahren wird angewendet, wenn ausreichend Zeit für eine Erkundung und Analyse vorhanden ist. Es dient sowohl der Einsatzvorbereitung im In- und Ausland als auch der Beurteilung der Lage im Einsatzraum. Für Beurteilungsverfahren unter Zeitdruck existiert ein vereinfachter Leitfaden. 

Das taktische Führungsverfahren ist die Basis für die Implementierung von Arbeitsschritten aus dem RM-Prozess. Durch die ABC-Risikoanalyse sollen 

  • die Schritte des taktischen Führungsverfahrens nicht durcheinandergebracht und 
  • die Entscheidungsfindung wesentlich verbessert werden. 

Voraussetzung für vorhandene Risiken ist eine Überschneidung der Faktoren Bedrohung, Verwundbarkeit und Kritikalität. Anstelle der Kritikalität wird auch die Bezeichnung „Schutzobjekt“ oder „Sachwert“ verwendet.

Kritikalität

Sobald eine erkannte Bedrohung auf eine passende Verwundbarkeit trifft, muss der Faktor Kritikalität betrachtet werden. Bei diesem Schritt wird überprüft, ob das Risiko, das aus Bedrohung und Verwundbarkeit entstanden ist, tatsächlich Relevanz besitzt. Diese kann sich dadurch ausdrücken, dass das Risiko zum Beispiel die eigene Handlungsfähigkeit bei einer militärischen Aktion einschränkt. Sollte dies nicht der Fall sein, besteht kein Handlungsbedarf. Kriterien für die Kritikalität sind: 

  • Auswirkung auf die eigene Absicht;
  • Art und Dauer der Beeinträchtigung;
  • Erkennbarkeit der Auslösung des ABC-Ereignisses;
  • Grad der Gesundheitsgefährdung;
  • Größe des Schadens für die Umwelt;
  • Dauer der Beeinträchtigung der Infrastruktur;
  • Schädigung der eigenen Reputation;
  • Auslösung von Sekundärrisiken;
  • Kosten und Aufwand für die Wiederinstandsetzung. 

 

Eintrittswahrscheinlichkeit

Ein entscheidender Faktor ist die Eintrittswahrscheinlichkeit, deren Ermittlung höchste Bedeutung zukommt. Es ist allerdings nicht einfach, diesen Wert zu berechnen. Klassische Risiken sind im Gegensatz zu solchen mit unbekannten oder unbestimmten Variablen, einfach zu berechnen, weil alle Faktoren oder Umstände bekannt sind. Ein Beispiel dafür sind Glücksspiele. Es ist auch möglich, anhand von Fehler- und Störanfälligkeitsanalysen die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Anlagen zu berechnen. 

 

Bedrohung

Unter einer Bedrohung ist eine nicht näher bestimmte Situation zu verstehen, bei der ein Schaden oder eine negative Entwicklung zu erwarten ist. Im Zuge der Risikoidentifikation sind möglichst alle Bedrohungen zu erkennen. Dabei sollen auch jene nicht ausgelassen werden, die als zu gering oder als unwahrscheinlich beurteilt werden. Erst durch die anschließende Risikoanalyse erfolgt die Zuordnung dieser Werte.

 

Verwundbarkeit

Der Begriff Verwundbarkeit als direkte Übersetzung der englischen Bezeichnung 
„vulnerability“ ist wenig zufriedenstellend. Die Verwundbarkeit ist nicht nur dadurch ausgedrückt, wie schwach oder wenig eine Anlage gegen Angreifer geschützt ist. Vielmehr sollen auch die Störanfälligkeit oder die Abhängigkeit von der externen Infrastruktur sowie die Ausgesetztheit gegenüber Bedrohungen oder möglicherweise sogar der symbolische Charakter eines Gebäudes berücksichtigt werden. Was passiert innerhalb des Betriebes, wenn zum Beispiel der Strom ausfällt? Die Frage nach der Verwundbarkeit ist auch die Frage danach, wie etwas schiefgehen oder sabotiert werden könnte.

An die Grenzen der Mathematik stößt man spätestens bei komplexen Systemen. Diese können kaum vorhergesehen werden und erzeugen bei nahezu identischen Ausgangspunkten unterschiedliche Situationen. Aus diesem Grund können derartige Systeme nicht berechnet, sondern nur mit Modellen simuliert werden. Ein Beispiel dafür ist die Wettervorhersage. 

Eine weitere Tücke der Wahrscheinlichkeitsrechnung zeigt sich bei seltenen Ereignissen. Die Aussage, dass ein Ereignis vermutlich nur einmal in zehn Jahren eintritt, ist für ein militärisches Vorhaben unbefriedigend. Auf Basis dieser Erkenntnisse steht die Berechnung nicht im Vordergrund der ABC-Risikoanalyse. Vielmehr wird über eine qualitative Beschreibung der Faktoren eine Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelt. So lässt sich bei einer maroden Fabrikanlage – im Umfeld einer störanfälligen Infrastruktur – in Bezug auf den Austritt von ABC-Gefahrstoffen ein höherer Wert zuordnen als bei einer gut geführten, dem Stand der Technik entsprechenden Anlage. 

Die Ermittlung der Störanfälligkeit bzw. Verwundbarkeit von ABC-Risikoobjekten spielt daher eine wichtige Rolle bei der Festlegung des Risikos. Ein detaillierter Erkundungsleitfaden für die Schwachstellenanalyse vor Ort soll es auch weniger geübten Personen erlauben, die Störanfälligkeit zu ermitteln. Zudem muss bei solchen Aufgaben die Unterstützung durch ein Reachback-Team sichergestellt sein. Dadurch werden vergleichbare Werte erhoben und reproduzierbare Ergebnisse erzielt. Beim Festlegen der Eintrittswahrscheinlichkeit ist der Zeitraum, für den die Aussage gemacht wird, anzugeben.

 

Auswirkung und Schaden

Neben der Eintrittswahrscheinlichkeit wird zum Darstellen einer Risikomatrix auch die Beschreibung der Auswirkung und des Schadens benötigt. Es geht bei den Auswirkungen nicht nur um finanzielle Schäden. So kann für ein Unternehmen, das in der Öffentlichkeit steht, ein Reputationsverlust schlimmere Auswirkungen haben als finanzielle Einbußen. Mögliche Schadenskategorien sind daher:

  • finanzieller Schaden;
  • gesundheitlicher Schaden;
  • Umweltschäden;
  • Schäden an der Infrastruktur;
  • Reputationsschaden;
  • Verlust von Integrität oder Vertrauens;
  • Auswirkung auf die Zielerreichung;
  • Auswirkung auf die Strategie.

In weiterer Folge werden die einzelnen Stufen jeder Schadenskategorie beschrieben. Es gilt festzulegen, welche Auswirkung als katastrophal zu bezeichnen ist oder welcher Schaden zu vernachlässigen wäre. 

Die Darstellung mittels einer Risikomatrix bietet den Vorteil, dass Risiken oberhalb der Toleranzschwelle leicht erkannt werden können. An der Toleranzgrenze orientieren sich die zu treffenden Maßnahmen. Aus militärischer Sicht wird vermutlich die Auswirkung auf die Auftragserfüllung im Vordergrund stehen.

Orientierung

Welcher Zahlenwert wird welchem Schaden zugeordnet? Gerade bei der Beschreibung der Schadensklassen lässt sich der „Risikoappetit“ der Führung am besten ablesen. So mag in einer kritischen militärischen Auseinandersetzung die dauerhafte gesundheitliche Schädigung eines Soldaten ein akzeptables Risiko darstellen, darf aber bei einem Einsatz niedriger Intensität nicht in Kauf genommen werden. Vieles hängt also von der jeweiligen Aufgabe ab. Die Festlegung der Schadenskategorien und der Toleranzgrenzen gehört zu den Tätigkeiten, die während der Orientierungsphase abgeklärt und durchgeführt werden müssen.

 

Lagebeurteilung

Zu diesem Zeitpunkt steht die Absicht der Konfliktparteien im Mittelpunkt. Abgestützt auf die vermutliche Feindabsicht im Großen, konzentriert sich der ABC-Fachdienst auf die Möglichkeiten der Konfliktparteien und darauf, welche negativen Auswirkungen durch einen Einsatz von ABC-Kampfmitteln entstehen würden. 

Die Bedrohung durch die Konfliktparteien wird ermittelt, indem die Werte (Absicht und Möglichkeiten) in eine Risikomatrix eingetragen werden. So ergibt sich ein Zahlenwert oder Farbcode von eins bis fünf, der die Höhe der Bedrohung festlegt. Sollte eine Konfliktpartei über mehrere unterschiedliche ABC-Kampfmittel verfügen, ist für jedes Kampfmittel die Bedrohungsstufe einzeln zu ermitteln.

Nachdem ein Wert für die Bedrohung durch die Konfliktpartei (KP) analysiert ist, muss die Auswirkung der eingesetzten ABC-Kampfmittel ermittelt werden. Entscheidende Faktoren sind die Menge und Art des Kampfmittels sowie die Ausbringungsmöglichkeiten. Durch Ausbreitungsprognosen, wie das im Bundesheer eingeführte ABC-Informationssystem (ABC-IS), ist es möglich vorherzusagen, wo mit Einschränkungen (Schutzmaßnahmen, Bewegungsfreiheit, Dekontaminationsmaßnahmen usw.) aufgrund von Kampfstoffen zu rechnen ist. Durch die Ermittlung der Auswirkung ist erstmalig die Bestimmung des tatsächlichen Risikos möglich. Dazu wird der ermittelte Wert aus der Konfliktpartei-Bedrohungsanalyse zusammen mit dem Wert für die Auswirkung in die Risikomatrix eingesetzt.

Der letzte Schritt ist die Prüfung auf Kritikalität. Dabei wird anhand der Karte geprüft, ob die ermittelten Risiken in räumlicher und zeitlicher Hinsicht einen Einfluss auf die eigene Kampf- führung haben. Prioritär sind jene Risiken, die sich im nicht tolerierbaren Bereich befinden, zu betrachten. Wird festgestellt, dass ein Einfluss auf die eigene Handlungsfreiheit existiert, sind diese mit Priorität 1 zu behandeln. Risiken, die aufgrund der hohen Auswirkung nicht vernachlässigt werden dürfen, werden mit Priorität 2 weitergeführt, der Rest mit Priorität 3.

Bedrohung ABC-Gefahrstoffe

Neben der Beurteilung des Geländes im Großen, stehen für die ABC-Fachdienste die Bedrohungen durch ABC-Gefahrstoffe (RObj) und die sonstigen ABC-Gefahren
(z. B. Elementarereignisse) im Vordergrund. Eine wesentliche Rolle spielt die Identifikation möglichst aller Gefahrenquellen. Dies geschieht durch Internetrecherche, Kartenstudium, Befragung von Experten, Behörden oder Organisationen, Erkundung und Aufklärung. Alle identifizierten Bedrohungen werden in den Risikokatalog aufgenommen. Von einem RObj können unterschiedliche Bedrohungen ausgehen. Da diese meist unterschiedliche Auslöser haben, können sie nicht als ein einziges Risiko dargestellt werden. Ein RObj kann daher mehrere unterschiedliche Risiken im Risikokatalog liefern.

 

Mögliche Szenarien

Es gibt zwei Arten von möglichen Szenarien: Die Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen durch einen Betriebsunfall oder eine Störung und die beabsichtigte Freisetzung durch Sabotage oder Waffenwirkung von außen. Die beabsichtige Freisetzung bedingt, dass es eine Konfliktpartei gibt, die sowohl Interesse bzw. Nutzen an/aus einer Freisetzung als auch Zugang zum entsprechenden RObj hätte. Die Eintrittswahrscheinlichkeit lässt sich daher auf die Faktoren Störanfälligkeit und Schutz gegen Einwirkungen von außen zurückführen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Entwendung und missbräuchliche Verwendung von ABC-Gefahrstoffen. Daraus kann gefolgert werden, dass die Wahrscheinlichkeit der Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen umso höher ist, je größer die Störanfälligkeit und Verwundbarkeit ist.

 

Störfälle und Verwundbarkeit

Die Ermittlung der Störanfälligkeit und Verwundbarkeit ist ohne systematisches Vorgehen nicht möglich. Bei der Störanfälligkeit steht weniger der plötzliche Unfall oder die vermutlich selten auftretende Störung im Vordergrund. Im Fokus ist jene Störung, die auftritt, wenn durch Kampfhandlungen beispielsweise die Versorgung mit Energie unterbrochen wird oder durch Cyberattacken Teile der Steuerung ausfallen. Die Verwundbarkeit ist vornehmlich als Anfälligkeit auf Einwirkungen von außen zu sehen. 

Ziel ist es, das RObj in geschlossene Systeme, Prozesse und Komponenten zu unterteilen, um so jeden Bereich einzeln beurteilen zu können. Jeder Teil wird dann für sich analysiert, und am Ende werden die ermittelten Werte kombiniert oder durch eine Ereignisbaumanalyse ergänzt. Eine Bewertung nach dem Schulnotensystem erscheint nachvollziehbar. So kann der Zustand eines Tanks oder eines Leitungsnetzes durch eine optische Prüfung eingeschätzt werden.

Sieht man bereits an mehreren Stellen, dass Gefahrstoffe austreten, oder ist die Anlage gut gewartet und in einem guten Zustand? Gibt es Bestandsübersichten? Sind Zutrittsregelungssysteme vorhanden? Diese Fragen lassen sich mit einer Schulnote bewerten. Am Ende des Prozesses kann dem RObj ein Zeugnis ausgestellt werden. Bei großen Fabrikanlagen kann diese Begehung viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine Unterstützung durch ein Reachback-Team ist daher häufig notwendig.

Die praktische Vorgehensweise bei einem RObj sieht wie folgt aus:

  • Internetrecherche;
  • Kartenstudium;
  • Erkundung vor Ort (Behörden, FFW, sonstige Organisationen usw.); 
  • Begehung der Anlage;
  • Identifikation der Bedrohungen;
  • Eintragen in den Risikokatalog;
  • Ermitteln der Eintrittswahrscheinlichkeit (Störanfälligkeit und Verwundbarkeit); 
  • Ermitteln der Auswirkung;
  • Darstellen in einer Risikomatrix;
  • Überprüfen, ob eine Kritikalität gegeben ist.

Mögliche Auswirkungen

Danach wird die Auswirkung jedes Risikos ermittelt. Die Vorgehensweise entspricht derselben wie bei der Ermittlung der Auswirkung von ABC-Gefahrstoffen, die durch Konfliktparteien eingesetzt wurden. Beide Werte werden im Risikokatalog ergänzt und können durch die Risikomatrix dargestellt werden.

Risiken aus der Beurteilung der Lage Teil 1 und 2 werden in einem Risikokatalog dargestellt und sind aufgrund der Vorgehensweise miteinander vergleichbar. Sie können daher auch auf derselben Risikomatrix dargestellt werden. Wie die Darstellung erfolgt und welche Risiken aufgenommen werden, hängt von der jeweiligen Situation bzw. der Arbeitsweise ab. 

Besondere Herausforderungen stellen RObj dar, die nicht erkundet werden können oder über die es nur wenige oder wenig glaubhafte Informationen gibt. In solchen Fällen kann die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht ermittelt werden – 
sie wird somit als hoch eingetragen. Beim Ermitteln der Auswirkung wird davon ausgegangen, dass die gesamte Menge der vermuteten ABC-Gefahrstoffe freigesetzt wird. Der entsprechende Informationsbedarf ist zu melden und der Umstand, dass es sich um ein nicht näher erkundetes Objekt handelt, stets anzuführen.

Die Ermittlung der Kritikalität ist jener der Störanfälligkeit und Verwundbarkeit ähnlich. Am Ende dieses Prozesses steht eine Übersicht aller Risiken, bei denen zwei wesentliche Punkte erfüllt wurden. Zum einen entsprechen sie der Forderung, dass Risiken die Schnittmenge von Bedrohung, Verwundbarkeit und Kritikalität darstellen – zum anderen ist jedem Risiko eine Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung zugeordnet. Darüber hinaus werden den Risiken Prioritäten, die sich aus der Kritikalität ergeben, zugeordnet.

Risikominimierung

Risiken, die im nicht tolerierbaren Bereich liegen, müssen durch Maßnahmen in den tolerierbaren Bereich transferiert werden. Dazu werden unterschiedliche Möglichkeiten ausgearbeitet und in der abschließenden Koordinierungsbesprechung präsentiert. Zur Sicherstellung der Handlungsfreiheit sind, wenn möglich, stets mehrere Maßnahmen auszuarbeiten, die abschließend abgewogen werden können. Zumeist wird eine Maßnahme allein nicht ausreichen, sondern es werden mehrere Maßnahmen miteinander kombiniert werden müssen. Im Vordergrund steht immer die Risikovermeidung. Anders ausgedrückt würde dies bedeuten, dass jene Räume, die nach einer Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen betroffen wären, nicht betreten werden dürfen oder von ihrer Nutzung für militärische Zwecke ausgeschlossen sind.

Sind die Einschränkungen durch die Risikovermeidung zu groß, müssen risikominimierende Maßnahmen ergriffen werden. Dabei kann versucht werden, die Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder die Auswirkung zu verringern. Ein guter Ansatzpunkt, um die passende Maßnahme zu finden, ist meist in der Ursache eines Risikos zu finden. Je nach Situation können eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen herangezogen werden.

Maßnahmen für die Einsatzdauer

  • Betriebsunterbrechung bei den Prozessen mit ABC-Gefahrstoffen;
  • An- und Ablieferungsstopp von ABC-Gefahrstoffen;
  • Reduzierung der gelagerten ABC-Gefahrstoffe bis auf Null;
  • Detektion vor Ort. 

Permanente Maßnahmen

  • Verstärkung von Gebäudeteilen zum Schutz vor Bombenattentaten oder Beschuss;
  • zusätzliche Brandschutzvorkehrungen;
  • Zutrittskontrollen;
  • Sicherung der Zufahrt;
  • Sicherstellung der Versorgung mit Energie und/oder Kühlwasser;
  • Schutz der IKT vor Angriffen;
  • Diebstahlschutz.

Maßnahmen durch die Truppe

  • Überprüfung und Bereithalten der persönlichen Schutzausrüstung; 
  • Anordnung einer lageangepassten Individualschutzstufe; 
  • Maßnahmen zur Kontaminationsvermeidung;
  • Vorkehrungen zur Alarmierung bei ABC-Ereignissen;
  • Abschirmung gegen ABC-Gefahrstoffe vor allem im A-Fall;
  • Vorbereiten oder Beziehen von Dekontaminationsplätzen;
  • notfallmedizinische Vorbereitungen.

Alle möglichen Maßnahmen werden im Maßnahmenkatalog, der als Nachschlagewerk dient, beschrieben und zusammengefasst. Zur Beschreibung der Maßnahmen gehört neben der Umsetzung auch die verantwortliche Person. Ebenfalls ist anzuführen, wie lang es ab Auslösung dauert, bis die Maßnahme greift und ob sie das Risiko vorübergehend oder permanent reduziert. Erwähnenswert, aber nicht unbedingt ausschlaggebend, ist der wirtschaftliche Verlust, der z. B. bei einer Betriebsunterbrechung entstehen würde.

Entschlussvorbereitung/Plan der Durchführung

Vor der Entscheidungsbesprechung ist ein Lagevortrag vorzubereiten. Dazu werden die vorliegenden Daten erneut geprüft und eventuell aktualisiert. Die Risikomatrix wird auf den neuesten Stand gebracht. Dabei werden auch die Gültigkeitsdauer und Reliabilität der ABC-Risikoanalyse festgelegt.

Der Beitrag zum Plan der Durchführung richtet sich in erster Linie nach dem ABC-Abwehrplan. Dieser basiert auf der Führungsabsicht/ABC-Abwehr und stellt das Zusammenwirken aller ABC-Abwehrkräfte in zeitlicher und räumlicher Hinsicht dar. Zusätzlich sind alle risikominimierenden Maßnahmen anzuführen.

ObstdhmfD Bernhard Traxl, MBA, MA; Hauptlehroffizier für Risikoanalyse und Schadensbewältigung, Abteilung Weiterentwicklung & höhere Fachausbildung, ABC-Abwehrzentrum.

 

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