• Veröffentlichungsdatum : 07.05.2021
  • – Letztes Update : 05.07.2021

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1920: Aufstellung des Bundesheeres - Teil 3

Mario Rauchenbichler

Am Beispiel der 5. Brigade Steiermark

Der Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie im Herbst 1918 führte zu großen Umwälzungen in Österreich. Der Grenzverlauf der jungen Republik war noch nicht festgelegt und in den großen Städten kam es häufig zu Demonstrationen, Streiks oder sogar bewaffneten Auseinandersetzungen. Trotz der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung benötigte die Republik dringend eine Armee, um diese prekären Probleme zu lösen. Aus diesem Grund wurde die „Volkswehr“ gegründet, die sich mit wechselndem Erfolg der Herausforderung annahm. Doch schon bei der Gründung stand deren provisorischer Charakter fest, denn über das zukünftige Heer der Republik Österreich entschied erst der Friedensvertrag von St. Germain. Als dieser von allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert war, beschloss das österreichische Parlament am 20. März 1920 das neue Wehrgesetz und damit die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufstellung des Bundesheeres.

Hier gelangen Sie zu Teil 1 und Teil 2

Die Befreiung von Radkersburg und Spielfeld

Nach der Ratifizierung des Friedensvertrags von St. Germain waren die SHS-Truppen (Staat der Slowenen, Kroaten und Serben, Anm.) verpflichtet, das von ihnen besetzte Gebiet zu räumen. Es handelte sich im Speziellen um die beiden Orte Radkersburg und Spielfeld an der heutigen südsteirischen Grenze. Als am 19. Juli 1920 der französische Oberst Gosset vom interalliierten Kontrollrat die Grenzregionen inspizierte, wurde in den steirischen Zeitungen über den bevorstehenden Abzug spekuliert.

Zur selben Zeit erhöhten sich die militärischen Aktivitäten auf der südslawischen Seite der Grenze. Die Truppen des SHS-Staates planten, die Bahnstrecke Radkersburg-Spielfeld zu benutzen und sperrten die Grenzbrücke Spielfeld für den gesamten Verkehr. Aus Marburg wurden zusätzliche Einheiten nach Spielfeld und an die künftige Grenze verlegt.

Auf österreichischer Seite reagierten die örtlichen Bauern mit der Unterbrechung der besagten Bahnlinie, um einem militärischen Handstreich zuvorzukommen. Die Heimwehrverbände aus Ehrenhausen besetzten Stellungen an der Grenze. Noch am 20. Juli hatte das III./AJR Nr. 9 in Straß möglichst starke Kräfte einsatzbereit zu halten. In Graz waren eine Infanteriekompanie sowie ein MG Kompanie mit vier sMG des AJR Nr. 9 in Alarmbereitschaft. Die Bevölkerung im Grenzgebiet war gewillt, einen militärischen Angriff auf Österreich an der Seite des Bundesheeres kämpfend abzuwehren.

Trotz der augenscheinlichen Eskalation verlief die Nacht auf den 21. Juli ruhig. Die Meldungen aus der Garnison Straß besagten, dass sich die Truppen des SHS-Staates auf einen Angriff von steirischer Seite vorbereiteten. Unter den SHS-Offizieren verbreitete sich das Gerücht, dass sich italienische Truppen in der Südsteiermark befanden, die Österreich unterstützen wollten. Nach einigen Tagen der Unsicherheit und Spekulationen brachte der 22. Juli eine Entspannung, da die Alliierten den SHS-Staat ultimativ aufforderten, die besetzen Orte Radkersburg und Spielfeld zu räumen.

 

Während des Abmarsches der SHS-Truppen, der am 26. Juli um 11:45 Uhr beendet war, zeigte sich kein Radkersburger Bürger auf der Straße. Als jedoch kurze Zeit später steirische Gendarmen die Stadt für Österreich in Besitz nahmen, war sie mit Fahnen und Blumen beschmückt. Unter dem Jubel der Bevölkerung marschierten die Wachmänner in Radkersburg ein. Am Abend fand ein öffentliches Befreiungsfest statt, bei dem auch der Landeshauptmann anwesend war.

Das Bundesheer erfuhr von alldem erst in den Abendstunden des 26. Juli. Das Landesgendarmeriekommando hatte es nicht für notwendig erachtet, die militärischen Stellen von ihren Absichten zu unterrichten, da mit keinerlei Komplikationen gerechnet wurde. Die Planungen der 5. Brigade und des AJR Nr. 9 über Truppenabstellungen zur Sicherung waren somit hinfällig.

Am 27. Juli fanden in Marburg Verhandlungen zwischen Österreich und dem SHS-Staat über die Situation in Spielfeld statt. Das Straßer Bataillon hatte eine Kompanie, gegliedert in zwei Schützenzüge und einen sMG Zug, zu bilden und für mögliche Einsätze bereitzuhalten. Grund für diese Sicherheitsmaßnahme war der Besuch der Staatssekretäre Renner und Deutsch in Radkersburg am Folgetag. Am 29. Juli erfolgte die Inbesitznahme von Spielfeld. Die Gendarmerie marschierte um 1100 Uhr von Straß nach Spielfeld ab. Das Straßer Bataillon stellte einen Zug in der Stärke von zwanzig Mann bereit, der ebenfalls nach Spielfeld abmarschierte und an der Defilierung sowie den Feierlichkeiten teilnahm.

Die Waffendepots in Fürstenfeld und Hartberg

Während der Freude über die Befreiung der südsteirischen Grenzorte rückten in der Oststeiermark die ehemaligen k.u.k. Waffendepots in Fürstenfeld und Hartberg unverhofft in den Mittelpunkt des Interesses. Sie lagen an der Landesgrenze und waren mit Waffen, Uniformen und Ausrüstungsgegenständen befüllt. In der Nacht von 29. auf 30. Juli plünderte eine Gruppe von 500 bis 800 Ungarn das Waffendepot in Fürstenfeld und brachte ihre Beute in ihre Heimat. Dieser gut geplante Überfall verlief nach militärischem Muster. Die neuralgischen Punkte der Stadt wurden ebenso besetzt wie die Bahnstrecke. Einige Fürstenfelder Bürger wurden als Geisel genommen, manche sogar misshandelt. Für die sozialistische Zeitung „Arbeiterwille“ standen ungarische Soldaten hinter dem Raubüberfall, die mit dem steierischen Landeshauptmann zusammenarbeiteten:

Den Raub vollzogen Banden des Herrn Horthy aber die Anstifter und die Mithelfer sitzen in Graz, Fürstenfeld und Umgebung und gehören zu den magyarische-karlistischen Kreis, dessen Förderer und Schützer die Herren Rintelen und Ahrer sind.

Das 5. Brigadekommando befahl am 31. Juli, dass die beiden Alpenjägerregimenter Nr. 9 und 10 je eine Assistenzabteilung in der Stärke von einem Offizier, zwei Unteroffizieren sowie zwölf Wehrmännern in die beiden Orte zu schicken hatte. Die Aufgabe dieser Abteilungen war es, den Abtransport der Waffen zu bewachen. Die Waffen aus Fürstenfeld kamen in den Abendstunden des 2. August in Graz an, wo ein weiteres Wachdetachement des AJR Nr. 9 die Bewachung zu übernehmen hatte, bis der Waffentransport am Folgetag ins Wiener Arsenal weiterfuhr. Die Bevölkerung in Fürstenfeld fürchtete einen weiteren Überfall aus Ungarn, daher entsandte die 5. Brigade am 4. August eine Abteilung aus Straß (zwei Offiziere – 30 Mann) nach Fürstenfeld. Diese Truppen des III./AJR Nr. 9 hatten die Grenze zu Ungarn zu überwachen und blieben bis 11. August vor Ort. Danach rückten sie in ihre Garnison ein.

In der Nacht von 4. auf 5. August bemerkten die zuständigen militärischen Stellen das Fehlen von Waffen und Ausrüstungsgegenständen im Waffendepot Hartberg. Dieser Diebstahl wurde von örtlichen Heimwehren geplant und durchgeführt. Daraufhin wurden die Elemente des AJR Nr. 10 in Hartberg von einem Offizier und zehn Mann des Straßer Detachements aus Fürstenfeld verstärkt. Mit einer Sicherungsabteilung von zwei Offizieren und zwanzig Mann ging der Waffentransport am 7. August von Hartberg nach Graz ab, wo er am Folgetag eintraf. Die starken Sicherheitskräfte wurden vom Brigadekommando als nötig erachtet, da Gerüchte von Angriffen der Heimwehr auf diesen Waffentransportzug im Umlauf waren. Wachmannschaften des AJR Nr. 9 übernahmen sowohl die Bewachung des Zuges in Graz, als auch den Transport ins Wiener Arsenal.

Das Hochwasser in Rohrbach und Öblarn

Während der Spannungen rund um die Waffendepots in Fürstenfeld und Hartberg gingen in der Oststeiermark starke Regenfälle nieder. Die Stadt Rohrbach war besonders vom Hochwasser betroffen, daher entsandte das 5. Brigadekommando ein Detachement des technischen Bataillons Nr. 5. Dieses hatte am 5. August die Stärke von einem Offizier, einem Unteroffizier sowie 28 Mann. Die Soldaten halfen bei den Aufräumarbeiten und bei der Reparatur der Infrastruktur.

Einen Monat später gingen im Zentralalpenraum heftige Unwetter nieder. In der Steiermark trafen die Unwetter das Ennstal mit voller Wucht. Am 8. September 1920 wurde dem AJR Nr. 9 befohlen, ein Detachement von zwei Offizieren und 25 Wehrmännern bereitzustellen, um zur Reparatur von Hochwasserschäden nach Öblarn abzugehen. Der Abtransport erfolgte am Nachmittag desselben Tages per Bahn.

In den ersten Tagen lag das Hauptaugenmerk der Soldaten auf dem Freischaufeln der Bahnstrecke, die auf einer Länge von über 150 m unter einer bis zu zwei Meter dicken Schlamm- und Geröllschicht lag. Ab 13. September erfolgte die Wiederherstellung vermurter Straßen im Raum Öblarn. Etwas länger dauerte die provisorische Instandsetzung der Häuser. Ab 15. Oktober konnte die Bevölkerung der Ortschaft Niederöblarn die notdürftig in Stand gesetzten Häuser wieder benutzen.

Das Brigadekommando erklärte diesen Einsatz am 16. Oktober für beendet und das Detachement rückte wieder nach Graz ein. Dieser Einsatz war geprägt von schlechter Versorgung zu Beginn des Einsatzes, sowie durch Schwierigkeiten mit arbeitsunwilligen Soldaten. Die Situation besserte sich jedoch rasch durch das rigorose Eingreifen des Regiments und der Offiziere vor Ort. Es dauerte allerdings über eine Woche, bis die Soldaten trockene Ersatzuniformen und Schuhe aus der Grazer Garnison erhielten.

Trotz aller Widrigkeiten war der Einsatz dieses Hochwasserdetachements ein Erfolg, der das Ansehen des jungen Bundesheeres und vor allem des Alpenjägerregiments Nr. 9 gehoben hat. Die Gemeinde Niederöblarn sprach in einem Schreiben an das AJR Nr. 9 dem Detachement „den wärmsten und herzlichsten Dank der dortigen Bevölkerung“ aus.

Bereitschaft ab 11. Oktober 1920

Die 5. Brigade war nicht nur mit Schwierigkeiten im eigenen Land konfrontiert, auch politische Ereignisse im Nachbarbundesland Kärnten hatten Auswirkungen auf den eigenen Dienstbetrieb. Am 10. Oktober 1920 fand in Kärnten die Abstimmung in der südlichen Zone über den Verbleib bei Österreich statt. Das Bundesministerium für Heereswesen rechnete nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses mit Unruhen in den darauffolgenden Tagen. Daher wurden Teile des Bundesheeres in Bereitschaft versetzt.

Bereits am 8. Oktober befahl das 5. Brigadekommando, dass die Garnison Graz ab 11. Oktober ein kombiniertes Bereitschaftsbataillon zu stellen hatte. Dieses formierte sich aus zwei Kompanien des AJR Nr. 9 und einer Kompanie des AJR Nr. 10. Die Kompanien hatten aus drei Zügen zu bestehen und mussten mit jeweils 120 Gewehren ausgestattet sowie mit einem sMG Zug formiert sein. Als weitere Vorsichtsmaßnahme forderte das Brigadekommando, dass die Straßer Teile des AJR Nr. 9 eine zusätzliche Bereitschaftskompanie mit 60 Gewehren und einem sMG Zug zu bilden hatte.

Das Bereitschaftsbataillon hatte in der Franz Josef Kaserne bereitzustehen und wurde am 11. Oktober vom Brigadekommandanten auf dessen Einsatzfähigkeit inspiziert. Die Formierung dieses Verbandes führte aufgrund der niedrigen Stände zu unangenehmen Eingriffen in den Wachdienst der Garnison. Da es nach der Volksabstimmung in Kärnten zu keinen Unruhen kam, wurden die Bereitschaftsformationen nicht benötigt und konnten rasch wieder aufgelöst werden.

Entwicklung der Standesverhältnisse

Das Bundesheer der Ersten Republik erreichte niemals die vorgeschriebenen Sollstände. Im Besonderen die 1920er Jahre waren von wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten geprägt. Dadurch musste das Bundesheer im Jahr 1922 sehr viele Berufssoldaten, vor allem Offiziere, abbauen bzw. in den Ruhestand versetzten. Die staatlichen Sparmaßnahmen zwangen das Heer im Jahr 1923 sogar von jeglicher Anwerbung von Zivilisten abzusehen.

Ein besonderes organisatorisches Problem bildeten die verheirateten Soldaten. Bis ins Jahr 1922 durften sich auch verheiratete Männer bis zu einem Höchstalter von 30 Jahren zum Heer melden. Diese waren aufgrund ihrer Familienverhältnisse nur bedingt einsatzbereit. So war der Regimentskommandant des AJR Nr. 9 gezwungen, die tägliche Mittagspause im Sommer 1920 auf drei Stunden auszudehnen, damit diese Soldaten mit ihren Familien Mittagessen konnten. Da verheiratete Soldaten nicht in den Kasernen wohnten, waren sie im Alarmfall auch nicht sofort verfügbar, da sie erst einrücken mussten.

Die folgende Aufstellung zeigt einen Überblick über die personelle Situation des AJR Nr. 9 im Laufe des Jahres 1920 basierend auf den Aufstellungsberichten des Regiments. Die Zahlen vor der Klammer umfassen das gesamte Regiment. Die Zahlen in den Klammern beziehen sich jeweils auf das III. Bataillon in Straß:

 

Es gibt mehrere Gründe für die Differenz zwischen der Gesamtzahl an Soldaten aller Ränge und für Ausrückungen verfügbare Soldaten. Diese Differenzzahl beinhaltete jene Soldaten, die Wachdienst versahen oder zu besonderen Tätigkeiten und Arbeiten kommandiert waren, aber auch solche, die krank oder auf Urlaub waren oder noch in der ersten Ausbildung standen.

Vergleicht man die Stände vom 25. Dezember mit den organisatorischen Sollständen, fällt auf, dass die Zahl an Offizieren leicht überschritten wurde, während die Zahl an Unteroffizieren knapp nicht erreicht wurde. Es strebten viele Offiziere die Übernahme ins Bundesheer an, und die Republik wollte den Höchststand von 1.500 Offizieren ausschöpfen. Beim III. Bataillon gab es vier Offiziere mehr, aber um acht Unteroffiziere weniger als die Sollstände vorschrieben. Die Situation bei den Mannschaftsrängen war in der Grenzgarnison Straß dramatischer als im Regimentsteil Graz. Die Zahl der Soldaten mit Mannschaftsdienstgraden erreichte nur 33% des Sollstandes. Die Zahlen zeigen, dass es dem Berufsheer in den ersten sechs Monaten des Bestehens nicht gelang genügend Freiwillige anzuwerben. Im Gegenteil, die Stände bei den Mannschaftsdienstgraden lagen weit hinter den Vorgaben.

Zitate und Tabellen (alle in der damals gültigen Rechtschreibung):

Jeder Soldat hatte in schriftlicher Form folgenden Eid mit Unterschrift zu bestätigen:

Eid: Ich schwöre als Mann, als Bürger der Republik Österreich und als Soldat, daß ich zu jeder Zeit und an jedem Ort das Vaterland verteidigen, daß ich den von der Nationalversammlung und den Landtagen beschlossenen Gesetzen und den gesetzmäßigen Behörden, insbesondere der von der Nationalversammlung bestellten Regierung, Treue und Gehorsam leisten, dass ich alle Befehle meiner Vorgesetzten pünktlich und genau befolgen, allen ihren Weisungen gehorchen und im Interesse des Wohles und der Sicherheit meiner Mitbürger nach bestem Wissen und Gewissen mit allen meinen Kräften der Republik Österreich und dem österreichischen Volke dienen werde.

 

Das Staatsamt für Heerwesen hat verfügt, daß mit der Aufstellung der Truppen für die neue Wehrmacht ehestens begonnen werde. In Steiermark werden die Alpenjäger-Regimenter 9 und 10 aufgestellt. Das Alpenjäger-Regiment Nr. 9 wird zum Großteil in Graz (Franz-Josef-Kaserne), zum geringeren Teile in der ehemaligen Militär-Unterrealschule Straß untergebracht. Das Alpenjäger-Regiment 10 wird teilweise in Graz (Dominikanerkaserne), weiters in Leoben, Bruck und Judenburg garnisonieren. Außer den genannten Truppenkörpern werden noch Kavallerie-, Artillerie-, technische, Kraftfahr- und Troßabteilungen, sowie Verbindungsformationen aufgestellt werden. Die neuen Truppenkörper werden, sobald sie innerlich gefestigt sind, den Wachdienst übernehmen.

Mit diesen Worten gab man erstmals Details über die Aufstellung der Truppen der 5. Brigade am Donnerstag dem 27. Mai 1920 im Grazer Tagblatt bekannt.

Die steirischen Formationen waren bei der Aufstellung wie folgt untergebracht:

Sollstände eines Bataillons am Beispiel des III./ AJR Nr. 9 in Straß:

Mag. Mario Rauchenbichler ist Gymnasialprofessor, Historiker und Milizoffizier.

 

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