• Veröffentlichungsdatum : 22.04.2021
  • – Letztes Update : 17.09.2021

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1920: Aufstellung des Bundesheeres - Teil 1

Mario Rauchenbichler

Am Beispiel der 5. Brigade Steiermark

Der Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie im Herbst 1918 führte zu großen Umwälzungen in Österreich. Der Grenzverlauf der jungen Republik war noch nicht festgelegt und in den großen Städten kam es häufig zu Demonstrationen, Streiks oder sogar bewaffneten Auseinandersetzungen. Trotz der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung benötigte die Republik dringend eine Armee, um diese prekären Probleme zu lösen. Aus diesem Grund wurde die „Volkswehr“ gegründet, die sich mit wechselndem Erfolg der Herausforderung annahm. Doch schon bei der Gründung stand deren provisorischer Charakter fest, denn über das zukünftige Heer der Republik Österreich entschied erst der Friedensvertrag von St. Germain. Als dieser von allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert war, beschloss das österreichische Parlament am 20. März 1920 das neue Wehrgesetz und damit die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufstellung des Bundesheeres.

Die Volkswehr: Das erste Heer der Republik Österreich

Die Entwicklung der Volkswehr verlief in den einzelnen Bundesländern äußerst unregelmäßig. Politisch stand die Volkswehr der Sozialistischen Partei Österreichs nahe, wobei es sogar kommunistische Gruppen verschiedenster Größen gab. Die Kommandogewalt der Offiziere wurde durch „demokratische“ Soldatenräte beeinflusst und die militärische Führung dadurch eingeschränkt. Dementsprechend war auch der militärische Wert der Volkswehrbataillone unterschiedlich.

Die Volkswehr erfüllte auch einen wichtigen sozialen Aspekt: Da man sich kurzfristig zum Dienst melden konnte bzw. ebenso kurzfristig wieder den Dienst kündigen konnte, nutzten viele Kriegsheimkehrer diese Möglichkeit, um zumindest eine bestimmte Zeit vor Arbeitslosigkeit geschützt zu sein. Der Dienst in der Volkswehr war gut bezahlt und daher überschritt ihr Stand in der Steiermark rasch den erlaubten Stand von 4.000 Soldaten.

Die ersten Bataillone der Volkswehr in der Steiermark wurden unmittelbar nach der Ausrufung der Republik Österreich aus den vorhandenen Ersatzbataillonen bzw. Ersatzkompanien der k.u.k. Wehrmacht gebildet.

Bis Dezember 1918 stieg die Anzahl der steirischen Volkswehrbataillone auf 16 an, wobei manche nur Kompaniestärke erreichten. Darüber hinaus gab es eine Volkswehrartillerie, eine Telegraphenschule, berittene Volkswehrtruppen, ein technisches Bataillon (= Pionierbataillon). Diese Verbände bildeten im Jahr 1920 den Grundstock der Truppen des Bundesheeres in der Steiermark.

 

Die Steiermark nach dem Umsturz

Um die Geschehnisse des Jahres 1920 in der Steiermark besser verstehen zu können, darf man die Ereignisse des Jahres 1919 zwischen der jungen Republik Österreich und dem neuen SHS-Staat (ab 1929 Jugoslawien genannt) nicht unbeachtet lassen. Der Ruf der Volkswehr in der Steiermark litt einerseits aufgrund der „Viehaufbringung“. Dabei beschlagnahmten die Volkswehrbataillone auf Anordnung der Landesregierung einen Teil des Viehs der Bauern in der Ost- und Weststeiermark, um den Hunger in den steirischen Städten zu bekämpfen.

Zum anderen rückten die SHS-Truppen im Herbst 1918 ungehindert in Richtung Norden vor, um mit der Besetzung möglichst großer Landesteile ein Faustpfand für spätere Friedensverhandlungen zu besitzen. Zwar endete dieser Vormarsch entlang der Linie Soboth – Radkersburg, doch kam es häufig zu Feuergefechten zwischen südslawischen und steirischen Soldaten bzw. Heimwehrangehörigen. Die größten Gefechte gab es in den ersten beiden Monaten des Jahres 1919 im Gebiet um Leutschach sowie bei den Kämpfen im Raum Radkersburg. An dieser vertraglich noch nicht festgesetzten Südgrenze durfte die Volkswehr den Vormarsch der südslawischen Truppen nicht mit Waffengewalt aufhalten. Bei den Kämpfen um Radkersburg verbot die österreichische Bundesregierung explizit das Eingreifen der Volkswehr.

Steirische und slowenische Politiker führten Gespräche über einen Waffenstillstand, und diese Verhandlungen führten am 13. Februar 1919 zur Unterzeichnung des „Marburger Abkommens“. Dieses zog eine Demarkationslinie im Süden der Steiermark, das von der Soboth bis nach Radkersburg reichte und für die Südslawen günstig verlief. Diese provisorische Grenze sah eine neutrale Zone vor, in der sich unter anderem auch der Ort Straß mit der ehemaligen Militär-Unterrealschule (MUR) befand. Grenzorte wie Radkersburg und Spielfeld waren von südslawischen Verbänden besetzt. Die Bevölkerung im Grenzgebiet war aufgrund der demütigenden Behandlung durch die Südslawen als auch durch die Wiener Regierung aufgebracht und in ständiger Unruhe. Trotzdem wurde das Marburger Abkommen von beiden Seiten respektiert.

An den Südgrenzen der Steiermark versahen im Jahr 1919 verschiedene Volkswehrformationen ihren Grenzschutzdienst, unter anderem auch die Volkswehrbataillone Nr. 5 (Leibnitz) und 12 (Deutschlandsberg). Letzteres wurde unter anderem in Eibiswald und Arnfels zur Grenzsicherung eingesetzt. Dadurch sollte den verängstigten Grenzbewohnern ein ausreichendes Sicherheitsgefühl vermittelt werden.

 

Die Garnison Straß 1919 bis 1920

Straß an der südsteierischen Grenze ist heute Garnisonsort des Jägerbataillons Nr. 17, das in der dortigen Erzherzog-Johann-Kaserne untergebracht ist. Diese Kaserne ist die einzige der Steiermark, die bereits in der 1. Republik militärisch genutzt wurde. Alle anderen Kasernenobjekte des damaligen Bundesheeres sind heute nicht mehr in regulärer Verwendung.

Bis zum Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie im Herbst 1918 wurde die spätere Kaserne als Militär-Unterrealschule genutzt. Die chaotischen Folgen des Zusammenbruchs erlebte auch der Ort Straß, als in der Nacht auf den 18. November eine Gruppe von 50 Straßer Bürgern die MUR stürmte. Der Schulleiter und der Wirtschaftsoffizier wurden von den Angreifern misshandelt und die Objekte geplündert.

Der Vormarsch der südslawischen Truppen führte am 25. November 1918 zur Besetzung des Nachbarortes Spielfeld und für einige Stunden sogar des Ortes Straß selbst. SHS-Truppen entwaffneten die Straßer Bürgerwehr, zogen sich jedoch wieder nach Süden zurück. Zu diesem Zeitpunkt schienen die politischen Stellen trotz aller Widrigkeiten noch an eine Weiterführung der MUR zu glauben. Zwar verließen die nicht-deutschsprechenden Zöglinge und Lehrer die Schule in Richtung ihrer neuen Heimatstaaten, doch von österreichischer Seite wurden noch am 29. November 1918 elf Offiziere als Lehrer gesucht. Die unsichere Situation im Raum Straß machte jedoch am 2. Dezember die Rücknahme dieser Stellenanzeige notwendig, da die Republik Österreich die Einstellung des Schulbetriebes beschloss.

Die Unterkunftsobjekte fanden nun Verwendung als Wohnungen für Zivilisten sowie als Dienstorte für die Gendarmen und Zollbeamten, welche die SHS-Truppen aus Spielfeld vertrieben hatten. Im Sommer und Herbst 1919 beschlossen das Land Steiermark und die Stadt Graz, die Unterkünfte der ehemaligen MUR als Feriendomizil für bedürftige und lungenkranke Jugendliche aus Graz zu nutzten. In mehrwöchigen Aufenthalten in der Südsteiermark sollte sich die saubere Luft dieser Gegend regenerierend auf die Gesundheit der geplagten Kriegskinder auswirken. Die verantwortlichen politischen Stellen hätten die MUR gerne weiterhin in dieser Funktion gesehen. Doch die innen- und außenpolitischen Zwänge verlangten ihre Nutzung als militärische Einrichtung. Die Truppen der Garnison Straß sollten die Landeshauptstadt Graz gegen einen von Süden vordringenden Feind schützen.

Der Friedensvertrag von St. Germain legte am 10. September 1919 die endgültigen Grenzen der neuen Republik Österreich fest und machte dadurch das Marburger Abkommen hinfällig. Das Grazer Volkswehrkommando verlegte am 8. Oktober 1919 das Grenzschutzbataillon Nr. 12 (Kommandant Mjr Wilhelm Wraschtil) sowie Teile des Volkswehrbataillons Nr. 5 und der Steirischen Volkswehrartillerie nach Straß, da sich die dortigen Gebäude ohne kostspielige Adaptierungsmaßnahmen als Winterunterkunft eignete.

Die Zeit der Volkswehr in Straß war von Zwischenfällen mit der örtlichen Bevölkerung geprägt. Trauriger Höhepunkt war eine blutige Wirtshausrauferei am 9. November 1919 die dazu beitrug, dass sich die örtliche Bevölkerung zunehmend von der Volkswehr distanzierte. Major Wraschtil gelang es durch sein Verhandlungsgeschick jedoch, dass sich die Beziehungen mit der Bevölkerung wieder besserten.

Ende und Abbau der Volkswehr

Im Laufe des Jahres 1919 ließen die Nachrichten aus St. Germain erkennen, wie das zukünftige Heer der jungen Republik aussehen werde. Diese Nachrichten führten ab dem Frühjahr 1919 zu einem stetigen Umbau und Abbau der Volkswehr. Viele Offiziere standen der Volkswehr ablehnend oder zumindest abwartend gegenüber, da sie den parteipolitischen Einfluss und die Macht der Soldatenräte ablehnten. Trotzdem stellten sich viele Offiziere der Volkswehr zur Verfügung, da sie die militärische Notwendigkeit im Kampf um die umstrittenen Gebiete erkannten. Hauptmann Anton Eichberger und Oberleutnant Julius Coretti dienten nicht nur im Volkswehrbataillon Nr. 12, sondern auch im III. Bataillon des Alpenjägerregiments Nr. 9 in Straß. Der Kommandant des Volkswehrbataillon Nr. 12 Mjr Wilhelm Wraschtil wurde erster Kommandant des III./AJR Nr. 9 in Straß.

Der letzte Einsatz der Volkswehr in der Steiermark fand am 7. Juni 1920 statt, als sich ein Zwischenfall ereignete, der als „Grazer Kirschenrummel“ in die Geschichtsbücher einging. Auf den Märkten verkauften Bauern und Händler ihre Produkte, besonders Kirschen, zu horrenden Preisen. Die notleidende und unterernährte Bevölkerung demonstrierte gegen die Wucherpreise bis die Stimmung am Markt eskalierte. Obwohl die Bauern ihre Preise unter dem Druck der Demonstranten herabsetzten, wurden Marktstände zertrümmert und Lebensmittel geplündert. In weiterer Folge kam es zu Teuerungskrawallen in der Innenstadt und die Sicherheitsbehörden setzten neben der Gendarmerie auch die Volkswehr ein. Ein Schusswechsel in der Nähe des Hauptplatzes endete mit zwölf Toten und zahlreichen Verletzten.

Da der Staatsvertrag von St. Germain Österreich zwang, die Volkswehr aufzulassen, wurden alle Volkswehrsoldaten, die sich nicht für das Bundesheer beworben hatten, mit Ende Mai 1920 gekündigt. Die Aufstellung des Bundesheeres erfolgte abgesondert von den Volkswehrverbänden, die auch nur noch Aufgaben im inneren Dienst bekamen.

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Mag. Mario Rauchenbichler ist Gymnasialprofessor, Historiker und Milizoffizier.

 

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