• Veröffentlichungsdatum : 27.09.2021

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Die längste Brücke der Welt

Gerold Keusch

Sonderausstellung „EnnsBrücke 1945. Dokumente – Fotos – Zeitzeugen“ im Ennser Museum Lauriacum

Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist eines der markantesten und prägendsten Ereignisse der jüngeren Geschichte Österreichs. Es markiert das Ende von Krieg und Diktatur sowie den Aufbruch in eine Zeit, die von Freiheit, Frieden und Wohlstand gekennzeichnet ist. Doch das Ende des Krieges am 8. Mai 1945 geschah nicht abrupt. Vielmehr gab es ein langes Kriegsende mit einer Zuspitzung der Gewalt und einen langen Weg in die Zweite Republik. Im Mittelpunkt stand – wie bereits so oft in der Geschichte – die Stadt Enns. Das dortige Museum Lauriacum widmet sich diesen Ereignissen in einer Sonderausstellung, die dort seit 23. Oktober 2020 zu sehen ist.

Das Ennser Museum am Hauptplatz der ältesten Stadt Österreichs hat den Fokus vor allem auf der Römerzeit. Damals war Enns, das römische Lauriacum, der Sitz eines Legionslagers am Donaulimes und markierte die Grenze zum Barbaricum nördlich der Donau. Doch auch wenn dieser Schwerpunkt, nicht zuletzt wegen der Oberösterreichischen Landesausstellung 2018, auf dieser antiken Epoche liegt, gibt es Raum für andere historische Themen. Eines ist das Kriegsende 1945, das sich im Jahr 2020 zum 75. Mal jährte und Thema der Sonderausstellung „EnnsBrücke 1945. Dokumente – Fotos – Zeitzeugen“ ist.

Kriegsende an der Enns

In Enns endete der Zweite Weltkrieg am 5. Mai 1945 mit dem Einmarsch des 261st Infantry Regiments der 65. US-Infanteriedivision, das sich entlang der Bundesstraße 1 vom Westen der Stadt näherte. Auf Widerstand stießen die US-Soldaten nicht, obwohl noch kurz davor das NS-Regime mit äußerster Brutalität herrschte und am östlichen Ufer der Enns Einheiten der Waffen-SS lagen (9. SS-Panzerdivision „Hohenstaufen“). Wie zwei Luftbilder der Ausstellung zeigen, hätte es auch anders kommen können. Die Aufnahmen belegen, dass Enns zu einer Festung und zur Rundumverteidigung ausgebaut werden sollte. Da der Ausbau des Ennser Brückenkopfes aber nur östlich des Flusses stattfand und es ansonsten kaum fertige Stellungssysteme gab, kam es nicht dazu.

Dass die Front immer näherrückte und sich das Ende dieses Krieges seit dem Herbst 1944 abzeichnete, belegen vor allem drei Aspekte der Ausstellung. Das ist einerseits die Darstellung der gefallenen Soldaten von Enns, deren Namen ausgestellt sind und deren Denkmal erörtert wird. Andererseits ist es die Darstellung der Flüchtlingskolonnen von Volksdeutschen, die ab Ende 1944 in der Stadt präsent waren und vor der Front sowie der Roten Armee flohen. Und zu guter Letzt ist es die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in der Region. Neben dem Erwähnen der Todesmärsche aus dem KZ Mauthausen Richtung Westen, liegt der Fokus der Schau auf dem militärischen Widerstand – konkret auf den Deserteursmorden. Wenige Stunden bevor die US-Soldaten Enns erreichten, wurden vom örtlichen NS-Standgericht noch mehrere Todesurteile vollstreckt.

Von wo und wie die US-Soldaten am 5. Mai 1945 in die Stadt kamen, wird ebenso erklärt wie die Umstände ihres Bleibens in der zehnjährigen Besatzungszeit. Damit rückt die Ennsbrücke, neben den „Vier im Jeep“ das wohl bekannteste Symbol der Besatzungszeit, in das Blickfeld und mit ihr die Wiederauferstehung Österreichs und der Beginn der Zweiten Republik bis 1955. Diese zehn Jahre waren vom Aufbau des Staates und seiner Institutionen, dem Beseitigen von Kriegsschäden, einem ersten Verarbeiten der vielschichtigen Kriegstraumata und der Präsenz der vier Besatzungsmächte (USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich) gekennzeichnet.

Grenzbrücke zwischen Machtblöcken

An der Ennser Brücke standen sich mit den Amerikanern und Sowjets nicht nur die Soldaten zweier Staaten gegenüber. Vielmehr markierte dieser Flussübergang die Grenze zwischen zwei Macht- und Militärblöcken, deren Rivalität in dieser Zeit stetig zunahm. Das westliche demokratische System der freien Marktwirtschaft mit den USA als „Super- und Schutzmacht“ stand an der Zonengrenze Enns dem System der kommunistischen Planwirtschaft mit der UdSSR gegenüber. Auch wenn das sowjetische Modell in der österreichischen Besatzungszone im Vergleich zu anderen besetzten Staaten nicht umgesetzt wurde, reichte die Brücke symbolisch von Washington bis Moskau, wie der damalige oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleissner einmal meinte.

Die Aussage Gleissners, dass die Ennsbrücke, die „längste Brücke der Welt“ sei, ist zwar symbolhaft zu verstehen und mit dem politischen Wunsch der Selbstständigkeit Österreichs verknüpft. Wenn dort jedoch Personen von den Sowjets festgenommen und nach Sibirien verschleppt wurden, was auch zu diplomatischen Spannungen führte, wird diese Aussage konkret. Das ist der Anknüpfungspunkt eines weiteren Aspekts dieser Ausstellung, bei dem ausgewählte Schicksale präsentiert werden. Neben dem Fall Margarethe Ottillinger, der 2015 sogar als Universum History-Dokumentation „Spiel mit dem Feuer – Der Fall Margarethe Ottillinger“ verfilmt wurde, werden auch lokale Fälle, wie jener von Franz Peterseil, der dort im Oktober 1945 erschossen wurde, erwähnt.

Die beiden Personen Ottillinger und Peterseil verkörpern einen wesentlichen Aspekt und die Philosophie dieser Sonderschau. So hatte die Ennsbrücke zwar eine symbolische Bedeutung, die über Österreich hinausreichte, sie war aber vor allem für den Lebensalltag der Menschen vor Ort prägend. Diese Personen stehen mit ihren Schicksalen im Mittelpunkt und sollen diese Epoche so gut wie möglich erfass- und begreifbar machen. Bisher unveröffentlichte Dokumente, Artefakte, Fotos und Erinnerungen von Zeitzeugen werden genauso präsentiert wie bisher kaum bekannte Fakten, z. B. der Lufthansa-Flugplatz nahe der Stadt. Die wohl beeindruckendsten Ausstellungsstücke sind die beiden Luftbilder von Enns und Umgebung vom 15. Mai 1945. Dort sieht man neben den unvollendeten Stellungssystemen auch die Lager der deutschen Kriegsgefangenen und deren Wagenhalteplätze sowie die Baustelle der Reichsautobahn (heute Autobahn 1).

Das Buch zur Ausstellung: „EnnsBrücke 1945. Dokumente – Fotos – Zeitzeugen“ 

Sonderausstellungen kommen und gehen. Die Relevanz des dargestellten Themas bleibt, ist mit dem Ende einer Sonderschau jedoch häufig nicht mehr greifbar. Um dem entgegenzuwirken ist es eine seit Jahren gängige Praxis Ausstellungskataloge bzw. Bücher zu diesen zu veröffentlichen. Das vorliegende Buch der Autorengemeinschaft Walter Forstenlechner, Reinhardt Harreither, Dietmar Heck, Gottfried Kneifel, Wolfgang Neuwirth, Anneliese Wagner, Johann Zauner und Margareta Zittmayer sichert den Inhalt dieser Sonderausstellung mit dem gleichen Namen.

Auf 87 Seiten werden alle Themen, für deren vertiefende Auseinandersetzung beim Besuch des Museums die Zeit oft nicht ausreicht, in einer leicht lesbaren und verständlichen, aber dennoch qualitativen Art präsentiert. Dabei werden die Zahlen, Daten und Fakten sowie Hintergründe mit persönlichen Geschichten und Berichten angereichert, wodurch die Philosophie der Ausstellung im Buch ihre Fortsetzung findet. Da die Größe des Ennser Museums sowie der Informationstafeln begrenzt ist, ist dieses Werk nicht nur eine Nachlese, sondern auch eine Ergänzung zu der Sonderschau. Das Buch kann im Shop des Museums oder im Fachhandel zum Preis von € 30,- erworben werden.

Fazit

Die Sonderausstellung „EnnsBrücke 1945“ ist eine „kleine, aber feine“ Präsentation, die das Museum Lauriacum um einen museal aktuellen Aspekt (75 Jahre Kriegsende 1945) der Zeitgeschichte bereichert. Sie stellt diesen für die österreichische Geschichte bedeutenden Ort in einem seiner tragischsten Epochen dar. Schließlich wurde diese Brücke damals für unzählige Menschen von Flüchtlingstrecks, Todesmärschen, aber auch für die sich zurückziehenden deutschen Truppen zum Schicksalsort und danach zur Grenze innerhalb Österreichs und Europas. Da das Jubiläumsjahr 2020 und mit ihm diese Sonderausstellung aufgrund der Coronakrise um ein Jahr „verschoben“ wurde, kann sie noch bis November 2022 besucht werden. Wenn es im Herbst wieder kühler wird, bietet sich neben einem Museumsbesuch auch ein Spaziergang in der Stadt Enns mit ihren zahlreichen Erinnerungsorten und Sehenswürdigkeiten an. Diese zeigen auf anschauliche, wenngleich bedrückende Weise, dass es nicht selbstverständlich ist in einer Zeit des Friedens und der Freiheit zu leben.

Hofrat Gerold Keusch, BA MA ist Leiter Online-Medien beim TRUPPENDIENST.

museum-lauriacum.at

 

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