Gemeinsam sicher in Europa

Die Szenen der Migrations- und Flüchtlingskrise sind bei vielen Österreichern noch präsent. Die Gründe, warum die Menschen vor zwei Jahren nach Europa aufgebrochen sind, wurden noch nicht beseitigt. Jederzeit kann sich ein neuer Strom von Flüchtlingen nach Europa bewegen. Militärische Kräfte bereiten sich deshalb auf einen möglichen Einsatz an einer EU-Außengrenze vor, um im Fall der Fälle vorbereitet zu sein.
„Asylum, asylum, asylum! Let us in!“ rufen 800 vorwiegend junge Männer und drängen an die Absperrungen. Ein Grenzübergang von vielen in die Europäische Union. Menschen, die zwischen Sperrgittern und einer nachdrängenden Menschenmenge eingezwängt sind, schreien um Hilfe. Lautsprecherdurchsagen übertönen den Sprechchor der Flüchtlinge: „Stop pushing! Stop pushing!” Fäuste werden über den Köpfen geballt.
Auf der anderen Seite des Grenzzaunes beruhigen Soldaten in Flecktarnmustern, offensichtlich aus Tschechien und Ungarn, die Menschen. Dazwischen sticht das einfärbige Olivgrün der österreichischen Uniform unter der vielfarbigen Bekleidung der Menschenmenge als Farbfleck ins Auge. Das Geschrei der Eingeklemmten wird immer verzweifelter. Nun ist der Einsatzleiter, ein österreichischer Offizier vom Kommando Schnelle Einsätze, gefordert: „Meine Soldaten werden jetzt ein Seitentor öffnen. Damit verhindern wir ein gefährliches Überdruckszenario. Sollte der Druck zu groß werden, könnte es Verletzte geben. Das werden wir verhindern!“ Erklärt er seinen nächsten Schritt.
Ein Zauntor neben der Menge öffnet sich. Die Menschen strömen in ein Warteareal vor dem Grenzübergang. Der Druck ist entwichen. Die Schreie der jungen Männer verstummen. Nun liegt ein ruhiges Murmeln über dem Grenzübergang. Die Erleichterung ist den Grenzsoldaten deutlich anzumerken. Der Lautsprecherwagen informiert die Menschen: Der geordnete Grenzübertritt in die EU ist nun wieder möglich.
Diese Szenen spielten sich 2017 im österreichischen Allentsteig an der „EU-Außengrenze“ ab. Sofort erinnert man sich an die erschütternden Bilder abertausender Flüchtlinge in Griechenland, Mazedonien und im steirischen Spielfeld. Schnell spürt man, wie der scharfe Geruch von Urin in der Nase brennt, hört das Weinen von Frauen und Kindern, während hunderte Menschen an Grenzzäune drängen. Doch halt! Seit wann ist die EU-Außengrenze im niederösterreichischen Allentsteig? Warum managen Soldaten internationaler Streitkräfte die Einreise an einer österreichischen Grenze? Das kann so nicht stimmen - das gibt es doch nicht! Richtig.
Die Übung
Das beschriebene Szenario, so real es erscheinen mag, hatte einen anderen Hintergrund. Es ist ein Ausschnitt der „Cooperative Security 2017“ (COOPSEC17), einem multinationalem Training, das vom 11. bis 15. September 2017 in Allentsteig stattfand. Das Ziel der gemeinsamen Übung war die Darstellung unterschiedlicher Herangehensweisen und Fähigkeiten der CEDC-Staaten und das Feststellen von Synergien. Die CEDC (Central European Defense Cooperation - Zentraleuropäische Verteidigungskooperation) ist eine informelle Plattform der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Zentraleuropa. Sie wurde 2010 gegründet und umfasst: Österreich, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Tschechien und die Slowakei.
„Eine Situation wie im Jahr 2015 darf sich nicht mehr wiederholen!“ stellt Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil klar. „Deshalb übt das Militär, das einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung der illegalen Migration leistet, gewisse Szenarien. Das heißt nicht, dass diese auch eintreten, aber wir wollen vorbereitet sein.“ Aus diesem Grund trainierten 2.360 Soldaten aus Staaten der „Central European Defence Cooperation“ am Truppenübungsplatz Allentsteig. Sie nutzten die Übung COOPSEC17, um sich auf Assistenzoperationen zum Schutz einer EU-Außengrenze vorzubereiten.
Übungsinhalte
Der Zweck der COOPSEC17 war
- die Darstellung möglicher militärischer Fähigkeiten (bei einem Krisenszenario an einer fiktiven EU-Außengrenze),
- die Unterstützung von Sicherheitsbehörden an einer EU-Außengrenze und
- die Vertiefung der Kooperation teilnehmender CEDC-Staaten auf taktischer Ebene.
Trainiert wurden die Kontrolle von großen Menschenmengen, der Transport und die Unterbringung von großen Menschengruppen und das Vorgehen bei unterschiedlichen Gefahren bei einem Assistenzeinsatz sowie die logistische Unterstützung der Polizei und die Überwachung eines Grenzgebietes unter Einsatz von technischen Mitteln. „Eine Migrationskrise kann man nicht national bewältigen, sondern nur durch internationale Kooperation. Die Schlepper agieren international, unsere Antwort muss daher auch international sein“, so Doskozil. Deshalb übten neben den Soldaten des Bundesheeres auch 160 Kameraden aus Tschechien und Ungarn. Darüber hinaus waren zahlreiche nationale und internationale Beobachter und Besucher vor Ort.
Stationsbetrieb
Vier Ausbildungsstationen - vorbereitet, umgesetzt und geführt vom Kommando Schnelle Einsätze - bildeten den Kern des multinationalen Trainings. Diese waren:
- Zusammenwirken internationaler Grenztruppen mit technischen Einrichtungen;
- Unterstützung eines Grenzkontrollmanagements mit militärischen Mitteln;
- Überwachung einer „grünen“ EU-Außengrenze;
- Aufbau von Infrastruktur für Grenztruppen und Flüchtlinge.
Bei den Stationen wurden konkrete und komplexe Aufgaben geübt. Aus den Ergebnissen der Bearbeitung konnten wesentliche Erkenntnisse hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Streitkräfte gewonnen werden.
Zusammenwirken internationaler Grenztruppen mit technischen Einrichtungen
Eine der Voraussetzungen für einen kontrollierten Grenzübertritt ist der Aufbau von Grenzzäunen und Grenzmarkierungen. Bei dieser Station wirkten österreichische und ungarische Pionieren zusammen, die ihre technischen Kompetenzen einbrachten. Während am Boden die Grenzpatrouillen eine (fiktive) EU-Außengrenze überwachten, lieferten Bodensensoren, wie das Bodenradar „MSTAR“ oder leistungsstarke Wärmebildgeräte am Trägerfahrzeug „Husar“ der Tschechischen Streitkräfte und des Bundesheeres Daten. Luftaufklärungsmittel, wie die „Alouette III“ mit weitreichendem Infrarotsensoren, ein Aufklärungs- und Überwachungsflugzeug mit Spezialbeobachtungsmitteln und die Drohne „Tracker“ vermittelten ein umfassendes Lagebild einer Grenzregion.
Ergebnis: Durch ein internationales Zusammenwirken von Boden- und Lufttruppen ließe sich die weiträumige Überwachung einer EU-Außengrenze über einen langen Zeitraum sicherstellen.
Unterstützung eines Grenzkontrollmanagements mit militärischen Mitteln
Die Erfahrungen aus dem Assistenzeinsatz in Spielfeld und Nickelsdorf haben gezeigt, dass vergangene Abläufe optimiert und weiterentwickelt werden müssen. Deshalb muss auch bei großem Andrang sichergestellt werden, dass Asylsuchende die Grenze nur kontrolliert passieren. Dabei wurde zuerst ihre Identität festgestellt, danach wurden sie humanitär versorgt, wobei Militärpolizisten und Pioniere unterstützten.
Ergebnis: Durch die optimierten Abläufe ließen sich ein lückenlos kontrollierter Grenzübertritt und die humanitäre Versorgung an einem Grenzübergang der EU-Außengrenze über einen langen Zeitraum bewerkstelligen.
Überwachung einer „grünen“ EU-Außengrenze
Aufklärer und Pioniere trainierten mit 48 Soldaten aus Tschechien den Grenzschutz zu Wasser und zu Lande. Dabei wurden auch neue Pionierboote am Fluss Kamp eingesetzt, um die fiktive EU-Außengrenze zu überwachen. Die Herausforderung war einerseits das frühzeitige Erkennen von Flüchtlingen in unübersichtlichem Terrain und andererseits die unfallfreie Aufnahme von Flüchtlingsbooten, die anschließende Kontrolle und die humanitäre Erstversorgung an Land.
Ergebnis: Durch das Zusammenwirken von Pionieren und Grenztruppen ließe sich eine dichte Überwachung und somit der kontrollierte, gesetzeskonforme Grenzübertritt auch an einer schwer zu überwachenden EU-Außengrenze über einen langen Zeitraum bewerkstelligen.
Aufbau von Infrastruktur für Grenztruppen und Flüchtlinge
Für das multinationale Training errichteten 75 Pioniere des Bundesheeres in 14 Tagen ein autarkes Feldlager auf einem 24.000 Quadratmeter großen Areal. Dabei wurden 17.000 Quadratmeter mit 57 Zelten und 108 Containern verbaut. Verwendet wurde das Zeltsystem COLPRO für Gefechtsstände, Drash-Zelte für Unterkünfte, Sanitäranlagen und Lagercontainer, sowie ein Großzelt als Speisesaal. In diesen Einrichtungen lebten über 400 Soldaten aus Österreich, Tschechien und Ungarn während der Ausbildungswoche.
Ergebnis: Das Pionier-Know-How ließe sich bei der Errichtung von Flüchtlingscamps an einer EU-Außengrenze einbringen.


Das Ergebnis der Übung
Am 15. September 2017, dem letzten Tag der COOPSEC17 präsentierte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil das Ergebnis des Arbeitstreffens der Verteidigungsminister der CEDC-Staaten im August 2017. Darüber hinaus verlautbarte er im Beisein seiner Amtskollegen Martin Stropnický (Tschechien) und István Simicskó (Ungarn) sowie zahlreichen Beobachtern aus dem In- und Ausland die Ergebnisse der Übung. Doskozil stellte dabei klar: „Eine Migrationskrise kann man nicht national bewältigen, sondern nur durch internationale Kooperation. Wir demonstrieren, dass wir gemeinsam in der Lage sind, die EU-Außengrenze zu schützen. Weil die EU immer noch keine zivil-militärische Außengrenzschutzmission etabliert hat, müssen wir regional kooperieren, um im Fall des Falles vorbereitet zu sein“ und ergänzte Richtung Brüssel: „Wir wünschen und erwarten uns, dass dieses Modell auch in Europa etabliert wird.”
Ein Artikel der Offiziere und Unteroffiziere der Informations- und Pressestelle der Übung „Cooperative Security 2017“ unter der Leitung von Major Mag.(FH) Pierre Kugelweis, Pressesprecher der Landstreitkräfte.
Anhang
Die Forderungen der Zentraleuropäische Verteidigungskooperation an die EU
Die Zentraleuropäische Verteidigungskooperation (Central European Defense Cooperation-CEDC) ist eine seit 2010 informelle Plattform für mehr Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Zentraleuropa. Mitgliedsstaaten sind Österreich, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Tschechien und die Slowakei. 2016 hatte Österreich die jährlich rotierende Präsidentschaft in der Verteidigungskooperation CEDC inne.
Bereits 2016 fand in Wien eine Konferenz der Verteidigungsminister der CEDC-Mitgliedstaaten sowie von Polen, Serbien, Mazedonien und Montenegro statt. Zentrales Thema war die Flüchtlingskrise. Deutschland und Griechenland waren ebenfalls eingeladen, nahmen jedoch nicht teil. Bei dem Treffen wurden eine gemeinsame Initiative zur Sicherung der EU-Außengrenze, eine fortgesetzte Schließung der Balkanroute und die Umsetzung von Rückführungsmaßnahmen beschlossen. Das damals erstellte Konferenzergebnis wurde an die EU-Kommission zur weiteren Behandlung der Thematik übermittelt.
In einem neuerlichen Anlauf entschlossen sich die CEDC-Staaten das Thema Migration auf EU-Ebene zu heben indem ein gemeinsam erstellter Lösungsvorschlag für den Einsatz von militärischen Ressourcen zur Ordnung der Migration an der EU-Außengrenze entworfen wurde. Konkret einigten sich die CEDC-Staaten Ende August 2017 auf folgende Kernaussagen:
- Wir, die CEDC-Verteidigungsminister, setzen ein klares Signal: „Verantwortung wahrnehmen heißt, Europas Grenzen zu schützen!“
- Die militärischen Kräfte der CEDC-Staaten werden sich weiterhin auf die Unterstützung und Assistenz der Polizei vorbereiten. Dazu sind weitere praktische (Ausbildungs-)Kooperationen geplant. „Unsere Nationen werden die Kontrolle über unsere Grenzen bewahren!“
- In Absprache mit den zivilen Behörden und im Rahmen der nationalen Gesetze werden alle zweckmäßigen Mittel für den Bedarfsfall bereitgestellt. „Wir schützen unsere Bevölkerung!“
- Das kohärente Zusammenwirken von Expertise und Fähigkeiten der Einsatzkräfte bietet den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung und des Staates. „Militär und Polizei können gemeinsam Sicherheit an den Grenzen gewährleisten!“
- Auch in Krisen muss ein Staat seine Handlungsfähigkeit aufrechterhalten können. „Grenzschutz ist Schutz unserer Souveränität!“
- Der Auftrag lautet: Die Sicherheit der Menschen in der Region zu garantieren. „Der Schlüssel für funktionierenden Grenzschutz ist internationale Zusammenarbeit!“
- Migration in und nach Europa muss gemeinschaftlich organisiert und kontrolliert werden. „Wir lassen nicht zu, dass Europa destabilisiert wird.“
- Solange die EU beim Außengrenzschutz nicht handlungsfähig ist, müssen regionale Partnerschaften Verantwortung übernehmen und handeln. „Europäisch denken, regional handeln!“
- Grundlage für ein funktionierendes, menschliches und nachhaltiges Migrationsmanagement ist: Einheitliche europäische Standards und Rechtsgrundlagen; Verfahrenszentren der EU und Abkommen mit den Herkunftsländern. „Grenzschutz ist ein Bestandteil eines umfassenden Konzepts!“
Das praktische Ergebnis dieser CEDC-Übereinkunft war die öffentliche Präsentation der multinationalen, militärischen Zusammenarbeit im Zuge von „Cooperative Security 2017“ am 15. September 2017 am Truppenübungsplatz in Allentsteig (siehe Artikel zu COOPSEC17).