• Veröffentlichungsdatum : 24.03.2021
  • – Letztes Update : 26.03.2021

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Wenn Terror vor der eigenen Tür passiert

Astrid Pichler

Österreich als Insel der Seeligen – so wurde es bislang von seinen Einwohnern empfunden. Terroranschläge passieren in anderen Ländern, aber nicht in Österreich. Eine Ansicht, die am 2. November 2020 auf eine harte Realität traf. Gegen 2000 Uhr fallen in der Seitenstettengasse in Wien nahe einer Synagoge Schüsse. Um sich schießend zieht ein Attentäter durch die Innenstadt, bevor die Polizei diesen eliminiert. Es handelte sich um einen 20-jährigen IS-Anhänger mit österreichischer und nordmazedonischer Staatsbürgerschaft. Bei dem Anschlag wurden 22 Menschen verletzt und fünf Personen, inklusive dem Attentäter, getötet.

Wie wird ein Mensch zum Terroristen?

Bei Untersuchungen über die Persönlichkeitsmerkmale von Terroristen wurden auffällige Merkmale gefunden. Sie fühlen sich entfremdet und zornig. Sie glauben nicht, dass sie ihre Ziele über normales politisches Engagement erreichen können. Sie identifizieren sich mit angeblichen oder tatsächlichen Opfern von sozialer Ungerechtigkeit und sind überzeugt, dass ihre terroristischen Handlungen nicht unmoralisch sind. Die Mitgliedschaft in terroristischen Gruppen gibt ihnen das Gefühl von sozialer Identität. Jedoch konnte keine Evidenz dafür gefunden werden, dass Terroristen zwingend psychisch kranke Personen sind.

Doch wie wird ein Mensch zum Terroristen? Die Entwicklung zu terroristischem Handeln kann als mehrstufiger psychosozialer Prozess beschrieben werden. Oft werden bei späteren Terroristen frühe Belastungen oder eine Sozialisation in einer von der Mehrheit ethnisch, religiös oder politisch unterdrückt erlebten Minderheit beobachtet. Die Personen beginnen mit der Gesellschaft und ihren Normen zu brechen und sich in den Kreis Gleichgesinnter zu flüchten. Es kommt zu einer Polarisierung, zum reinen Freund-Feind-Denken, begleitet von Wahrnehmungsverzerrung und Realitätsverleugnung. Die Identifikation mit dieser „Kontra“-Kultur verstärkt sich zusehends. In der weiteren Entwicklung wird ein terroristisches Selbstverständnis als Krieger entwickelt. Ein Ausstieg aus dieser Gruppe ist kaum noch möglich. Um die politischen Ziele zu erreichen, wird Gewalt in Form von Terror angewendet und als legitimes Mittel der Durchsetzung der eigenen Ziele gesehen. Beim Verbüßen einer Haftstrafe kann es zu einer Weiterradikalisierung kommen.

Was passiert mit Menschen in bzw. nach einem Terroranschlag?

Terroranschläge zielen darauf ab, große Bevölkerungsgruppen in Angst zu versetzen und liegen weit außerhalb des alltäglichen Erfahrungshorizonts. Dies erzeugt Gefühle der Unsicherheit, Trauer, Furcht, Panik oder Wut, wobei jeder Mensch in einer Notfallsituation anders reagiert. Folgende Faktoren beeinflussen das Erleben und die Auswirkungen eines Terroranschlags bei Soldaten:

Einen wesentlichen Einfluss hat eine mögliche Vortraumatisierung bzw. die Anzahl vorheriger belastender Einsätze. Weiters spielen subjektive Faktoren wie die erlebte Todesangst und objektive Faktoren wie das Ausmaß der Verletzung eine Rolle. Der Zusammenhalt unter den Kameraden, die Reaktion des sozialen Umfeldes und der Vorgesetzten kann als Schutzfaktor (Puffer) dienen.

Direkt nach dem Ereignis können akute Belastungsreaktionen auftreten, die durch Desorientiertheit, eingeschränkte Aufmerksamkeit, Rückzug oder Überaktivität gekennzeichnet sind.

In weiterer Folge und ohne geeigneter Intervention kann sich eine Anpassungsstörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) chronifizieren. Bei einer Anpassungsstörung werden Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung erlebt. Bei einer PTBS treten sich aufdrängende Erinnerungen, sogenannte „Flashbacks“, an das Erlebte auf. Gleichzeitig wird ein andauerndes Gefühl des „Betäubtseins“ und der Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen in Kombination mit einer Ruhelosigkeit erlebt.

Wer und was hilft?

Personen, die direkt von einem Anschlag betroffen sind, als Rettungskräfte dazu kommen oder im Nachhinein davon hören, können psychische Defizite aufweisen. Kommandanten können die psychische Gesundheit und Resilienz ihrer Soldaten wesentlich über ihren Führungsstil beeinflussen (vor allem wie gehen Kommandanten selbst mit Belastungen um, wie stark ist die Gruppenkohäsion, das Vertrauen zum Vorgesetzten, die Vorbildwirkung). Weiters stehen ab der Ebene Kompanie psychosoziale Ersthelfer, sogenannte Peers, zur Verfügung.

Hilft das nicht, ist es Zeit für professionellere Hilfe von Militärpsychologen. Diese sind als Truppenpsychologen bei den Brigaden, im Heerespsychologischen Dienst und in den Sanitäts- zentren vertreten. Darüber hinaus gibt es noch das therapeutische Angebot im Institut für Psychotraumatologie im Sanitätszentrum West in Innsbruck.

Astrid Pichler, MSc ist Psychologin in Ausbildung zur Klinischen und Gesundheitspsychologin im HPD. Oberst dhmfD Mag. Gerald Moser ist Klinischer und Gesundheitspsychologe, Notfallpsychologe sowie Referatsleiter im HPD.

 

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