• Veröffentlichungsdatum : 18.04.2021
  • – Letztes Update : 19.04.2021

  • 14 Min -
  • 2732 Wörter
  • - 15 Bilder

Von der Wiener Front nach Vorarlberg

Jörg Aschenbrenner, Nikolaus Hinterstoisser, Gerold Keusch

Anfang April 1945 greift die Rote Armee mit zwei Heeresgruppen (2. und 3. Ukrainische Front) Wien an. Der Vorstoß erfolgt aus dem Süden und Osten, bevor die Stadt schließlich eingeschlossen wird und die deutschen Verbände abziehen. Am 5. April 1945 erreichen die Spitzen der Sowjets Laxenburg. Dort treffen sie auf eilig zusammengestellte deutsche Verbände, die erst Stunden zuvor dorthin verlegt worden waren.

Einer dieser Soldaten war Nikolaus Hinterstoisser, der am 20. Mai 1926 in Krampen bei Neuberg an der Mürz (Steiermark) geboren wurde. Am 1. März 1944 rückte Hinterstoisser zum Infanterieregiment 134 der 44. „Reichsgrenadierdivision Hoch und Deutschmeister“ in Brünn ein. Am 1. Jänner 1945 kam er als Reserve-Offiziers-Bewerber (ROB) nach Znaim. Nach einer dreimonatigen Ausbildung werden er und seine Kameraden aufgrund der militärisch aussichtslosen Lage an die Ostfront bei Wien kommandiert. Als Kommandant einer schweren Maschinengewehr-Gruppe (sMG-Gruppe) erlebte der damalige Offiziersanwärter bei Laxenburg seine Feuertaufe, die gleichzeitig sein letztes Gefecht war. Im Gespräch mit Jörg Aschenbrenner und Gerold Keusch erzählte er seine Eindrücke von den letzten Kriegstagen, die ihn von Niederösterreich bis nach Vorarlberg führten.

Marsch an die Front

Ich werde mit meiner sMG-Gruppe der 1. Kompanie des ROB-Bataillons in Znaim unter Kommando von Hauptmann Pfund zugeteilt. Diese wurde, wie die anderen Kompanien meines künftigen Verbandes auch, neben uns Offiziersanwärtern mit Rekruten eines Ausbildungsbataillons aufgefüllt. Die anderen Soldaten kenne ich nicht, sie sind entweder 17 bis 18 oder zwischen 40 und 45 Jahre alt. In meiner Gruppe sind drei Offiziersanwärter und mehrere Rekruten. Am Znaimer Bahnhof verladen wir Ausrüstung und Fahrzeuge auf den ersten Transportzug, Mannschaft und Pferde auf den nächsten. Am Abend beginnt die Fahrt an die Front. Ich bin mit meiner Gruppe zur Sicherung gegen Luftangriffe in dem Zug mit der Ausrüstung eingeteilt. Das sMG haben wir mit Stricken an einem provisorischen Trosspferdewagen befestigt. Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Znaim wird der „Zapfenstreich“ geblasen. Die ganze Nacht rollt der Zug Richtung Wien. Beim Überqueren der Donau entdeckt uns ein sowjetischer Doppeldecker, (genannt „UVD/Unteroffizier vom Dienst“; Anm.). Dieser beschießt uns mit Bordwaffen und wirft Bomben. Er verfehlt uns und trifft nur die Donau. Wir schießen zurück, verfehlen ihn aber ebenfalls.

Am 4. April 1945 erreichen wir endlich Mödling. Der Zug hält im Bahnhof, doch die Eisenbahner weigern sich, die Waggons an die Rampe zu fahren. Erst zwei Unteroffiziere können sie mit gezückter Pistole überzeugen. Wir entladen das Gerät und stellen die Marschbereitschaft her. Die Kompanie steht neben dem Magazin als eine Eierhandgranate explodiert. Grenadier Kaufmann, ebenfalls ein ROB, hat sie versehentlich im Hosensack abgezogen – er ist unser erster Gefallener. Nach diesem Zwischenfall und dem Eintreffen des zweiten Transportzuges mit Stab, Mannschaft und Fahrzeugen setzen wir uns in Richtung Gumpoldskirchen in Bewegung. Der Fußmarsch führt uns zum Teil entlang der Südbahn bis wir das vorläufige Marschziel beim Weingut „Thallern“ erreichen. Meine Gruppe bezieht ihre Position im Weingarten nördlich der Südbahn. Unsere Waffen sind auf Gumpoldskirchen gerichtet.

Um etwa 0200 Uhr herrscht rege Aufregung. Im Wald neben uns wird geschossen. Ein Volkssturmbataillon, das mit einer Kompanie der Luftwaffenfelddivision verstärkt ist, soll sich neben uns befinden. Wir können keine Verbindung zu ihnen herstellen, da die Luftwaffenmänner beim Eichkogel sind. Dort befand sich eine ortsfeste 8,8-cm-Flakbatterie, ein Teil des äußeren Wiener Flakringes, wo die jungen Luftwaffenhelfer die Sowjets bis zur letzten Granate bekämpften. Vom Volkssturm ist nichts zu sehen, unsere rechte Flanke ist also offen. Vom Kompaniekommandanten erhalte ich den Auftrag, mit dem Bataillonskommando im Weingut „Thallern“ Verbindung aufzunehmen.

Als ich zum Gefechtsstand laufe, stehen plötzlich zwei Rotarmisten vor mir. Beide sind in meinem Alter. Einer feuert einen Schuss ab, danach wirft er sein Gewehr auf den Boden und hebt die Hände. Der zweite macht das gleiche. Noch völlig geschockt, liefere ich die beiden beim Gefechtsstand ab. Hauptmann Pfund befördert mich aufgrund dieser „besonderen Leistung“, die zufällig geschah und in der ich das Glück hatte, dass die beiden Sowjets noch mehr Angst hatten als ich, zum ROB-Unteroffizier.

Ein paar Stunden später sammelt sich das Bataillon und marschiert dann Richtung Mödling. Hinter uns stehen zwei 10,5-cm-Feldhaubitzen neben dem Damm der Südbahn. Sie spannen an und kommen mit uns. In Mödling packt uns der Leichtsinn und wir marschieren in exerziermäßiger Ordnung singend in die Stadt. Das sollten wir bald bereuen. Beim Bahnhof laufen wir Sepp Dietrich, SS-Oberst-Gruppenführer und Generaloberst der Waffen-SS, in die Arme. Er ist Kommandant der 6. SS-Panzerarmee, die sich von Ungarn über Wiener Neustadt in Richtung Wien zurückgekämpft hatte. Der Auftrag unseres Bataillons wäre gewesen, mit der Luftwaffenfelddivision und dem Volkssturm die angreifende sowjetische Panzerdivision aufzuhalten. Nun marschierten wir fröhlich singend durch Mödling. Dietrich tobte und schrie uns an: „Was soll das? Sie gehen zurück! Sie wollen Offiziere werden? Erobern sie sofort Laxenburg zurück!“

Das erste und letzte Gefecht

Auf dem Marsch in Richtung Laxenburg treffen wir um etwa 0900 Uhr auf zwei Panzer IV, die auf der Kreuzung der Bundesstraße Richtung Biedermannsdorf stehen. Einer hat keine Ketten mehr und dient als Artillerieersatz, der andere scheint noch intakt zu sein. Der Kommandant der „Panzergruppe“ streitet lautstark mit einem Wehrmachtsbeamten, die wir als „Bremsklötze“ bezeichneten. Es geht um Benzin, das zu diesem Zeitpunkt eine absolute Mangelware ist. Wir halten kurz an, dann nehmen wir die Gefechtsordnung ein. Meine Kompanie marschiert am rechten Flügel des ROB-Bataillons über die Felder Richtung Laxenburg, wo sich heute das Industriezentrum NÖ Süd und die Autobahn befinden. Damals durchzogen Wassergräben die Felder, die wir als Deckung hätten nützen können. Wir gehen jedoch schulmäßig in Schützenkette vor. Das sollte sich bald rächen.

Vor uns waren bereits die Spitzen der Roten Armee am Bahndamm der Aspangbahn angekommen und dort in Stellung gegangen. Sie eröffnen das Feuer und fügen uns die ersten Verluste zu. Da sich die Sowjets absetzen, schaffen wir es, den Bahndamm beim Wiener Neustädter Kanal zu erreichen. Dort angelangt, bringen wir sofort unsere sMG in Stellung Richtung Laxenburg. Meine Gruppe liegt am rechten Rand des Bataillons. Neben uns sollen auch eigene Kräfte sein, die dort aber nie auftauchen. Die Kameraden der Schützenkompanie beschießen die zurückweichenden Sowjets mit leichten Maschinengewehren (lMG) und Karabinern. Meine Gruppe liegt links oberhalb der Bahnunterführung des Feldweges, der nach Laxenburg führt am Bahndamm. Hinter meiner sMG-Gruppe ist das Kompaniekommando bei einer Baumgruppe. Dort sammeln sich etwa 20 Soldaten für einen Gegenstoß durch die Unterführung – ein Himmelfahrtskommando!

Unsere Verluste sind enorm. Die Sowjets feuern auch mit Granatwerfern. Sie treffen die Bäume, wo das Kompaniekommando liegt. Splitter töten den Kompaniekommandanten und einige ROB. Der Gegenstoß bleibt in der Unterführung liegen. Überall sind Tote und Verwundete. Der MG-Schütze 1 meiner Gruppe wird durch einen Kopfschuss von rechts getroffen. Der MG-Schütze 2 übernimmt die Waffe. Er erfährt das gleiche Schicksal: Kopfschuss von rechts. Ein Kamerad brüllt: „Achtung von rechts! Aus dem Bahnhäusl wird geschossen!“ Der Abschuss einer Panzerfaust lässt den Rotarmisten verstummen. Ein anderer Schütze schreit von links: „Gegenüber sind sowjetische Frauen!“. Am Ortsrand erkenne ich tatsächlich zehn bis fünfzehn Frauen in der Uniform der Roten Armee. Sie stehen etwa 100 m von uns entfernt, verschwinden aber kurz darauf. Von rechts nähern sich sowjetische Jagdbomber. Sie fliegen sehr niedrig, entladen ihre Bomben aber zu unserem Glück über ihren eigenen Leuten. Durch die Unterführung im Bahndamm schießen die Sowjets mit zwei MG. Wir feuern zurück, woraufhin eines verstummt.

Uns geht die Munition aus. Ich will neue nach vorne holen, traue mich aber nicht über die Brücke des Wiener Neustädter Kanals zu laufen. Dort liegen einige Gefallene und Verwundete. Noch immer feuert ein sowjetisches MG durch die Unterführung. Ich springe ein paar Meter neben der Brücke über den etwa zweieinhalb Meter breiten Kanal. Ich springe aber zu kurz und falle auf ein altes Geländer im Wasser. Knöchelbruch – mitten im Gefecht! Ich kauere unter der Brücke, und fasse nach kurzer Zeit den Entschluss mich „zurückzukämpfen“. Ein paar Kameraden helfen mir aus dem Wasser. Ich humple die ersten Meter mit meinem Karabiner als Gehstock auf dem Weg neben dem Kanal. Später kreiche ich auf allen Vieren im Feld daneben weiter.

In meinem Sturmgepäck spüre ich Einschläge. „Gib Acht! Ein Scharfschütze hat dich im Visier!“, höre ich einen Kameraden rufen. Ich robbe weiter, vorbei an gefallenen Kameraden, mit denen ich bis März 1943 die Hietzinger Oberschule besuchte. Endlich erreiche ich die Stellung unserer 7,5-cm-Panzerabwehrkanone (PAK). Diese wird von einer Stalinorgel beschossen, jedoch ohne Erfolg. Dafür gelingt es der PAK einen T-34-Panzer abzuschießen, der nach einem Kettentreffer auf der Brücke über dem Wiener Neustädter Kanal steht. Ich verschanze mich bei der PAK. Um etwa 2000 Uhr werde ich mit anderen Verwundeten auf einen alten Bauernwagen geladen, der in Znaim samt Pferd beschlagnahmt wurde, und mit uns nach Mödling kam.

Verwundetentransport in den Westen 

Noch bevor wir die Stadt erreichen, kontrollieren SS-Männer die Verwundungen meiner Kameraden und auch meine Verletzung. Ich werde in das Lazarett Wien-Rosenhügel gebracht, wo es eine bessere medizinische Versorgung gibt. Dieser Ort wird jedoch bereits von der Roten Armee beschossen, die nur etwa fünf Stunden später durchbricht. Alle Gehfähigen werden mit einem Bus abtransportiert. Ich bekomme eine Krücke von einer Schwester und einen Platz in dem Bus. Wir fahren zunächst nach Wien-Alsergrund in ein Lazarett und von dort weiter bis zur Floridsdorfer Brücke. Dort hält der Bus, da eine 8,8-cm-Flak vom linken Brückenkopf aus in die Stadt feuert.

Neben uns steht ein alter Landsturmsoldat, der etwa zehn junge Frauen bewacht. Der Kommandant unseres Verwundetentransports, ein SS-Junker, will wissen was mit ihnen passiert. „Das sind Juden aus Ungarn, die werden erschossen“, ist die Antwort. Unser Kommandant versucht die Frauen zu retten und will sie im Bus mitnehmen. Er schreit den Landsturmsoldaten an, dass man Frauen doch nicht erschießen könne. Daraufhin nimmt dieser seine Waffe in den Anschlag und zielt auf den Junker, der – wie alle anderen Soldaten des Verwundetentransportes auch – unbewaffnet ist. Wir fahren weiter nach Krems. Dort liegt der Schnelldampfer „Uranus“, der zum Lazarettschiff umfunktioniert wurde. Ich habe mich bereits mit drei Kameraden zu einer Gruppe zusammengefunden. Zwei haben einen gebrochenen Oberarm, der Dritte ein gebrochenes Bein. Das Schiff ist bereits voll und kurz vor dem Ablegen. Zwei Schwestern bringen uns gerade noch rechtzeitig an Bord.

Auf der Donau herrscht starker Verkehr. Alles, das schwimmen kann, wird für die Flucht in den Westen genutzt. Richtung Wachau kommen uns drei Monitore mit hohem Tempo entgegen. Sie drehen kurz vor unserem Schiff bei und schießen dann aus allen Rohren Richtung Tulln. Nach einer Nacht und einem Tag erreichen wir Linz. Wir werden auf die „Budapest“, einen alten Raddampfer, umgeladen und laufen am nächsten Morgen in Passau ein. Vor unserem Schiff legt ein ungarischer Schleppzug mit drei Schleppkähnen an. Die Luken gehen auf und fast verhungerte alte Frauen und Männer in zerlumpten Kleidern – ungarische Juden – werden von ihren Bewachern aus dem Schiff getrieben. Am Kai werden sie von ihren Peinigern, die mit Stöcken auf die wehrlosen Menschen einprügeln, in einen Lastenzug gehetzt. Auf der „Budapest“ entsteht Unruhe. Lautstark protestieren wir gegen diese unmenschliche und brutale Behandlung. Die grün Uniformierten richten ein sMG auf uns. „Alle Mann unter Deck!“, lautet der Befehl, damit wir die grausame Szene nicht weiter beobachten können.

Einige Zeit später verlassen wir das Schiff. Dabei beobachte ich die anderen Soldaten. Keine Uniform ist in einem guten Zustand, viele sind zerlumpt und haben ihre Bekleidung nur noch irgendwie zusammengebunden. Manche haben nur noch Strohschuhe an den Beinen und jeder irgendeinen Verband um einen Körperteil gewickelt. Ich habe einen Gehgips und bin in meiner Bewegung nur leicht eingeschränkt. „Der Herr Offiziersanwärter könnte nun auch einmal etwas leisten“, spricht mich ein Feldwebel an. Er übergibt mir den Transportbefehl für 40 Mann nach Salzburg. Dort angelangt, sind nur noch ich und meine drei neuen Kameraden übrig. Alle anderen sind während der Fahrt irgendwo ausgestiegen und abgehauen. Wir übernehmen die Verpflegung für die nicht mehr vorhandenen 40 Mann und verteilen sie an Flüchtlinge. Aufgrund der chaotischen Situation in Salzburg erhalten wir Marschbefehl nach Innsbruck. Aber auch dort ist die Lage anarchisch, weshalb wir nach Vorarlberg weiterfahren. Erst in Feldkirch endet unsere Irrfahrt im Lazarett der Stella Matutina (heute Sitz des Vorarlberger Landeskonservatoriums; von 1856 bis 1979 ein Privatgymnasium des Jesuitenordens, das 1938 von den Nationalsozialisten geschlossen wurde; Anm.).

Kriegsende und Gefangenschaft

Ende April 1945 erreichen französische Truppen Vorarlberg. Französische Soldaten kommen in das Lazarett und sperren alle Gehfähigen, auch uns vier, in den Keller. Da wir nur schlampig bewacht waren, brechen wir aus. Wir entwaffnen unseren Bewacher, einen Marokkaner, und flüchten Richtung Bludenz. Bei einem Sägewerk schnappen wir uns einen Traktor als Fluchtfahrzeug, mit dem wir weiterfahren. In einer Rechtskurve vor Bludenz hören wir Schreie. Vor uns steht eine 8,8-cm-Flak. Sie zielt auf einen etwa 500 m hinter uns fahrenden französischen Panzer und möchte diesen bekämpfen. Einige hundert Meter weiter werden wir von einer Streife angehalten. „Wer ist Österreicher? Das neue Österreichische Bundesheer wird aufgestellt, meldet euch!“, sagen die Widerstandkämpfer zu uns. Wir melden uns nicht und fahren weiter nach Bludenz.

Am Bahnhof angekommen, fragen wir einen Eisenbahner wann der nächste Zug nach Innsbruck fährt. Er schimpft mit uns und schreit: „Mit euch fahren wir überhaupt nicht!“ Kurz darauf erscheint ein Zug des Reichsarbeitsdienstes mit etwa 30 Mann am Bahnhof. Der Zugsführer, ein Feldmeister (entspricht einem Leutnant; Anm.), will einen Eisenbahntransport nach Tirol. Er erhält jedoch dieselbe Antwort wie wir. Daraufhin lässt der Feldmeister seinen Zug antreten und die Gewehre laden. „Sie fahren oder wir schießen!“, schreit er die Eisenbahner an. Schließlich transportiert uns eine Elektro-Lok mit nur einem Waggon durch den Arlbergtunnel bis zur Trisanna Brücke, der damals höchsten Eisenbahnbrücke des österreichischen Streckennetzes. Auch dort herrscht ein völliges Durcheinander. Mit einigen Luftwaffenhelferinnen bleiben wir bis 3. Mai 1945 bei einem Bauern. Dann beschließen wir aufzugeben und marschieren zwischen den in Auflösung befindlichen Truppen in das Lazarett von Pians bei Landeck. Auf dem Weg dorthin halten uns vier Tiroler „Standschützen“ auf. Sie wollen uns die Schulterklappen und die „Flak-Kampfabzeichen“ abnehmen, was wir mit gezückten Pistolen jedoch vereiteln.

Nur wenige Tage später erreichen US-Truppen das Lazarett. Bis Juni 1945 stehen im Inntal noch vollkommen einsatzfähige Deutsche Truppen neben den Amerikanern. Es geht das Gerücht um, General Patton wolle die deutschen Kräfte für eine mögliche Auseinandersetzung mit der Sowjetunion bereithalten. Anfang Juli 1945 komme ich in das Kriegsgefangenenlager Innsbruck und dann in einen Steinbruch und zu anderen Einsätzen am Brenner oder dem Innsbrucker Bahnhof, wo ich als Dolmetscher arbeite. Ein paar Tage später übernehmen die Franzosen Tirol von den Amerikanern, das gemeinsam mit Vorarlberg ein Teil ihrer Besatzungszone ist. Ich werde einem Kommando in einem ehemaligen Materiallager der Deutschen Wehrmacht zugeteilt. Dort ist massenhaft Ausrüstung, die die Soldaten dringend an der Front benötigt hätten. Wir verladen alles in Kisten für den Transport nach Frankreich. 

Anfang Oktober erfolgt eine internationale Kontrolle des Innsbrucker Kriegsgefangenenlagers unter Führung einer Schweizerin. Ich spreche die Frau an und erzähle ihr, dass im Lager viele Österreicher sind, die nicht bei der SS waren. Zwei Tage später erhalten wir die Entlassungsscheine und können endlich nach Hause fahren. Damit ist meine Dienstzeit als Soldat und Reserveoffiziersbewerber, die mich von Brünn (zum Infanterieregiment 134 der 44. „Reichsgrenadierdivision Hoch und Deutschmeister“) nach Znaim (zur ROB-Ausbildung), nach Laxenburg (an die Front), über Wien, Krems und Passau (Verwundetentransport) bis nach Feldkirch (in das Lazarett) und Innsbruck (in die Kriegsgefangenschaft) geführt hatte, endgültig beendet.

Fazit

Nikolaus Hinterstoisser hatte großes Glück. Sein Knöchelbruch rettete ihm vermutlich das Leben. Seine Kampfgruppe wurde – auch aufgrund des fehlenden rechten Flankenschutzes – eingekesselt. Seine Kameraden, die den Kampf überlebt oder sich ergeben hatten, wurden von den Sowjets südlich von Biedermannsdorf gesammelt und exekutiert. Seine Kriegserlebnisse zeigen, dass häufig „der Zufall“ darüber entscheidet, wer am Gefechtsfeld stirbt oder überlebt. Jede Minute kann sich die Lage völlig ändern und der Tod lauerte buchstäblich hinter der nächsten Ecke.

Doch auch wenn im unmittelbaren Gefecht der Handlungsspielraum eines Soldaten oft gering ist, versuchte Hinterstoisser die Übersicht zu bewahren. Trotz des Chaos des Kampfes gelang es ihm, das Gelände, den Gegner und die Eigenen richtig zu beurteilen und zu handeln. Aber auch später, als ihn seine Verletzung bis nach Vorarlberg führte, setzte er zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Schritte. Somit gelang es ihm nicht nur zu überleben, sondern bereits wenige Monate nach dem Ende des Krieges zu seiner Familie zurückzukehren. Am 20. Mai 2021 feiert Nikolaus Hinterstoisser seinen 95. Geburtstag. TRUPPENDIENST gratuliert herzlich und dankt für das Interview. 

Oberst dhmtD Dr. Jörg Aschenbrenner ist Chefredakteur und Leiter der Redaktion TRUPPENDIENST. Hofrat i. R. Dipl.-Ing. Nikolaus Hinterstoisser war Reserveoffiziersbewerber im Zweiten Weltkrieg, der bei der Wiener Operation bei Laxenburg eingesetzt war. Hofrat Gerold Keusch, BA ist Leiter Online-Medien beim TRUPPENDIENST.

Link: TRUPPENDIENST-Artikel zum Kriegsende 1945 

 

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)