• Veröffentlichungsdatum : 19.02.2021

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Training für den Ultra-Triathlon

Gerold Keusch, Luis Wildpanner

Einen Marathon zu laufen, können sich viele Menschen, die keinen oder nur wenig Sport betreiben, kaum vorstellen – geschweige denn, einen Ironman oder gar einen Ultra-Triathlon zu bewältigen. Doch so unvorstellbar die Distanzen eines solchen Bewerbes auch sein mögen, noch unvorstellbarer ist das monatelange Training im Vorfeld, um überhaupt daran denken zu können, an Wettkämpfen dieser Dimension teilzunehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich – nicht nur für den Sportlaien – die Frage: Wie trainiert man für einen Ultra-Triathlon und wie sieht der typische Trainingstag eines Ultra-Triathleten aus?

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„Wenn man sich einigermaßen seriös für einen Ultra-Triathlon vorbereitet, gibt es eigentlich keinen typischen Trainingstag. Einer der Gründe dafür ist die besondere Organisation des Trainings, das ich – wie auch die anderen Maßnahmen in der speziellen Wettkampfvorbereitung – auf meine dienstlichen Verpflichtungen abstimmen musste. Schließlich war und bin ich Berufsoffizier und somit in einem Beamten-Dienstverhältnis. Ich hatte im Gegensatz zu den Heeres-Leistungssportlern, die als Zeitsoldaten in einem befristeten Dienstverhältnis stehen, nicht die Chance den gesamten Arbeitstag für das Training nutzen zu können. Ich hätte zwar die Möglichkeit einer unbezahlten Karenz in Anspruch nehmen können, was ich mir damals aber finanziell nicht leisten konnte.“ Aus diesem Grunde absolvierte Wildpanner sein Training vor allem in der Freizeit, obwohl er einige kürzere Trainingseinheiten in der Dienstzeit durchführen konnte. Schließlich sind alle Soldaten des Bundesheeres dazu verpflichtet, jede Woche zumindest drei Stunden Körperausbildung zu betreiben, um die nötige Fitness für den Dienst zu entwickeln bzw. zu erhalten.

Rückwärtsplanung

Als Grundlage für die Planung seiner Trainingseinheiten diente Wildpanner der jeweilige Wettkampftag. Mit einer Rückwärtsplanung legte er die Trainingshäufigkeit, den Umfang und die Intensität der einzelnen Trainingswochen so gut wie möglich fest. Dabei war es ihm wichtig, die Trainingsprinzipien und -grundsätze in die jeweiligen Trainingsphasen zu integrieren und möglichst optimal mit seinen dienstlichen Aufgaben zu verbinden. „Ich trainierte beinahe in jeder freien Minute, bei jeder Tages- und Nachtzeit und auch bei jedem Wetter. Ich bin fest davon überzeugt, dadurch einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber meinen Kontrahenten erlangt zu haben – sowohl physisch als auch psychisch.“

Während viele Athleten bei schlechtem Wetter in die Kraftkammer gingen oder es sich auf dem Ergometer oder Laufband „gemütlicher machten“, fuhr Wildpanner mit seinem Triathlon-Rad auf dem Donauradweg von Enns Richtung Westen bis an die deutsche oder Richtung Osten bis zur ungarischen Grenze und lief danach oft auch noch die berühmt-berüchtigte 45-km-„Einstiegsmarschrunde“, die von Unteroffiziersanwärtern der Heeresunteroffiziersakademie inmitten des Traunviertels zwischen Enns und Linz im Fußmarsch zu absolvieren war. Viele – vor allem körperlich schwächere Unteroffiziere – scheiterten an diesem Zweitages-Stationsmarsch, der bis in die 1990er-Jahre ein Teil der Aufnahmeprüfung für den Stabsunteroffizierslehrgang war und mit der gesamten Mannesausrüstung (Kampfanzug, Waffe und Gepäck) bewältigt werden musste. Wildpanner benötigte für diese Trainingsstrecke etwa 3:30 Stunden.

„Natürlich war auch ich vor einer 250 Kilometer Trainingsausfahrt bei nasskalter Witterung nur wenig begeistert, wenn ich das Rad aus dem Keller holen musste. Aber alleine die Tatsache, dass ich mich dazu immer wieder überwinden konnte und auch bei widrigsten Witterungsverhältnissen – oft auch die gesamte Nacht bis in die frühen Morgenstunden – auf dem Rad saß, war ein unbeschreiblicher Vorteil während der harten Phasen in den Wettkämpfen. Schließlich wusste ich, dass es gerade diese unangenehmen Bedingungen waren, die ganz wesentlich zu meinem Trainings- und Leistungsvorsprung beigetragen haben und mich letztendlich zum Sieg führten.“ Bei all seiner Trainingshärte war der Berufsoffizier jedoch nie fahrlässig, da er aufgrund seiner beruflichen Erfahrung wusste, wie wichtig die „Kampfkrafterhaltung“ ist. Er passte sowohl die Trainingsstrecken als auch die Bekleidung an die aktuellen Witterungs- und Lichtverhältnisse an, hatte immer eine hochwertige Lichtanlage für seine Nacht-Radeinheiten und legte auch längere Pausen ein, wenn es nötig war.

Training außerhalb der Komfortzone

„Eines war mir immer bewusst. Wenn ich gewinnen will, darf ich nur beim Regenerationstraining in der Komfortzone bleiben! Schließlich kann jeder trainieren, wenn er im ‚Flow’ ist, sich die Kilometer dabei von selbst abspulen, das Training Spaß macht und man sich leicht und locker fühlt (Anmerkung: Als Flow wird ein körperlich, geistig- und seelisches Hochgefühl bezeichnet. Dieses tritt vor allem bei zyklischen Ausdauersportarten, wie beim Laufen, Radfahren oder Schwimmen durch das Ausschütten spezieller Hormone bei längeren und extensiven Trainingseinheiten auf). Die Kunst bei der Umsetzung einer gediegenen Wettkampfvorbereitung ist es aber, gerade dann weiterzumachen, wenn es unangenehm wird, oder – vor allem in der speziellen Vorbereitungsperiode wegen der hohen Trainingsintensität – sogar weh tut. Spätestens in dieser Phase trennt sich dann die ‚Spreu vom Weizen’.“

Triathlon wird von manchen Athleten aber auch Außenstehenden als „Sport im Reich der Schmerzen“ bezeichnet. Und Wildpanner wusste wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrungen in diesem Metier sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn der Körper immer müder wird bis die körperlichen Schmerzen die Grenzen der Erträglichkeit erreicht haben. Dieses von Beginn an zunehmende Gefühl vor allem in der Beinmuskulatur geht schleichend von einem anfangs noch leicht dumpfen in einen allmählich immer spitzer und stechender werdenden Muskelschmerz über, bei dem sich schließlich jeder Schritt anfühlt, als würde bei jedem Bodenkontakt ein Stromstoß durch den Körper jagen. Die „Auseinandersetzung“ mit den Grenzwerten dieser speziellen Schmerzgefühle sparte sich Wildpanner jedoch für die Wettkämpfe auf, denn für diese Durchhaltefähigkeit sind zudem extreme mentale Fähigkeiten gefordert. „Natürlich war ich auch im Training oft müde, erschöpft und „spürte“ meine Muskeln. „Richtige“ Schmerzen waren das aus meinem Empfinden heraus aber nicht. Schließlich war und bin ich weder verrückt noch ein Masochist, auch wenn das durch manche Medien und Außenstehende, die weder mich noch meinen Sport richtig kannten, oft behauptet wurde. Ich war ein Sportler, der sich nach bestem Wissen und Gewissen auf seine Ziele und Wettkämpfe vorbereitet hat. Deshalb habe ich nie vergessen, dass Schmerzen auch immer Alarmsignale sind, die man beachten und Ernst nehmen muss.“

Wildpanner, der bereits viele Jahre vor seiner Triathlon-Karriere mit dem Ausdauersport begonnen hatte, konnte die Grenze zwischen dem „gesunden Schmerz“ einer gewollten höheren Belastung und dem „negativen Schmerz“ bzw. einer sich anbahnenden oder akuten Verletzung gut einschätzen und unterscheiden. „Als erfahrener und aktiver Sportler kennt man seinen Körper sehr gut. Das gilt speziell für den Triathlon-Sport, in dem man sich selbst mit all seinen positiven und negativen Eigenschaften erst so richtig kennenlernt. Deshalb reagiert ein erfahrener Sportler auf Signale des eigenen Körpers sehr sensibel, Schmerzen – egal welchen Grades – kann er gut von einer Verletzung unterscheiden und sich bis zum Ausschöpfen der letzten Energiereserven weiterquälen. Dabei erreicht man einen Zustand, den sich ein Laie nur schwer vorstellen kann.“

Die mentale Stärke hat Wildpanner ganz gezielt und immer wieder vor allem in seinen unzähligen Trainingseinheiten gestärkt. Dabei trotzte er nicht nur Regen, Nacht, Müdigkeit und den daraus resultierenden körperlichen Schmerzen, sondern auch dem „natürlichen Feind“ jedes Radfahrers – dem Wind. „Ich fuhr mit dem Rad, wann immer das möglich war, mit dem Wind im Rücken weg und gegen den Wind zurück. Als ich in bereits ermüdetem Zustand gegen den Wind nach Hause fuhr, habe ich mir immer wieder vorgestellt, ein Fisch zu sein, der gegen den Strom schwimmt. Denn Fische schwimmen immer dann gegen den Strom, wenn sie besonders schnell sein müssen – zum Beispiel wenn sie flüchten. Die Methode ein positives Bild für eine Situation im Geist zu malen, nennt man in der Psychologie ‚einen Anker setzen’. Durch die Vorstellung ein Fisch zu sein, der gegen die Strömung schwimmt, verankerte ich meinen Glauben, dass mein Leistungsvorsprung – im Verhältnis zu meinen Gegnern – immer größer werden würde, je stärker mir der Gegenwind ins Gesicht blies. Ich habe mir damals vor allem zwei Leitsätze verinnerlicht. Erstens: wenn der Wind von hinten weht sind alle stark und schnell, wenn er allerdings von vorne bläst, hält er mir meine Gegner vom Leib. Zweitens: der Wind ist mein Partner, denn gerade wenn er von vorne bläst, bringt er meine Stärke erst richtig zur Geltung und macht mich zum Stärksten und Schnellsten im Feld.“ Luis vrbündete sich mit dem Wind, den er ohnehin weder verhindern noch beeinflussen konnte und machte ihn zu seinem Trainingspartner und „mentalen Kameraden“.

Heute ist er fest davon überzeugt, dass es neben seiner Liebe zum Detail bei der Vorbereitung und Planung, seinen außergewöhnlichen körperlichen Voraussetzungen und der Unterstützung des vermutlich besten Betreuerteams, das es in diesem Sport jemals gab, vor allem seine mentale Stärke war, die ihn zum Sieger machte. „Einige Athleten mit denen ich gemeinsam am Start stand, waren körperlich mindestens so stark wie ich. Ich aber vertraute vor allem auch auf meine mentale Stärke, die ich sowohl beim Training als auch im Wettkampf jederzeit abrufen konnte. Und diese Fähigkeit entscheidet bei Ultra-Bewerben letztendlich über Sieg oder Niederlage.“

Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg war für ihn die aktive Regeneration in Form der Funktionsgymnastik, deren Wirkung von vielen Athleten nach wie vor unterschätzt wird. „Für mich bestand der Triathlon nie aus nur drei, sondern immer aus vier Sportarten: Schwimmen, Radfahren, Laufen und Funktionsgymnastik. Gerade die Funktionsgymnastik ist notwendig, um Haltungs- und Überlastungsschäden vorzubeugen bzw. diese möglichst zu vermeiden und muskuläre Dysbalancen auszugleichen.“ Bei der Funktionsgymnastik werden jene Muskeln, die aufgrund starker Beanspruchung – häufige und einseitige Alltagsbewegungen oder eine intensiv ausgeübte Sportart – zur Verkürzung neigen, gedehnt und jene, die weniger beansprucht werden und somit zur Abschwächung neigen, gekräftigt. „Funktionsgymnastik macht nicht nur aus gesundheitlichen Gründen einen Sinn, sie fördert auch die Regeneration, ist eine effiziente Vorbeugung vor Verletzungen und nicht zuletzt ein wirksamer Gelenksschutz. Vor allem im Hochleistungssport des Ausdauerbereiches kommt es zu einer erhöhten Spannung der Muskulatur über einen längeren Zeitraum, die je nach genetischer Veranlagung zu einem Problem für den Stützapparat werden kann. Durch regelmäßiges Dehnen dieser Bereiche kann man dem effizient entgegenwirken.“

5-Tage-Trainingsblock

Beinahe jeder leistungsorientierte Athlet ist auf der Suche nach dem perfekten Trainingsplan. Dabei sollten vor allem die Ruhe- und Belastungsphasen des Trainings so aufeinander abgestimmt werden, dass als Ergebnis davon – neben dem richtigen Einsatz der Belastungskomponenten – im Optimalfall eine maximale Steigerung der Leistungsfähigkeit möglich sein sollte. Dabei stellen sich für jeden leistungsorientierten Sportler immer wieder die zentralen Fragen, zu welchem Zeitpunkt welches Training mit welchem Umfang und Inhalt durchgeführt werden soll und wie lange die Regenerationszeiten dazwischen sein müssen. Aber genau diese essenziellen Fragen können von keinem auch noch so erfahrenen Experten mit 100-prozentiger Sicherheit beantwortet werden und je genauer die Antworten darauf sein sollen, umso aufwendiger und teurer sind die dafür erforderlichen Methoden. Aber selbst wenn man wissen würde, wann, wo und wie die Trainingseinheiten und Regenerationsphasen am besten geplant werden sollten, heißt das noch lange nicht, dass man diese dann auch tatsächlich auch genauso einhalten kann oder will. Egal wie gut ein Trainer ist, wieviel er kostet und wie weit man ihm vertraut, letztendlich gilt: „Jeder Sportler muss bis zu einem gewissen Grad sein eigener Trainer sein und die Grundzüge der Trainingsplanung kennen. Schließlich kennt niemand den eigenen Körper besser als man selbst.“

Wildpanner ist staatlich geprüfter Diplomsportlehrer. Aufgrund seiner Spezialisierung unter anderem in den Bereichen „Leichtathletik“ und „Radsport“ sowie seiner langjährigen Erfahrung aus unzähligen Wettkämpfen in verschiedenen Disziplinen wusste er sehr genau, wie er sein Training grundsätzlich gestalten musste. Dennoch war auch er bei dieser extremen und komplexen Sportart darauf angewiesen, zusätzliche Selbsterfahrungen zu sammeln, da es kaum (Fach) Literatur für das Ultra-Triathlon-Training gibt. Ein Ergebnis dessen waren die 5-Tage-Trainingsblöcke. Sie waren die Schlüsseltrainingseinheiten und der Höhepunkt der speziellen Vorbereitung für einen Ultra-Wettkampf und beinhalteten ein 24-Stunden-Training am letzten Tag. Bei dem 5-Tage-Trainingsblock trainierte Wildpanner – wie es der Name bereits verrät – fünf Tage hintereinander, wobei er den Trainingsumfang täglich steigerte. „Am fünften Tag klingelte der Wecker schon vor Tagesanbruch. Da nach ein paar Happen zum Frühstück das Freibad noch lange geschlossen war, fuhr ich in der Morgendämmerung zu einem nahegelegenen See, um dort mehrere Stunden zu schwimmen. Danach stieg ich – nach einer kurzen Verschnaufpause, die nie länger dauerte als das Umziehen – auf mein Rad, fuhr von Enns zum Neusiedlersee, über Ungarn einmal rundherum und dann wieder retour. Das waren immerhin an die 500 km, die ich meistens unter 18 Stunden schaffte. Nach einer kurzen Pause, die ich nur zum Umziehen und für die Einnahme einer einfachen, schnell zubereiteten warmen Mahlzeit nutzte, lief ich zum Abschluss noch einen Marathon im Traunviertel.“

Dieses Spezialtraining dauerte bis in die frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages, meistens sogar bis kurz vor Dienstbeginn am Montagmorgen – das daraus resultierende und aufgrund der Vortage bereits angehäufte Schlafdefizit war dabei bewusst eingeplant. Die Zeit für diesen Trainingsblock war relativ leicht zu finden, da es speziell im Frühjahr immer einige Feiertage gibt, die man mit einigem Geschick und nur wenigen Urlaubstagen zu einem gut nutzbaren Trainingsblock verbinden kann. Und genau diese verlängerten Wochenenden nutzte Wildpanner dazu, sich nach jedem Aufstehen während dieses 5-Tage-Blocks erneut dem Training zu stellen, das ihm aufgrund der Vorermüdung des jeweiligen Vortages immer mehr Überwindung kostete.

„Mir ist es aufgrund meiner klar definierten Ziele, der exakten Planung und meinem absoluten Fokus auf meine Wettkämpfe immer gut gelungen, die entscheidenden Trainingseinheiten in den wichtigen Trainingsphasen exakt nach Plan zu absolvieren. Egal, ob ich am Freitagabend noch vom Vortag müde war oder nicht – am Samstag trainierte ich noch länger und am Sonntag setzte ich sogar noch einen drauf und beendete diesen entscheidenden Trainingsblock nie vor Montag in der Früh.“ Trotz der enormen Trainingsumfänge kam Luis mit nur ein paar Stunden Schlaf pro Tag aus. Das steht eigentlich im Widerspruch zu einer effizienten Regenerationsphase, die vor allem ein Hochleistungssportler dringend braucht und daher auch zwingend einplanen muss. Luis benötigte hingegen scheinbar umso weniger Schlaf, je fitter er war und hatte daher im Vorfeld seiner wichtigsten Wettkämpfe nur selten das Gefühl, wegen Schlafmangels müde oder schlapp zu sein. „Der Ausdauersport verbessert nicht nur die körperliche Widerstandsfähigkeit, sondern auch die Regenerationsfähigkeit und der Körper erholt sich daher umso schneller von einer Belastung desto besser er trainiert ist. Als Nebenprodukt kann sich daher die Schlafzeit deutlich verringern.“

Training für Körper und Geist

Diese „Königseinheiten“ machten nicht nur Wildpanners Körper, sondern auch seinen Geist stark. Schließlich muss man für die erfolgreiche Teilnahme an einem Ultra-Triathlon in der Lage sein, die Müdigkeit zu ertragen, die früher oder später immer auftritt. Schlafmangel und der Umgang damit ist bei Ultra-Bewerben ein Faktor, der für die Leistungsfähigkeit im Wettkampf und somit für das Ergebnis mitentscheidend ist. Für einen Sieg bedarf es allerdings noch wesentlich mehr, da braucht es auch „ein wenig Köpfchen“: „Ich wurde häufig mit der Aussage anderer Sportler konfrontiert, dass diese bei längeren Trainingseinheiten am liebsten ihr Hirn zu Hause lassen würden. Das mag für manchen Außenstehenden zwar ein naheliegender Schluss sein, ist tatsächlich aber ein völliger Unsinn. Genau das Gegenteil ist der Fall: „das Hirn“ – die mentale Komponente – muss immer mittrainiert werden, da ein Sportler neben der körperlichen Leistungsfähigkeit auch die geistig-seelisch-mentale Komponente steigern will. Und wie sollte man „ohne Hirn“ auf unerwartete und schwierige Umstände, die im Wettkampf von entscheidender Bedeutung sein können, situationsangepasst und rasch reagieren können? Denn egal, wie perfekt mein Betreuerteam auf meine Bedürfnisse abgestimmt war: die endgültigen Entscheidungen, vor allem in kritischen Situationen, lagen immer bei mir. Gerade dann musste mein Gehirn rasch und reibungslos funktionieren.“

In das Trainingsprogramm wurde während des 5-Tage-Traingsblocks auch das „in den Keller trainieren“ eingebettet. Schließlich ist ein strukturiertes Training unter Einhaltung der Trainingsprinzipien, zu der vor allem auch die Regeneration zählt, ein wesentlicher Schlüssel zur Leistungssteigerung und somit zum Erfolg. So ist im leistungsorientierten Ausdauersport die 1:3 Zyklisierung typisch, das heißt, an drei aufeinanderfolgenden Tagen wird das Training gesteigert und am vierten Tag folgt eine Reduktion der Belastung. Dieser Zyklus sollte auch in Bezug auf die Trainingswochen angewendet werden, dadurch wird drei Wochen hintereinander die Wochen-Trainingsbelastung gesteigert , in der vierten Woche hingegen deutlich reduziert. Einen 1:5 Zyklus, wie ihn Wildpanner angewandt hatte, gibt es in der offiziellen Trainingslehre eigentlich nicht, da die Gefahr der Überlastung und des Übertrainings mit der Folge eines abrupten Leistungseinbruches dabei zu hoch ist. Somit war diese spezielle Zyklisierung auch ein „individuelles Experiment“, dass sich im Nachhinein betrachtet jedoch mehr als lohnte, jedoch für den Hobbysportler nicht zu empfehlen ist.

Nach diesem härtesten Belastungsblock begann für Wildpanner die Tapering-Phase. Das Tapering ist der letzte Teil der Vorbereitung wenige Tage vor einem wichtigen Wettkampf und vor allem durch eine aktive Regeneration gekennzeichnet. Die Trainingsumfänge werden reduziert, damit sich der Körper erholen kann, dennoch wird so viel Sport betrieben, dass der Körper nicht vom „Aktivmodus“ in den „Ruhemodus“ wechselt. „Das Tapering ist ein heikler, aber ungemein wichtiger Trainingsabschnitt unmittelbar vor einem Wettkampf. Dabei werden die Trainingsumfänge um etwa die Hälfte reduziert, wobei die Trainingsintensität auf dem Niveau der letzten Trainingswochen bleibt, damit der Körper regeneriert ohne ungewollt in den Ruhemodus umzuschalten. Mit einem guten Tapering ist eine Leistungssteigerung von bis zu fünf Prozent am Wettkampftag möglich – und das kann für einen harten Kampf um den Sieg ganz entscheidend sein.“

Superkompensation

Die von Wildpanner beschriebene Leistungssteigerung begründet sich mit der „Superkompensation“. Darunter versteht man folgenden Effekt: durch jedes Training wird der Körper vorerst geschwächt und benötigt eine gewisse Zeit der Regeneration, um sein Leistungsniveau, das er vor der Trainingseinheit hatte, wiederherzustellen. Das Leistungsniveau wird durch das Training jedoch nicht nur wiederhergestellt (ausgeglichen = kompensiert), sondern (leicht) erhöht – also überkompensiert. Schafft es ein Sportler, den nächsten Trainingsreiz im kurzen Zeitfenster der Überkompensation (oder Superkompensation) zu setzen, beginnt dieser Effekt erneut. Durch dieses permanente Wechselspiel aus Be- und Entlastung kommt es letztendlich zur gewünschten Leistungssteigerung – exakte Planung und konsequente Durchführung des Trainings vorausgesetzt.

Mit der bewussten „Überbelastung“ in Form des 5-Tage–Blocks im Zusammenhang mit der nachfolgenden Taperingphase schaffte es Wildpanner, die wichtigsten seiner Wettkämpfe in Hochform zu absolvieren, da sein Körper zu diesem Zeitpunkt am leistungsfähigsten war. Wildpanner nutzte diesen allerletzten Feinschliff vor allem, um vier Dinge in folgender Prioritätenreihenfolge durchzuführen:

  1. Deutliche Erhöhung der bis dahin über einen längeren Zeitraum auf das absolute Minimum reduzierten Schlafdauer.
  2. Füllen der Kohlenhydratspeicher durch „Carbo Loading“. Dabei wird exakt sechs Tage vor dem Wettkampf für drei Tage nahezu völlig auf Kohlenhydrate verzichtet und die Ernährung auf Eiweiß und etwas (hochwertiges) Fett umgestellt, um die Kohlenhydratspeicher durch das fortlaufende Training möglichst vollständig zu entleeren. Die letzten drei Tage vor dem Wettkampf werden dann die Kohlenhydratspeicher wieder voll aufgefüllt, dafür aber die Eiweiße und Fette stark reduziert. Zweck dieser Maßnahme ist es, die vorhandenen Kohlenhydratspeicher mengenmäßig möglichst optimal aufzufüllen oder ihnen darüber hinaus sogar noch „ein Häubchen“ aufzusetzen (ähnlich dem Prinzip der Superkompensation).
  3. Genau dosiertes extensives Intervalltraining beim Schwimmen und Laufen.
  4. Maximalkrafttraining speziell für die Beinmuskulatur, damit beim Radfahren über den langen Zeitraum ein hohes Tempo gefahren werden kann (in der Kraftkammer vor allem mit der Bein- bzw. Multipresse. Das Kraftausdauertraining war bereits regelmäßig integrierter Bestandteil der vorangegangenen Trainingsphasen).

Neben einer überlegten Trainingsplanung in der Gesamtvorbereitung eines Wettkampfjahres ist gerade bei zeitintensiven Sportarten auch ein detailliert ausgeklügelter Zeitplan ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. „Ich habe versucht, mein Training immer so gut wie möglich zwischen allen anderen Verpflichtungen meines Alltags unterzubringen. Wenn ich wusste, dass ich in zwölf Stunden einen unverschiebbaren Termin einhalten musste, habe ich davor trainiert, zeitgerecht den Termin wahrgenommen und danach weitertrainiert. Dabei musste ich natürlich auch Pausen für ein Mindestmaß an Schlaf einrechnen – schließlich war jede mir jede meiner Trainingsminuten kostbar.“ In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Wildpanners Trainingsumfänge nicht das gesamte Jahr so hoch und intensiv waren, wie in den Trainingsphasen der speziellen Wettkampfvorbereitung. Gemäß der Trainingslehre hatte er sein Trainingsjahr in verschiedene Phasen aufgeteilt, in denen sich vor allem die Umfänge und Intensitäten deutlich voneinander unterschieden und es auch Wochen und Monate mit vergleichsweise wenig Sport gab. In denen hatte selbst Wildpanner einen ähnlichen Tagesablauf wie jeder „normale Mensch“. In den entscheidenden Trainingsphasen aber waren seine Prioritäten immer ganz klar gesetzt.

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Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.

 

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