• Veröffentlichungsdatum : 14.12.2020

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„Roadmap“ für teilautonome Systeme

Markus Reisner

Als Angehöriger der österreichischen Streitkräfte und Vertreter der informellen Interessensgemeinschaft „Teilautonome Systeme im ÖBH" ist es mir ein besonderes Anliegen, auf die Notwendigkeit einer laufenden Bewertung und zukünftigen Beschaffung von teilautonomen Systemen im ÖBH hinzuweisen. Institutionen wie das Amt für Rüstung und Wehrtechnik sowie die Abteilung Wissenschaft, Forschung und Entwicklung leisten hier bereits jetzt wichtige Forschungsarbeit. Zudem werden an den Akademien und Schulen laufend Forschungsarbeiten zu diesem Thema erstellt. Es scheint an der Zeit für das ÖBH eine „Roadmap" für die zukünftige Einführung von teilautonomen Systemen zu definieren. Darin sollte eine teilstreitkräfteübergreifende Vision dargelegt werden.

Die aktuellen internationalen rüstungstechnischen Entwicklungen im Bereich der teilautonomen Systeme zu ignorieren, wäre grob fahrlässig und würde nicht nur den Schutz der eigenen Soldaten, sondern vor allem der Bevölkerung gefährden. Gerade während der Diskussion über eine mögliche Neuausrichtung der österreichischen Streitkräfte und ihrer Fähigkeits- und Leistungsfelder scheint dieser Hinweis angebracht. Die derzeitigen bedingungslosen Rüstungsanstrengungen potenter Staaten (z. B. USA, Russland, China) kulminieren immer mehr im Bereich künstliche Intelligenz und in der Schaffung disruptiver Waffensysteme. Die sich rasch ändernde globale Sicherheitslage begünstigt dieses neue Wettrüsten, und erste Entwicklerteams lassen damit aufhorchen, dass der Luftkampf der Zukunft wohl von hochautonomen Unmanned Combat Aerial Vehicles (UCAV) bestritten bzw. ein mechanisierter Kampfverband ohne verfügbaren Eigenschutz unweigerlich ein Opfer von Schwärmen hochautonomer „fliegender Panzerminen" werden wird. Eine nähere Betrachtung der Kämpfe in Armenien und Aserbaidschan zeigt dies nur zu gut.

Das Ziel ist es, den Gegner und seine Waffensysteme bereits vor deren Einsatz auszuschalten, und dies mit einem Höchstmaß an verfüg- und machbarer Präzision in allen Domänen der Kriegsführung. Teilautonome Systeme können wesentlich zum Schutz der eigenen Soldaten und Bevölkerung beitragen. Dies betrifft die gesamte Bandbreite der denkbaren Fähigkeitsbilder. Daher soll der diesem Kommentar vorangehende Artikel auch als Denkanstoß für mögliche richtungsweisende Überlegungen zum Thema Neubeschaffungen und Struktur dienen – im Speziellen für die zukünftige Streitkräfteentwicklung bzw. Streitkräfterüstung des ÖBH und die Ausbildung der im In- und Ausland eingesetzten Soldaten.

Dabei sind die folgenden Fragen zu klären: Wieweit ist das ÖBH bereit und dazu in der Lage, die laufend durchgeführten technologischen und militärischen Entwicklungs- und Einführungsschritte von unbemannten Systemen in seinen Streitkräften umzusetzen? Welche Beschaffungen sind sinnvoll und in welche Richtung sollen diese gehen? Soll der Einsatz dieser Systeme vorrangig dem Schutz der eingesetzten Soldaten dienen oder ebenfalls die Möglichkeit eines Waffeneinsatzes inkludieren?

Nicht zu vergessen ist dabei auch die Ausbildung der Soldaten, die im Auslandseinsatz mit derartigen Systemen konfrontiert sind. Die Soldaten (besonders Offiziere und Unteroffiziere) müssen sich einer möglichen Aufweichung völkerrechtlicher Normen und ethischer Grundsätze durch den Einsatz dieser Systeme bewusst sein. Der zukünftigen Ausformung und Heranbildung eines hohen Verantwortungsbewusstseins kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Die verantwortlichen Institutionen und Entscheidungsträger des ÖBH, vor allem aber die Politik, sind gefordert, sich den zukünftigen Neuerungen gegenüber offen zu zeigen. Dabei soll durchaus auch eine kritische Betrachtung der derzeitigen Entwicklungen (Stichwort „Killerroboter" bzw. „Vollautonomie") durchgeführt werden.

Es ist notwendig, möglichst exakt zu definieren, welche denkbaren Systemkonfigurationen einen bedeutenden eigenen Fähigkeitszuwachs ermöglichen können. Dies muss im Rahmen internationaler Kooperationen (z. B. der EU und der NATO) erfolgen, um eine Kompatibilität vor allem im Ausland sicherstellen zu können. Zukünftige Ressourcenplanungen und -zuordnungen der Streitkräfteentwicklung sind daher auch im Hinblick auf teilautonome Systeme zu planen, entsprechend abzustimmen und vorausschauend durchzuführen.

Oberst dG Dr. Markus Reisner, PhD, Leiter der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie.

 

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