• Veröffentlichungsdatum : 08.11.2021

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Praxistest bestanden

Gerold Keusch

Vom 16. August bis 17. September 2021 erprobten das Amt für Rüstung und Wehrtechnik und die Melker Pioniere (Pionierbataillon 3) neue Einsatzmöglichkeiten für die Fährsysteme des Bundesheeres. Dabei wurden eine 35- und 85-Tonnen-Fähre sowie eine schwimmende Arbeitsplattform für den Entminungsdienst dem Praxistest unterzogen.

Das Österreichische Bundesheer hat seit Jahrzehnten eine 25- und eine 50-Tonnen-Fähre. Damit lassen sich die aktuellen Panzer jedoch nur bedingt befördern, da der Schützenpanzer „Ulan“ etwa 35 Tonnen wiegt, der Kampfpanzer „Leopard“ 2A4 sogar etwa 55 Tonnen. Der „Ulan“ muss mit der 50-Tonnen-Fähre übersetzt werden, die eigentlich überdimensioniert ist, wodurch eine Adaption günstig ist. Um den „Leopard“ zu übersetzen, wurde bereits vor Jahren eine 65-Tonnen-Fähre entwickelt, womit es hier auf dem ersten Blick keinen Bedarf gäbe. Da das Gefechtsgewicht von Kampfpanzern jedoch stetig zunimmt, ist auch hier eine Adaption des Fährsystems notwendig. Darüber hinaus würde eine höhere Transportlast auch das Übersetzen von Sondertransporten (Schwerlast- oder Kransysteme) ermöglichen.

Die Erweiterung bzw. Adaption der aktuellen Systeme erfolgt durch eine neue Zusammenstellung der Schwimmpontons und der Motorboote. Das klingt einfach, ist aber sowohl in der Theorie als auch in der Praxis komplex und mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Schließlich müssen die dazu notwendigen Berechnungen angestellt und die erforderlichen Adaptionen für den Bau bedacht bzw. beschafft werden. Erst dann kann der Praxistest erfolgen, der die Basis für das Erstellen fachspezifischer Vorschriften ist. Vom Erkennen eines Bedarfs bis zum Erscheinen einer Vorschrift können mehrere Jahre vergehen. Das ist aber nicht unbedingt der Bürokratie geschuldet, sondern der vielen notwendigen Schritte, die sorgsam gesetzt werden müssen.

85-Tonnen-Fähre

Aufgrund der skizzierten Überlegungen konzipierte die Abteilung Pioniertechnik im Amt für Rüstung und Wehrtechnik unter Federführung von Baumeister Oberst dhmtD Dipl.-Ing. (FH) Erich Peterschofsky, MSc eine 85-Tonnen-Fähre. Diese Sonderform besteht nicht mehr aus vier, sondern aus sieben miteinander verbundenen Schwimmpontons der „alten“ 50-Tonnen-Fähre mit einem verlängerten und verstärkten Fährendeck. In der Mitte befinden sich drei Pontons, danach gibt es eine Lücke für die beiden Motorboote und auf den Seiten sind jeweils zwei Pontons. Nachdem die theoretischen Grundlagen für den Bau dieses Systems geschaffen und die notwendigen Berechnungen und Studien angestellt wurden, erfolgte die praktische Erprobung. Diese fand in der 33. und 34. Kalenderwoche (16. bis 27. August 2021) mit Teilen des Pionierbataillons 3 (Melk) in Ebersdorf an der Donau statt.

Im Zuge des Praxistests wurde zunächst die Sonderfähre von einem Zug der Melker Pioniere unter Anleitung der Pionier-Militärtechniker gebaut. Nachdem diese fertiggestellt war, erfolgte ein Belastungstest mit besonderen „Testgewichten“. Dabei gab man sich nicht nur mit dem Transport eines zivilen 400-Metertonnen-Kranwagen mit etwa 85 Tonnen (Zielgewicht) zufrieden. Die Fähre wurde sogar mit einer Last von etwa 115 Tonnen beladen und danach auf der Donau bewegt. Dazu fuhren zwei Kampfpanzer „Leopard“ 2A4 und danach ein Schwerlastsystem mit einem Bergepanzer M88 auf die Testfähre, auf die später sogar noch ein „Leopard“ von einem M88 gezogen wurde.

Bei der Erprobung wurde die Spezialfähre nicht nur „normal“ auf der Donau bewegt, sondern sogar eine Schleusung beim Melker Kraftwerk durchgeführt. Dieses Manöver ist schwierig, da die 85-Tonnen-Fähre in Fahrtrichtung 20 m lang und 35 m breit ist, die Schleuse jedoch nur 25 m breit ist. Somit musste die Fähre mit der Querseite nach vorne in die Schleuse einfahren, weshalb ein zusätzliches Motorboot – als improvisiertes Querstrahlruder – eingespannt wurde. Auch diese Herausforderung konnten die Pioniere und Techniker meistern und damit demonstrieren, dass dieses System nicht nur ein Gewässer queren, sondern auch einen Strom befahren kann.

35-Tonnen-Fähre 

Bei der Erprobung der 35-Tonnen-Fähre in der 35. und 36. Kalenderwoche (30. August bis 9. September 2021) galt es zunächst die Frage zu klären, welches System das günstigere sei. Zur Auswahl standen zwei Modelle: ein neu konzipiertes System mit drei Einzelpontons und zwei Motorbooten zwischen diesen und eine adaptierte 25-Tonnen-Fähre (zwei Einzelpontons mit einem Motorboot) mit einem zusätzlichen Auftriebskörper. Im Praxistest hat sich das System mit den drei Pontons als das günstigere erwiesen, da es stabiler ist und eine höhere Auftriebsreserve aufweist. Damit lässt sich nicht nur das Ziel, den Schützenpanzer „Ulan“ zu übersetzen, einfacher realisieren – auch der Wassertransport von schweren LKW oder Spezialfahrzeugen der Pioniertruppe ist damit besser möglich.

Schwimmende Arbeitsplattform 

Der Entminungsdienst, der seit 2013 zum Bundesministeriums für Landesverteidigung gehört, ist für das Beseitigen von Kriegsrelikten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Ein Ort, an dem er seit 1965 jedes Jahr für mehrere Wochen eingesetzt wird, ist der Ossiacher See in Kärnten. Dort versenkten die Alliierten in der Besatzungszeit gewaltige Mengen an Munition (700 bis 1.000 Waggonladungen). Österreich ist nun damit belastet und wird auch noch in den nächsten Jahrzehnten mit dem Entsorgen dieser Altlast beschäftigt sein, von der keine unmittelbare Gefahr ausgeht, solange sie am Boden des Sees liegt.

Für den Einsatz am Ossiacher See, der nach dem Ende der touristischen Sommersaison ab September stattfindet, gibt es für den Entminungsdienst eine adaptierte 25-Tonnen-Fähre: die „Schwimmende Arbeitsplattform EMD“. Sie ist die Basis der Tauchgruppe bei ihrem Einsatz. Von dort aus wird eine Granate nach der anderen vom Grund des Sees geborgen, bevor diese gereinigt, in Kisten verladen und schließlich abtransportiert und der Vernichtung zugeführt werden. Die Arbeitsplattform wird von den Villacher Pionieren (Pionierbataillon 1) speziell für diesen Zweck gefertigt und auch von ihnen betreut. Auf ihr befinden sich mehrere Aufbauten und Geräte, die den Entminern bei ihrer Arbeit helfen.

Die Abteilung Schwimmendes Gerät und Sprengtechnik des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik hatte den Auftrag diese Sonderfähre mitsamt ihren Aufbauten und Geräten technisch zu überprüfen. Danach sollen diese neu beschafft werden, damit die Ausstattung dem letzten Stand der Technik und den aktuellen Sicherheitsbestimmungen entspricht. Die Erprobung, die in er 36. und 37. Kalenderwoche (6. bis 17. September) stattfand, war insofern erfolgreich, dass alle notwendigen Bereiche überprüft und die Daten für die Adaption ermittelt wurden. Bereits in den nächsten Wochen soll die Grundplattform für den Betrieb genehmigt werden. Ebenfalls in den nächsten Wochen sollen die Angebote für die neuen Komponenten (Beleuchtung, Winden, Arbeitsmittel etc.) auf dem Tisch liegen. Nach der Prüfung werden dann die Aufträge vergeben, damit das Gerät im Frühjahr/Sommer 2022 zulaufen kann. Ab September 2022 sollen die Spezialisten des Entminungsdienstes die adaptierte Arbeitsplattform für ihren Einsatz zur Munitionsbergung verwenden können.

Erfolgreiche Erprobungen

Die 85-Tonnen-Fähre hat die Belastungsprobe in der Praxis bestanden und für eine 35-Tonnen-Fähre wurden die notwendigen Erkenntnisse gewonnen. Die Techniker der Abteilung Pioniertechnik am Amt für Rüstung und Wehrtechnik konnten damit beweisen, dass ihre theoretischen Überlegungen und Berechnungen – die eine relativ große Sicherheit beinhalten – richtig sind. Nun gilt es die Vorschriften anzupassen, damit man dieses Gerät auch einsetzen und schwere Fahrzeuge, egal ob beim Katastropheneinsatz oder bei anderen militärischen Aufgaben, übersetzen kann. Dass es nicht nur darum geht, Gerät zu besitzen, sondern dieses auch weiterzuentwickeln, beweisen die Bemühungen zur Adaption der „Schwimmende Arbeitsplattform EMD“. Diese wird dem Entminungsdienst auch in Zukunft eine zeitgemäße Basis für ihre Arbeit bieten und dem neuesten Stand der Technik entsprechen.

Mit der praktischen Erprobung neuer bzw. adaptierter Einsatzmöglichkeiten eines bestehenden Systems haben die Militärtechniker und Pioniere jene Eigenschaften bewiesen, die eine Stärke der Soldaten des Österreichischen Bundesheeres sind: Improvisationstalent gepaart mit Innovationskraft, Zielstrebigkeit und der nötigen Genauigkeit. „Wir haben Klasse statt Masse!“, meinte ein Militärtechniker vor Ort. Damit verwies er auf den Umstand, dass das Bundesheer zwar klein sein mag und auch nicht über eine große Anzahl an Gerät verfügt, dieses aber so gut, so effizient und so lange wie es möglich ist, zum Einsatz bringt. Auch wenn die Pioniertruppe keine schnellen Gefechtsfeldbrückensysteme besitzt, hat sie ein Know-How das selbst große NATO-Staaten derzeit nicht bieten können – jedenfalls nicht in stark strömenden Gewässern mit dieser Zuladung. Damit sind die österreichischen Pioniere quasi Marktführer in Europa.

Hofrat Gerold Keusch, BA MA ist Leiter Online-Medien in der Redaktion TRUPPENDIENST.

 

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