• Veröffentlichungsdatum : 27.04.2023
  • – Letztes Update : 03.05.2023

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PerspektivenReich: Werte ohne Wehrwille?

Katharina Reich

Teil 1: „Vielen fehlt der Wille, die Heimat zu verteidigen“, titelte der Kurier bei einer Ausgabe im Jahr 2018. In der damals geführten Umfrage wurden 62.000 weltweit geführte Interviews von Gallup International untersucht. Das Ergebnis war, das in Zentraleuropa der Wehrwille kaum vorhanden ist. Nur 21 Prozent der Österreicher hätten damals zur Waffe gegriffen, um ihre Heimat zu schützen. Laut der letzten Ausgabe der militärischen Fachzeitschrift „Der Offizier“ im März 2023 sinkt dieser, trotz des aktuellen Ukraine-Krieges, stetig. Doch weshalb?

Fragen wir einmal in der eigenen Familie, wer bereit ist, sein Leben zu lassen für Österreich und das hierzulande geltende Wertesystem zu kämpfen? Vermutlich wird es dann still und schnell das Thema gewechselt werden. In weiten Kreisen der Gesellschaft fehlt derzeit das Verständnis für die Geistige Landesverteidigung, die den Zusammenhang zwischen Bürger und Staat sowie der gegenseitigen Rechte und Pflichten herstellt. Nach mehr als 75 Jahren in Frieden hat „der Krieg“ in Österreich einen Abstraktionsgrad erlangt, der unter anderem zur Ablehnung der Wehrpflicht geführt hat. Langsam stirbt die Generation, die vom Zweiten Weltkrieg erzählen kann, aus. Ob das Schicksal und die Erlebnisse von Kriegsflüchtlingen gehört und verstanden werden, so sie darüber reden, kann bezweifelt werden.

Für die Vermittlung der Geistigen Landesverteidigung ist das öffentliche Schulwesen nötig, um den jungen Bürgen den Wehrwillen und die Bedeutung der Sicherheit näherzubringen. Ob das in der aktuellen Bildungslandschaft, die zum Pazifismus tendiert, möglich ist, darf bezweifelt werden. Folgende Fakten nennt die militärische Fachzeitschrift „Der Offizier“ in seiner Ausgabe des 1/2023 zur Geistigen Landesverteidigung, die 1975 als Bundesverfassungsgesetz beschlossen wurde: „In Österreich könne man den Erfolg, ob es gelungen ist, in der Bevölkerung einen hohen Grad an Wehrwillen zu verankern, anhand der Formel 48/11/21 testen. Man habe in Österreich seit Inkrafttreten der Umfassenden Landesverteidigung 48 Jahre Zeit gehabt, die Geistige Landesverteidigung flächendeckend auszurollen (dies sei nur äußerst rudimentär geschehen), das Bildungsministerium habe 11 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung gestellt, um die Geistige Landesverteidigung auch finanziell ins Laufen zu bringen (für Angelegenheiten der Geistigen Landesverteidigung kämen nur marginale Budgetmittel zum Einsatz) und es seien nur 21 Prozent der Österreicher bereit, das Land mit der Waffe zu verteidigen (ein mageres Ergebnis, im Lichte der verfügbaren Zeit und des verfügbaren Geldes)“.

Wir leben in einer Zeit, in der uns Diskussionen nach individuell wählbarer Identität, die Suche nach der Work-Life-Balance und andere oft einseitig geführte Debatten von existenziellen Themen ablenken. Im Schatten dessen ist die Vereinsamung der Bürger genauso ein Phänomen wie die Angst vor einer demokratischen Begegnung mit anderen im Diskurs. Dazu kommt die weitverbreitete Trägheit auf dem beliebtesten Vierbeiner der Nation, dem Sofa, der die Bevölkerung kaum aus ihrer selbstgewählten Einschläferung zu holen vermag. Im Fall eines Angriffs werden solche Diskussionen aber nicht die Fähigkeit zur Verteidigung der Staatsgrenzen heben. Das ist vor allem dann relevant, wenn der Angreifer solche gesellschaftlichen Diskussionen geringschätzt und wenig von einer demokratischen Ordnung mit den dazugehörigen Grund- und Freiheitsrechten hält, in der solche Debatten möglich sind.

Aus diesen Gründen sollte im Bildungswesen das selbstständige Denken wieder in den Vordergrund gestellt werden, anstatt politische Ideologien zu lehren, die in keinem Lehrplan stehen. Gemeinsamkeiten der Staatbürger sind jedoch erforderlich für die Identifikation mit einem gemeinsamen Wertesystem, sowie Loyalität zur Schicksalsgemeinschaft, denn: Der Verlust von Werten kann zur Abkehr von der Demokratie führen. Gefordert sind in diesem Zusammenhang die Bürger, das Bildungswesen, die Politik aber auch das Militär als Teil der Gesellschaft – und zwar gemeinsam.

Was bedeutet der Begriff Geistige Landesverteidigung eigentlich? Auf der Website des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) ist dieser wie folgt beschrieben: Die Geistige Landesverteidigung (GLV) ist neben der militärischen, der wirtschaftlichen und der zivilen Landesverteidigung Teil der Umfassenden Landesverteidigung (B-VG Art. 9a). Ihre Aufgabe besteht im Rahmen der Politischen Bildung in der Vermittlung demokratischer Werthaltungen und der Schaffung eines umfassenden Bewusstseins für demokratische Freiheiten und die in der Bundesverfassung verankerten Bürger- und Menschenrechte. Sie leistet einen Beitrag zur Sicherstellung eines demokratischen Grundkonsenses und des sozialen Friedens sowie zum Verständnis des Konzeptes der umfassenden Sicherheitspolitik im nationalen, europäischen und globalen Kontext.“ Weiterführend ist an dieser Stelle zu lesen, die „Geistige Landesverteidigung setzt ein Bekenntnis zu einer rechtsstaatlichen und liberalen Demokratie voraus“ und „würdigt sowohl materielle als auch immaterielle Werte.“

Aktuell scheint eine Renaissance der Geistigen Landesverteidigung stattzufinden. Ein Beispiel dazu ist das Projekt „Bildung, Sicherheitspolitik, geistige Landesverteidigung und Bundesheer“ das in Form mehrerer Informationstage zwischen dem Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) und dem BMBWF stattfindet. Es verfolgt das Ziel, das Verständnis von politischer Bildung für beide Seiten zu stärken und visiert den Brückenschlag beider Ministerien an. Gemeinsam soll eine österreichische Sichtweise erzeugt werden, um das Verständnis von jungen Staatsbürgern für Demokratie und Sicherheitsvorsorge zu festigen. Das erste mehrtägige Seminar dazu fand wird im April des Jahres 2023 im Schulungszentrum im Felbertal (Salzburg/Pinzgau) zwischen der Bildungsdirektion Salzburg und Vertretern des Bundesheeres statt. Diese Initiative soll in Zukunft auch auf andere Bundesländer ausgeweitet werden, um sowohl Informationsoffiziere als auch die Referenten für Geistige Landesverteidigung zu schulen.

Ein Blick in die Schweiz und zu deren Konzept während des Zweiten Weltkrieges (zwischen 1939 und 1945) kann inspirieren. „Heer und Haus“ eine Fachgruppe des Militärs, versuchte damals den Widerstandswillen der Bevölkerung zu stärken und die Rolle der kriegszensurierten Presse zu ergänzen. Es ging dabei erstens um die „Vermittlung von Tatsachen“, aus denen sich der Bürger seine eigene Meinung bilden sollte, und zweitens um die „Vermittlung von Grundlagen für die Diskussion“ zur Meinungsbildung in der Demokratie, im Gegensatz zu Propaganda, Agitation und Terror – jenen Methoden, mit denen totalitäre Staaten ihre Untertanen ideologisch gefügig machen. Es gab etwa 3.000 zweitägige Aufklärungskurse sowie Vorträge, Aufführungen, Sportanlässe, Film- und Radiovorführungen. Die etwa 200 freiwilligen Referenten stammten aus allen politischen Lagern, Regionen und Berufen. Für die Vortragstätigkeit gab es Wehrbriefe. Diese riefen nicht nur zum Widerstand gegen die totalitäre Bedrohung auf, sondern bezogen klar Stellung zum „alten Brauch“ der Asylgewährung (Dezember 1942) und gegen Antisemitismus (Mai 1943).

Mehr als 7.000 in den Vorträgen geworbene Vertrauensleute, verteilten die von Heer und Haus herausgegebene Dokumentation in ihrem Wirkungskreis und gaben regelmäßig Rückmeldung über die Stimmungslage in der Bevölkerung. Im Armeebefehl vom November 1939 gab Guisan zudem didaktische Anweisungen für die Heer und Haus-Referenten: „Ich erachte es als unumgänglich, dass zwischen ernsthaften Vorträgen, die eine dauernde Aufmerksamkeit erfordern, und den rein unterhaltenden Veranstaltungen eine saubere Trennung erfolgt. Die ersteren gehören in die Arbeitszeit hinein, die andern in die Freizeit. Beide haben Wichtigkeit, bald handelt es sich darum, zu belehren, bald zu vergnügen. Belehren heißt nicht, irgendwelche Theorien aufdrängen, wohl aber die Gedanken anregen und die Überlegungen herausfordern. Es handelt sich darum, der Mannschaft vor allem anhand konkreter Beispiele die greifbare und geistige Wirklichkeit Schweiz, ihre ehrenvolle Vergangenheit, die militärischen Traditionen zu schildern, unsere Helden, Künstler, Wissenschaftler zu ehren, den hohen Kulturstand, den sie erreicht hat, aufzuzeigen und auf ihre Bestimmung in dieser Welt hinzuweisen. Auf diese Weise wird sich die Truppe des Wertes der Güter bewusst, die sich mit den Waffen zu verteidigen berufen sein kann, und dergestalt erhält unser Aktivdienst seine volle und wahre geistige Bedeutung.“ (Quelle: Edgar Bonjour: Geschichte der schweizerischen Neutralität – Vier Jahrhunderte eidgenössischer Außenpolitik. Band 7, Basel, Stuttgart 1974, S. 33.)

Für Österreich hält das Schweizer Modell Ableitungen parat. Schließlich weist die österreichische Staatsidee unter anderem die Wesenselemente Sicherheit, Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat auf. Diese Werte sind nicht nur ein „historisches Vermächtnis“, sondern der Kern jener gesellschaftlichen Ordnung, die man – im äußersten Fall – auch wachsam und gerüstet verteidigen sollte.

Link zu Teil 2

Mag. Katharina Reich ist Privatdozentin zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.

 

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