• Veröffentlichungsdatum : 05.02.2020
  • – Letztes Update : 06.02.2020

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Niederlage, Rückzug und „Verbrannte Erde“

Helmut Malnig

Die Finnmark 1944/45

Nach jahrelanger Stagnation der deutschen Eismeerfront am Fluss Liza an der Barentssee und dem Ausscheiden Finnlands am 19. September 1944 aus dem Krieg gegen die Sowjetunion hatte das XIX Gebirgskorps, später 20. Gebirgsarmee, diese Frontlinie bis zur „Uneinnehmbarkeit“ ausgebaut. Die lang erwartete sowjetische Offensive, die am 7. Oktober 1944 begann, fegte diese Verteidigungslinie jedoch innerhalb einer Woche weg.

Trotz großer Materialverluste und unter arktischen Verhältnissen erfolgte ein geordneter Rückzug der deutschen Truppen an den Lyngenfjord (Jänner bis Mai 1945). Das führte zur Aufgabe der Nordflanke und der Luft- und Marinebasen gegen die alliierten Geleitzüge neben der vorhergegangenen Bedrohung von Murmansk. Die nun von der deutschen 20. Gebirgsarmee angewandte Rückzugstaktik der „Verbrannten Erde“ beeinträchtigte die strategischen Absichten der wintererprobten Roten Armee kaum, bedeutete aber für die dadurch dem arktischen Winter schutzlos ausgesetzte Bevölkerung ein unerhörtes Leid. Das ist eine historische Tatsache, die heute nur noch wenigen bekannt ist.

Die Vorgeschichte

Das neutrale Norwegen war vom Deutschen Reich in der Operation „Weserübung“ am 9. April 1940 überfallen und nach dem Waffenstillstand vom 10. Juni 1940 vollständig besetzt worden. Ein Teil davon war die Finnmark, die an die damalige Sowjetunion grenzte. Finnland hatte den Fortsetzungskrieg 1939/40 gegen die Sowjetunion verloren. Das war mit weitreichenden Landabtretungen verbunden, darunter auch das Gebiet um Petsamo, in dem sich bedeutende Nickel- und Kupfervorkommen befinden.

Nach dem Beginn der Operation „Barbarossa“ (22. Juni 1941) griff Deutschland auch am Eismeer von Norwegen aus – nun mit Finnland im Bunde – die Sowjetunion an. Die strategischen Ziele der Deutschen Wehrmacht in diesem Frontabschnitt waren die Unterbindung der karelischen Eisenbahn und die Eroberung der sowjetischen Stadt Murmansk. Das Ziel der finnischen Streitkräfte war die Rückeroberung der verlorenen Gebiete. Ihnen stand die 14. Sowjetische Armee unter General Kirill Meretskov gegenüber, die in und mit der unwegsamen arktischen Tundra besser zurechtkam, als die Angreifer.

Das Ambiente

Die Finnmark im Norden Norwegens, die an das Eismeer und die Barentssee grenzt, ist ein Hochland mit einer Fläche von 48.631 km² (etwa halb so groß wie Österreich), das etwa 400 – 650 m über dem Meeresspiegel liegt und damals etwa 53.000 Einwohner (darunter etwa 20.000 Samen) hatte, was einer Bevölkerungsdichte von etwa einem Einwohner/km² entsprach. Die Region zählt zur arktischen Tundra. Sie hat ein zumeist baumloses, unwegsames Gelände, zerklüftete Sumpf- und Permafrost-Gebiete und einen Bewuchs von Fjellbirken, Sträuchern und Flechten. Die Winter mit ihren Polarnächten dauern etwa sechs Monate und sind von Temperaturen bis -20°C, einer etwa 60 bis 70 cm starken Schneedecke sowie eisigen Stürmen der Stärken 5 bis 6 gekennzeichnet. Die Sommer dauern etwa dreieinhalb Monate bei einer Durchschnittstemperatur von 10°C, Mückenplagen und Mitternachtssonne. Die mittlere Jahrestemperatur liegt bei -1°C; an der Küste gibt es 200, im Landesinneren sogar 250 Frosttage.

Die Häuser und Bauten waren damals durchwegs aus Holz, wegen des Felsbodens zum Großteil nicht unterkellert und die Fundamente selten aus Beton. Die Straßen waren im Winter unkenntlich verweht. Die wichtigste Verbindungsstraße (heute E6) verbindet Oslo mit Kirkenes und die wichtigsten Orte der Finnmark untereinander. Der Transport von Material und schweren Kriegsgeräten erwies sich für die Deutsche Wehrmacht als problematisch, beim Rückzug führte dies sogar zu weitreichenden materiellen Verlusten bzw. notgedrungener Zerstörung.

Strategische Ziele der Protagonisten

Deutschland wollte die deutsche Nordflanke und damit den Abbau und Transport kriegswichtiger Erze wie Nickel und Kupfer aus dem Norden Finnlands sichern, sowie die Eisenerztransporte aus Narvik und die Versorgung der eigenen Truppen. Die Deutsche Wehrmacht wollte Murmansk bzw. die karelische Bahn erobern. Damit wollte man einerseits den Schutz der U-Boot-, Flotten- und Flugbasen für den Atlantikkrieg gegen die alliierten Geleitzüge sicherstellen und eine erwartete alliierte Invasion abwehren; ein Umstand, der nach der Landung in der Normandie eine besondere Bedeutung hatte. Andererseits sollte Norwegen als eventueller Faustpfand bei Friedensverhandlungen dienen.

Finnland wollte den Krieg im Verbund mit Deutschland als Revanche gegen die Sowjetunion führen. Der Staat wurde nach der sowjetischen Offensive im September 1944 jedoch dazu gezwungen, aus dem Bündnis auszusteigen und sich gegen Deutschland zu stellen, um seinen Fortbestand zu sichern.

Die Sowjetunion wollte die Wiederherstellung ihres historischen Staatsgebildes und die Bedrohung von Murmansk und der Bahnlinie beenden und so die Kriegs- und Hilfslieferungen durch die Alliierten sicherstellen. Ansonsten war dieser Kriegsschauplatz für die Sowjets eher eine periphere Angelegenheit, da das kriegsentscheidende Ziel die Niederringung Deutschlands in Mitteleuropa war.

Petsamo-Kirkenes Offensive und Operation „Nordlicht“ 

Von Oktober 1941 bis zum Oktober 1944 gab es nur spärliche Kampfhandlungen an der Liza – dem Fluss, der etwa 90 km von Kirkenes und etwa 60 km von Murmansk entfernt ist. Daran war der Umstand schuld, dass die Truppe genug damit zu tun hatte, in der menschenfeindlichen Tundra zu überleben. Die deutsche 20. Gebirgsarmee verstärkte ihre Stellungen, deren etwa 80 km lange Verteidigungslinie sich im Norden an die Motovskiybucht und die Landenge der Fischer Halbinsel stützte, im Süden aber offen lag. Die Stellungen waren zur Rundumverteidigung ausgelegt, perfekt der Landschaft angepasst und galten als uneinnehmbar.

Die Truppen hatten bereits in Voraussicht der Entwicklungen am 3. Oktober 1944 den Befehl zum Abzug erhalten. Zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Lage an der Liza-Front wie folgt dar: Die 20. Gebirgsarmee unter dem Kommando von Generaloberst Lothar Rendulic verfügte über etwa 50.000 Mann (Gebirgsjäger und Infanterie) und 145 Geschütze. Die 14. Sowjetarmee von General Schterbakov bestand aus ca. 130.000 Mann (Infanterie und Marineinfanterie), 2.100 Geschützen, 110 Panzern und 750 Flugzeugen.

Am 7. Oktober 1944 eröffnete die 14. Armee, durch aus Finnland abgezogene Truppen verstärkt, die Petsamo-Kirkenes Offensive (7. bis 29. Oktober 1944), bei der die wintererprobten Sowjets den Angriffspunkt der langen Front wählten. Bereits davor hatten sie die Luft- und Seeherrschaft errungen. In der hartgefrorenen Tundra eröffneten die Truppen der Karelischen Front den Angriff mit einem schweren zweieinhalbstündigen Artilleriefeuer. Der darauffolgende Frontalangriff wurde durch Schlachtflugzeuge vom Typ IL-2 Stormovik und Schiffsgeschütze der Nordflotte unter Admiral Arseni Golowko unterstützt. Die Spitze dieses Angriffes bildete eine sowjetische T-34-Panzerbrigade, womit die Deutschen – aufgrund ihrer Geländebeurteilung– nicht gerechnet hatten und dementsprechend überrascht wurden.

Trotzdem konnten die deutschen Stellungen erst nach der Anlandung sowjetischer Marineinfanterie, die den Rückweg der Gebirgsarmee abschneiden sollte, in ihrem Rücken und an den Flanken durchbrochen werden. Bei dieser kombinierten Operation – der größten in der polaren Tundra – konnte trotz Schnee und eisigen, orkanartigen Winden erstmals die mobile Kriegsführung erprobt werden. Nach nur einer Woche hatte der sowjetische Angriff die Verteidigungsanstrengungen von drei Jahren zerstört.

Die Verluste waren auf beiden Seiten groß. Auf ihrem Rückzug entlang der heutigen E6 (damals „Reichsweg 50“) leisteten die Deutschen erbitterten Widerstand. Dennoch mussten sie am 15. Oktober 1944 Petsamo räumen, wo sie in der Eile zwei Drittel der Wehrmachtsgüter zurücklassen mussten. Die Rote Armee brach am 18. Oktober über den Jarfjordfjell im Süden von Kirkenes in Norwegen ein, das am 25. Oktober die erste befreite norwegische Stadt war. Ende Oktober erreichte die 14. Armee die Linie Kirkenes – Nautsi. Das letzte Gefecht fand am 6. November in Varangerbotn nahe dem Fluss Tana statt, wobei einige Fernpatrouillen den Porsangerfjord im Westen erreicht haben sollen. Die Operation war erfolgreich, denn sie hatte ihre vorgegebenen Ziele erreicht, von denen die wichtigsten die Befreiung der Heimat und Nordnorwegens sowie die endgültige Sicherung von Murmansk waren.

Rückzug aus Finnland und der Finnmark

Das Oberkommando der Wehrmacht hatte in Anbetracht der ungünstigen Kriegslage in Finnland bereits am 3. September 1944 mit dem Ausscheiden bzw. Umschwenken Finnlands gerechnet. Für den Rückzug der spezialisierten 20. Gebirgsarmee – deren Kern aus der 2. und 6. Gebirgsjäger-Division bestand und in der viele Österreicher dienten – wurde die „Operation Birke“ entwickelt. Der Plan wurde aktuell, als Feldmarschall von Mannerheim am 4. September 1944 mit der Sowjetunion einen Waffenstillstand schließen musste, der am 19. September in Kraft trat. Danach wurden die Deutschen dazu gezwungen Finnland bis 15. Oktober zu räumen. Das war in Anbetracht der Stärke von etwa 200.000 Mann, der Menge an Ausrüstung und Vorräten sowie der Tatsache, dass etwa 1.000 km auf schlechten Straßen nach Norwegen zurückzulegen waren, faktisch unmöglich. Zusätzlich kam es durch den sowjetischen Druck auf Finnland auch zu Kampfhandlungen zwischen den früheren Verbündeten, da die Finnen um ihre Existenz bangten.

Die Deutsche Wehrmacht begann bereits am 12. September mit der Rückführung der Gebirgsarmee, wodurch weder die sowjetische 14. Armee noch die finnischen Streitkräfte den Abzug ernsthaft gefährden oder gar verhindern konnten. Dennoch waren die Verluste verheerend, die sowjetische Quellen sogar mit 50 Prozent beziffern. Die Deutschen Soldaten hinterließen bei ihrem Rückzug eine Spur der Verwüstung. Das Land wurde verwüstet, alle Brücken, Fähren und Boote zerstört, sodass die Sowjets nur mühsam folgen konnten. Die Reste der deutschen 20. Gebirgsarmee zogen trotz der hohen Verluste, geordnet auf der Reichsstraße 50 und beinahe ungehindert die 1.100 km zum Lyngenfjord, wo neue Stellungen für die Operation „Nordlicht“ bereitstanden. Bis Februar 1945 konnten allerdings noch Heeresgüter aus den Häfen in Hammerfest und Alta verschifft werden.

„Verbrannte Erde“ und Befreiung

Die Tragödie in der Finnmark ist weniger bekannt, da größere Ereignisse wie der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte in Weißrussland und der Ukraine, die Invasion in der Normandie oder der stetige Vormarsch der Alliierten im Westen und Süden Frankreichs sowie in Italien die unausweichliche Niederlage des Dritten Reiches anzeigten und im Fokus des Interesses standen. Durch das periphere Kriegsgeschehen im Hohen Norden waren die wenigsten Deutschen, von denen noch viele unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda standen und auch noch an Wunder oder Wunderwaffen glaubten, kaum berührt oder gar beunruhigt.

Am 28. Oktober 1944 erhielt die deutsche 20. Gebirgsarmee im Zuge der Operation „Nordlicht“ einen folgenschweren Befehl: Die Zivilbevölkerung der Finnmark sollte zwangsevakuiert und die Region in eine „verbrannte Erde“ verwandelt werden. Weder die Sowjets noch norwegische Partisanen sollten dort eine Überlebensmöglichkeit vorfinden. Nur wenige Bewohner konnten rechtzeitig über den Rundfunk gewarnt werden. Das resultierte in einer hastigen Flucht von etwa 43.000 Personen, die mit Fahrzeugen zur Küste und von dort per Boot oder Schiff weiter Richtung Süden zogen, während ihre Häuser und Dörfer in Flammen aufgingen oder gesprengt wurden. Bei der durch die Propagandahysterie verängstigten Zivilbevölkerung stand das Überleben im Vordergrund. Etwa die Hälfte der zu evakuierenden Personen entzog sich dennoch den Transporten. Sie versteckten sich während des arktischen Winters – häufig mit wenig oder gar keiner Verpflegung – in der Einöde, in Felshöhlen, unter gekippten Booten oder in Erdhütten. Die Schadensbilanz der Finnmark betrug: 11.000 Wohnhäuser, 4.700 Hütten, 420 Geschäfte, 306 Fischereibetriebe, 140 Vereinssäle, 106 Schulen, 60 Hotels, 27 Kirchen und 21 Krankenhäuser bzw. - stuben.

Am 25. Oktober 1944 gelang der Roten Armee die Eroberung von Kirkenes. Im kollektiven Gedächtnis gelten die Sowjets als Befreier, die ihren Einsatz schwer bezahlten, wie die vielen Soldatenfriedhöfe in Nordnorwegen bekunden. Sie entminten die Gegend, leisteten humanitäre Hilfe und stellten die Ordnung wieder her. Ihr Verhältnis zur Zivilbevölkerung war deutlich besser als später auf ihrem Siegeszug durch Mitteleuropa. Im Februar 1945 kam eine Gebirgskompanie von 233 Norwegern aus Schottland, die – durch eine in Schweden geschulte Polizeitruppe von 1.300 Mann verstärkt – über Murmansk die leergebrannte Finnmark wieder in Besitz nahm. Am 25. September 1945 – knapp ein Jahr nachdem sie die Region befreit hatten – zogen die letzten Soldaten der Roten Armee aus Norwegen ab.

Offene Fragen 

Die Kämpfe um die Finnmark werfen einige Fragen auf, die sich nicht eindeutig beantworten lassen, denen man sich aufgrund der Datenlage jedoch nähern kann:

  • Was hat die Führung der Sowjetunion dazu veranlasst den Siegeszug der Roten Armee im Norden einzustellen?
  • War die sowjetische Offensive nur lokal mit einer limitierten Zielsetzung geplant, die durch das Ausscheiden Finnlands und der Räumung der Finnmark erreicht worden war?
  • Passte Norwegen, dem man eine alliierte Invasion versprochen hatte, überhaupt in das geostrategische Konzept der Sowjetunion, die sich ansonsten – wie der Kalte Krieg noch zeigen sollte - mit Satellitenstaaten umgab?
  • Die Deutsche Wehrmacht hatte gegen Kriegsende etwa 250.000 Mann, mit langzeitig gesicherter Versorgung in Norwegen stationiert und erwartete eine alliierte Invasion bzw. das Eingreifen von Schweden. Erkannte die Sowjetunion, dass diese zum Großteil unverbrauchten Truppen, die in Norwegen gebunden waren, für die Alliierten den geringsten Nachteil bedeuteten, wenn sie dortblieben?
  • War die Taktik der „Verbrannten Erde“ nicht für die Deutschen eine größere Belastung bzw. Hindernis als für die arktisgewohnten Sowjets?

Fazit

Die Niederlage der 20. Gebirgsarmee der Deutschen Wehrmacht erfolgte im Zuge der Selbstbefreiung der Sowjetunion, die auch die mechanisierte Kriegsführung in die Arktis brachte. Die deutsche Nordflanke hatte trotz der Erwartung dieses Gegenangriffes nach Jahren der Stagnation deutlich an Kampfkraft verloren. Der Rückzug der geschlagenen deutschen Truppen – sowohl aus Finnland als auch aus der Finnmark – über 1.000 km arktischer Eiswüste gilt als große strategische Leistung. Die Strategie der „Verbrannten Erde“ war jedoch eine unnötige Härte gegen die norwegische Zivilbevölkerung, die später zu Recht als Kriegsverbrechen geahndet wurde.

Dipl.-Ing. Helmut Malnig ist Techniker, Militärhistoriker und Autor.

 

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