• Veröffentlichungsdatum : 30.05.2017
  • – Letztes Update : 30.06.2017

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  • 2015 Wörter

Kriege der Zukunft

Gábor Orbán

Die Schwächen der Doktrin des integrierten Krieges zeigten sich bereits in den Luftangriffen auf die bosnisch-serbischen Positionen  ab 1995. Im Kosovokrieg sollten diese Mängel noch einmal verstärkt zutage treten.

Teil 3 der Serie: Kriegsführung seit 1945

Der Krieg um den Kosovo bot ein eigenartiges Bild der Kriegsführung. Der ursprünglich innerstaatliche Konflikt weitete sich in dieser ehemaligen serbischen Provinz immer weiter aus, bis die Kampfhandlungen mit dem Einschreiten der NATO internationalisiert wurden. Der Kosovo im Süden Serbiens wird großteils (90%) von Kosovo-Albanern bewohnt. Diese bekennen sich mehrheitlich zum Islam, im Gegensatz zu den zehn Prozent Serben, die der christlichen Orthodoxie angehören.

Als der Bosnienkrieg und damit der jugoslawische Bürgerkrieg im klassischen Sinne mit dem Abkommen von Dayton (Dezember 1995) zu Ende ging, verlagerten sich die ethnischen Spannungen immer mehr in den Kosovo. Dayton ließ nämlich die Frage des Kosovo ungelöst, was unter den dort lebenden Albanern große Enttäuschung hervorrief. Ihre Untergrundarmee, die UÇK (Befreiungsarmee des Kosovo), startete daraufhin einen Befreiungskrieg gegen die Serben.

Das Ziel war die Loslösung der Provinz vom serbisch-jugoslawischen Staatsverband, die Schaffung eines serbenfreien Kosovos, und der Anschluss an das albanische Mutterland. Für die Durchführung dieser Zielsetzungen standen den Kosovo-Albanern allerdings bescheidene Mittel zur Verfügung. Die UÇK besaß weder schwere Waffen, noch eine Luftwaffe oder potenzielle Unterstützer in Form einer Großmacht.

Von der Eskalation der Gewalt bis hin zum Eingriff der NATO im März 1999 beschränkten sich die Aktionen der UÇK auf lokale Angriffe und Überfälle gegen serbische Posten; jedoch ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Neben serbischen Zivilisten wurden auch Albaner entführt und ermordet, die der Kollaboration mit den Serben beschuldigt wurden. Die UÇK bemühte sich darüber hinaus energisch, den Konflikt zu internationalisieren - mit Erfolg, denn die Übergriffe der Serben stießen in den USA und in anderen westlichen Staaten auf offene Ohren.

Als Legitimationsgrundlage für den NATO-Luftkrieg berief man sich auf die Abwendung einer drohenden „humanitären Katastrophe im Kosovo“. In weiterer Folge wurde die NATO berechtigt, „eine friedliche Lösung (…) auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen“. Diese Legitimation der „humanitären Katastrophe“ zum Einsatz des Militärs wurde in den westlichen Ländern allerdings kritisiert. Die Existenz einer humanitären Katastrophe als völkerrechtliche Kategorie war zunächst fraglich, das Image eines Krieges „im Namen der Menschlichkeit“ musste erst geschaffen werden. Damit begann der Informationskrieg viele Monate vor der eigentlichen Militäroperation der westlichen Allianz. Die Strategie der NATO sah vor, Jugoslawien, bestehend aus Serbien und Montenegro, durch Bombardierungen verhandlungsbereit zu machen. Auf geopolitischer Ebene sollte die Position Russlands, das mit Jugoslawien den letzten Verbündeten auf dem Balkan zu verlieren drohte, geschwächt werden.

Vorlage Golfkrieg

Auf taktischer Ebene erwiesen sich die Erfahrungen des Golfkrieges im Jahr 1991 als wegweisend. Die Phase „0“, die militärische Vorbereitung, spielte sich auf mehreren Ebenen der Truppenkonzentration und Aufklärung ab. Während der „Allied Force“ Mission wurden beträchtliche Fliegerverbände nach Italien, England und Deutschland verlegt. Ihre Zahl erreichte bis Ende März 1999 über 600 Flugzeuge, darunter 430 Kampfflieger. Den Militärfliegerkräften auf dem Kontinent schlossen sich Marineeinheiten an, die sich im Mittelmeer und der Adria versammelten. Am Abend des 24. März 1999 begann mit der Phase 1 der eigentliche Angriff der NATO.

Die Hauptaufgabe der ersten Luftschläge bestand darin, die jugoslawische Luftverteidigung auszuschalten sowie die Luftüberlegenheit zu erringen. In dieser ersten Nacht griffen die NATO-Kräfte 40 militärische Ziele mit Marschflugkörpern und gelenkten Bomben an. Die Luftschläge intensivierten sich in den nächsten zwei Nächten. Zum Einsatz kamen unter anderem die Flaggschiffe der modernen Aviatik, die Tarnkappenflieger F-117 „Nighthawk“ und ein B-2 „Spirit“. Die serbische Luftverteidigung blieb allerdings weiterhin aktiv. Deshalb waren die NATO-Flugzeuge gezwungen, eine Höhe von 4.000 m nicht zu unterfliegen, um den serbischen Fliegerabwehrkräften kein Ziel zu bieten.

Bereits am 27. März trat die Phase 2 in Kraft, gefolgt von der Phase 3 ab 14. April 1999. Mit dieser Phase wurden alle militärischen Einrichtungen Jugoslawiens zum potenziellen Ziel erklärt. Am 26. Mai wurde der Luftkrieg noch einmal ausgeweitet - nun gelangte die zivile Infrastruktur ins Visier der NATO. In der Zwischenzeit erreichte die Zahl der eingesetzten Flugzeuge die 1.000er Schwelle. Die Angriffe der NATO zielten darauf ab, die Moral der Bevölkerung zu brechen und die Menschen zu einem Aufstand gegen das Regime von Slobodan Miloševic zu bewegen. Im Kosovo flogen darüber hinaus vermehrt strategische B-52-Bomber Einsätze und warfen ihre Last auf die serbischen Truppen. Es waren Flächenbombardements im Vietnam-Stil, mit dem Zweck, die UÇK zu unterstützen.

Keines der NATO Vorhaben konnte durch diese Strategie erreicht werden. Sowohl die Bevölkerung als auch die Armee von Miloševic hielten trotz Verlusten stand. Damit wurden die Risiken eines Luftkrieges ohne Bodentruppen offensichtlich. Es erwies sich als unmöglich, Serbien mit Bomben und Raketen zum Verhandlungstisch zu zwingen. Die Ankündigung eines Waffenstillstandes und der Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo deckten diese militärischen Mängel noch rechtzeitig ab. Das Ende der Kampfhandlungen haben alle Seiten als Sieg gefeiert. Aus der Sicht der NATO konnte die Unterbindung der Gewalt im Kosovo als Erfolg verzeichnet werden.

Die serbisch-jugoslawische Armee blieb jedoch weiterhin schlagkräftig, was die taktische Fehleinschätzung der Bombentaktik belegt. Die Verluste blieben gering; offiziell gingen lediglich zwei Flugzeuge und etliche UAVs (Unmanned Aerial Vehicle) verloren. Für zahlreiche Strategen wurde klar, dass schwere Risse in der integrierten Militärdoktrin entstanden sind - auch deshalb, weil einer der verlorenen Kampfflieger zum Typ F-117 „Nighthawk“ zählte. Am 27. März 1999, dem vierten Tag der NATO-Luftoffensive, schoss die serbische Luftabwehr im Großraum Belgrad zwei Raketen auf einen dieser „Wunderflieger“ ab. Eine Rakete explodierte in der Nähe des Kampfjets und riss dessen linke Tragfläche weg.

Die für feindliche Radaranlagen theoretisch unsichtbare F-117 stürzte daraufhin unkontrolliert zu Boden. Die Serben haben mit diesem Abschuss eine Hauptsäule des „Integrierten Krieges“ getroffen - eine als überlegen eingeschätzte Militärmaschine neuester Technik. Der Verlust der F-117 „Nighthawk“ bedeutete allerdings nicht nur die unbestreitbare Verwundbarkeit eines modernen und milliardenschweren Kriegsgerätes - es beendete mit einem Schlag den Glauben an die Unfehlbarkeit der integrierten Militärdoktrin.

Integrierte Kriege nach 1999: Afghanistan

Die Erfahrungen des Kosovo-Krieges kamen nach 1999 nicht sofort zur Geltung. Um die Jahrtausendwende tauchte in der militärischen Fachterminologie der Begriff „Krieg gegen Terrorismus“ auf. Am 11. September 2001 griffen Terroristen das Welthandelszentrum (WTC) in New York sowie das Gebäude das Hauptquartier des US-Verteidigungsministeriums (Pentagon) in Washington an. Die Zwillingstürme des WTC brachen zusammen, das Gebäude des Pentagon erlitt schwere Schäden. 9/11 - wie die Anschlagserie an diesem Tag in Folge bezeichnet wird - wurde von der Bush-Regierung zum Anlass genommen, auf legalem Wege Präventivschläge gegen Länder durchzuführen, die den Terrorismus unterstützten.

Die Definition, welche Gruppen als „terroristisch“ eingestuft wurden, war dabei subjektiver Natur. Bereits das Beispiel Kosovo zeigte, wie schnell die zuvor als „terroristisch“ eingestufte UÇK zum Verbündeten der USA werden konnte. Mit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 beschuldigte Präsident Bush zunächst Afghanistan der Finanzierung und Unterstützung von Terroristen. Das Land war nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 ins Chaos gesunken, seitdem kämpften verfeindete Clans gegeneinander um die Macht; 1996 gewann das radikalislamistische Regime der Taliban die Oberhand.

Afghanistan wurde rasch zum Synonym der „Bruststätte des Terrors“. Um die Taliban zu stürzen, starteten die USA am 7. Oktober 2001 unter dem Decknamen „Enduring Freedom“ eine Militäroperation. Diese folgte in ihrer Anfangsphase dem Muster des Kosovokrieges: Der Angriff sollte in erster Linie von der Luftwaffe durchgeführt werden, der Einsatz von eigenen Bodentruppen wurde hingegen ausgeschlossen. Stattdessen setzte man auf die Taktik des „verlängerten Armes“.

So wie die UÇK drei Jahre zuvor, wurden verschiedene lokale Gruppierung aufgewertet und als „Nordallianz“ in den Kampf gegen die Taliban geschickt. Die Luftschläge blieben allerdings erfolglos, sodass neben der „Nordallianz“ auch US Spezialtruppen eingesetzt werden mussten. Im Dezember desselben Jahres wurden die Operationen für beendet erklärt.

Zweiter Irakkrieg

Die in Afghanistan begonnene, leichte Verschiebung des taktischen Schwerpunktes in Richtung einer Boden- statt der bisherigen Luftoffensive nahm zwei Jahre später im Irak Gestalt an. Seit dem Golfkrieg 1991 war der Irak den Amerikanern ein Dorn im Auge. So dauerte es nicht lange bis Saddam Hussein mit der Unterstützung von Terroristen sowie für den Besitz von Massenvernichtungswaffen beschuldigt wurde.

Das Unternehmen „Iraqi Freedom“ unterschied sich grundlegend von den Kriegen des letzten Jahrzehntes. Nun flogen Kampfflieger ihre Einsätze als Unterstützung und nicht mehr als Ergänzung der Bodentruppen. Das bedeutete, dass die Rolle der Luftwaffe deutlich herabgestuft wurde, während die Bedeutung von Bodentruppen massiv zunahm. Über 200.000 alliierte Soldaten marschierten durch den Irak, umgingen große Städte oder befestigte Ortschaften und bekämpften den Widerstand der Iraker mit Hilfe von gelenkten Luftschlägen - ganz im Stil des Blitzkrieges der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg mit all seinen Vor- und Nachteilen.

So kämpften die Amerikaner mit erheblichen Nachschubproblemen, weil ihre Einheiten zu schnell und zu tief ins Feindesland eindrangen. Lediglich der schwache Widerstandswille der Iraker und das schnelle Beenden der Kampfhandlungen (die vom 20. März bis zum 14. April 2003 dauerten) verhinderten eine größere Katastrophe. Die schnellen Erfolge der US-geführten Koalition brachten weder Afghanistan noch dem Irak den versprochenen „Freedom“ - ganz im Gegenteil. Bis heute sind beide Länder von extremer Instabilität gekennzeichnet.

Die Besetzung des Iraks forderte von den Amerikanern und ihren Verbündeten zwischen 2003 und 2011 fast 5.000 Todesopfer, weshalb das Vietnam-Trauma in weiten Teilen der US-Gesellschaft wieder aufflammte. Ein deutliches Zeichen der nicht eingestandenen Niederlage stellte die flächenbrandartige Ausbreitung der Gewalt nach dem Abzug der US-Kampftruppen dar. Vom Irak, über Syrien bis zur Grenze der Türkei kommt es immer wieder zu schweren Kämpfen, ohne Hoffnung auf einen baldigen Frieden.

Diese Spirale der Gewalt stürzt die gesamte Doktrin des „Integrierten Krieges“ in eine Krise. Obwohl in militärischen Kreisen von einer „Reformierung der Kriegsführung“ gesprochen wird, ist anzunehmen, dass die Krise der strategisch-taktischen Kriegsführung tiefer geht, als bis dato angenommen. Somit wird auch, wie so oft in der Militärgeschichte, offenkundig, dass die Kriegsführung in ständiger Bewegung und Veränderung ist.

Die Kriege der Zukunft?

Der Krieg ist keine Wissenschaft, die Gesetzen und Theorien folgend in geordneten Bahnen verläuft. Krieg steht für Unberechenbarkeit, wodurch stets mit unvorhersehbaren Zufällen und Zwischenfällen gerechnet werden muss. Jeder Stratege beziehungsweise Militär muss sich darüber im Klaren sein, dass Pläne oder Direktiven nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt zu gebrauchen sind. Mit dem Überschreiten dieses Punktes sind Anpassungsfähigkeit, Initiative und Ideenreichtum von entscheidender Bedeutung.

Wird dieser Zeitpunkt nicht erkannt, können militärische Doktrinen auf dem Schlachtfeld in einem Fiasko enden. Dies gilt für alle Ebenen der Kriegsführung: Die Planungsebene (Strategie) ist davon ebenso betroffen wie die Ebene der Gefechtsweise (Taktik) sowie die der Durchführung (Operation). Dieses Denkmodell spiegelt auch die Militärgeschichte wieder. Die Kriegsführung passt sich seit ihrem Entstehen den Erfordernissen der jeweiligen Epoche an; dieser Transformationsprozess wiederholt sich ständig in Form von militärischen Revolutionen.

Mit Recht darf die Frage gestellt werden, wann die nächste Revolution bevorsteht und was sie bringen wird. Was könnte nach den Infanterieeinheiten der Antike, den schweren Ritterheeren des Mittelalters oder der Erfindung der Schusswaffen in der Frühen Neuzeit folgen? Obwohl man auf diese Frage keine exakte Antwort geben kann, so fällt es nicht schwer, mit etwas Vorstellungskraft die Zukunft der Kriegsführung in einer utopischen Welt zu sehen, in der Kriege von Maschinen ausgetragen werden.

Ein solches Szenario mag heutzutage noch unrealistisch klingen, die Erfahrungen der letzten 200 Jahre deuten allerdings eindeutig in diese Richtung. Seit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert als militärisches Schlüsselereignis kann eine verstärkte technische Mechanisierung, unter anderem im waffentechnischen Bereich, beobachtet werden. Dieses Phänomen nahm in erster Linie nach 1945 ein immer größeres Ausmaß an. Hinzu kam in den späten 1980er Jahren die Computerrevolution.

Sollten diese zwei Teilbereiche vollständig den Weg zueinander finden und miteinander verschmelzen, ist der Übergang in die nächste militärische Revolution abgeschlossen. Diese Übergangszeit wird wohl von zahlreichen Kriegen und wechselnden Taktiken gekennzeichnet sein, die den Weg militärischer Revolutionen formen. Der vorliegende Beitrag sollte die sich stets verändernde Kriegsführung der letzten militärischen Revolution zeigen.

Anhand von angewandten Militärdoktrinen der letzten 70 Jahre rückten dabei Kriege in den Vordergrund, die das militärische Denken in gewisser Weise beeinflusst haben. Die Konflikte der letzten Jahre zeigten, dass die Bedeutung der Luftangriffe abnahm und der Einsatz von Bodentruppen wichtiger wurde. Der entscheidende kriegstaktische Durchbruch lässt sich allerdings weiterhin auf sich warten. Wann dieser erfolgen wird, ist ungewiss und kann erst im Kontext künftiger Konflikte erkannt und beurteilt werden.

Link zur Serie

Gabor Orban, BA absolviert ein Masterstudium an der Universität Wien.

 

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