• Veröffentlichungsdatum : 19.01.2022
  • – Letztes Update : 07.03.2022

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„Krieg ist nicht rein militärisch“

Anna Hlawatsch

Im Konflikt um die Ukraine nahmen die Spannungen zwischen Russland und dem westlichen Militärbündnis NATO in den vergangenen Wochen deutlich zu. Dass sich eine echte Kriegsgefahr entwickelt könnte, stufen Experten mittlerweile als sehr wahrscheinlich ein. Aufgrund der raschen Lageentwicklung ist das nachfolgende Interview, das TRUPPENDIENST-Redakteurin Anna Hlawatsch mit Brigadier Philipp Eder kurz nach dem Jahreswechsel führte, nicht mehr ganz aktuell. Eder analysiert darin jedoch unter anderem die Lage in Belarus und Kasachstan sowie die hybride Kriegsführung. 

Anna Hlawatsch: Was versteht man unter hybrider Kriegsführung? 
Philipp Eder: Im Völkerrecht ist Krieg als eine Auseinandersetzung zwischen Staaten oder zwischen bewaffneten Bündnissen definiert. Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es allerdings ein Gewaltverbot der Vereinten Nationen, weshalb der „klassische Krieg“ außer zur Selbstverteidigung völkerrechtlich verboten ist. Damit gemeint ist, dass ein Staat gegenüber einem anderen Staat eine Kriegserklärung ausspricht und diese danach gegeneinander kämpfen. Generell finden Kriege zwischen Staaten nur noch sehr selten statt. Ein aktuelles Beispiel ist der Bergkarabach-Krieg von Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020. Weil Staaten aber offen keine klassischen Kriege mehr führen, bedienen sie sich verdeckt der hybriden Konfliktführung. Dazu nützen sie mehrere Instrumente der Macht. Diese werden gezielt eingesetzt, um strategische Ziele zu erreichen ohne dass die völkerrechtliche Kriegsschwelle überschritten wird. Würde es dazu kommen, würde der Staat dem Gewaltverbot der Vereinten Nationen widersprechen und wäre folglich geächtet. Der Begriff der hybriden Konfliktführung ist daher passender, als jener der hybriden Kriegsführung. Das bedeutet allerdings nicht, dass hybride Konfliktführung nicht in einem klassischen Krieg münden kann. Ich halte es aber für wichtig, sich vom klassischen Kriegsbild der Vergangenheit des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu lösen.

Hlawatsch: Wie lässt sich hybride Konfliktführung charakterisieren? Was sind ihre Elemente?
Eder: Dass Kriege hybrid geführt werden, ist eine Erkenntnis, die schon die Römer und Griechen gewonnen haben. Krieg ist nicht rein militärisch, auch wenn er häufig nur damit in Verbindung gebracht wird. Auch eine Konfliktführung ist nicht gleichzusetzen mit Militärgewalt. Besinnt man sich auf die Bedeutung des Wortes Konflikt, wird deutlich, dass es viele Austragungsfaktoren bzw. Hilfsmittel der Macht gibt. Unter anderem zählen dazu die Außenpolitik, die Zivilgesellschaft, die Exekutive und der gesamte Bereich der Information. Das beginnt bereits bei der Werbung. Sieht man etwa beim Supermarkt ein Produkt einer Marke, der man vertraut und daneben ein Produkt einer unbekannten Marke, greift man automatisch zum Bekannten. Das ist, übertrieben dargestellt, der erste Schritt zum Krieg im Kopf. Modern ist die hybride Konfliktführung, wie wir sie heute kennen, 2014 durch die Invasion der Russen auf die Krim geworden. Kurz zuvor hatte Walerij Gerassimow (russischer Generalstabschef; Anm.) mit seinen Ansichten zu den hybriden Hilfsmitteln der Macht, vor allem jene der Zivilgewalt, für Aufsehen gesorgt. Der Westen fasst seine Aussage, es gebe viermal mehr Instrumente im zivilen als im militärischen Einflussbereich, seither als Gerassimow-Doktrin zusammen. Man ging damals wie heute davon aus, dass Russland seine Konflikte fortan hybrid führen werde. Als Beispiele werden unter anderem die Invasion der Krim oder die derzeitige Lageanspannung an der Grenze zur Ukraine angeführt. Was Gerassimow aber eigentlich sagte war, dass der Westen hybrid gegen Russland vorgeht, indem er beispielsweise Allianzen schmiedet und Wirtschaftssanktionen gegen Russland ausspricht. Russland fühlt sich immer mehr eingekreist durch das Militärbündnis NATO.

Hlawatsch: Worin liegen die Ziele hybrider Konfliktführung?
Eder: Wir befinden uns derzeit in einer Situation, in der die großen Mächte der Welt hybride Konflikte austragen. Dabei verfolgen sie alle dasselbe Ziel: Sie wollen in erster Linie beeinflussen und spalten. Dafür nutzen sie in erster Linie die Machtinstrumente „Information“ sowie „Wirtschaftspolitik“, um die gegnerische Führung und vor allem die Bevölkerung für die eigenen strategischen Interessen zu gewinnen. Deshalb versuchen auch staatsnahe russische oder chinesische Medien dem Westen ihre friedlichen Absichten zu erklären und wie sie missverstanden werden. Westliche Staaten machen das natürlich ebenso. Hintergrund dieser Beeinflussung Russlands und Chinas ist es, den Westen zu spalten, der umgekehrt dasselbe Ziel gegenüber Russland und China verfolgt. Zusätzlich zu staatlichen Akteuren gibt es auch Terror-Organisationen, vor allem der Islamische Staat, die sich der hybriden Konfliktführung bedienen. Konventionell gilt der Islamische Staat als besiegt, die Ideologie besteht aber weiterhin. Neben der Beeinflussung ist die Verunsicherung ein Ziel seiner hybriden Konfliktführung. Ziel der Terrororganisation ist es, ihren Einflussbereich zu erweitern. Das gelingt vor allem durch Propaganda, aber auch durch Terror und Verunsicherung. Wie gut Propaganda funktioniert, war an den vielen Jugendlichen zu erkennen, die sich auf den Weg gemacht haben, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Ein weiteres Ziel hybrider Konfliktführung ist es – sollte es irgendwann zu einem „heißen Krieg“ kommen – den „Gefechtsraum“ vorzubereiten. Sicherheitspolitik ist nicht immer rational, sondern kann auch irrational sein. Das bedeutet, dass diese Vorbereitung in den Köpfen der Bevölkerung aber auch durch Außenpolitik, wirtschaftliche Maßnahmen und durch Medien passiert. Militärische Maßnahmen markieren, wenn sie überhaupt notwendig sind, das Ende der hybriden Konfliktführung. All diese Teilziele sollen dazu dienen, das eigentliche Hauptziel zu erreichen, nämlich die Macht zu übernehmen. Was auch immer dies für den konkreten Fall bedeutet.

Hlawatsch: Wo wurde hybride Konfliktführung bereits eingesetzt?
Eder: Mein Lieblingsbeispiel ist der Anschluss Österreichs 1938. Im März 1938 ist die Deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert. Das war die letzte konventionelle Phase eines hybriden Angriffes, der viel früher begann. Bereits in den 1930er-Jahren kam es zur Unterwanderung unter anderem des politischen Systems Österreichs, der Exekutive und des Militärs mit nationalsozialistischer Ideologie. Noch vor dem Einmarsch verhängte Deutschland Wirtschaftssanktionen gegen Österreich und schädigte den österreichischen Tourismus. Deutsche Bürger mussten beispielsweise 1.000 Reichsmark zahlen, um nach Österreich reisen zu dürfen. Man machte sich also die Abhängigkeit Österreichs vom deutschen Tourismus zunutze. Außenpolitisch verstand sich Italien als Schutzmacht Österreichs. Adolf Hitler war es aber gelungen, dass Benito Mussolini diese Rolle aufgab. Man hat damals auch außenpolitisch viel Druck auf die Regierung ausgeübt. Unter anderem wurde Kanzler Kurt Schuschnigg unter Drohungen zum Obersalzberg (in Oberbayern; Anm.) zu Hitlers Zweitresidenz diktiert. Im Hintergrund dieser Druckausübungen stand immer das Potential der Deutschen Wehrmacht. Deren Einsatz war aber durch die genannten Maßnahmen am 12. März 1938 nicht mehr notwendig, da weite Teile der österreichischen Bevölkerung bereits positiv gegenüber der Annexion Österreichs eingestellt waren und jene, die dagegen waren, einfach übermannt wurden.

Auch auf der Krim ist es den Russen gelungen, ein Territorium zu besetzen, ohne jemals einen Schuss abzufeuern. Als aktuelles Beispiel ist auch der Konflikt zwischen China und Taiwan zu nennen. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an und fordert dessen Eingliederung. Dabei spricht die chinesische Regierung offen davon, dass sie Taiwan nicht militärisch dazu bewegen will. China nutzt alle möglichen Einflussfaktoren, um in der Bevölkerung Stimmung für einen Anschluss zu machen. Am Ende kann noch immer ein militärischer Angriff stehen, aber zuvor wird sich China aller bereits genannter Machtmittel bedienen. Ob dies gelingen wird, ist schwer zu sagen. Kurzfristig wäre meine Antwort nein. Mittel- bzw. langfristig, unter der Annahme, dass dies für die taiwanesische Bevölkerung mehr Wohlstand bedeuten würde, wenn sie Teil Chinas wird, wäre die Antwort möglicherweise ja. Der Westen und die USA versuchen aber, dass die Bevölkerung mehr Vorteile vom aktuellen Status quo hat.

Hlawatsch: Wie sehen Sie den Konflikt in Belarus aus militärischer Perspektive?
Eder: Wenn man die Situation aus weißrussischer Sicht betrachtet, ist es eine rein innerstaatliche Spannung. Ich glaube, dass Alexander Lukaschenko (Präsident von Belarus; Anm.) das aussitzen will. Vor allem weil nicht klar ist, wie sehr Russland die weißrussische Regierung stützt. Sicher ist aber, dass Russland seine eigenen Interessen verfolgt und dazu gehört nicht, dass sich Weißrussland in ein demokratisches System nach westlichem Vorbild verwandelt, das sich aus der Kooperation mit Russland löst. Solange die Spannung also nur auf der weißrussischen Ebene verbleibt, wird aus der aktuellen Situation kein Konflikt. Im größeren Kontext ist die Situation aber ein Puzzlestück für das verhärtete russisch-westliche Verhältnis, wenn auch nicht mehr als ein Störfeuer, von denen es bereits viele gegeben hat. Sollte es dem weißrussischen Volk wider Erwarten gelingen einen Regimewechsel herbeizuführen, ändert sich die Dynamik. Dann hängt alles davon ab, wie Russland reagiert. Solange Lukaschenko an der Macht ist, verbleibt der Status quo. Es gibt eine unzufriedene Bevölkerung und eine unterdrückte Opposition, der Westen wird weitere wirtschaftliche Sanktionen verhängen und der Konflikt immer wieder aufflammen, aber es wird sich nicht viel ändern. Beachtenswert finde ich eher, den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze. Hier kann es sich um eine Auslotung Russlands handeln, wie weit der Westen Putin gehen lässt. Es können außenpolitische Forderungen oder aber noch viel mehr dahinterstecken.

Hlawatsch: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Kasachstan ein?  
Eder: Ähnlich wie in Weißrussland handelt es sich dort um eine innerstaatliche zivilgesellschaftliche Unmutsäußerung, die vom Regime mithilfe seiner Verbündeten – vor allem Russland –, mit jeder notwendigen Maßnahme niedergehalten wird. Russland hat ganz wesentliche strategische Interessen, ist Kasachstan doch Vollmitglied in der von Russland angeführten „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ und Partner beim Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe seit 1992. Weiters aufgrund der langen gemeinsamen Grenze, einer hohen wirtschaftlichen Verflechtung und des relativ großen russischen Bevölkerungsanteiles. Zusätzlich befindet sich dort der Weltraumbahnhof Baikonur, der von Russland gepachtet wird.

Hlawatsch Wie ist die dortige Situation im Zusammenhang mit dem Ukraine-Russland-Konflikt zu sehen?
Eder: Für die russische Regierung sind die zivilen Unruhen in seinem Umfeld sehr unangenehm. Man befürchtet ein Überspringen auf die Bevölkerung Russlands und/oder eine strategische Umorientierung von Nachbarstaaten in Richtung USA. Manche Beobachter hoffen, dass die Ereignisse in Kasachstan eine Ablenkung Russlands von der Ukraine bedeuten könnten, das glaube ich aber nicht. Die Bestrebungen Russlands, über außenpolitischen und militärischen Druck auf die Ukraine, die USA zu geopolitischen Zugeständnissen im Sinne Moskaus zu bewegen, bleiben unverändert aufrecht.

HlawatschWie stellt sich die globale Machtverteilung derzeit dar?
Eder: Wir leben in einer multipolareren Welt als noch vor zehn Jahren. Der Aufstieg Chinas ist für den Machterhalt der USA die größte Bedrohung. Aber seine Rolle im UNO Sicherheitsrat, der Besitz von Atomwaffen, die Aufrüstung Russlands, die völlig überraschende Invasion der Krim und seine sicherheitspolitische Unberechenbarkeit machen Russland zum Akteur in diesem globalen Wettstreit. Für die Russen ist, vor allem aus innenpolitischen Gründen, der Westen der große Gegner.

Hlawatsch: Inwiefern betreibt der Westen eine hybride Konfliktführung? 
Eder: Das lässt sich aus der Sicht Russlands auf den Westen erläutern. Russland sieht den Westen als Aggressor und ist der Auffassung, dass es zwei Mal im letzten Jahrhundert von ihm angegriffen wurde (Erster und Zweiter Weltkrieg; Anm.), während Russland das nie tat. Das stimmt natürlich nicht, weil Russland 1939 Finnland und Polen angegriffen hat. Als der Kalte Krieg zu Ende war, verstand sich die USA als letzte verbleibende Weltmacht, die Russland nur noch als bedeutungslosen Staat wahrnahm, so die Auffassung russischer Politiker. Die USA haben, um ihre Macht gegenüber Russland zu stärken, die NATO erweitert. Russland sieht dies als Verletzung der Abmachung, die nach dem Kalten Krieg geschlossen wurde. Hier steht jedoch Aussage gegen Aussage, die ein westlicher Völkerrechtler anders beurteilen wird, als ein russischer. Moskau hat stets versucht, zwischen sich und dem Westen einen Puffer zu schaffen. Im Kalten Krieg waren das die baltischen Staaten (damals Sowjetrepubliken; Anm.), die DDR, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn sowie westliche Sowjetrepubliken. Derzeit umfasst der Puffer allerdings nur noch Weißrussland, Georgien, die Republik Moldau und die Ukraine. Genau in diesen Gebieten gibt es derzeit sicherheitspolitische Probleme. Russland unterstellt dem Westen durch gezielte Informationen und Spaltungsversuche die Bevölkerung aufzuhetzen, etwa durch das Narrativ, dass Russland die Krim illegal überfallen hätte, obwohl diese (aus ihrer Sicht) immer russisches Territorium war. Die Wirtschaftssanktionen, die die EU nach dem Einmarsch ausgesprochen hat, erachtet Moskau als völkerrechtswidrig. Was der Westen von all dem tatsächlich macht bzw. gemacht hat, ist daher eine Frage der strategischen Perspektive. Klar ist aber, dass es eine westliche Einflussnahme auf die russische Zivilgesellschaft gibt.  

HlawatschWas könnte die Gefahr für die Europäische Union sein und warum wird sie zum Ziel?
Eder: Die Gefahr für die Europäische Union ist, dass sie nicht mit einer gemeinsamen Stimme in der Außenpolitik auftritt. Die russische Zielsetzung ist es, dass die EU nicht als Machtblock im Verbund mit den USA gegen Russland agieren kann. Schließlich ist der Zusammenhalt bekanntermaßen die größte Schwäche einer Organisation. In der EU werden viele verschiedene nationale Interessen verfolgt, daher ist der Ansatzpunkt der russischen Föderation logisch, eine Spaltung zu versuchen. In der EU ist für viele Experten zurzeit Ungarn ein Wackelkandidat, da es sehr enge Beziehungen zu Russland hat. Gleichzeitig ist zu erwähnen, dass wirtschaftlich gesehen, eine starke EU auch für die USA ein Konkurrent ist. Die USA (unter Präsident Donald Trump; Anm.) hat beispielsweise Zölle gegen die EU oder gegen EU-Mitgliedsstaaten verhängt. Aus militärischer Sicht ist das kein hybrider Konflikt, sondern eine rein wirtschaftliche Maßnahme. Wenn man aber das große Ganze sieht und es mit dem Konflikt Russland-USA-China in Verbindung bringt, muss uns als EU klar sein, dass wir Teil dieser Auseinandersetzung sind. Hier ist anzumerken, dass die EU auch selbst immer mehr von strategischer Autonomie spricht, um weniger von den USA anhängig zu sein.

HlawatschWelche Auswirkung hat der Belarus-Konflikt auf den österreichischen Staatsbürger?
Eder: Das weißrussische Regime klammert sich an die Macht, die demokratisch nicht zu legitimieren ist. Die EU hat daher Sanktionen ausgesprochen. Die Gegenmaßnahme des Regimes ist es, die illegale Migration ins Spiel zu bringen, um eine Spaltung in der EU hervorzurufen. In Wirklichkeit ist es aber kein hybrider Konflikt. Mir gefällt es auch nicht die Migration als „Waffe“ zu bezeichnen, das ist mir zu populistisch. Natürlich wird Migration häufig als Druckmittel in der Konfliktaustragung eingesetzt, wie zahlreiche historische Beispiele beweisen. Damit wird seit jeher Politik gemacht. Für den einzelnen EU-Bürger bedeutet der Konflikt, solange er auf weißrussischer Ebene verbleibt, relativ wenig, außer er gipfelt in einer Migrationskrise wie 2015. Eine spürbare Auswirkung gäbe es erst, wenn Russland diesen Konflikt nutzt, um seine Interessen zu verfolgen. So hat der russische Präsident Putin Mitte November 2021 Angela Merkel (zu diesem Zeitpunkt amtierende deutsche Bundeskanzlerin; Anm.) aufgefordert, sich mit Alexander Lukaschenko zusammensetzen, um das Problem zu lösen, so als wäre Angela Merkel die EU. Gleichzeitig hat damit Lukaschenko eine Form der Legitimation erhalten. Für den Bürger sollte das aber durchschaubar sein.

HlawatschWelchen Rat würden Sie den politischen Entscheidungsträgern geben? 
Eder: Die Herausforderungen, die mit der hybriden Konfliktaustragung der Großmächte einhergehen, kann kein europäischer Staat alleine bewältigen. Ich denke, dass die EU starke Sensoren und Instrumente benötigt, die strategisches Vorausschauen ermöglichen. Wir müssen weg von einer Fülle an Informationen und hin zu Fakten kommen. In erster Linie geht es bei hybriden Konflikten darum, zu wissen, was ein Akteur mit seinen Maßnahmen bezwecken möchte. Bis heute weiß aber niemand, bis auf Putin und sein Umfeld, was er mit den Truppenaufmärschen an der russischen Grenze zur Ukraine bezweckt. Manche glauben, dass eine unmittelbare Invasion bevorsteht, aber wir wissen es nicht, da den europäischen Staaten diese gemeinsame strategische Vorausschau fehlt. Wüssten wir, was die Hintergründe dieses Aufmarsches sind, könnte sich die EU organisieren und reagieren. In Österreich gibt es seit den 1980er-Jahren in der Bundesverfassung den Artikel 9a, der die Umfassende Landesverteidigung (ULV) als Staatszielbestimmung vorgibt. Er beschreibt nichts anderes als die Antwort auf eine hybride Konfliktaustragung. Bereits damals war klar, dass der Kalte Krieg nicht nur militärisch geführt wird, sondern auch durch politische, wirtschaftliche, soziale und mediale Säulen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die ULV ruhend gelegt. Ich würde mir wünschen, dass sie wiederbelebt wird, um hybriden Bedrohungen entgegenzutreten. Schließlich kann ein hybrider Konflikt in einer Krise oder einen Krieg gipfeln. Im militärischen Bereich weiß man, dass eine klare Führungsstruktur in einer Krise unabdingbar ist. Österreich fehlt diese klare Krisenführungsstruktur, die ich aber auch in der EU vermisse. Gleichzeitig braucht es eine größere autonome Reaktionsfähigkeit der staatlichen Funktionen und wir benötigen eine längere Durchhaltefähigkeit. Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser im Fall eines Blackouts nur wenige Tage lang mit Strom versorgt werden können. Mir ist aber bewusst, dass es heute schwierig zu vermitteln ist, dass man viel Geld in Instrumente investiert, die man im Idealfall nie benötigen wird.

Mag. Anna Hlawatsch ist Redakteurin des TRUPPENDIENST. 

 

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