• Veröffentlichungsdatum : 25.06.7121
  • – Letztes Update : 07.07.2021

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„Ich will an die Spitze!“

Gerold Keusch, Anna Hlawatsch

Stabswachtmeister Sylvia Steiner ist Sportschützin und Heeresleistungssportlerin. Bereits in ihrer Jugend verbrachte sie ihre Wochenenden am Schießplatz. Im Sommer 2021 tritt sie bei den Olympischen Spielen in Tokio an. TRUPPENDIENST traf sie mit ihrem Trainer und Vater, Vizeleutnant i. R. Franz Steiner, am Schießplatz. Dort sprachen die beiden über ihre sportliche Laufbahn, Rückschläge, neu entbrannten Ehrgeiz und gaben Tipps für das Pistolenschießen.

Zum Artikel „Schießen wie Sylvia Steiner“

Liebe auf den ersten Blick war der Schießsport für Sylvia Steiner nicht. „Ich wollte mit dem Schießen eigentlich nichts zu tun haben. Irgendwann war meine Mutter aber unterwegs – damals war ich noch ein Kind und durfte nicht alleine zu Hause bleiben – und ich musste mit meinem Vater auf den Schießplatz gehen.“  Nach und nach entwickelte sie ein Interesse für den Schießsport und griff schließlich selbst zur Pistole: „Irgendwann habe ich es selbst versucht und war begeistert!“ Mit zehn Jahren erlernte Steiner das Gewehrschießen sitzend aufgelegt und startete ein Jahr später das erste Mal bei einem Wettkampf. „Bei der ersten Bezirksmeisterschaft war ich Dritte. Das hat mich selbst überrascht.“  Kurz darauf tauschte sie das Luftdruckgewehr gegen eine Luftdruckpistole.

Der Umstieg, erinnert sich ihr Vater, war kein Problem für sie. „Sylvia hat sich von Anfang an relativ leicht mit der Luftpistole getan. Das Gewicht der Waffe war ihr aber anfangs noch zu schwer.“ 1997 – im Alter von 15 Jahren – wurde Steiner überraschend Österreichische Meisterin in der Disziplin Luftpistole Junioren. „Damals gab es nicht viele Mädchen am Schießstand. Deshalb habe ich meine erste Staatsmeisterschaft mit den Burschen geschossen. Ab der zweiten Staatsmeisterschaft (1997, Anm.) waren etwa zehn Mädchen in der Wertung. Die haben dann zwar alle wieder aufgehört, aber da war ich bereits in der Damenwertung.“  Steiners Leidenschaft für das Schießen wurde von ihrem Umfeld nicht immer ernst genommen. „Ich besuchte die Modeschule. Wenn ich für Wettkämpfe einen freien Tag benötigte, haben meine Lehrer oft gesagt ‚Die Wilde! Vor der muss man sich in Acht nehmen!‘ Unterstützung gab es keine. Meinen Freundinnen war mein Hobby eher egal, da hatte jede eine andere Leidenschaft.“

Ende der ersten Karriere

Ab dem Jahr 1999 absolvierte Sylvias Vater seinen ersten von mehreren Auslandseinsätzen. Für sie war das eine anspruchsvolle Zeit, da sie ihr Training von nun an alleine organisieren und ihre Schusstechnik selbstständig weiterentwickeln musste. „Die Distanz zu meinem Vater war für meine sportliche Entwicklung ein Nachteil, da ich damals zu wenig auf meine Schießtechnik geachtet habe und mir die Rückmeldungen fehlten.“  Ein Trainerwechsel kam für sie dennoch nicht in Frage. „Mein Vater hat mich telefonisch gecoacht und ich habe versucht seine Tipps umzusetzen. Mir hat damals aber die Konstanz gefehlt und es gab auch Phasen, in denen ich schlecht geschossen habe.“ Trotz aller Widrigkeiten wurde Sylvia im Jahr 2002 Vize-Europameisterin bei den Junioren. „Nach der Staatsmeisterschaft 2003 (mit 21 Jahren, Anm.) hat Sylvia ihre Karriere beendet“, erinnert sich Franz Steiner. „Ich habe das akzeptiert und ihre Waffen versperrt. Da sie meinte, irgendwann wieder schießen zu wollen, verkauften wir die Waffen aber nicht. Da Sylvia nicht mehr aktiv war, habe ich mich wieder auf eigene Wettkämpfe konzentriert und mit der 25-m-Pistole zu schießen begonnen.“

Fünf Jahre sollte Sylvia Steiner keine Waffe in der Hand halten. Nach dem Abschluss der Modeschule arbeitete sie zehn Jahre lang als Bürokauffrau. Im März 2008 entdeckte sie ihre Schießleidenschaft erneut, als sie ihren Vater zu einem Wettkampf begleitete. „Ein paar Tage später habe ich ihn gefragt, ob er meine Waffen noch hat. Die Leidenschaft für das Schießen war wieder da – einfach so. Ich dachte, was die Teilnehmer bei dem Wettbewerb treffen, treffe ich doch leicht.“  Im Herbst 2008 begann Steiner wieder zu trainieren. „Ich habe das zunächst niemandem gesagt, da ich mich noch nicht endgültig entschieden hatte.“ Als sie bei einem Vergleichsschießen als Siegerin auf dem Treppchen stand, war die Entscheidung zum Comeback gefallen. Während Vater Franz erneut im Auslandseinsatz war, frischte Sylvia ihre Schießkompetenz zunächst alleine auf. 2009 startete sie bei den Österreichischen Meisterschaften, wo sie die Luftpistolen-Wertung gewann. „Damals hat mich der Ehrgeiz endgültig gepackt und mir war klar: Jetzt will ich an die Spitze!“

Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, wollte sie aus ihrem Hobby einen Beruf machen und Profisportlerin beim Heeressportzentrum werden. Obwohl sie dort nicht aufgenommen wurde, „warf sie die Flinte nicht ins Korn“. Sie sah sich nach anderen Optionen um, und fand diese als Leistungssportlerin in Zweitfunktion. Davor musste sie jedoch den Beruf wechseln und Soldatin werden. „Der Eintritt in das Bundesheer war eine Hürde. Ich war nie besonders sportlich und der Dienst als Soldatin war vollkommen neu für mich. Ich habe es aber geschafft, weil ich immer ein klares Ziel hatte. Innerhalb von sieben Jahren habe ich alle Laufbahnkurse – inklusive der Stabsunteroffiziersausbildung – erfolgreich abgeschlossen und bin aktuell als Kdt EtlTrp & FMGerUO tätig.“

 

Die zweite Laufbahn

2010, im Alter von 55 Jahren, absolvierte ihr Vater Franz seinen letzten Auslandseinsatz. Danach widmete er sich dem Training seiner Tochter. „Wir haben damals als Ziel den Start bei der Olympiade 2016 in Rio de Janeiro festgelegt und ein ehrgeiziges Trainingsprogramm absolviert.“ Seither tritt Sylvia neben der Luftpistole auch mit der Sportpistole (25-m-Pistole) bei Wettkämpfen an. Deren Umgang erlernte sie im Alter von 14 Jahren. Für sie macht es mehr Sinn, bei einem internationalen Wettkampf in zwei Disziplinen zu starten. Abgesehen davon, sind sowohl das Schießen mit der Sport- als auch mit der Luftpistole olympische Disziplinen. Dass sich ihr Vater auf die gleichen Disziplinen spezialisiert hatte, ist ein positiver Zusatzaspekt.

Einen guten und passenden Trainer zu finden, ist für jeden Sportler eine Herausforderung und ein Schlüssel zum Erfolg. Vom eigenen Vater trainiert zu werden ist aufgrund der persönlichen Nähe eine besondere Herausforderung – bei Sylvia und Franz Steiner jedoch ein Pfeiler des Erfolges. „Wir haben eine professionelle sportliche Arbeitsbasis. Ich vertraue ihm blind und nehme seine Verbesserungsvorschläge ernst. In meiner Jugend war das nicht immer so“, meint Sylvia.

„Ein Erfolgsrezept für jeden Sportler ist es, die Tipps des Trainers so gut wie möglich anzunehmen und umzusetzen. Vor allem eingefleischte Schützen hören nicht immer auf ihre Trainer“, weiß Franz aus Erfahrung. „Gerade, weil wir uns so gut kennen, wissen wir, wie der andere reagiert und wie wir uns am Schießplatz verhalten müssen. Zum Beispiel stehe ich beim Training nicht direkt hinter ihr, damit ich sie nicht irritieren kann. Ich beobachte ihren Bewegungsablauf aus der Entfernung. Wenn sie etwas braucht, weiß sie aber wo sie mich findet. Ich schimpfe auch nicht, wenn ein Training oder ein Wettkampf danebengeht. Gerade dann, wenn es schlecht läuft, gebe ich ihr den Freiraum, den sie benötigt, um den Rückschlag zu verarbeiten. Es hätte auch keinen Sinn ihr in einer solchen Situation etwas zu sagen, da sie sofort abblocken würde.“

Wann immer es möglich ist, begleitet Franz Steiner seine Tochter zu den Wettkämpfen. Bei den internationalen Bewerben ist das aber oft nicht möglich, da der Österreichische Schützenbund kein Budget für diese Reisespesen hat. Alle Kosten selbst zu übernehmen, würde wiederum zu teuer werden. Doch auch wenn Franz im Ausland nur selten vor Ort ist, sind die beiden in Kontakt und tauschen sich telefonisch aus. Zurück in der Heimat wird jeder Wettkampf analysiert und die entsprechenden Lehren daraus gezogen, um die Schießleistung Schritt für Schritt weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Olympia 2020

„Als ich 2015 zum ersten Mal bei den European Games startete, war alleine der Einmarsch ins Stadion ein überwältigendes Erlebnis“, erinnert sich Steiner. „Damals gelang es mir beim 25-m-Pistole-Bewerb sogar den Games-Rekord zu schießen und auch mit der Luftpistole schoss ich mich ins Finale. Obwohl ich nicht am Stockerl stand war es ein sehr erfolgreicher Wettkampf, da ich die Einzige aus meinem Team war, die es so weit geschafft hat. 2015 durfte ich außerdem zu den Bewerben in Übersee fahren, was mir bis dahin verwehrt geblieben war.“  Doch obwohl die Saison 2015 gut begann, hatte Steiner noch kein Olympiaticket für Rio. Dieses wollte sie sich bei der Europameisterschaft 2016 in Györ (Ungarn, Anm.) holen. „In der Herbst-/Wintersaison 2015/2016 konnte ich bei allen Wettkämpfen sehr gute Ergebnisse erzielen. Aber ausgerechnet bei der Europameisterschaft schoss ich das schlechteste Wettkampfergebnis seit Jahren. Damit war Olympia 2016 für mich gegessen.“

Die Enttäuschung über das verfehlte Ziel war so groß, dass Sylvia sich zwei Tage zu Hause „einsperrte“. Voller Ehrgeiz fasste sie aber kurze Zeit später Olympia 2020 ins Auge und die Absolvierung eines Auslandseinsatzes für die Definitivstellung. „Ich startete während dieser Zeit bei der Militär-WM in Katar und war, obwohl ich kaum trainiert hatte, sogar ganz gut dabei.“  Nach der Rückkehr aus dem Auslandseinsatz absolvierte sie im Herbst 2017 die KAusb 4, im Frühjahr und Herbst 2018 den Umschulungslehrgang für FzD und dann die KAusb 5. Mit Ende 2018 schloss sie die StbUO Ausbildung ab. Während der intensiven Ausbildungen nahm sie regelmäßig an Europa- und Weltmeisterschaften sowie Weltcups teil. Ihr ständiger Begleiter war ihr großes Ziel: Olympia 2020 in Tokio. Dieses Mal klappte auch die Qualifikation, bei der sie sich vier Monate vor den Spielen, die am 23. Juli 2020 beginnen sollten, ihr Ticket sicherte. „Beim Qualifikationswettkampf war der Druck sehr groß und es war auch knapp. Dennoch habe ich es geschafft und werde als einzige österreichische Schützin in Tokio am Olympia-Schießstand stehen.“

Olympia und Corona

Den geplanten Start vereitelte die COVID-19-Pandemie, aufgrund der die olympischen Spiele um ein Jahr verschoben wurden. „Von einem Tag auf dem anderen kam es auch im Schießsport zum Stillstand. Es gab keine Wettkämpfe mehr und niemand konnte sagen wie es weitergeht. Ende März 2020 habe ich aus dem Radio von der Olympia-Verschiebung erfahren.“  Steiner ließ sich weder davon noch von den Lockdowns oder dem Ausfall von Wettkämpfen irritieren. „Ich habe einfach weitertrainiert soweit das möglich war. Ändern kann ich die Situation sowieso nicht und es trifft ja alle de facto gleich, weshalb ich dadurch eigentlich auch keinen Nachteil habe.“  Auch von den Gerüchten hinsichtlich einer erneuten Verschiebung lässt sie sich nicht beirren. Für Sylvia steht fest: „Ich fahre in ein paar Wochen nach Tokio und stehe dort am Schießstand. Aktuell sieht es ja so aus, dass sich die Situation verbessert und die Spiele stattfinden.“

Am 22. Mai 2021 nahm Steiner nach 15 Monaten unfreiwilliger Pause wieder an einem Wettkampf teil – der Europameisterschaft im kroatischen Osijek. Dort präsentierte sie sich in Topform. Bei allen fünf Bewerben, in denen sie am Start stand, erreichte sie die Top-Ten. Zweimal schaffte sie es ins Finale, wo sie im Mixed-Bewerb den vierten und beim 25-m-Sportpistolen-Bewerb den sechsten Platz (mit neuem österreichischen Rekord im Grunddurchgang) erreichte. Am 23. Juli 2021 beginnen in Tokio die olympischen Spiele. Steiner hat ein klares Ziel: „Ich möchte bei meiner ersten Olympiateilnahme das Finale erreichen.“  Dort matchen sich die acht besten Schützinnen der Welt, wobei alles möglich ist. Am 25., 29. und 30. Juli heißt es früh aufstehen und Daumen drücken. An diesen Tagen kämpft die Salzburgerin mit der Luftpistole (25. Juli) und der Sportpistole (29. und 30. Juli) um eine Medaille bei ihrem bisher wichtigsten Wettkampf.

Zum Artikel „Schießen wie Sylvia Steiner“

Hofrat Gerold Keusch, BA ist Leiter Online-Medien beim TRUPPENDIENST.
Mag. Anna Hlawatsch ist Redakteurin beim TRUPPENDIENST.

 

 

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