• Veröffentlichungsdatum : 06.10.2020
  • – Letztes Update : 07.10.2020

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Führungssimulator: Kampf im urbanen Umfeld

Matthias Resch

Die 3. Jägerbrigade (Brigade Schnelle Kräfte) übte Ende August am Führungssimulator in Weitra (Niederösterreich) das Zusammenwirken als schnelle Reaktionskraft des Bundesheeres. Die „Dritte“ ist als geschützte Infanteriebrigade auf die Einsatzführung im urbanen Umfeld vor allem gegen subversiv kämpfende irreguläre Gegner spezialisiert.

Die Übung bildete den Auftakt zu einer zusammenhängenden Übungsserie aus Führungssimulationen und Volltruppenübungen in der Einsatzart Schutz, welche die Brigade thematisch zumindest bis in das Jahr 2021 begleiten wird.

 

Übungsanlage

Das Thema der Übung war die proaktive Einsatzführung in einer Schutzoperation. Im Zentrum stand die Bekämpfung eines extremistischen irregulären Gegners mit den Fähigkeiten zur begrenzten konventionellen Kampfführung in einem urbanen Umfeld. Das eigene Vorgehen verlangte daher nicht nur den Einsatz konventioneller Kräfte und Mittel, sondern auch eine Vielzahl an „Enablern“ (letale und nicht-letale Wirkmittel und Systeme, wie Informationsoperationen, Zivil-Militärische-Zusammenarbeit, Luftaufklärung und Luftunterstützung, Drohnenabwehr, Elektronische Kampfführung, Militärpolizei, Militärisches Geowesen, Artillerie, Pioniere usw.), die deren Einsatzführung unterstützten.

Der Zweck der Übung lag im Ausbau der Fähigkeiten im Kampf der verbundenen Waffen als großer Infanterieverband im urbanen Umfeld. Die Zielsetzung war es, die Bataillone im Rahmen der Brigade in ihrer Hauptaufgabe, der taktischen Einsatzführung, üben zu lassen. Diese hatten wechselnde Einsatzaufgaben inmitten der Bevölkerung zu erfüllen und dabei unterschiedliche Elemente und Systeme zu koordinieren. Als Übungsszenario wurde ein fiktives Sicherheitsvakuum in einer Großstadt angenommen – diese Ausgangslage trifft zwar nicht auf eine aktuelle Situation in der Europäischen Union zu, ist aber in anderen Regionen der Welt bereits Realität.

Die Rahmenlage der Übung bildete das Szenario der Übung „Schutz 20“ der Streitkräfte, die auf eine Großstadt in Ostösterreich adaptiert wurde. Der Dritten wurde dabei eine „Manöverbox“ zugewiesen, in der eine offensive Erstreaktion in das Kerngebiet des dort verschanzten irregulären Gegners zu führen war. Nachdem dieser Gegner in den vergangenen Monaten die faktische Kontrolle über den Raum erlangen konnte und die zivilen Behörden de facto keinen Zugang zu diesem Gebiet mehr hatten, wurde die Dritte zur Neutralisierung der Bedrohung und Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle über den Stadtteil eingesetzt. Wesentlich war dabei, dass die Brigade in einer Schutzoperation zur militärischen Landesverteidigung eingesetzt wurde, während andere Kräfte des Bundesheeres weiterhin im Assistenzeinsatz für die zivilen Behörden standen.

Herausforderung urbanes Umfeld

Wie aus dem dargestellten Szenario ableitbar ist, war der Aspekt des Schutzes der Zivilbevölkerung eine der großen Herausforderungen, mit der sich die Brigade konfrontiert sah. Nicht nur die Zusammensetzung des urbanen Raumes mit unterschiedlichen Gebäudetypen, -größen und -höhen, mehrdimensionalen Zugängen und der sich häufig ändernden Struktur aus dichter Verbauung und offenen Plätzen spielte eine Rolle. Auch die Vielzahl an Konfliktparteien mit verschiedenen Zielsetzungen, Motivationen und unterschiedlicher Gewaltbereitschaft erhöhte die Komplexität der Lage. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Stadtteilen waren bei der Einsatzführung genauso zu berücksichtigen wie die Verbindungen der organisierten Kriminalität mit den extremistischen Anführern und deren Rückzugsgebiete.

Die Bedrohungen beschränkten sich daher nicht nur auf die direkte Gewaltanwendung z. B. mit Waffen oder Sprengmitteln, sondern umfassten auch das Spektrum der Ausspähung, Erpressung, Geiselnahme usw. Neben diesen gewaltsamen Aspekten wurde die Einsatzführung der Brigade durch mehr oder weniger friedliche Demonstrationen, technische Blockaden von Straßen und Zugängen zu Gebäuden etc. beeinträchtigt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich der Großteil der Bevölkerung grundsätzlich aus einer solchen Situation herauszuhalten versucht. Das Untertauchen von radikalen Sympathisanten in der unbeteiligten Masse stellt eine Hauptproblematik dieses Einsatzes dar, nachdem ein unterschiedsloses Bewirken dieser Gruppe jedenfalls zu vermeiden ist und zu einer Ablehnung des Bundesheer-Einsatzes in der Öffentlichkeit führen würde. Neben all diesen Faktoren kommt hinzu, dass das mediale Interesse am Vorgehen des Bundesheeres in diesem Szenario hoch sein würde. Der Einsatz inmitten einer Großstadt verlangt daher eine zeitintensive Vorbereitung und detaillierte Absprachen mit den zivilen Beteiligten (Stadtverwaltung, Sicherheitsexekutive, Verkehrsbetriebe, Energie- und Telekomunternehmen, Krankenhäusern usw.).

Die Kampfweise des Gegners

Als Gegner wurden radikalisierte Zellen von Fundamentalisten mit räumlich begrenzter Gebietskontrolle über ein Stadtviertel angenommen. Internationale Verflechtungen mit anderen fanatischen Gruppen bestanden. Die „Zelle“ stützte sich auf einen radikalen Kern ab, der in etwa Zugsstärke besaß und rund um den Anführer aufgebaut war, sowie andere, weniger kampfbereite Kräfte im Umfang weiterer zwei Züge. Zulauf bestand aus der sympathisierenden Bevölkerung.

Dieser Gegner war militärisch ausgebildet und brachte verschiedene Wirkmittel zum Zusammenwirken. Seine Einsatzführung bestand in der Durchführung von Checkpoints an den Zufahrten zum Kerngebiet, Aufklärungs- und Patrouillentätigkeiten, Spähtrupps usw. und sah vorbereitete Verteidigungsstellungen im Falle eines Angriffs auf das Hauptquartier vor. Entsprechend kamen Hand- und Faustfeuerwaffen, Panzerabwehrrohre, Granatwerfer, aber auch Sprengstoff und durch Drohnen abgeworfene Bomben zum Einsatz.

Aufgaben der eigenen Verbände

Der seit mehreren Monaten anhaltende Zustand der Unregierbarkeit im Stadtviertel des Gegners sollte durch eine militärische Schutzoperation bereinigt werden. Dazu wurde die Dritte als Offensivkraft eingesetzt. Im restlichen Stadtgebiet und im Umland waren weitere Kräfte des Bundesheeres im Assistenzeinsatz eingesetzt.

Die Brigade verfolgte zur offensiven Erstreaktion folgende Gefechtsidee: Nach erfolgtem Aufmarsch in die Großstadt und der Übernahme des Lagebildes sollte zuerst die Einschließung des Kerngebietes des radikalen Gegners erfolgen. Anschließend wurde mit nicht-kinetischen Wirkmitteln auf die Konfliktparteien und die Bevölkerung im Kerngebiet gewirkt, um diese zur freiwilligen Aufgabe bzw. zum Verlassen des Gebietes zu bewegen. Nach dieser Phase begann der präzise Zugriff in das umkämpfte Gebiet, der mit der Inbesitznahme des Hauptquartieres des Gegners endete. Nach dieser Offensive wurde zum Schutz des Raumes übergegangen, der in weiterer Folge wieder an die zivilen Behörden übergeben wurde.

Die infanteristischen Bataillone der Brigade hatten drei wesentliche Aufgabenstellungen zu erfüllen: Einschließung, offensive Angriffsführung und Reserveaufgaben. Diese beinhalteten unter anderem das Herstellen und den Erhalt des Lagebildes, den Aufmarsch von den Bereitstellungsräumen zum Kerngebiet, das unerkannte Beziehen der Einschließung, die Trennung sowie das Abhalten der Bevölkerungsgruppen und Konfliktparteien, die präzise Neutralisierung der Gegner, die Evakuierung der Bevölkerung nach deren Flucht aus dem Kerngebiet, usw.

Die Unterstützungsverbände sowie die Enabler stellten das luft-, boden- und signalgestützte Lagebild für die Brigade sicher, bewirkten mit ihren Fähigkeiten die Konfliktparteien und ermöglichten somit die erfolgreiche Einsatzführung. Die Aufgaben dieser Kräfte waren z. B. das Einwirken auf den Gegner in diversen Kanälen (Soziale Medien, Radio, Fernsehen, Flugblätter usw.), um dessen Moral und Willen zum Kampf zu brechen, sowie auf die Bevölkerung, um sie zum Verlassen des umkämpften Gebietes zu bewegen. Parallel wurde durch die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit die Koordinierung von sich überschneidenden Aufgaben durchgeführt (z. B. Absprache vonTransportkapazitäten mit zivilen Stellen), Bedarfe abgeglichen (z. B. militärische, polizeiliche und zivile Sicherungskräfte) oder versucht, Einfluss auf die Gewaltbereitschaft des Gegners zu nehmen (z. B. durch Gespräche mit religiösen Führern). Die elektronische Drohnenabwehr und die elektronische Kampfführung bewirkten das Zielgebiet und verhinderten die Nutzung von Drohnen bzw. Kommunikationsmitteln der Radikalen. Das Militärisches Geowesen stellte der Brigade und den Bataillonen unter anderem seine Fähigkeit zur 3D-Einsichtnahme mittels „Virtual Reality“ zur Verfügung. Dadurch konnte ein Einblick ins Gelände genommen werden, womit die Einsatzplanung detailliert möglich war, ohne effektives Risiko vor Ort eingehen zu müssen.

Lehre und Herausforderungen

Die Synchronisierung des Zusammenwirkens von mehr als 15 Fähigkeiten bzw. Waffengattungen stellte die Hauptaufgabe der Brigade dar. Ein weiteres Schwergewicht war die Koordinierung mit den anderen im Raum befindlichen Akteuren, vom Militärkommando bis zu den Verkehrsbetrieben und dem Bezirkspolizeikommando. Dieses Synchronisieren des Zusammenwirkens der unterstellten Enabler mit den Kampfelementen benötigt die fachliche Expertise und den umfassenden Stabsdienst. Die Brigade ist das unterste taktische Element, das die Fähigkeit zum Kampf der verbundenen Waffen und dem Einsatz der verbundenen Kräfte aufweist.

Komplexe Probleme, wie irreguläre Gegner im urbanen Gebiet, verlangen komplexe Lösungen. Die Brigade ist jene Ebene, welche die Fähigkeit besitzt, solche Herausforderungen zu lösen. Sie führt den Kampf der verbundenen Waffen mit den zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln, an das jeweilige Einsatzszenario angepasst. Dazu gliedert sie sich je nach Auftrag und Lage spezifisch und passt ihre Abläufe an. Daher gibt es keine standardisierten Lösungsansätze für solche Lagen. Bei der Suche nach konkreten Lösungen ist eine enge Zusammenarbeit mit territorialen Dienststellen und damit der Nutzung regionaler Expertise unabdingbar.

Die taktische Reserve der Brigade muss mehrere Aufgaben gleichzeitig lösen und dabei verschiedene Gliederungen einnehmen können – von der Unterstützung des Angriffs bis zum Ordnungseinsatz gegen gewalttätige Demonstrationen. Sie muss dabei mobil, flexibel und vor allem rasch verlegbar sein. Dasselbe gilt für die Führungseinrichtungen der kleinen Verbände.

Mit anderen Einsatzorganisationen muss sowohl die Raumordnung abgesprochen werden als auch eine klare Verantwortlichkeit für die Versorgung aller Beteiligten festgelegt sein, ebenso die Aufbau- und Ablauforganisation der führenden Kommanden usw. All dies erfordert zwingend eine detaillierte und geplante Vorbereitung auf potenzielle reale Einsätze mit ähnlichen Szenarien. Eine ad-hoc Zusammenstellung von Kräften ist in solchen Szenarien nicht zielführend.

Ein wesentlicher Erkenntnisgewinn bestand im Abwägen der Risiko- und Verlustminimierung versus der zur Verfügung stehenden Zeit für die Einsatzführung. Hier gilt: Je weniger eigene Verluste in Kauf genommen werden können, desto niedriger ist das zulässige Risiko für die eigenen Truppen und die Bevölkerung und je weniger Kollateralschaden am Umfeld und in der Zivilbevölkerung entstehen soll, desto größer muss der zeitliche Vorlauf für einen derartigen Einsatz sein. Je nach Ausbildungsstand der verfügbaren Kräfte muss von mehreren Wochen Vorbereitungszeit ausgegangen werden.

Major dG Mag. (FH) Matthias Resch ist Leiter der Generalstabsabteilung 5 der 3.JgBrig(BSK).

 

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