Die Staatskanzlei
300 Jahre Macht und Intrige am Ballhausplatz
Spricht man hierzulande von einem politischen Machtzentrum, so fällt dem Österreicher neben dem Parlament - fast automatisch - das heutige Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz gegenüber der Hofburg ein, in dem sich der Amtssitz des österreichischen Bundeskanzlers befindet. Hier in diesem Haus, das im Jahre 1717 unter Planung und Leitung des Baumeister Lukas von Hildebrand gebaut wurde, befand sich seit damals eines der wichtigsten Schaltzentren der habsburgischen Außenpolitik bis im Herbst 1918.
Auf die Repräsentanten der Außenpolitik der österreichischen Kaiser folgten mit den Staats- und Bundeskanzlern im Haus am Ballhausplatz die Regierungschefs der Ersten Republik. Nach dem Anschluss im Jahr 1938, sank das einstige Bundeskanzleramt zum Domizil der Reichsstatthalterei des Reichsgaues (Groß-)Wien herab, um dann nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur bis zum heutigen Tage erneut zu einem Machtzentrum als Sitz von dreizehn Kanzlern, seit 1945,zu werden.
Der Autor des Buches, Manfred Matzka, scheint aufgrund seines beruflichen Werdeganges prädestiniert, sich mit der Geschichte des Hauses selbst, seiner Bewohner und Nutzer sowie der darin stattgefundenen politischen Abläufe zu beschäftigen, war er doch seit dem Jahr 1980 Beamter des Bundeskanzleramtes (zuletzt Sektionschef der Präsidialsektion). In den fünfzehn Kapiteln des Werkes stehen neben den Leitern des Amtes beginnend mit Philipp von Sinzendorf (1671 – 1742) vor allem die zeitgenössischen Hierarchien innerhalb des Hauses, die Willensbildung des Organs, Grundzüge der generischen Aktenkunde sowie die außenpolitische Vorgänge im Mittelpunkt. Daneben lässt der Autor den Leser auch in das überlieferte Privatleben der Hauptprotagonisten wie des erwähnten Sinzendorf, des Fürsten Metternich oder Kaunitz blicken, die hier im Haus am Ballhausplatz tatsächlich auch - zumindest in den Wintermonaten - wohnhaft waren. Von den vielen Herren, die in diesem Hause lebten und wirkten, sind es drei deren Leben den Autor besonders beschäftigen: Sinzendorf, Kaunitz und Metternich; letzterer vor allem in Bezug auf den Wiener Kongress und auf die Zeit des Vormärz. Besondere Detailgenauigkeit lässt Matzka der Baugeschichte des Hauses angedeihen, wovon auch die zahlreichen Grundrisse und Stiche aus der Vogelperspektive zeugen.
Dem Leser bietet dieses Buch eine empfehlenswerte, höchst aufschlussreiche Lektüre über das Haus selbst und die maßgeblichen Protagonisten der letzten 300 Jahren. Manfred Matzka vergisst auch nicht heutige Parallelen zu einstigen historischen Abläufen zu ziehen, die ihn als kritischen Beobachter der (heutigen) österreichischen Innenpolitik ausweisen. Es bleibt zu wünschen, dass der Autor nach diesem Buch nicht die Feder beiseitelegt, sondern sich wie einst Wolfgang Petritsch bei Bruno Kreisky, der Biographie eines seiner ehemaligen obersten Vorgesetzten - vielleicht Franz Vranitzky oder Fred Sinowatz - widmet. Wenn es zu einer zweiten Auflage des Buches kommt, wäre es wünschenswert, wenn dem Buch die Pläne des Hauses des heutigen Bundeskanzleramtes beigelegt werden. Dies würde es dem Leser dann auch ermöglichen, parallel zum Text von Raum zu Raum zu wandern.
-mpr-