• Veröffentlichungsdatum : 04.11.2020
  • – Letztes Update : 03.11.2020

  • 13 Min -
  • 2529 Wörter
  • - 12 Bilder

Die Schweizer Armeereform

Ernest F. Enzelsberger

Das aktuelle Reorganisationsprojekt der Schweizer Armee trägt den Namen "Weiterentwicklung der Armee". Damit soll die Bereitschaft bis Ende 2022 erhöht, die Ausbildung und Ausrüstung verbessert sowie die regionale Verankerung der Streitkräfte verstärkt werden. Die Armeereform ist durchdacht und findet unter Einbindung des Parlamentes und der Öffentlichkeit statt.

Die Weiterentwicklung der Armee (WEA) soll diese in die Lage versetzen, die Schweiz und ihre Bevölkerung auch in Zukunft wirksam gegen moderne Bedrohungen und Gefahren zu verteidigen und zu schützen, die zivilen Behörden bei Bedarf optimal zu unterstützen und einen Beitrag zur internationalen Friedensförderung zu leisten. Die WEA ist nach der Armee 95 und der Armee XXI die dritte Reorganisation der Schweizer Armee in den letzten 25 Jahren. Grundlagen für dieses Projekt sind der Sicherheitspolitische Bericht 2010 (SIPOL B 2010) vom 23. Juni 2010, der Armeebericht vom 1. Oktober 2010 und die Mängelliste 2009.

Planung

Im SIPOL B 2010 hat der Bundesrat festgehalten, dass die Armee den Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage, den personellen Realitäten und finanziellen Vorgaben sowie der Gesellschaft angepasst werden soll, damit sie ein wirksames und von der Öffentlichkeit getragenes Instrument bleibt. Dazu wurden im Armeebericht Eckdaten definiert, die von den eidgenössischen Räten mit dem Bundesbeschluss vom 29. September 2011 verabschiedet wurden. Der Sollbestand soll 100 000 (basierend auf der allgemeinen Wehrpflicht) und einen Effektivbestand von 140 000 Soldaten aufweisen. Da erfahrungsgemäß nicht alle eingeteilten Soldaten einrücken können, ist der Effektivbestand um einen Faktor von rund 1,4 höher angesetzt als der Sollbestand. So kann sichergestellt werden, dass alle Verbände trainieren und eingesetzt werden können. Budgetär ist ein Ausgabenplafond von fünf Milliarden Franken (4,7 Mrd. Euro) pro Jahr festgelegt.

Die Vernehmlassung (Phase der Gesetzgebung der Schweiz und entspricht in etwa dem Begutachtungsverfahren in Österreich; Anm.) war im Herbst 2013. Kantone, politische Parteien, Dachverbände und weitere interessierte Kreise wurden eingeladen, sich zur Vorlage und der damit zusammenhängenden Teilrevision des Militärgesetzes zu äußern. Die Botschaft wurde in der Folge angepasst und vom Bundesrat am 3. September 2014 verabschiedet. Die parlamentarische Beratung fand von 2014 bis 2015 statt.

Nationalrat und Ständerat haben am 18. März 2016 mit dem Militärgesetz und der Verordnung 513.1 der Bundesversammlung den Rechtsgrundlagen zur WEA über die Organisation der Armee deutlich zugestimmt. Sie wurden am 29. März 2017 vom Bundesrat in Kraft gesetzt und die Umsetzung damit angestoßen. Hervorzuheben ist aber, dass die Armee auch unabhängig von der Reform angehalten ist, ständig an ihrer Weiterentwicklung zu arbeiten.

Die Schweizer und ihre Armee

Die schweizerische Landesverteidigung ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, aus der sie verstanden werden kann. In der Geschichte der Schweiz nimmt „das Kriegerische“ einen breiten Raum ein. In dem 2019 erschienenen Buch „Geschichte der Schweizer Armee – Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart“ von Rudolf Jaun heißt es dazu sogar: „Kaum ein anderes europäisches Land war so wenig mit Krieg, gleichzeitig aber mit so viel Militär konfrontiert wie die Schweiz.“ So überrascht es nicht, wenn es häufig heißt: Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee. Mit diesem bekannten Zitat eröffnete der Bundesrat am 25. Mai 1988 seine „Botschaft zur Volksinitiative für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik“. Bei dieser Volksinitiative befürworteten 35,6 Prozent der Schweizer eine Abschaffung der Armee. Die Genfer und Jurassier stimmten sogar mehrheitlich mit Ja. Was von der linksalternativen Friedensbewegung als Triumph bejubelt wurde, war für die bürgerliche Schweiz damals ein Schock.

Von Anfang an war der Bestand des eidgenössischen Bundes in keinem Augenblick gesichert. Er verlangte vielmehr dauernd die Bereitschaft, ihn zu erhalten. Von alters her bildet die allgemeine Wehrpflicht die Grundlage der militärischen Landesverteidigung der Schweiz. Die eidgenössischen Heere waren von Beginn an Wehrpflichtigenheere, die auf dem Beitrag jedes einzelnen Mannes beruhten.

Die im Artikel 59 der Schweizer Bundesverfassung verankerte allgemeine Wehrpflicht besteht darin, dass jeder zum Dienst in der Armee taugliche männliche Schweizer Bürger verpflichtet ist, seinen Beitrag zur militärischen Verteidigung des Landes zu leisten. Er ist, wie es eine frühere Schweizer Verfassungsbestimmung ausdrückte, „der geborene Verteidiger seines Vaterlandes“.

Einstellung der Schweizer zum Militär

Interessant ist die aktuelle Einstellung der Schweizerinnen und Schweizer. Dazu liefert die Jahresstudie „Sicherheit“, die von der Militärakademie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und dem Center for Security Studies (CSS) gemeinsam publiziert wird, Informationen zum Verhältnis der Einwohner zum Militär.

Demnach sind die Schweizerinnen und Schweizer auch 2019 gegenüber dem Militär positiv eingestellt. Vier Fünftel der Befragten (79 Prozent) erachten die Armee als notwendig. Dabei sind die 18- bis 29-Jährigen, die die Gruppe der Wehrpflichtigen darstellen, gegenüber der Notwendigkeit der Armee skeptischer eingestellt als die älteren Generationen. 66 Prozent, das ist ein Minus von 13 Prozentpunkten der 18- bis 29-Jährigen, teilen die Auffassung, dass die Schweizer Armee notwendig sei. Das ist ein statistisch signifikanter Rückgang gegenüber dem Höchstwert von 2018. Dennoch liegt die Einstellung der 18- bis 29-Jährigen 2019 weiterhin über dem langjährigen Durchschnitt von 61 Prozent.

Seit 1976 wird die gesellschaftliche Rolle der Schweizer Armee mit den drei Antwortvorgaben gemessen, ob das Militär als „zentraler Teil der Gesellschaft“, als ein „notwendiges Übel“ oder als eine „abschaffungswürdige Institution“ betrachtet wird. Die gesellschaftliche Rolle der Armee bleibt 2019 unverändert. Für 43 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer spielt das Militär auch 2019 eine zentrale Rolle. 41 Prozent erachten es als ein notwendiges Übel. Der Abschaffung der Armee stimmen aktuell 15 Prozent der Befragten zu.

Miliz als Tradition

Die Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung präferiert seit 2013 deutlich die Milizarmee gegenüber einer Berufsarmee. Am 22. September 2013 hatten 73 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung und sämtliche Kantone für die Beibehaltung der Wehrpflicht votiert. 2019 befürworteten signifikant mehr Schweizer (60 Prozent, plus vier Prozentpunkte) die Milizarmee. Folglich sprechen sich ebenfalls weniger Befragte für eine Berufsarmee aus (36 Prozent, minus vier Prozentpunkte). Auch bei der Gruppe der Wehrpflichtigen (18- bis 29-Jährige) ist die Zustimmung zur Berufsarmee gegenüber dem Vorjahr gesunken (42 Prozent, minus vier Prozentpunkte). Weiterhin spricht sich seit 2013 jeweils nur eine Minderheit der 18- bis 29-Jährigen für eine Berufsarmee aus, während in den Jahren davor diese Ansicht bei den Jungen noch mehrheitsfähig war.

Die Einstellung zur Abschaffung der Wehrpflicht bleibt gegenüber dem Vorjahr unverändert. 2019 befürworten 37 Prozent (plus ein Prozentpunkt) der Befragten die Abschaffung der Wehrpflicht. Im Mehrjahresvergleich ist dies ein unterdurchschnittlicher Wert. Seit 2013 steht die Schweizer Bevölkerung wieder deutlicher hinter der Rekrutierungsform der Wehrpflicht.

Eckpfeiler der Weiterentwicklung der Armee

In diesem Klima läuft seit 1. Jänner 2018 die Umsetzungsphase der im Projekt WEA beschlossenen Maßnahmen. Der volle Leistungsumfang soll stufenweise bis Ende 2022 erreicht werden. Dabei sind die Eckwerte klar definiert. Das Fundament ist die Wehrpflicht und das Milizprinzip. Der Sollbestand ist auf 100 000 Angehörige der Armee festgelegt. Das Budget beträgt fünf Mrd. Schweizer Franken pro Jahr. Zur besseren Planbarkeit gibt es einen Vier-Jahres-Finanzrahmen. Vier im Folgenden beschriebene Kernpunkte dominieren im Reformprojekt WEA.

Höhere Bereitschaft

Ein neues abgestuftes Bereitschaftssystem soll auch bei einem unerwarteten Ereignis voll ausgerüstete Truppen aus dem Stand aufbieten und rasch einsetzen können. Neu bezeichnete Milizformationen mit hoher Bereitschaft sollen zur Ergänzung und Unterstützung bereits eingesetzter Truppen beitragen. Für die gesamte Armee ist die Wiedereinführung eines Mobilmachungssystems vorgesehen.

Effektivere Kaderausbildung

Ein Fokus liegt auf der Qualitätssteigerung in der Kaderausbildung. Künftige Kader absolvieren wieder die gesamte Rekrutenschule in der Dauer von 18 Wochen. Die Rekrutenschule und das vollständige Abdienen des letzten Dienstgrades innerhalb einer praktischen Dienstleistung bezweckt, frühzeitige und wichtige Führungserfahrung zu sammeln. Die Kadervorkurse werden auf eine Woche ausgedehnt.

Vollständige Ausrüstung

Die Verkleinerung der Armee und die Neuzuweisung des Materials ermöglicht eine vollständige Ausrüstung aller Einheiten, insbesondere für Leistungen zur Unterstützung ziviler Behörden und für Basisleistungen. Milizformationen mit hoher Bereitschaft werden in Armee- logistikcentern oder in ihren Außenstellen mit reserviertem Material ausgerüstet.

Regionale Verankerung

Zivile Behörden müssen rasch und flexibel von Territorialdivisionen unterstützt werden. Sie leisten Katastrophenhilfe, Sicherungs- und Unterstützungseinsätze oder übernehmen im Fall eines militärischen Angriffes auch Schutz- und Sicherungsaufgaben (Bindeglied zu den Kantonen). Die Territorialdivisionen werden durch unterstellte Truppenkörper verstärkt (ein Stabsbataillon, vier Infanteriebataillone, ein Geniebataillon und ein Rettungsbataillon). Es besteht die Möglichkeit von weiteren Zuweisungen.

Hauptaufgaben der Armee

Die Verteidigung von Land und Bevölkerung bleibt die wesentliche Hauptaufgabe der Armee. Trotz der Verkleinerung soll die weiterentwickelte Armee vor allem durch Verbesserungen in der Bereitschaft, Kaderausbildung und Ausrüstung einen militärischen Angriff abwehren können. Eine weitere Aufgabe ist die Unterstützung der zivilen Behörden. Die Einsätze der Armee zur Unterstützung erfolgen immer auf deren Ersuchen und unter deren Einsatzverantwortung. Die Armee bleibt den zivilen Behörden in allen Lagen untergeordnet. In subsidiären Einsätzen ist die Übernahme der Einsatzverantwortung durch die Armee ausgeschlossen.

Zur Friedensförderung leistet die Armee Beiträge zur Konfliktprävention und Krisenbewältigung in enger Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft. Dabei engagiert sich die Schweizer Armee mit Präventionsaufgaben der Friedensförderung und unterstützt Stabilisierungs- und Aufbaumaßnahmen innerhalb der Mandate von UNO oder OSZE. Die Kapazitäten zur militärischen Friedensförderung sollen qualitativ und quantitativ ausgebaut werden. Ausgeschlossen bleibt jedoch jegliche Teilnahme an Kampfhandlungen zur Friedenserzwingung.

Die drei Leistungsarten

Die Schweizer Armee unterscheidet drei Kategorien von Leistungen: Permanent, Vorhersehbar, Nicht vorhersehbar.

Permanent

Die Armee erbringt ständig Basisleistungen für zivile Behörden. Dazu gehören die Bereitstellung und der Betrieb des Führungsnetzes in der Schweiz und der geschützten Rechenzentren, die logistische Unterstützung, die sanitätsdienstlichen Leistungen im koordinierten Sanitätsdienst sowie die Einsätze der Luftwaffe für die Polizei oder das Grenzwachtkorps.

Vorhersehbar

Für vorhersehbare Einsätze sollen zukünftig 8 000 Angehörige der Armee (AdA) zur Verfügung stehen, zum Beispiel für den Konferenz- oder Objektschutz, weitere 2 500 AdA zur Wahrung der Lufthoheit mit verstärktem Luftpolizeidienst. Für den Assistenzdienst im Ausland und für Beiträge zur humanitären Hilfe stehen innerhalb von Tagen Kräfte zur Verfügung. Nach einer Vorbereitungszeit von Wochen bis Monaten können zur Friedensförderung bis zu 500 Angehörige der Armee bereitgestellt werden.

Nicht vorhersehbar

Diese Leistungen müssen bei überraschend eintretenden Ereignissen (z. B. Katastrophen oder Terrorbedrohung) erbracht werden. Dazu ist eine abgestufte Bereitschaft vorgesehen. Innerhalb von Stunden müssen erste Einsatzkräfte vor Ort sein. Insgesamt ist eine Leistungserbringung von bis zu 35 000 Angehörigen der Armee innerhalb von zehn Tagen vorgesehen.

Bereitschaftssystem

Damit die Armee jederzeit und aus dem Stand heraus auf außerordentliche Ereignisse reagieren kann, wird ein verbessertes Bereitschaftssystem eingeführt. Dieses ermöglicht das rasche Aufgebot von Truppen. Mit den Mitteln der ersten Stunde kann die Armee praktisch sofort Leistungen erbringen. Diese bestehen aus Berufsmilitär, zivilem Berufspersonal in der Armee, Durchdiener-, Bereitschaftsformationen und Milizformationen, die ihren Dienst über das Jahr hinweg leisten, damit eine permanente Bereitschaft sichergestellt ist.

Um die Bereitschaftslücke zwischen den rasch verfügbaren Berufs- und Durchdienerverbänden und den generell einsetzbaren Milizverbänden zu schließen, werden die neuen Verbände als Bereit- schaftsformationen bezeichnet, die rasch aufgeboten werden können. Die Milizformationen mit hoher Bereitschaft sollen die ersten Einsatzelemente gestaffelt unter- stützen und ergänzen. Diese können in regionalen Vorortlagern rasch mit ihrem reservierten und vorbereiteten Material ausgerüstet werden.

Die Mobilmachungsorganisation ist ein wesentliches Element des neuen Bereitschaftsmodells. Die Mobilisierung wird in den Wiederholungskursen (vergleichbar mit beorderten Waffenübungen; Anm.) trainiert. Die Truppe und das Kader kennen damit ihre Ansprechpartner sowie die Abläufe auf den Mobilmachungsplätzen und in den Armeelogistikcentern. Das neue Bereitschaftssystem soll ab 2021 vollständig operationell sein.

Armeechef will konsequente Umsetzung

Der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, sagte am 17. April 2020 in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) unter anderem: „Es liegt mir viel daran, die WEA bis Ende 2022 konsequent umzusetzen, anschließend die Stärken und Schwächen zu beurteilen und allenfalls gezielte Anpassungen vorzunehmen.

Weiter führte er zur Zukunft der Armee aus, dass man in sehr vielen Bereichen Entscheidungswege und Prozesse verkürzen und optimieren könne – nicht nur innerhalb der Militärverwaltung und der Armee, sondern auch im Austausch mit den zivilen Partnern. Eine Stärke der Schweizer Milizarmee sei die Auftragstaktik. Damit alle Kommandanten vorausdenken und selbstständig handeln können, müssen sie zeitnah die Pläne des Chefs kennen. Deshalb werden sie jeden Tag in einer kurzen Telefonkonferenz über die Lageentwicklung und die Veränderungen im Einsatz informiert.

Die Digitalisierung der Armee und der Miliz nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Sie zwingt dazu, Fähigkeiten und Abläufe neu zu denken. Um neue Technologien einzuführen und diese effizient zu nutzen, brauche es einen Kulturwandel.

Seine Hauptaufgabe sieht der Armeechef darin, die Armee auf gegenwärtige und mögliche künftige Bedrohungen und Gefahren auszurichten. In letzter Konsequenz bedeute das auch, die Schweiz in einem bewaffneten Konflikt verteidigen zu können. Die neuen Bedrohungen zeichnen sich dadurch aus, dass der Gegner vernetzt agiert. Er wirkt so lange wie möglich unerkannt und auf Distanz. Sein Handeln richtet sich primär gegen die Bevölkerung und gegen die kritische Infrastruktur. Sollte es in der Schweiz zu einem bewaffneten Konflikt kommen, wird dieser zwangsläufig im urbanen Gelände stattfinden, wovon der Großteil der Fläche im Mittelland (hügeliges Gebiet zwischen 400 und 600 Meter, rund 30 Prozent der Schweiz) betroffen ist. Die Gefahren sieht der Armeechef vor allem in der zunehmenden Abhängigkeit der Gesellschaft vom Strom sowie in der Digitalisierung. Gleichzeitig nehme die Resilienz ab.

Der Weg zum Ziel

Schwierige Etappen auf dem Weg zum Ziel“ ortet Bruno Lezzi gegenüber dem Autor. Lezzi war bis 2009 bei der NZZ Redakteur für Sicherheitspolitik und Militärfragen. Anschließend hatte er von 2010 bis 2019 einen Lehrauftrag für Sicherheitspolitik an der Universität Zürich. In der Armee bekleidete er den Rang eines Obersten im Generalstab. „Während Strukturen und Ausbildung verhältnismäßig flexibel an sich verändernde Rahmenbedingungen angepasst werden können, ist dies in gesellschafts- und staatspolitischer Hinsicht kaum möglich“, so Lezzi. Milizsystem und Neutralität schränkten den Handlungsspielraum stark ein. Gesellschaftliche Strömungen lassen sich nicht von einer Stunde zur anderen in neue Bahnen lenken. So wird es in einer zunehmend kompetitiven Arbeitswelt, die durch die Corona-Krise zusätzlich unter Druck geraten ist, schwierig sein, die nötige Zahl von Kader, Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren. Lezzi: „Auch mit noch so ausgefeilten Werbekampagnen wird es nicht gelingen, Frauen für die Sicherstellung der Bestände zu gewinnen. Und ob – unter gleichem Vorzeichen – die anvisierte Verschärfung des Zivildienstgesetzes wirklich eine zeitgemäße Lösung sein kann, ist fraglich.

Noch gar nicht entschieden ist die Beschaffung von Kampfflugzeugen und Boden-Luft-Systemen im Zuge des Vorhabens „Air2030“, eines Schlüsselprojektes der künftigen Armee. Angesichts der gigantischen finanziellen Aufwendungen zur Stützung der Wirtschaft wegen der Corona-Krise seien Prognosen über die Bereitschaft des Schweizer Volkes, über Milliardenbeträge für die Landesverteidigung zu sprechen, mit großer Unsicherheit verbunden. Ebenso stehe es mit der Modernisierung der Bodentruppen. Der entsprechende Expertenbericht zeige erneut, dass sich die Schweiz fast immer unter einem Mikroskop betrachtet. Die Frage, wie Europa aussähe, wenn die Eidgenossenschaft den Verteidigungskampf führen müsste, werde ausgeklammert. Der Bundesrat gehe überdies von der Annahme aus, dass sich hybride Konflikte auf einer tieferen Eskalationsstufe abspielten. Der Begriff „hybrid“ bezeichne keine Kriegsform, sondern ein breites Gewaltspektrum, das auch militärische Auseinandersetzungen hoher Intensität umfasse.

Regierung und Parlament werden nicht darum herumkommen, sich nicht nur mit organisatorischen und materiellen Fragen, sondern vor allem mit dem modernen Konfliktbild und der sicherheits- und verteidigungspolitischen Kooperation in Europa eingehender als bisher zu befassen. Nur so lässt sich Verständnis für die geplante Neuausrichtung der Armee in einer von großer Unsicherheit geprägten Welt schaffen“, so Lezzi abschließend.

Auf einen Blick

Die Armeereformen laufen in der Schweiz strukturiert unter Einbindung des Parlamentes und der Öffentlichkeit ab. Als Grundlage dazu werden fachlich fundierte Dokumente und Berichte herangezogen. Obwohl die Schweiz flächenmäßig halb so groß wie Österreich ist, hat die zukünftige Armee die doppelte Stärke und das doppelte Budget zur Verfügung. Die militärische Verteidigung ihres Staates und der Bevölkerung bleibt für die Schweizer Armee nach wie vor die Hauptaufgabe.

wird fortgesetzt

Hauptmann aD Prof. Ing. Ernest F. Enzelsberger, MBA (WU Wien) ist Präsident der Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik in Vorarlberg.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)