• Veröffentlichungsdatum : 09.04.2020

  • 9 Min -
  • 1842 Wörter

Die Schlacht von Limanowa-Lapanów

Georg Reichlin-Meldegg

Die Ausgangslage

Schon Mitte August 1914 hatte das russische Oberkommando/Stawka1) mit einer Offensive gegen Ostpreußen begonnen. Angesichts der bedrohlichen Lage in Ostpreußen und des - rascher als vom österreichisch-ungarischen Armeeoberkommando (AOK) erwarteten - Aufmarsches der russischen Armeen gegenüber Galizien entschloss sich das AOK, noch vor Beendigung des eher chaotischen Aufmarsches sämtlicher Heeresteile, die Offensive Richtung Norden - zwischen Bug und Weichsel - einzuleiten.

Die Erfolge der deutschen 9. Armee (v. Mackensen2)) Mitte November 1914 im Raum Kutno erzwangen den ersten Halt der russischen Angriffsbewegung durch Polen. Der drohenden Umfassung starker russischer Kräfte im Raum £odz konnte die russische Führung jedoch durch den Einsatz von Reserven erfolgreich entgegenwirken.

Zur gleichen Zeit war auch der Angriff der Armeen Erzherzog Josephs (4. Armee) und des Generals der Kavallerie (GdK) Graf Dankl (1. Armee) nördlich von Krakau anfänglich von Erfolg getragen. Er erreichte aber auch nicht mehr als ein Aufhalten der "Dampfwalze". Indessen bohrten sich südlich der Weichsel kampfstarke feindliche Kräfte in die dort nur von wenigen Truppen gehaltene österreichisch-ungarische Front und bedrohten die Verbindungen der nördlich von Krakau kämpfenden Heeresteile. Entschlossen riss Generalstabschef General der Infanterie (GdI) Conrad von Hötzendorf die 4. Armee durch die Festung Krakau nach Süden. In der ersten Dezemberhälfte 1914 lieferte er bei Limanowa und Lapanów eine genial geleitete Schlacht, in der er trotz des ungünstigen Kräfteverhältnisses den Feind zurückwerfen konnte.

Zur Führung des Angriffes unter Feldmarschallleutnant (FML) Josef Roth3) wurde eine eigene Armeegruppe Roth gebildet. Auf dem Dienstweg unterstand sie dem Kommando der 4. Armee, wurde aber operativ vom AOK und taktisch von FML Roth geführt. Roth besaß zu dieser Zeit das uneingeschränkte Vertrauen Conrads und ging mit Entschlossenheit an die neue Aufgabe heran.

Die letzte Entscheidung brachte das Vordringen des Westflügels der österreichisch-ungarischen 3. Armee über Neusandez. Unter dem Eindruck dieser Bedrohung zog sich die russische 8. Armee rund 60 Kilometer zurück, um sich entlang des Flusses Dunajec zu sammeln. Doch es fehlten den k.u.k. Truppen Kräfte zu deren Verfolgung.

Die Ausgangslage war nicht günstig, die Stimmung der Truppe gedämpft und sogar in den höheren Führungsebenen kriselte es bedenklich. Der errungene Sieg von Limanowa-Lapanów hat diese pessimistische Einstellung Lügen gestraft. Er ist gewissermaßen als Krönung des monatelangen zähen Ringens der k.u.k. Truppen in Galizien und Polen während des Herbstes 1914 anzusehen.

FML Roth notierte in sein Tagebuch: "Der Plan ist gut und ich werde ihn mit Gottes Hilfe auch zum Erfolg bringen." Roth sollte Recht behalten: Hervorragende operative Führung und einmalige, opfervolle Leistungen der Truppe schufen die Voraussetzungen, dass aus der überaus kritischen Lage der Verbände der k.u.k. 4. Armee im Raum südöstlich von Krakau einer der beachtlichsten Siege des Feldzuges über die Kriegsbühne gehen konnte. Hier gelang es den österreichisch-ungarischen Truppen, vereint mit der deutschen 47. Reservedivision, trotz schwerster Verluste und materieller Schwächen nach dreieinhalb Monate langen schweren Kämpfen gegen eine Übermacht, dem Gegner die Initiative zu entreißen. Die russischen Offensiv-absichten waren - zumindest bis 1916 - vereitelt.

Durch eine solide Vertrauensbasis zwischen FML Roth, seinem Stab und seinen Soldaten waren übergroße Ermüdung und Erschöpfung einem entschlossenen Optimismus gewichen. FML Roth bringt es auf den Punkt: "Das wichtigste Leitmotiv (...) war (...) Fürsorge für die Truppen. Jede Überlegung, jeder Entschluß, jeder Befehl war von dieser beeinflusst oder nahm mindestens Rücksicht auf sie. Dadurch war es möglich, daß das Kommando den so oft und ganz besonders in der Schlacht bei Limanowa an dasselbe herantretenden übergroßen Anforderungen entsprechen konnte und andererseits Stimmung und Geist bei den Truppen in der an Krisen so reichen Schlacht immer gleich vorzüglich blieben." General der Artillerie (GdA) Nikolai I. Iwanow vermutete aufgrund von Agentenmeldungen einen Rückzug zweier österreichisch-ungarischer Korps (XIV. u. XVII.) durch Krakau nach Süden, dass Krakau von den österreichisch-ungarischen Truppen geräumt und die 4. Armee den Rückzug antreten werde. Diese "Agentenmeldungen" waren jedoch durch absichtlich ausgestreute, irreführende Nachrichten des AOK zustande gekommen und sollten die Verschiebung von Teilen der österreichisch-ungarischen 4. Armee (XIV. Korps/Innsbruck, 3. ID/Linz, 8. ID/Bozen) in den Raum südlich Krakaus verschleiern.

Mit der Bewegung dieser österreichisch-ungarischen Korps wurde die Schlacht von Limanowa-Lapanów eingeleitet: Im Laufe des 1. Dezember 1914 sammelten die Einheiten des verstärkten österreichisch-ungarischen XIV. Korps unter dem Kommando von FML Roth in den Ausladeräumen südwestlich und nordöstlich von Mszana (in Polen). Dieser Stoßgruppe wurde das Kavalleriekorps FML Nagy zugeteilt. Diesem folgte die deutsche 47. Reservedivision. Dem Einsatz dieser deutschen Division kam aufgrund ihrer Stärke von 12 000 Gewehren - gegenüber damals noch höchstens 5 000 der österreichisch-ungarischen Divisionen - besondere Bedeutung zu.

Dem Kavalleriekorps Nagy oblagen die Sicherung der äußersten Ostflanke während des Nordstoßes sowie die Aufklärung im Rücken des Feindes. Im weiteren Verlauf der Schlacht stieß ein Regiment der 6. Kavalleriedivision über Rajbrot bis Lipnica weit in den Rücken des Feindes vor, wo feindliche Trains überfallen werden konnten. FML Roth verlegte seinen Standort nach Dobra, wo er bis zum Ende der Schlacht verblieb. Nach dem Freikämpfen der Straße nach Limanowa stießen die drei österreichisch-ungarischen Divisionen und die deutsche 47. Reservedivision (RD) - letztere auf dem rechten Flügel eingesetzt - in der allgemeinen Richtung Nord vor und warfen die Russen bis zum 6. Dezember 1914 in den Raum südlich von Lapanów (poln: £apanów) zurück.

Die gegen den Raum Neusandez (poln: Nowy S±cz) vorgeschobene österreichisch-ungarische Kavallerie stieß bereits auf die Vortruppen des von Osten anrückenden VIII. Korps der russischen 8. Armee und musste auf Limanowa und den Raum nördlich davon zurückgehen. Österreichisch-ungarische Feldpiloten meldeten den Anmarsch stärkerer russischer Kräfte von Norden gegen Bochnia, von Nordosten gegen Brzesko und von Osten gegen Neusandez. Gleichzeitig strebte das XXIV. Korps der russischen 8. Armee aus dem Raum ostwärts des Beskid-Passes gegen Neusandez und den Raum nördlich davon.

Die sich deutlich abzeichnende Bedrohung der östlichen Flanke der Armeegruppe Roth veranlasste das k.u.k. AOK bereits am 5. Dezember 1914 der österreichisch-ungarischen 3. Armee den Befehl zum Vorrücken nach Norden zu geben. Insbesondere der linke, westliche Flügel sollte so rasch wie möglich den Raum Neusandez erreichen, um gegen die Südflanke der von Osten vorstoßenden Kräfte der russischen 8. Armee wirksam zu werden.

In Anbetracht der außerordentlichen Lage der 3. Armee bedurfte es eines energischen Einschreitens Conrads, um den Beginn des Vormarsches der österreichisch-ungarischen 3. Armee am 7. Dezember 1914 zu erreichen. Außerdem wurden der Armeegruppe Roth die 45. Schützendivision (Przemy¶l) und die 39. Honvéd-Infanteriedivision (Kaschau), zugeführt, um mit diesen Verbänden eine wirksame Verteidigung der Ostflanke der deutschen 47. Reservedivision und des Raumes von Limanowa aufzubauen. Den einheitlichen Befehl über die mit der Front nach Osten kämpfenden Verbände übernahm das gleichfalls der Armeegruppe Roth unterstellte VI. Korpskommando (FML Arthur Arz v. Straußenburg). Die Stabilisierung der Lage an seiner östlichen Flanke ermöglichte es der Armeegruppe Roth, an der ursprünglichen Offensivabsicht festzuhalten. Am 7. Dezember wurden weitere eineinhalb Infanteriedivisionen und am 9. Dezember eine Infanteriedivision zur Fortführung der Offensive zugeführt. Trotz dieser Verstärkungen blieb den Angriffen der Divisionen Roths bis zum 10. Dezember 1914 ein durchschlagender Erfolg versagt, denn die von der russischen 3. Armee aus Nordosten als Verstärkung herangeführten viereinhalb Korps verhinderten ein weiteres Vordringen der Mittelmächte.

Die Schlacht strebte ihrem Höhepunkt zu. Damit wurde auch die Nervenanspannung groß. Roth schrieb in seinen Ablaufbericht: "Auf jeden Führer, der eine selbständige Aufgabe durchzuführen hat, lastet ein Maß von Verantwortung, welches nur der verstehen kann, der in einer ähnlichen Lage war. Selbst von den bestgesinnten und wohlwollendsten Kritikern wird diese Verantwortung selten erfasst, selten gewürdigt. Solche schwerwiegenden Entschlüsse muß ein Führer vor Gott, seinem Kriegsherrn, Tausenden von Familien und vor seinem eigenen Gewissen rechtfertigen. Er muß alles wagen, um alles zu gewinnen. Aber was sagt die spätere Kritik, wenn er verliert?"

Die Krise am 10. Dezember

Am 10. Dezember sollte am linken Angriffsflügel die Straße Bochnia-Muchowka erreicht werden. Der Angriff gewann zunächst an Raum, stieß jedoch auf einen in breiter Front vorbereiteten russischen Gegenangriff. Den hinhaltend kämpfenden verbündeten Truppen gelang es, ein Überschreiten der Stradomka durch den Feind zu verhindern. Dieser war so erschöpft, dass er auch am 11. Dezember nicht nachdrängen konnte.

Mit 11. Dezember erfolgte eine neue Gliederung der Befehlsverhältnisse in den drei Armeegruppen FML Roth, Feldzeugmeister (FZM) Ljubièiæ und GdI Kàitek. Am gleichen Tag verlagerte sich auch der Schwerpunkt der Kämpfe wieder an den Südflügel der Armeegruppe Roth, wo der Gegner immer wieder angriff, um nach Westen durchzubrechen. Hier hatte FML Arz die taktische Führung übernommen und mit der 38. Honvéd-Infanteriedivision (Klausenburg) zum umfassenden Angriff südlich Limanowa angesetzt. Zur gleichen Zeit stand das wirksame Eingreifen des linken Flügels der 3. Armee (Gruppe FML Szurmay), zu dem auch die 6. Infanteriedivision (Graz) gehörte, im Raum Neusandez bevor.

Am 12. Dezember nachmittags besetzte ein Detachement der 39. Honvéd-Infanteriedivision Neusandez. FML Szurmay war durch die tief verschneiten Karpaten von Süden herangeeilt. Zu diesem wichtigen örtlichen Erfolg trat nun auch die Auswirkung des auf ihrer ganzen Front von zirka 120 Kilometern erfolgenden verhältnismäßig raschen Vordringens der 3. Armee aus den Karpaten nach Norden. Dies war erst seit dem 8. Dezember durch das energische Einwirken General Conrads auf den zögernden Generaloberst Boroeviæ erreicht worden. Durch das Eingreifen der 3. Armee wurde jedoch die Lage für den Feind unhaltbar: Er musste das Schlachtfeld räumen.

FML Roth berichtet abschließend in beinahe distanzierter Bescheidenheit: "Die 47. R.D. meldete, daß der abends erfolgte russ. Angriff auf die Höhe 597 abgeschlagen wurde. Nunmehr herrschte Ruhe auf der ganzen Front. (...) Am 13. ging der Feind auch gegenüber den Gruppen FML. Smekal und Glt. Besser, dann auch vor dem XI. Korps zurück. Die Armeegruppe folgte. Die Schlacht bei Limanowa war gewonnen." Der Durchbruch des Feindes bei Krakau nach Schlesien und Mähren war verhindert, die Bedrohung Ungarns beseitigt worden.

Auch das Generalstabswerk4) zog Bilanz: "So hatte der 12. Dezember mit der Gewinnung von Neusandez und dem Rückzuge des russischen VIII. Korps die entscheidende Wendung im achttägigen schweren Kampfe westlich des Dunajec zugunsten der k.u.k. Armeen gebracht. Das Hauptverdienst unter den Führern wird die Geschichte zweifellos dem die Umfassungsgruppe befehligenden FML Roth zusprechen, der für seine Leistungen mit dem Maria-Theresienkreuz ausgezeichnet wurde und seinem Namen das Ehrenwort ‚von Limanowa-Lapanów? beifügen durfte".

Die weitreichende Bedeutung des Erfolges der österreichisch-ungarischen Armeen in diesem Waffengang erkannte der Kommandant der russischen Nordwestfront, General Russki, als er sich gegenüber einem US-Kriegsberichterstatter äußerte: "Ein strategisches Meisterwerk war die in genialer Weise erdachte und mit Virtuosität durchgeführte Schlacht bei Limanowa, die uns zwang, ein weiteres Operieren gegen Krakau aufzugeben und unseren Karpatenübergang verhinderte. Die Schlacht von Limanowa war der erste entscheidende Rückschlag, den die Armeen des Großfürsten in Galizien erlebten. Die Lage der Österreicher war zur Zeit der großen Karpatenkämpfe keine beneidenswerte gewesen. Wir in Rußland glaubten damals fest an die totale Vernichtung der österr.-ung. Armee; umso überraschender war für uns der Ausgang der Schlacht bei Limanowa, denn der schneidige Angriff der Österreicher kam für uns ganz überraschend und traf uns an der gefährlichsten Stelle der ganzen Front!" Auch General Erich von Ludendorff kann sich ein Lob gegenüber den Österreichern abringen: "In der krisenreichen Schlacht von Limanowa-Lapanów (...) gelang es Conrad, die Russen westlich des Dunajek zu schlagen; es war dies ein schöner Erfolg der Österreichisch-ungarischen Waffen nach dem vielen Schweren, das die k.u.k. Armee seit Feldzugsbeginn erlitten hatte." Wohl gelang es den Russen in heftigen Gegenangriffen bis Ende Dezember die 3. Armee wieder bis zum Hauptkamm der Karpaten zurückzudrängen. Die 4. Armee blieb jedoch am Dunajec und musste nur ihren rechten Flügel im Anschluss an die 3. Armee bis in den Raum von Gorlice zurücknehmen. Damit war jedoch eine günstige Ausgangslage für die Durchbruchsschlacht von Gorlice-Tarnów im Mai 1915 geschaffen worden.

 

Zur Artikelserie: Der Erste Weltkrieg in Europa

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)