• Veröffentlichungsdatum : 13.04.2021
  • – Letztes Update : 15.04.2021

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Das deutsche Seebataillon

Jürgen R. Draxler

Das heutige Seebataillon der Deutschen Bundeswehr wurde 2014 zur nationalen Krisenvorsorge neu aufgestellt. Sein Auftrag ist, im maritimen Umfeld weltweit unter anderem an militärischen Evakuierungsoperationen sowie – im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung – an amphibischen Operationen teilzunehmen. Das setzt Fähigkeiten zum Objektschutz an Land und auf See (auch zivile Schiffe), zu Boardingoperationen oder zur Informationsgewinnung (mit Feldnachrichtenkräften beziehungsweise Drohnen) genauso voraus wie eine effektive Kampfmittelabwehr über und unter Wasser oder den Einsatz von Scharfschützen.

Ein hoch spezialisierter Verband wie das Seebataillon mit einer Vielfalt an Aufgaben macht Ausbildungskonzepte notwendig, die auf seine individuellen Anforderungen abgestimmt sind. Deshalb wurde von Anbeginn auf eine Ausbildung in eigener Regie gesetzt. Nach der allgemeinen militärischen Grundausbildung erhalten alle künftigen Bataillonsangehörigen – vom Marineinfanteristen bis hin zum Minentaucher – ihre weiterführende Ausbildung im Seebataillon. Bis 2019 existierte ein bataillonseigenes Ausbildungszentrum, das sich auf vier Standorte verteilte. Der zahlenmäßige Aufwuchs des Bataillons bedingte die Neugliederung in zwei Ausbildungskompanien. Die Ausbildungskompanie 1 ist für den „grünen“ Anteil verantwortlich: die Ausbildung der künftigen Boardingeinsatzsoldaten und aller anderen Marineinfanteristen, die Ausbildungskompanie 2 für den „blauen“ Anteil: die Minentaucherausbildung, die Bootsausbildung und Sonderlehrgänge wie „Sprengen“ beziehungsweise Lehrgänge zur Fähigkeitenerhaltung von Artilleriewaffenmeistern oder Feuerwerkern der zur See fahrenden Einheiten.

Aktuelle Eindrücke aus Putlos

COVID-19 ist auch in der Marine angekommen – mit zum Teil drastischen Konsequenzen wie einer von zwölf auf sechs Wochen verkürzten allgemeinen Grundausbildung. Und das wiederum hat spürbare Auswirkungen für die Teilnehmer des dreimonatigen Basislehrganges „Marineinfanterie“. „Corona geschuldet, fehlt uns einiges, vor allem die für den Einstieg in den Gefechtsdienst typischen infanteristischen Grundlagen. Aber auch der Sport ist im Hinblick auf die notwendige Fitness zu kurz gekommen“, meint der Gefreite Benjamin P., ein 20-jähriger Hamburger. Das sind Feststellungen, die seine Kameraden und ihre Ausbilder unisono teilen.

Zu Letzteren zählt Leutnant zur See Maik B. Der 47-Jährige ist seit 25 Jahren Soldat und im heutigen Seebataillon einer der Männer der ersten Stunde. Er übt mit seinem Zug auf dem, in der Hohwachter Bucht an der Ostseeküste gelegenen, Truppenübungsplatz Putlos. Im Basislehrgang Marineinfanterie geht es in Putlos darum, die jungen Soldaten erstmals an das Verhalten im Gefecht heranzuführen. Dazu gehört es, sie mit dem Einsatz von Panzerfaust und Handgranaten vertraut zu machen und sie zu befähigen mit ihren Handfeuerwaffen und dem MG 5 einen – in diesem Fall von See vorrückenden – Gegner aufzuhalten.

Dass die künftigen Marineinfanteristen mit erkennbaren Defiziten in den Basislehrgang starten, ist für den Leutnant zur See und seine Ausbilder eine Herausforderung. Im Besonderen deswegen, weil sie den Nachwuchs trotzdem in den vorgesehenen drei Monaten „an den Punkt zu führen haben, den der Lehrstoff planmäßig vorsieht“, erläutert der Ausbilder, denn an diesen Lehrgang schließt unmittelbar der weiterführende und ebenso drei Monate dauernde Einsatzlehrgang an. Erst danach winkt den jungen Soldaten eine Verwendung als Marineinfanterist in der Küsteneinsatzkompanie, sprich die Anerkennung und die damit verbundene Verwendung in der militärischen Stammeinheit.

Diejenigen, die für eine der beiden Bordeinsatzkompanien eingeplant sind, müssen allerdings noch das gleichfalls dreimonatige Bordeinsatzgrundlagenmodul (BEG) 1 absolvieren. Für künftige Teamführer ist mit dem BEG 2 ein weiterer Lehrgang vorgesehen.

 

Minentaucher

Eine der physisch wie psychisch stärksten Herausforderungen in der Bundeswehr stellt die in der Ausbildungskompanie 2 angesiedelte Minentaucherausbildung dar – trotz sorgfältiger Vorauswahl, besteht die Hälfte der Anwärter nicht. Die Dauer der Lehrgänge beträgt für einen Minentauchermaaten (Unteroffizier) insgesamt elf Monate, für einen Minentaucheroffizier EOR 14 beziehungsweise für einen Minentaucherbootsmann (Feldwebel) oder -offizier EOD 25 Monate (EOR – Explosive Ordnance Reconnaissance; Munitionsaufklärung; Kampfbeseitigung; EOD – Explosive Ordnance Disposal). Hinzu kommt bei beiden Ausbildungsgängen jeweils ein sechsmonatiges „Praktikum auf Dienstposten“.

Minentaucher werden als Feuerwerker und Kampfmittelbeseitiger eingesetzt. Sie haben den Sprenghelfer- und/oder Sprengleiterlehrgang mit Taucheinsatz absolviert, beherrschen den Einsatz von Unterwasserdrohnen, sind zugleich Kraftbootfahrer und Führer von geschützten und speziellen Lastkraftwagen. Ihr Auftrag lautet: Eigene Schiffe und Hafenanlagen im In- wie im Ausland zu schützen (Harbour Opening, Harbour Clearance). Sie suchen und identifizieren, bergen oder vernichten Seeminen sowie andere Kampfmittel und unterstützen amphibische und Boardingoperationen ebenso wie Evakuierungs- oder Rettungseinsätze.

Die Ausrüstung der Minentaucher unterscheidet sich erheblich von allen anderen Taucherausrüstungen, die deutsche Streitkräfte oder Institutionen nutzen. Sie muss nicht nur antimagnetisch und geräuscharm, sondern auch extrem robust und zuverlässig sein. So werden beispielsweise elektronisch gesteuerte Mischgaskreislauftauchgeräte mit einem integrierten Notfallsystem eingesetzt, die keine verräterischen Gasbläschen ausstoßen und Tauchgänge in Tiefen von bis zu 54 Metern erlauben.

Insbesondere die Weiterbildung der voll ausgebildeten Minentaucher folgt keinem starren Schema, sondern wird jeweils an die unterschiedlichen Spezialisierungen der einzelnen Teams angepasst. Zur Abrundung der Einsatzausbildung beteiligen sich die Minentaucher an Ausbildungskooperationen mit der niederländischen, norwegischen und dänischen Marin

Sprengleiterlehrgang Marine

Neben den Minentauchern finden in der Ausbildungskompanie 2 weitere spezielle Lehrgänge für Angehörige aus allen Teilen der Flotte statt. Vornehmlich sind dies Artilleristen, vom Artilleriewaffenmeister auf einer Fregatte bis hin zum Feuerwerker aus einem der Bootsgeschwader oder Artillerieunteroffizier. Einer der Lehrgänge ist der Sprengleiterlehrgang Marine. Die künftigen Sprengleiter müssen in letzter Konsequenz auch die Selbstvernichtung des eigenen Schiffes oder Bootes beherrschen. Zu ihrem Werdegang gehört die Ausbildung in der Munitionsfachkunde samt Sprenghelferlehrgang (für Unteroffiziere) und darauf aufbauend der Sprengleiterlehrgang (für Portepeeunteroffiziere). Letzterer muss nach drei Jahren aufgefrischt werden.

Der knapp einmonatige Sprengleiterlehrgang ist selbst für gestandene Feuerwerker kein „Gentlemen-Lehrgang“. „Hier kann man auch durchfallen. Jedes Fach, inklusive der Praxisanteile, ist ein Sperrfach – mit Notenschlüssel und Leistungsnachweisen, weil die Teilnehmer anschließend in leitender Funktion eingesetzt werden. Nur Feuerwerker sind dazu berechtigt, Munition einzustufen, zu kategorisieren und zu vernichten. „Das hat mit dem Sprengen von Schiffen, Booten oder Hafenanlagen nichts zu tun“, macht Stabsbootsmann Guido W., 47, deutlich. Er ist seit 1996 Minentaucher und seit Jahren einer der Ausbilder der Kompanie.

Unterrichtsinhalte des Sprengleiterlehrganges Marine, der auch das Pioniersprengen beinhaltet, sind die notwendigen allgemeinen naturwissenschaftlichen Grundlagen, Munitionskunde, Sicherheitsbestimmungen, Einsatzverfahren mit Ladungsberechnung und -anbringung an unterschiedlichen Baustoffen wie Holz, Stahl oder Beton, das Unterwassersprengen und die Rechtskunde.

„In unseren Einsätzen kann es darum gehen, beispielsweise im Mittelmeer nicht seetüchtige Flüchtlingsboote unbrauchbar zu machen, damit Schlepper nicht versuchen diese erneut einzusetzen“, erklärt Hauptbootsmann Rene N., Feuerwerker auf der Fregatte „Bayern“ und einer der Lehrgangsteilnehmer. Oberbootsmann Jörn M. vom Tender „Main“ (1. U-Bootgeschwader), ebenfalls Teilnehmer des Lehrganges, fügt hinzu: „In der EU-Mission ‚Sophia’ sind wir im Mittelmeer wiederholt auf herumtreibende Boote gestoßen, die eine Gefahr für die Schifffahrt darstellten. Auch in diesen Fällen war eine Versenkung geboten.“

Militärische Operation „Irini“

Die geografische Bandbreite der Einsätze oder einsatzgleicher Aufträge reicht derzeit von Afghanistan, Mali oder Djibouti bis in das Mittelmeer und, nicht zu vergessen, bis in die Ostsee. Abgesehen von den dort eingesetzten Soldaten werden permanent Kräfte für Evakuierungsoperationen am Standort Eckernförde bereitgehalten.

Maritime Interdiction Operations dienen der Durchsetzung von politischem Willen. Ein Beispiel ist die aktuelle militärische Operation „Irini“ der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, deren Vorläufer die Operation „Sophia“ war. Kernaufgabe von „Irini“ ist die Umsetzung des Waffenembargos der Vereinten Nationen gegen Libyen (gemäß der Resolution 2292 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2016). Darüber hinaus hat die Operation die Informationsgewinnung über illegale Ölexporte sowie die Unterbindung des Menschenschmuggels zum Ziel. Außerdem soll Libyen beim Aufbau einer Marine unterstützt werden. Derartige Operationen sind auf ein bestimmtes Seegebiet zugeschnitten. Im Fall „Irini“ umfasst es die See zwischen Italien, Libyen und Malta – mit einer Fläche von über 360 000 km². Dort werden sämtliche Seefahrzeuge (in aller Regel Handelsschiffe) von Seefernaufklärern oder Marineschiffen erfasst, über Seefunk befragt und an die „Irini“-Operationszentrale in Rom gemeldet. Abhängig von be- oder entstehenden Verdachtsmomenten in Bezug auf das jeweilige zivile Schiff und dessen Kooperationsbereitschaft kann der Befehlshaber in Rom unterschiedliche Einsatzoptionen anordnen. Neben dem Abfragen von weiteren Informationen über Funk (Hailing) und den Friendly Approach ist dies das Anhalten, Durchsuchen und Überprüfen des Schiffes, von dessen Besatzung und der Ladung, gegebenenfalls unter Einsatz militärischer Gewalt. Hier gibt es verschiedene Stufen: Unopposed, Non-cooperative und Opposed Boarding. Sie unterscheiden sich hinsichtlich des Maßes an militärischer Gewalt. Den Handlungsrahmen für die Soldaten bei der Umsetzung ihres Boardingauftrages bilden die Rules of Engagement – eine Zusammenfassung und Präzisierung geltenden Einsatzrechtes, das von der Politik vorgegeben ist. Die Verbringung der Boardingteams erfolgt lage- und seegangabhängig mit Speedbooten und/oder Hubschraubern.

Maßnahmen nach dem Boarding

Erhärtet das Boardingergebnis den Verdacht eines Verstoßes (Beispiel: VN-Embargo), kann das betreffende Fahrzeug beispielsweise in den Hafen eines EU-Mitgliedstaates umgelenkt werden, um dort weitere Untersuchungen an Schiff und Fracht vorzunehmen. Bereits auf See lassen sich zum Beispiel bei einer Flüssigladung wie Kerosin Proben nehmen, die dann gegebenenfalls an Land zur weiteren Untersuchung verbracht werden. Je nach Befund sind Maßnahmen bis hin zur Beschlagnahme des Schiffes und einer Festsetzung der Besatzung möglich.

Das Seebataillon lockt viele junge Männer (aber auch Frauen) an, die eine persönliche Herausforderung suchen. Die Faszination dieses Verbandes besteht wohl insbesondere darin, dass das Bataillon die Marineinfanterie der Bundeswehr ist. „Wollen“ bedeutet allerdings nicht per se „Können“. Im Folgenden sind Fragen an Kapitänleutnant Klemens Klabunde, 33, seit April 2019 Chef der für den „grünen“ Anteil zuständigen Ausbildungskompanie 1, gerichtet.

Draxler: Was muss ein Soldat mitbringen, damit er den Ansprüchen an einen Marine-infanteristen genügt?

Klabunde: Das sind Disziplin und Erfolgswillen, zumal die Ausbildung körperlich wie geistig fordernd ist. Der Soldat muss den Willen haben, das, was er anfängt, auch unter Schwierigkeiten bis zum Ende durchzuführen. Wer die Ausbildung nicht besteht, kann keinen Dienstposten innerhalb des Bataillons bekleiden. Eine bestandene Ausbildung ist daher das erste Ziel, das man erreichen muss, um eine Aufgabe im Seebataillon ausüben zu können.

Draxler: Sie suchen sich die Anwärter ja nicht selbst aus, sie werden Ihnen von einem der Karrierecenter der Bundeswehr zugewiesen. Wie viel Prozent bestehen die Anforderungen der Ausbildung?

Klabunde: Die Erfolgsquote variiert von Durchgang zu Durchgang und hängt von der persönlichen Motivation und Lernfähigkeit der Teilnehmer ab.

Draxler: Gibt es für die Dienstposten im Bataillon Altersbegrenzungen?

Klabunde: Nein. Die körperliche Fitness ist grundsätzlich ausschlaggebend dafür, wer wie lange in einer Einsatzkompanie Verwendung findet.

Draxler: Welche Perspektiven bieten sich den Soldaten des Seebataillons hinsichtlich einer Weiterentwicklung innerhalb der Marine?

Klabunde: Die Marineinfanterie ist recht klein aufgestellt. Sie bildet explizit auch nur für ihren Bereich aus. Die Soldaten haben aber die Möglichkeit, später die Verwendungsreihe und somit in einen anderen Bereich zu wechseln. Da ist die Marine flexibel.

Draxler: Sie wurden 2019 beauftragt, die Ausbildungskompanie 1 aufzustellen. Was ist Ihr Ziel?

Klabunde: Zuvor gab es ein Ausbildungszentrum für alle Einsatzkompanien. Ich sehe meine Aufgabe darin, sämtliche Fachausbildungen, die jetzt in dieser Kompanie angesiedelt sind, „unter ein Dach zu bekommen“ – also von der Vollausbildung des Einzelschützen bis zur hochwertigen Ausbildung des Zugführers oder der spezialisierten Einzelkämpfervorausbildung –, so dass sich jeweils ein einheitliches Ausbildungs- und Lehrkonzept ergibt und der hier ausgebildete Marineinfanterist uns als seine militärische Heimat empfindet.

Im Gespräch: Fregattenkapitän Norman Bronsch 

Fregattenkapitän d.R. Mag. Jürgen R. Draxler; Militärjournalist und Publizist.

 

 

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