• Veröffentlichungsdatum : 09.02.2021
  • – Letztes Update : 17.02.2021

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Archäologischer Schauplatz: GÜPL Grossmittel

Tanja Trausmuth, Katharina Oremus, Mario Wallner, Hannes Schiel, Klaus Löcker, Jürgen Zeitlhofer

Im Zuge des militärischen FORTE Forschungsprojektes „INFOSYS“, in dem das Amt für Rüstung und Wehrtechnik, das Ludwig-Boltzmann-Institut und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik zusammenwirken, werden seit 2019 geophysikalische Messungen durchgeführt. Der Fokus liegt auf der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Messmethoden und der Darstellung mittels Geoinformationssystemen in Echtzeit gewonnener Daten. Damit sollen verborgene Sprengfallen und Kampfmittel erkannt werden. Im Jahr 2020 fanden am Schießplatz FELIXDORF (GÜPl GROSSMITTEL) erste Tests dieser Technologien statt. Am Rande des Schießplatzes entdeckten Forscher südlich von Sollenau jedoch nicht nur die erwarteten Hinterlassenschaften der Schießversuchsstätte - sie fanden auch Hinweise auf dessen frühere Nutzung.

In den aufgenommenen Daten zeigten sich charakteristische Strukturen, die von den archäologisch ausgebildeten Wissenschaftlern vorerst als Gräberfeld des Frühen Mittelalters (ca. 500 bis 1.050 n. Chr.) interpretiert wurden. Aufgrund ihrer Form, Größe und Ausrichtung wurden die annähernd 60 Strukturen, die sich in einem Ost-West orientierten Band über eine ungefähre Länge von 300 Metern erstrecken, von den Archäologen für ein Reihengräberfeld des frühen Mittelalters gehalten. Da sich die Strukturen in einem landwirtschaftlich genutzten Bereich des Schießplatzes befinden, wurde vom Amt für Rüstung und Wehrtechnikbeschlossen, an zwei Stellen archäologische Forschungsgrabungen durchzuführen, um eine Einschätzung des Erhaltungszustandes, eine eventuelle Gefährdung des archäologischen Denkmales und eine genaue Datierung zu gewinnen.

Die Grabung beginnt

Nach der Genehmigung des Bundesministeriums für Landesverteidigung und der erteilten Grabungsbewilligung des Bundesdenkmalamtes wurde unter der Leitung von Mag. Katharina Oremus BSc. MSc., gemeinsam mit einem Team aus Mitarbeitern des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik, Archäologen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik sowie ehrenamtlichen Helfern die archäologische Erkundung der im Boden verborgenen Strukturen vom 19. bis 23. Oktober 2020 durchgeführt. Nach dem Abtragen des durchpflügten Oberbodens zeigten sich die in der Prospektion erkannten Anomalien bereits deutlich als rechteckige, ca. 3 x 1,3 Meter große, dunkle Verfärbungen im umgebenden hellgrauen Schotterboden. Aufgrund dieser Größe, aber auch wegen der bei frühmittelalterlichen Gräbern typischen Ost-West Ausrichtung, glaubten sich die Archäologen in ihrer vorläufigen Interpretation – einem Gräberfeld – bestätigt.

Bereits während der Grabungstätigkeiten des ersten Tages, musste diese Theorie verworfen werden, da sich in den fünf ergrabenen, nur ca. 60 cm tiefen Gruben keinerlei Spuren von menschlichen Überresten fanden. Stattdessen beinhalteten sie zur Überraschung der Ausgräber jedoch eine große Menge an Knochen verschiedener Tierarten, wobei sich auf den Geflügel-, Rinder- und Schafknochen immer wieder Schnitt-, Hack- und Zerlegungsspuren zeigten. Ebenso konnten viele zerscherbte Keramikgefäße aus dem 18. Jahrhundert n. Chr. geborgen werden, wobei bei einigen Keramiken sogar erschlossen werden konnte, dass sich die teilweise gekochten Tierknochen innerhalb der, zur Niederlegung noch intakten, Gefäße befanden und diese als Speisereste zu interpretieren sind. Da im bereits lang christianisierten Umfeld des 18. Jahrhunderts, Grabbeigaben dieser Art keinerlei Verwendung mehr fanden, konnte es sich bei den aufgedeckten Gruben nicht um Gräber handeln.

Weitere Hinweise auf die ehemalige Verwendung der Gruben konnten die Forscher durch zusätzliches Fundmaterial erlangen. Dazu zählten handgefertigte Musketenkugeln, der dazugehörige Feuerstein einer Flintenschlosswaffe, eiserne Schuhnägel und verschiedene Knöpfe aus Knochen sowie Metall, die einen eventuellen Zusammenhang zu einem militärischen Umfeld möglich erschienen ließen. Exklusive Funde stellten der Kopf einer floral verzierten, weißen Pfeife, Hals und Ausguss einer Glaskaraffe sowie die metallene Schnalle einer Kniebundhose dar. Obwohl einige dieser Objekte bereits mehrere Jahrzehnte früher in Mode waren, scheint ihre Nutzungsdauer eine längere gewesen zu sein, weshalb sie erst um ca. 1800 mit den anderen Keramikscherben in die Gruben kamen.

Der Schießplatz und Garnisonsübungsplatz Grossmittel stellt topographisch im äußerst kargen Steinfeld liegend, eine gewisse Ausnahme zur umliegenden Gegend dar. Bereits unter der Regierungszeit von Maria Theresia, die 1749 Exerzierübungen und Truppenbesichtigungen eines Infanterie-Regiments bei Sollenau besucht haben soll und in den Jahren 1763 bis 1767 für die Ansiedlung von Bauern in Theresienfeld verantwortlich war, zeigte sich die Heide zwischen den Flüssen Piesting (Kalter Gang) und Fischa als landwirtschaftlich nicht genutzt und praktisch unbewohnt. Somit beschloss Kaiser Joseph II nach der im Jahre 1779 erfolgten großen Explosion eines Pulverturmes in Wien den Bau von sechs Pulvertürmen auf der kulturlosen Heide, dessen Zentrum als Großes Mittel bezeichnet wurde. In historischen Nachrichten und Landschaftsbeschreibungen früher Reisender der Jahre 1810, 1832 und 1833 wird das Steinfeld bei Sollenau als von aller Fruchtbarkeit abgeschnittene Steppe und unfruchtbare Heide - „nicht einmal geeignet, von den Schafen aufgelesen zu werden“ bezeichnet. Historisch betrachtet schien für die Archäologen damit eine Interpretation der vorgefundenen Strukturen als mögliche Vorratsgruben der Bevölkerung, so weit von den umliegenden Ortschaften als eher unwahrscheinlich.

 

Napoleons „Grande Armée“

Nachdem die französische Armee Napoleons die Steiermark bereits 1792 besetzte, blieb auch Niederösterreich im Jahre 1802 nicht verschont. Ebenso litt die ansässige Bevölkerung 1805 unter den Durchmärschen, Einquartierungen, schonungslosen Requirierungen und Plünderungen der französischen Soldaten. Ende des Jahres 1805 besetzten während des Dritten Koalitionskrieges etwa 5.000 Soldaten die Marktgemeinde Sollenau. Sie waren in Scheunen und Häusern untergebracht bzw. lagerten in mitgeführten Zelten und mussten von der Bevölkerung verpflegt werden. Da die französische Armee „bei Sollenau alles besetzt hatte und kein österreichischer kaiserlicher Soldat zu sehen war“, erhielt die Burg Mattersdorf (im heutigen Mattersburg, Burgenland) den Befehl 32 Wagen zu schicken, um im Pulverturm bei Wiener Neustadt das Pulver aufzuladen und nach Raab zu führen. Obwohl dies anscheinend zum größten Teil glückte, konnte die französische Armee noch 195 Fässer aus dem Pulverturm erbeuten. Wie bereits in den Jahren zuvor, begannen im Mai des Jahres 1809 (Fünfter Koalitionskrieg) erneut Einquartierungen französischer Truppen in Sollenau, wobei auch zu diesem Zeitpunkt wieder überliefert scheint, dass sie auf den umliegenden Feldern lagerten, sich der eingebrachten Getreideernte bemächtigten und die Bauern zur Herausgabe von Lebensmitteln zwangen.

Forschungsergebnisse

Obwohl die abschließende Auswertung der Grabungsergebnisse noch nicht vollständig abgeschlossen ist, konnten die Archäologen bereits aussagekräftige Theorien über die Datierung und einstige Verwendung der entdeckten Gruben entwickeln. So deutet die archäologische Einteilung und Datierung der gefundenen Artefakte in die Zeit um 1800. Aus historischen Quellen ist zudem belegt, dass der heutige Garnisonsübungsplatz Grossmittel zu dieser Zeit bereits unter militärischer Verwaltung stand und als Pulverlager genutzt wurde, was einen Zusammenhang mit der zivilen Besiedlung des benachbarten Ortes Sollenau, als unwahrscheinlich erscheinen lässt. Somit könnten die zahlreichen Gruben mit den in den Jahren 1805 und 1809 historisch belegten, temporären Zeltlagern der napoleonischen Armee in Verbindung stehen. Sie dienten eventuell nicht nur aus witterungstechnischen Gründen als möglicher Schutz vor dem auf dem flachen Steinfeld schneidenden Wind, sondern könnten von den französischen Truppen auch als Schlaf- bzw. Aufbewahrungs- und Lagergruben genutzt worden sein.

Anhaltspunkte dafür lieferte nicht nur die große Menge an tierischen Knochen in den Keramikgefäßen, welche auf die von der Bevölkerung requirierte Verpflegung der Soldaten, hindeuten würde, sondern auch die möglicherweise verlorenen Alltagsgegenstände, die sich unter den Funden befanden. Sollten die weiterführenden Analysen der Grabung diese Interpretation bestätigen, würde dieser Fund der bisher einzig belegte Fall eines Feldlagers der französischen Armee in Österreich darstellen, da aus den napoleonischen Kriegen bislang nur die Schlachtfelder selbst sowie österreichische Militärlager archäologisch erforscht werden konnten. Die weitestgehend militärische Nutzung des Garnisonsübungsplatzes Grossmittel konnte somit zur Bewahrung der archäologischen Hinterlassenschaften eines bedeutenden Abschnitts der Zeitgeschichte beitragen.

Zum Abschluss der Grabungskampagne präsentierte das archäologische Team die außergewöhnlichen Forschungsergebnisse der Bundesministerin für Landesverteidigung Mag. Klaudia Tanner in Begleitung des französischen Verteidigungsattachés, Oberstleutnant Valérie Trameau-Chabert, sowie einer Delegation des Landes Niederösterreich und zahlreichen Medienvertretern. 

Autorengemeinschaft Tanja Trausmuth, Katharina Oremus, Mario Wallner, Hannes Schiel, Klaus Löcker und Jürgen Zeitlhofer vom FORTE-Forschungsprojekt INFOSYS.

 

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