• Veröffentlichungsdatum : 19.07.2019
  • – Letztes Update : 12.07.2019

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Aneignungsdidaktik

Andreas Kastberger

Die Aneignungsdidaktik ist ein Mittel zur Modernisierung und Verbesserung der Qualität des Lehrbetriebes. In den Schulen und Akademien des Österreichischen Bundesheeres sowie in anderen Bildungseinrichtungen innerhalb des Bundesministeriums für Landesverteidigung wird dieser Lernprozess schrittweise eingeführt. Bei der Aneignungsdidaktik geht es vor allem um die Aneignung von Kenntnissen, Fertigkeiten oder Kompetenzen durch die lernenden Personen.

Einleitende Gedanken

Sie wollen schneller lernen als bisher und sich das Gelernte nachhaltiger verinnerlichen? Sie wollen bei Ihren auszubildenden Soldaten Kompetenzen erzeugen, welche Sie ohne Ihr Zutun selbstständig und lebensbegleitend weiterentwickeln sollen? Sie wollen in Ihrem Fachgebiet oder in Ihrer Lieblingssportart zu den Besten gehören und vielleicht sogar einen Meistertitel erringen?

All das kann die Anwendung einer Aneignungsdidaktik bei der Aus-, Fort- oder Weiterbildung zwar nicht garantieren, aber ohne Berücksichtigung der hier dargestellten Grundsätze wird man die oben genannten Ziele auch ganz sicher nicht erreichen.

Die Berufswelt verlangt nach selbstbewussten, selbstständig denkenden und handelnden sowie sich den permanent verändernden Herausforderungen rasch und effektiv anpassenden Menschen. Jeder Militärangehörige hat in der Schule oder später in der militärischen Ausbildung von guten Fördermaßnahmen bereits nachhaltig profitiert. Woran man sich aber meist noch stärker erinnern kann, sind die im Nachhinein betrachtet sinnlosen Versuche von Lehrern oder Ausbildern, innerhalb eines starr vorgegebenen Programmes Inhalte zu vermitteln, die am Ende keinerlei positive Wirkung erzeugen konnten.

Um das zu verbessern, wird kein Weg daran vorbeiführen, sich Schritt für Schritt mit der Aneignungsdidaktik auseinanderzusetzen. Die „Mühe“ lohnt sich!

 

Was bedeutet Aneignungsdidaktik?

Um sich der Beantwortung dieser Frage anzunähern, macht es zunächst durchaus Sinn, sich das Modell einer konkreten Didaktik als „Geist“ vorzustellen, welcher im Sinne einer Überzeugung, das Richtige zu denken und das Richtige zu tun handelt. Militärische Führungskräfte können einen Vergleich mit der Taktik anstellen, da beispielsweise eine Auftrags- im Gegensatz zu einer Befehlstaktik im Grunde auch nichts anderes ist, als das Richtige zu denken und davon abgeleitet das Richtige zu tun. Wer als Kommandant auftragstaktisch führt, ist von der Überlegenheit dieser Taktik genauso überzeugt wie ein Ausbildungsleiter von der positiven Wirkung einer aneignungsorientierten Lehre im Sinne nachhaltigen Lernens. In diesem Beispiel wird Aneignungsdidaktik (als Weg zur optimalen Aneignung von Wissen, Fertigkeiten oder Kompetenzen durch die Lernenden; Anm.) einer Vermittlungsdidaktik (als Weg vor allem der Vermittlungstätigkeit durch eine Lehrkraft; Anm.) gegenübergestellt. Im direkten Vergleich schließt eine Aneignungsdidaktik die Ausübung von Vermittlung genauso wenig aus, wie der Geist einer Auftragstaktik die Durchführung von Befehlsausgaben verhindern soll. In beiden Fällen geht es also um das „Wie“ und nicht um das „Ob“.

 

Was ist Didaktik?

Militärische Kaderangehörige werden während ihrer Grundausbildung in erster Linie zu Kommandanten, aber auch zu Ausbildern, beginnend jeweils mit der Gruppenebene, qualifiziert. An diesem Grundsatz hat sich trotz mehrerer Reformen der vergangenen Jahrzehnte nichts geändert. Die Ausbildungsmethodik als Unterrichtsgegenstand oder Lehrveranstaltung ist im Grunde allen Offizieren und Unteroffizieren geläufig. Dies ist bei der Beschäftigung mit dem vorliegenden Thema zunächst ein Vorteil, da von einer gemeinsamen Basis ausgegangen werden kann. Ein Nachteil dieser Situation zeigt sich allerdings, sobald es darum geht, eine für ein vertieftes Verständnis der Thematik notwendige Unterscheidung vor allem zwischen Methodik und Didaktik herzustellen.

Man kann sich die Herausforderungen einer Didaktik sehr einfach eingebettet zwischen jenen der Pädagogik oder Bildungs- bzw. Erziehungslehre einerseits und jenen einer Ausbildungsmethodik andererseits vorstellen.

Gerade für Ausbildungspraktiker ist es immer wieder schwierig, derartige Unterscheidungen zu treffen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Zumindest Ausbildungsprofis mit Planungsaufgaben wie Zugs- und Kompaniekommandanten oder auch Mitarbeiter im S3-Bereich kann dies allerdings nicht erspart bleiben, um einen sinnvollen Diskurs führen und didaktische Weiterentwicklungen einleiten zu können.

Mit entsprechendem Rüstzeug versehen, sollte nun eine detaillierte Gegenüberstellung der Begriffe „Aneignungsdidaktik“ und „Vermittlungsdidaktik“ nachvollziehbar sein.

Prinzipien

In der Aneignungsdidaktik dreht sich alles um jene fünf Faktoren, die nachfolgend zusammengefasst werden:

Es geht zunächst um die Aneignung von Kenntnissen, Fertigkeiten oder Kompetenzen durch lernende Personen, wobei dieser Prozess in letzter Konsequenz trotz notwendiger Ausbildung etwa im Gruppenrahmen immer individuell bleibt. Die Lernsituation ist meist für mehrere Teilnehmer gleich gestaltet, doch die Verknüpfung mit dem Vorwissen und davon abgeleitet die Lernergebnisse sind in der Regel sehr unterschiedlich.

Dieser didaktische Ansatz zielt besonders stark auf die Lernergebnisse ab, die zu einer Rückwärtsplanung zwingen und nicht zuletzt ständig die Frage nach der Anrechnung bereits erreichter Ergebnisse stellen. Aneignungsdidaktik zwingt demnach alle Planenden zunächst zur exakten Festlegung gewünschter Ergebnisse im Sinne von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen. Außerdem muss der Status quo der aktuellen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen der Lernenden möglichst genau gemessen und als Abholpunkt für einzuleitende Lernschritte von der Ausgangssituation bis zum schlussendlich gemessenen Endergebnis festgelegt werden. Wer das gewünschte Resultat erbringt, sollte nach Möglichkeit bereits an der Erreichung anderer Ziele arbeiten dürfen (= Anrechnung). Gegenbeispiel: Die schlimmste Variante einer Vermittlungsdidaktik startet die Lehre

  • ohne Wissen über den Abholpunkt der Lernenden,
  • praktisch „ins Blaue hinein“ ohne Idee bezüglich erforderlicher Lernschritte und
  • in Richtung eines im Grunde unklaren Zieles.

Das wird jeder schon einmal erlebt haben, aber ist das wirklich zielführend?

Indirektes Ziel einer Aneignungsdidaktik ist stets die Erhöhung der Selbstständigkeit der Lernenden bei der Ergebniserreichung. Lernende sollen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen für sich stets drei Schlüsselfragen auf dem Weg zum Erfolg beantworten können:

  • Wo will ich eigentlich hin (Ergebnis)?
  • Wo stehe ich (Ausgangspunkt)?
  • Was muss ich als Nächstes tun, um zum Ergebnis zu gelangen (Lernschritte)?

In diesem Zusammenhang wird unter Bezugnahme auf kompetenzorientierte Ausbildung auch von einer Erhöhung der Aneignungskompetenz gesprochen.

Zentrales Anliegen ist zudem, und hier kommt die didaktische Komponente im Gegensatz zur methodischen besonders stark zum Ausdruck, die optimale Gestaltung der Lernumgebung. Dies bildet die edelste und wichtigste Aufgabe von Didaktikern, während sich im Unterschied dazu Methodiker den Kopf um die Auswahl der richtigen Methoden zerbrechen müssen, um in der Situation möglichst gute Erfolge zu erzielen und gleichzeitig die Aneignungskompetenz ihrer Auszubildenden für künftige Herausforderungen zu verbessern.

Ein echtes Umdenken erfordert schlussendlich noch das Heranziehen einer neuen Messgröße für zeitliche Belastungen. Üblicherweise werden diese Curricula in Form von Unterrichtseinheiten ausgeworfen. Dies kann oder muss zunächst auch so beibehalten werden, jedoch ist bei Planungen innerhalb einer Aneignungsdidaktik der Rahmen jetzt breiter anzusetzen, indem der gesamte Arbeitsaufwand (engl. „Workload“) bis zur Erreichung eines Ergebnisses zu ermitteln und der Umsetzung zugrunde zu legen ist. In einer Vermittlungsdidaktik wird also nur die für die konkrete Vermittlungstätigkeit („Unterricht“) geplante Zeit festgelegt. In einer Aneignungsdidaktik muss die gesamte erforderliche Zeit für die Erreichung eines Lernergebnisses, z. B. 2 400 m in einer bestimmten Zeit laufen oder eine schriftliche Projektarbeit über 15 Seiten fertigstellen, vom Ausgangspunkt weg gerechnet definiert werden. Dieser „Workload“ bildet dann das Fundament für die Ausbildungsplanung, die sich an einer ebenfalls zu definierenden Maximal-, Minimal- oder Optimalbelastung, meist im Wochendurchschnitt gerechnet, orientiert.

An dieser Stelle wird die Änderung der Gesamtperspektive, ausgehend von einer Vermittlungsdidaktik hin zu einer Aneignungsdidaktik, anhand einer einfachen Tabelle erläutert.

Die „kopernikanische Wende im Kopf“

Bis vor ungefähr 500 Jahren glaubten die meisten Menschen in unseren Breiten, die Erde wäre ein unbewegter Fixstern und die anderen Himmelskörper inklusive der Sonne würden sich um sie herumdrehen. Dieses Weltbild wird heute als geozentrisch, also die Erde im Mittelpunkt betrachtend, bezeichnet.

Im Gegenzug dazu spricht man vom heliozentrischen Weltbild, wenn die Sonne in unserem System den Mittelpunkt darstellt und die Erde sich als „nur“ einer von mehreren Planeten um die Sonne bewegt. Dies wurde in der Antike von Gelehrten bereits vermutet, aber erst durch Physiker der Neuzeit, wie zuerst durch Nikolaus Kopernikus, bewiesen. Darum bezeichnet man den Wechsel vom geo- zum heliozentrischen Weltbild gerne als „kopernikanische Wende“. Trotz klarer Beweisführung durch die Wissenschaft beharrten die Kirche und andere konservative Kreise dieser Zeit noch über Jahrzehnte auf dem „alten“ Weltbild, weil man dies damals für die Aufrechterhaltung des Glaubens an die göttliche Schöpfung mit Erde und Mensch im Zentrum für notwendig erachtete.

Dieses Bild des Festhaltens an bisher scheinbar Bewährtem trotz gegenteiliger Beweislage soll nun anhand der Gegenüberstellung eines vermittlungs- und eines aneignungsdidaktischen Weltbildes verwendet werden, um das zutiefst menschliche Phänomen einer zurechtgerückten Wahrnehmung zu beschreiben. So wie die Gebildeten unter den Bewahrern des geozentrischen Weltbildes vor einem halben Jahrtausend zumindest erahnen konnten, in welche Richtung sich die Erkenntnis bewegen würde, so wissen auch Bildungsverantwortliche seit Langem über die zentrale Rolle von Lernergeb­nissen analog des hier so benannten „­neuen“ didaktischen Weltbildes Bescheid. Deshalb bilden die Resultate der Lernenden in diesem System den Mittelpunkt und der Output die Sonne (siehe Grafik). Andere Faktoren, so wie hier am Beispiel Input, Lehrer oder Unterricht dargestellt, bewegen sich demnach korrekterweise wie Planeten rund um diese Sonne.

Dennoch scheint das traditionelle („alte“) didaktische Weltbild der Vermittlungsdidaktik, hier mit dem Input bewusst als „blauer Planet“ dargestellt, eine magische Anziehung auf all jene auszuüben, die im Geist dieser Didaktik erzogen und ausgebildet wurden. Scheinbar problemlos kreisen, wider besseres Wissen, die Lernergebnisse als eigentliche Sonne rund um den Planeten. Bis zu einer endgültigen Durchsetzung einer streng ergebnisorientierten Bildungslandschaft wird man, wie unsere Vorfahren im Zusammenhang mit physikalischen Erkenntnissen, immer wieder Gefahr laufen, in ein Weltbild zurückzufallen, das einfach nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entspricht.

Wenn Ausbildungsplanende mit traditionellem Weltbild zum Beispiel einen neuen Kurs oder Lehrgang entwickeln, dann erhält dieser rasch einen Titel, und man wird die Dauer des Lehrganges, die Anzahl der Unterrichtseinheiten, konkrete Inhalte, Vortragende oder Kosten mitunter schon festgelegt haben. Nicht selten geschieht es, dass dabei die Frage vergessen wird, welche konkreten Ergebnisse am Ende durch wen genau und auf Basis welcher Ausgangssituation sowie geplanter Lernschritte rasch erreicht werden sollen. Im Fall der Aneignungsdidaktik sind es nicht zuletzt Erkenntnisse der Neurowissenschaften, die mittlerweile eindeutig belegen, dass Lernen beim Menschen nur als individueller Prozess beschrieben werden kann und daher nicht direkt über Vermittlungstätigkeiten von außen stattfindet. Dies zwingt schlussendlich sowohl Bildungssysteme als auch Lehrkräfte zum Umdenken in didaktischer Hinsicht.

Beispielhafte Darstellung

Wenn Sie als Zugs- oder Kompaniekommandant eine gute Schießausbildung anbieten wollen, dann werden Sie zunächst einmal bewährte Ausbildungsmethoden und gut ausgebildete Gruppenkommandanten zum Einsatz bringen. Das sind wichtige Voraussetzungen, die aber für sich alleine natürlich noch nicht ausreichen.

Die eigentliche Ausgangsbasis Ihres Erfolges wird durch didaktische Überlegungen gebildet. Ihre Soldaten werden am Ende der Ausbildung zunächst eine Menge an Kenntnissen (z. B. über Waffenwirkung, Sicherheitsbestimmungen), an Fertigkeiten (z. B. Waffenhandhabung, Auge-Hand-Koordination) und an Kompetenzen (z. B. Einsatz einer Waffe in einem bestimmten Szenario unter Berücksichtigung rechtlicher oder psychologischer Grundsätze) nachweisen müssen. Wenn gut ausgebildet wurde, dann lässt die Wirkung des Erfolges nicht nach einem vorgesehenen Überprüfungstermin wieder nach, sondern kommt durch laufende Herausforderungen, etwa im Berufsvollzug, immer wieder zur Geltung und wird geradezu multipliziert. Dazu benötigen die Lernenden hohe Selbstständigkeit und hohe Kompetenz, wenn es darum geht, auf Spannung zu bleiben und permanent an sich und ihren Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen zu arbeiten.

Dafür bedarf es wiederum jener Rahmenbedingungen in der Ausbildung, die nur über eine so genannte Aneignungsdidaktik hergestellt werden können. Als Ausbildungsleitender weiß man, dass Lernen nicht im Luftraum zwischen dem Mund des Lehrers und dem Ohr des Lernenden stattfindet, sondern nur im Gehirn des einzelnen Lernenden. Damit dies gelingt, wird man versuchen, möglichst optimale Voraussetzungen zu schaffen. Die Planungen werden in zeitlicher, räumlicher, infrastruktureller oder personeller Hinsicht laufend optimiert. Der Lernrhythmus der Auszubildenden wird berücksichtigt, um dabei vor allem in besonders sensiblen oder wichtigen Situationen höchste Konzentrationsfähigkeit sicherzustellen. Der Erfolg wird an erreichten Ergebnissen konkretisiert, die zuvor klar definiert wurden, was in der Praxis alles andere als eine Selbstverständlichkeit darstellt. Man wird danach trachten, den Soldaten oder Lehrgangsteilnehmern, die häufig sogar die Nachfolger der Ausbilder werden können, die Kompetenz zur eigenständigen Weiterentwicklung mitzugeben. Am Ende wird man stolz sein, wenn man eines Tages von den einst selbst ausgebildeten Menschen überflügelt wird. Dann hat man Aneignungsdidaktik in der Lehre gelebt und alles richtig gemacht.

Das Thema wird mit dem Artikel „Lehrkräftequalifizierung“ im nächsten Heft fortgesetzt. Dieser beschäftigt sich mit der konkreten Umsetzung der Aneignungsdidaktik anhand der künftigen Ausbildung der Lehrkräfte im BMLV.

Oberst dhmfD Mag. Andreas Kastberger ist Leiter des Wirkungsfeldes „Methodik und Didaktik“ an der Heeresunteroffiziersakademie im Wirkungsverbund der Militärhochschule.

 

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