Russland/Ukraine: Kein Kriegsende in Sicht

Der Angriff auf ukrainische Städte geht weiter, bisher sollen über zehn Millionen Menschen vertrieben worden sein.
Trotz der schon fast vier Wochen andauernden Kämpfe rief der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Bevölkerung am 22. März 2022 erneut zum Durchhalten auf. Unterdessen konzentriert man sich auf die Rettung von Zivilisten – neun Fluchtkorridore seien für den 23. März 2022 geplant. Selenskyj wird am 24. März 2022 per Videoschaltung am NATO-Gipfel in Brüssel teilnehmen. US-Präsident Joe Biden soll ebenso vor Ort sein, wenn das weitere Vorgehen der NATO besprochen wird. Bereits am 21. März 2022 gab es einen Gipfel der EU-Außenminister, bei dem die Lage in der Ukraine besprochen wurde.
Militäranalytiker Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations analysierte in der ZIB2 am 22. März 2022 das Kriegsgeschehen. Laut ihm befinde sich die russische Armee derzeit in einer operativen Pause. Das bedeutet, dass die eingesetzten Truppen aufgrund logistischer Probleme oder hoher Verluste ihre ursprünglichen Aufträge nicht mehr erfüllen können und sich neu organisieren müssen. Um den Nachschub zu sichern, lässt man die Front vorübergehend ruhen. Der 1. April 2022 sei laut Gressel ein wichtiger Einrückungstermin für Russland. Soldaten, die nach dem Abrüsten in ein Vertragsverhältnis überführt werden, könnten ab dann neue Verbände bilden, die in die Ukraine geschickt werden könnten. Eine neue Offensive könnte seiner Einschätzung nach Mitte/Ende April 2022 folgen. Wohin sich das Schwergewicht dieser Offensive verlagern wird bleibt offen. Ein bisheriges Problem der russischen Armee sei unter anderem gewesen, dass sie zu viele Städte auf einmal nehmen wollte.
Ähnlich analysiert auch Generalmajor Bruno Hofbauer im „Falter“ die Situation der russischen Streitkräfte. (zum Artikel) Die Angriffe auf Kiew und andere ukrainische Städte dürften nicht so schnell und problemlos vonstattengegangen sein, wie von Russland erwartet. Die Widerstandskraft der ukrainischen Städte sei vor allem für die Logistik der russischen Truppen ein Problem. Raketenartillerie brauche beispielsweise Tonnen an Munition, die mit LKW an die Front transportiert werden muss. Für die Versorgung benötige man also zum einen LKW (Straßen) und zum anderen die Eisenbahn. Optimal wäre es, wenn die LKW nur einen möglichst kurzen Weg zwischen einem Bahnhof und der Front zurücklegen müssten – je länger diese Strecke ist, desto langsamer kommt der Feldzug voran. Diese Versorgungsproblematik sorgt auf russischer Seite für Abnützung – so könnte sich laut Hofbauer der Krieg künftig zu einem sogenannten „Frozen Conflict“ entwickeln.
Militäranalytiker Gressel sieht hier auch eine Chance des Westens, um Russland in einen „Ermattungsfrieden“ zu zwingen, ohne direkt in den Krieg einzugreifen. Dazu müssten nicht nur die militärischen Kosten in der Ukraine in die Höhe getrieben werden, sondern auch die wirtschaftlichen Kosten für Russland. Erreicht werden könnte dies unter anderem mit einem Öl- und Gas-Embargo.
Den Einsatz von Atomwaffen erwarten beide Experten nicht unmittelbar, schließen ihn aber auch nicht aus. Gressel meinte dazu, dass die Androhung eines Atomkrieges für den russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Waffe im psychologischen Krieg gegen den Westen sei. Die Furcht vor dem Einsatz von Atomwaffen würde den Westen davon abhalten, aktiv in den Krieg einzugreifen und die Ukraine zu unterstützen. Generalmajor Hofbauer ortet auf russischer Seite die Bereitschaft viele Tote – sowohl in der Zivilbevölkerung als auch in den eigenen Reihen – in Kauf zu nehmen. Der Einsatz von taktischen Atomwaffen sei daher nicht auszuschließen. Gressel wiederum sieht akut eine größere Gefahr für den Einsatz chemischer Waffen, da deren Einsatz schwieriger nachzuweisen sei und Russland so Zeit verschaffen könne.
Wie lange der Krieg noch dauern werde sei laut Hofbauer schwer zu sagen. Vermutlich werde Putin sich mit einer neutralen, demilitarisierten Ukraine sowie den „Volksrepubliken“ im Osten und der Krim nicht zufriedengeben.
-red-
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