• Veröffentlichungsdatum : 22.12.2020
  • – Letztes Update : 04.01.2021

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Triathlon-Champion mit Weltrekord

Gerold Keusch, Luis Wildpanner

So eindeutig Wildpanners Entscheidung auch war, so unbestimmt war zunächst der Weg, den er einschlagen sollte, um an die Weltspitze zu gelangen. Klar war für ihn nur, dass es eine Ausdauersportart sein wird, in der er sich auf längere Distanzen vorbereiten und damit besonderen Herausforderungen stellen würde.

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„Mein sportliches Interesse war breit gefächert. Beinahe jedes Wochenende nahm ich an Straßenläufen teil, lief bei 24-Stunden-Läufen in der Staffel mit oder nahm im Team an der Qualifikation für das international bekannte Radrennen ,Race Across America’ teil, das damals über 800 km von Bregenz nach Wien führte.“ Auch dieser Bewerb war bereits in Wildpanners Hinterkopf, wegen seiner unerwarteten Erfolge im Ultra-Triathlon wurde eine Teilnahme aber immer wieder verschoben – bis die Idee irgendwann ganz aus seinem Kopf verschwand.

Da Wildpanner sowohl ein sehr talentierter Läufer als auch Radfahrer ist, war sein Wechsel zum Triathlon eine logische Folge und nur eine Frage der Zeit. Langsam aber sicher gewann diese Sportart in den 1990er-Jahren an Bedeutung, rückte immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wurde nicht nur von der Sportwelt, sondern schließlich auch von den Medien und somit der Öffentlichkeit wahrgenommen. Obwohl dieser Ausdauermehrkampf erstmals in den späten 1970ern ausgetragen wurde und der Ironman auf Hawaii für viele bereits ein Begriff war, hatte dieser Sport damals noch die Aura des absoluten Abenteuers, das nur von „Übermenschen“ zu bewältigen war. Als Triathlet wurde man in Sportlerkreisen noch als Exote angesehen, von denen viele in grellen Trikots auf dem Rennrad saßen und in einer knappen Badehose mit knalligen Farben und auffälligen Mustern ins Ziel liefen, nachdem sie inmitten eines wild spritzenden Menschenknäuels Stunden zuvor ins Wasser gesprungen waren. 

Geburtsstunde des Triathlon

Der erste Triathlonbewerb wurde 1978 in den USA ausgetragen und war das Ergebnis einer typischen „Wirtshauswette“. Drei sportliche US-Soldaten diskutierten darüber, wer von ihnen der bessere Ausdauersportler sei – einer war Schwimmer, der andere Radfahrer und der dritte Läufer. Da sie allesamt in Hawaii stationiert waren, beschlossen sie nach kurzer Diskussion einen Bewerb vor Ort zu organisieren. Er sollte sich aus den längsten Bewerben dieser drei Sportarten zusammensetzen, die damals in Hawaii ausgetragen wurden: einem Schwimmbewerb, in einer Meeresbucht über 3,8 km, einem Radrennen rund um eine der Inseln, bei dem 180 km zu absolvieren waren und dem Honolulu-Marathon mit 42,2 km. Die drei Sportler verbanden die Distanzen dieser drei Disziplinen ohne Pause und kürten mit dem Sieger den ihrer Meinung nach besten Ausdauersportler. Das war die Geburt des Ironman und des Triathlonsports.

Die Verlegung des Trainingsschwergewichts vom militärischen Fünfkampf zum Triathlon erfolgte fließend, wenngleich es nur ein paar Monate dauerte, bis Luis den Entschluss gefasst hatte, diesem Sport in Zukunft seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. „Der Wechsel der Sportart hatte mehrere Gründe. So bemerkte ich, dass die unvermeidlichen kleineren und größeren Verletzungen in den schnellkräftigen Teildisziplinen Hindernisbahn und Handgranatenwerfen mit zunehmenden Alter häufiger wurden und auch eine immer längere Heilungsdauer erforderten. Darüber hinaus erschien mir der Trainingsaufwand für fünf Disziplinen wesentlich höher zu sein als ,nur’ für drei. Dazu kamen meine Schwächen beim Handgranaten-Weitwerfen und Schwimmen. Beim Triathlon hatte ich mit dem Schwimmen nur eine Schwäche, war beim Laufen und Radfahren hingegen umso stärker. Zusätzlich war das Training im Militärischen Fünfkampf insofern mühsam, da man sowohl eine Kaserne als auch ein Schwimmbad als Trainingsstätte benötigt, für den Triathlon fällt zumindest die militärische Infrastruktur weg. Darüber hinaus war der Militärische Fünfkampf nur innerhalb des Bundesheeres bekannt und selbst dort verlor bzw. verliert er immer mehr an Bedeutung. Und nicht zuletzt gab es maximal drei Veranstaltungen im Jahr – Triathlons finden im Sommer hingegen praktisch jedes Wochenende statt.“

„Der Triathlon hat mich bereits interessiert, als ich das erste Mal davon gehört habe. Der besondere Reiz für mich war die Abwechslung der Hauptsportarten Schwimmen, Radfahren und Laufen, aber auch das für entsprechende Erfolge erforderliche zusätzliche Kraft- und Beweglichkeitstraining im Bereich der Funktionsgymnastik.“ Der Wechsel zum Triathlon ergab sich für Wildpanner beinahe zwangsläufig, da er sich nie wirklich zwischen seinen beiden Lieblingssportarten, dem Laufen und Radfahren, entscheiden konnte. „Der Triathlon verbindet beide Disziplinen, in denen ich sehr gut und erfolgreich war. Es gab aber auch einen großen Nachteil. Ich war nie ein guter Schwimmer und musste mich deshalb um diese Disziplin kümmern, die ich von frühester Kindheit an eher stiefmütterlich behandelt hatte.“

Luis war seit jeher ein Ausdauerspezialist. Vor allem aber war er ein begnadeter Radfahrer und Läufer. Aus diesem Grund würde der Duathlon seinen Fähigkeiten noch besser entsprechen, weshalb auch die Teilnahme in dieser Disziplin ein Thema war. Bei dieser Sportart gilt die grundsätzliche Reihenfolge: Lauf – Rad – Lauf, ohne dem Teilbewerb Schwimmen. Der Duathlon hat sich allerdings eher „aus der Not“ heraus entwickelt, da es in vielen Ländern einen zu langen und kalten Winter gibt und deshalb das Schwimmen sowie das dazu erforderliche Training in freien Gewässern ohne gesundheitliche Gefährdung kaum machbar ist.

Tatsächlich nahm Luis auch erfolgreich an Duathlons teil, obwohl er nur wenige Bewerbe bestritt. Im Jahr 2000, als er auch seinen einzigen „einfachen“ Ironman in Kärnten absolvierte, wurde er in Kronstorf (Oberösterreich) Staatsmeister in der Mannschaft und gleichzeitig Österreichischer Meister in seiner Altersklasse über die Distanz von 10 km Laufen, 44 km Radfahren und 5 km Laufen. Doch obwohl er diesen Meistertitel drei Mal in Folge verteidigen konnte, hatte er sich bereits voll und ganz dem Triathlon verschrieben. An den Duathlons nahm er eher aus Trainingszwecken teil, obwohl er gerade dort seine Stärken hätte ausspielen können. 

„Ein Duathlet ist eben kein vollwertiger Triathlet, dazu fehlt eine Sportart – ein Triathlet hingegen ist immer mehr als ,nur’ ein Duathlet. Dieses „Dogma“ wurde damals wie heute nie wirklich ausgesprochen, aber von den meisten Athleten so gesehen. Damit war für mich klar, welchen Weg ich einschlagen würde.“ Später gab es in Österreich zwar einige hochkarätige Duathlon-Bewerbe, wie den international bekannten „Power Man“ in Weyer (Oberösterreich), von denen mittlerweile jedoch die meisten wieder verschwunden sind. Das hängt auch damit zusammen, dass diese Veranstaltungen nie die besondere Aura eines Triathlons bieten konnten, wie sie vor allem unter dem mittlerweile weltweit bekannten Namen „Ironman“ ausgetragen werden. Somit konnten auch die größten Duathlons weder  die Teilnehmerzahl dieser Bewerbe noch das damit verbundene Interesse der Ausdauerszene oder der Medien erreichen.

Der erste Triathlon

Wildpanner absolvierte seinen ersten Triathlon Anfang der 1990er-Jahre. Kameraden informierten ihn über einen „Schnuppertriathlon“ und forderten ihn dazu auf, an diesem teilzunehmen. Luis sah diesen Bewerb als eine willkommene Ergänzung zu seinem Aufbautraining im Militärischen Fünfkampf, der damals noch eindeutig im Mittelpunkt seiner sportlichen Ambitionen stand. Der Wettkampf wurde vom noch relativ jungen Tria-Team NÖ-West (1989 gegründet) mit Sitz in Blindenmarkt organisiert, das es heute noch gibt und bis vor wenigen Jahren den Ausee-Triathlon veranstaltete. 

Das Schwimmen fand im 25-m-Becken des Amstettner Hallenbades statt. Danach gab es wegen der fehlenden Wechselzone eine Pause, bevor das Radrennen startete. Dieses führte von Amstetten Richtung Euratsfeld und abschließend war noch ein kurzer Lauf entlang der Ybbs zu absolvieren. „Ich kann mich heute weder an die genauen Distanzen noch an meine Platzierung bei diesem Wettbewerb erinnern. Willi Wagner – der Seniorenweltmeister und damalige Topathlet des Tria-Teams – hat den Bewerb jedenfalls gewonnen. Meine Leistung wurde, da ich ein Newcomer war, von einigen erfahrenen Athleten beachtet.“ Zu diesem Zeitpunkt wusste Luis noch nicht, wie sehr dieser Sport einmal sein Leben prägen würde.

Achillessehne Schwimmen

Wildpanner war – wie viele andere Triathleten auch – ein „funktionaler Nichtschwimmer“. Heute ist das insofern anders, da die besten Triathleten beinahe ausschließlich aus dem Schwimmsport kommen; im Amateurbereich hingegen ist die Anzahl der guten Schwimmer nach wie vor überschaubar. Luis kam aber nicht aus dem Schwimmsport und besaß daher auch nicht die typischen Eigenschaften eines guten Schwimmers, vor allem jene, „wie ein Fisch“ im Wasser zu gleiten. Natürlich war er, nach der Intensivierung des Schwimmtrainings im Zuge seiner Ausbildung sowohl am Sportgymnasium als auch an der Bundessportakademie und durch seinen Beruf als Sportoffizier mittlerweile in der Lage, überdurchschnittlich gut und im Vergleich zum „Otto-Normalverbraucher“ sogar sehr gut zu schwimmen.

Zwischenzeitlich hatte er nicht nur die anspruchsvolle Qualifikation des Rettungsschwimmers erworben, sondern ist bis heute für die Ausbildung dieser höchsten Qualifikation der Österreichischen Wasserrettung als Rettungsschwimmlehrer sogar mitverantwortlich. Aber diese Fähigkeit alleine sagt nichts darüber aus, ob man eine Distanz von mehreren Kilometern (wie die 3,8 km beim Ironman) auch tatsächlich – und vor allem schnell – bewältigen kann. „Schwimmen muss man – wie alle anderen technischen Sportarten auch – in der Kindheit lernen. Andernfalls ist es sehr mühsam, oft sogar ziemlich aussichtslos bis frustrierend, als Erwachsener noch ein guter Schwimmer zu werden, geschweige denn, einigermaßen passable Schwimmzeiten bei einem Triathlon zu schaffen.“ 

Beim Schwimmen gilt der alte Grundsatz: „Was Hänschen nicht lernt, das lernt der Hans nimmermehr!“ Selbstredend reicht es für einen erfolgreichen Triathleten nicht aus, sich eben gerade einmal so über Wasser halten zu können, im Gegenteil: zumindest die Grundtechniken der drei gängigsten Schwimmstile (Brust, Kraul und Rücken – Delphin bzw. der Schmetterlingsstil kann wegen des relativ hohen technischen und kräftemäßigen Anspruchs vernachlässigt werden) müssen regelmäßig in das Schwimmtraining integriert werden. Der Freistil – das Kraulen – muss als Spezialdisziplin jedoch unbedingt forciert werden, denn Triathleten, die einen anderen Schwimmstil bevorzugen, werden niemals im Spitzenfeld dieses Teilbewerbes zu finden sein.

„Meine Schwimmschwäche war für mich von Anfang an ein großer Nachteil und wurde zu einer besonderen Herausforderung. Andererseits brachte das für mich den Vorteil, dass ich nach dem Schwimmbewerb bis zum Zieleinlauf einen enormen  Motivationsschub bekam. Nun konnte ich aufgrund meiner beiden Spezialdisziplinen bereits ab dem zweiten Teilbewerb – bis auf zwei Ausnahmen während meiner zwölf Ultra-Triathlons – meistens das gesamte Teilnehmerfeld mit dem Rad, spätestens aber während des abschließenden Laufes, überholen. Mein Wettkampf hat eigentlich immer erst so richtig mit dem Besteigen meiner Rennmaschine begonnen. Die anfängliche Aufholjagd, die mit Fortdauer des Wettkampfes mehr und mehr zu einer ,Überrundungs-Challenge’ wurde, entwickelte sich für mich zu einem unbeschreiblichen Euphorie- und Motivationsszenario, das mich immer stärker erfasste und vor den meisten meiner Zieleinläufe eine unersetzliche Energiequelle war.“ 

Doch obwohl für Wildpanner der Grundsatz galt: „Je länger der Wettkampf, desto weiter vorne ist mein Platz“, konnte er auch den Ausee-Triathlon – einem Sprintbewerb, der bereits seit der ,Urzeit des österreichischen Triathlonsports’ in Blindenmarkt bei Amstetten ausgetragen wird – gewinnen. „Der damals Zweitplatzierte war ein ausgezeichneter Schwimmer, aber ein relativ langsamer Läufer. Das wusste ich während des Wettkampfes allerdings noch nicht. Ich konnte ihn erst in der letzten Runde, kurz vor dem Ziel, überholen. Damals waren – so wie heute auch – mehrere Laufrunden zu absolvieren und dadurch vermischten sich die schnelleren mit den langsameren Athleten. Der „Schwimmer“ lief damals gemeinsam in einer Gruppe mit relativ langsamen Läufern, die allerdings bereits mindestens eine Runde hinter ihm waren. Und da er nicht schneller lief als die überwiegende Anzahl der Teilnehmer, fiel er mir nicht auf, als ich an ihm vorbeilief. Ich war total überrascht, als ich während des Zieleinlaufes durch die Lautsprecheranlage als Gesamtsieger angekündigt wurde. Selbst nachdem ich von den vorwiegend einheimischen Zuschauern, von denen mich bereits viele von vorangegangenen Sportveranstaltungen kannten, als Tages- und Gesamtsieger gefeiert wurde, konnte ich immer noch nicht glauben, dass ich als Erster ins Ziel gelaufen war.“

Nach einigen Jahren war Wildpanner durch kontinuierliches und diszipliniertes Schwimmtraining in der Lage, bei Triathlons zumindest im vorderen Mittelfeld mitzuschwimmen – im Spitzenfeld stieg er im Laufe seiner gesamten sportlichen Karriere allerdings nie aus dem Wasser. Die Schnellsten benötigen für die 3,8 km Schwimmen beim Ironman um die 45 Minuten und sogar darunter – Wildpanner benötigte für diese Distanz 1:05 Stunden beim Ironman in Klagenfurt. 20 Minuten Rückstand sind jedoch – selbst über die Ironman-Distanz von einer damals zu erwartenden Siegerzeit um die 8 Stunden – bei einer Topveranstaltung mit hochkarätigem Teilnehmerfeld unmöglich wettzumachen.

Ganz anders ist die Situation hingegen beim Ultra-Triathlon, bei dem zumindest die doppelte Ironman-Distanz zu bewältigen ist. Der Grund dafür ist rechnerisch relativ einfach zu erklären: die Schwimmdistanz und -dauer ist (egal bei welchem Triathlon) immer die kürzeste, die Raddistanz hingegen die längste. Je länger die Gesamtdistanz eines Triathlons, umso mehr verliert das Schwimmen an Relevanz, das Radfahren und vor allem der immer am Ende stattfindende Laufbewerb gewinnen hingegen zunehmend an Bedeutung. Die Zeitdauer des abschließenden Laufes ist in der Regel zwar ebenfalls deutlich kürzer als jene am Rad (gemessen an den Zeiten der Sieganwärter, bei schwächeren Athleten können die Zeiten des Laufes sogar über denen des Radsplits liegen), aber der Lauf ist als letzter Teilbewerb immer von entscheidender Bedeutung. 

Europameister im Double-Ultra-Triathlon mit Weltrekord

7,6 km Schwimmen, 360 km Radfahren und 84,4 km Laufen sind die Distanzen bei einem Double-Ironman. Auch bei diesem Bewerb sind die Distanzen lange genug, um am Rad und in den Laufschuhen die Zeit wettzumachen, die man im Wasser auf die Spitze verloren hat. Für Wildpanner, der seine enorme Stärke im extremen Ausdauerbereich kannte und sich nicht mehr mit Plätzen im vorderen Drittel zufriedengeben wollte, war die Teilnahme an einem solchen Bewerb der nächste logische Schritt. Er wusste mittlerweile, dass er seine Schwimmschwäche aufgrund der erheblich größeren Distanzen kompensieren konnte und dadurch leistungsfähiger als die Masse seiner Konkurrenz sein würde. Aus diesen Überlegungen heraus stellte er sich der Herausforderung Ultra-Triathlon, um sich in diesem Metier nach oben zu kämpfen. Die erste Wettkampferfahrung wollte er bei der Double-Ironman-Europameisterschaft in Neulengbach (Niederösterreich) sammeln.

Ähnlich wie bei der Europameisterschaft im 100-km-Lauf gab eine groteske Begebenheit den Ausschlag für Wildpanners Entschluss, sich auf dieses Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen. Luis saß im Jahre 2000 im Wartezimmer seines Hausarztes, wartete auf eine routinemäßige Gesundheits-Untersuchung und blätterte im Sportteil einer großen österreichischen Tageszeitung. In einer Randnotiz mit klein gedruckter Schrift las er vom Ergebnis der Europameisterschaft im Triple-Ironman. Der Sieger über die Distanzen von 11,4 km Schwimmen, 540 km Radfahren und 126,6 km Laufen benötigte damals etwas mehr als 36 Stunden. Wildpanner bewältigte im selben Jahr seinen ersten Ironman in Kärnten mit 9:21 h, obwohl er nach einem ansonsten harmlosen Sturz gleich zu Beginn des Radsplits mit einem „Achter“ im Vorderrand die 180 km lange Radstrecke bewältigen musste. Darüber hinaus kämpfte er während des abschließenden Marathons mit ungewöhnlich starken Magenschmerzen, die ihn sogar zu Gehpausen zwangen. Das hatte zur Folge, dass er mit sieben Minuten Rückstand „nur“ den zweiten Platz, bei der damals im Zuge des Bewerbes ausgetragenen Staatsmeisterschaft der Klassse „M 40“ in der Langdistanz erreichen konnte.

Der an sich „harmlose“ Artikel ließ Luis einfach nicht mehr los und verankerte sich immer stärker in seinem Bewusstsein. Der Grund dafür war eine einfache „Milchmädchenrechnung“: Wildpanner multiplizierte die bei seinem Ironman erreichten 9:21 h mal drei und kam dabei auf 28 Stunden. Der Sieger der Europameisterschaft im Triple-Ultra-Triathlon benötigte  dafür acht Stunden mehr. Natürlich war ihm klar, dass jeder Athlet – egal welchen Leistungsvermögens – aufgrund zunehmender Müdigkeit und der zur Neige gehenden Energiereserven mit jeder Verlängerung der Distanz langsamer werden muss. Aber acht Stunden schienen ihm selbst für die dreifache Ironman-Distanz als „deutlich zu lange“. Schließlich setzte er diese Überlegungen „zum Gegenbeweis“ still und heimlich in einen konkreten „Plan der Durchführung“ um.

Die unmittelbare Vorbereitung für seinen ersten Ultra-Triathlon über die zweifache Ironman-Distanz war geradezu ideal: Wildpanner leitete nur wenige Wochen vor dem Wettkampf einen Lehrwartekurs für Berufsunteroffiziere der Heeresunteroffiziersakademie an der Landessportschule in St. Pölten, die nur etwa 30 Radminuten von Neulengbach entfernt ist. Diese Gelegenheit ließ sich der Ultra-Triathlon-Neuling nicht entgehen und absolvierte möglichst viele Trainingseinheiten auf der Wettkampfstrecke. Zudem ließ er sich vom Veranstalter die offizielle Ausschreibung schicken, um sich perfekt und bis ins letzte Detail auf den Bewerb vorzubereiten. Zu seinem Erstaunen waren diese Unterlagen mehr als einfach gehalten und erinnerte ihn eher an eine Kopie. Noch mehr verwunderte ihn aber die angegebene Zahl der Radrunden, denn gemäß seiner Aufzeichnungen und der gefahrenen Rundenzeiten (damals gab es für solche Zwecke noch kein GPS, das mit heutigen Systemen vergleichbar ist) war die Raddistanz viel zu kurz berechnet – ein Umstand, der in weiterer Folge nicht ohne Konsequenzen bleiben sollte.

Das Abenteuer beginnt

Der erste offizielle Programmpunkt einer Ultra-Triathlon-Veranstaltung ist die Wettkampfbesprechung, bei welcher der Ablauf des Bewerbes für die Athleten und deren Betreuer vorgestellt wird. Wildpanner nutzte diese Gelegenheit, um die zu geringe Radrundenanzahl anzusprechen, woraufhin der Veranstalter anmerkte, dass die von Luis geschätzte Streckenlänge nicht mit der offiziellen Messung übereinstimmen würde und sich die Länge innerhalb der von der I.U.T.A. (International Ultra Triathlon Association – Internationaler Ultra-Triathlon Dachverband) vorgegebenen Toleranz befände. Zu diesem Zwecke war der Schweizer Dr. Beat Knechtle am Start, der als Vertreter der I.U.T.A. anwesend war und in dieser Funktion unter anderem die Streckenlängen offiziell zu bestätigen hatte. Ein weiterer Punkt der Wettkampfbesprechung eines Ultra-Triathlons ist die Vorstellung der Teilnehmer, von denen damals – im Vergleich zu Volksläufen – nur die relativ geringe Anzahl von 40 Athleten an den Start ging. Anhand dieser geringen Anzahl an Extremsportlern wurde Luis mehr als deutlich vor Augen geführt, dass er sich für eine Randsportart und damit gleichzeitig für ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang entschieden hatte.

Während der vorabendlichen Wettkampfbesprechung erfuhr er jedoch, dass mehrere sowohl regierende als auch ehemalige Europa- und Weltmeister über verschiedene Ultra-Triathlon-Distanzen an den Start gehen würden. Unter anderem Emmanuel Conraux, der in Neulengbach damals zwar „nur“ Vierter werden sollte, in Wildpanners Karriere aber noch eine wichtige Rolle spielen würde. „Für mich war klar, dass die erfahrenen und in diesem Metier bereits erfolgreichen Athleten die Favoriten sind und bei dem Rennen somit auch die vorderen Plätze belegen würden. Dennoch wollte ich versuchen, so gut als möglich abzuschneiden und zu zeigen, wozu ich fähig bin.“ Zu seinen ersten Betreuern zählten damals Herbert Egger, Werner Planer und Robert Lechner.

Aufholjagd mit Extrarunden

Der Bewerb begann für den späteren Weltmeister und Weltrekordhalter zunächst wie üblich und wenig vielversprechend, aber erwartungsgemäß. Nach 152 Längen im 50-m-Becken stieg er als 20. aus dem Wasser und wurde von seinem Freund und Betreuer Herbert Egger nach einem raschen Wechsel „auf das Rad gesetzt“. Nun begann „sein“ Rennen. Wildpanner überholte mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von über 40 km/h einen Kontrahenten nach dem anderen. Kurz bevor er auf die Spitzenfahrer aufgeschlossen hatte, öffnete sich die Schiebetüre seines Betreuerfahrzeuges und Herbert rief ihm zu: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Welche möchtest du zuerst hören?“ Der angehende Europameister war aufgrund seiner Aufholjagd euphorisch und entgegnete gut gelaunt: „Die schlechte zuerst!“ Daraufhin sagte Herbert: „Es sind nicht nur noch 15 Runden zu fahren, sondern 22. Der Veranstalter hat deine Rundenzeiten hochgerechnet und festgestellt, dass du heute den Weltrekord brechen könntest. Deshalb muss er die Strecke des Radbewerbes möglichst genau an die 360 km anpassen, damit dein möglicher Weltrekord auch anerkannt werden kann.“ 

Luis konnte im ersten Moment gar nicht glauben, was er da zu hören bekam. In seinen Gedanken war er bereits auf der Laufstrecke – und sieben weitere Radrunden zu je 12 Kilometern bedeuteten 84 (!) zusätzliche Kilometer. Er benötigte mehrere Runden, in denen er den Veranstalter lauthals verfluchte, bis es ihm gelang, sich auf die neue Situation einzustellen und er wieder positive Gedanken fassen konnte. Dabei verhalf ihm Herbert Eggers gute Nachricht – die zur relativ raschen Akzeptanz der Hiobsbotschaft entscheidend beitrug: Luis war bereits unmittelbar hinter dem Spitzentrio und der nächste Athlet sollte in wenigen Minuten vor ihm am Horizont erscheinen. Und so kam es dann auch. Trotz deutlich reduziertem Tempo, da die zusätzlichen 84 Kilometer eine entsprechende Anpassung der Renngeschwindigkeit erforderten, übernahm er bereits wenige Runden später die Gesamtführung vom bis dahin führenden Schweizer Beat Knechtle. 

Nach den 360 Kilometern auf dem Rad, die er letztendlich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 36 km/h bewältigte, hatte Wildpanner bereits einen Vorsprung von mehr als einer halben Stunde auf den Zweitplatzierten. Nach dem letzten Wechsel vom Rad in die Laufschuhe, gepaart mit euphorischen Anfeuerungsrufen seiner Betreuer, ging das Rennen nun in die letzte und entscheidende Phase. Die ersten zehn Runden der exakt einen Kilometer langen Laufstrecke lief Luis mutterseelenalleine, denn die meisten Zuschauer waren aufgrund der hereinbrechenden Nacht längst zu Hause und nur wenige „Hardcore-Fans“ säumten die Strecke. Sie feuerten die nun vereinzelt eintreffenden und bereits mehr oder weniger von der Anstrengung der vergangenen mindestens zwölf Stunden gezeichneten Athleten im Start-Ziel-Bereich an, wo auch die Verpflegungsübergabe stattfand und die wichtigsten Informationen ausgetauscht wurden.

Lauf zum Weltrekord

Als immer mehr Athleten vom Rad- zum Laufbewerb gewechselt hatten, lief Wildpanner während der 84 Runden unter anderem auch an David Clamp vorbei, einem Briten, der in England als Deutschlehrer tätig war. „David rief mir zu, dass ich auf Weltrekordkurs wäre. Als interessantes Detail fügte er hinzu, dass der Schwimmbewerb des aktuellen Weltrekordes in einem Fluss mit relativ starker Strömung stattgefunden hätte. Der Weltrekord wäre dennoch offiziell anerkannt worden, obwohl die Schwimmdistanz nicht verlängert wurde, um diesen Vorteil auszugleichen. Diese Vorgehensweise war bei der damals noch jungen Sportart Ultra-Triathlon keine Ausnahme. Schließlich wollte jeder Veranstalter mit der Möglichkeit eines Weltrekordes auf seiner Strecke die besten Athleten der Welt für seine Veranstaltung gewinnen.“ 

Luis konnte es nach wie vor kaum glauben, dass es bereits bei seinem ersten Ultra-Bewerb so gut laufen sollte. Er wollte es lange Zeit nicht wahrhaben, dass er nicht nur unmittelbar davorstand, diese EM haushoch zu gewinnen, sondern zudem drauf und dran war, einen neuen „Fabel-Weltrekord“ aufzustellen. Die alte Weltbestzeit lag bei 19:32 Stunden, was er zu diesem Zeitpunkt aber nicht wusste, weil es bis dahin kein Thema für ihn war. „Ich bat meinen zweiten Betreuer Robert Lechner im Internet zu recherchieren, ob mir David Clamp auch tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte.“ Wenige Runden später bestätigte Robert die Aussage des Briten. „Augenblicklich war nun auch mir klar, dass ich am besten Wege war, den Weltrekord nicht nur knapp zu brechen, sondern sogar deutlich zu unterbieten, wenn ich keinen Leistungseinbruch haben würde. Danach sah es aber nicht aus – ganz im Gegenteil!“ 

Aufgrund dieser essentiellen Information überdachte der Berufsoffizier blitzschnell seine Rennstrategie. Nun wollte er sich nicht nur den Sieg, sondern auch die Weltbestzeit holen. „Ich bat Robert, mir meine Rundenzeiten so zu berechnen und anzusagen, dass ich die damals magische Grenze von 19 Stunden für den Double-Ironman unterbieten konnte. Das habe ich dann tatsächlich auch geschafft!“ Nach 18:55 Stunden blieb die Uhr für Wildpanner stehen, als er am 1. Juni 2002 in Neulengbach ins Ziel lief. Er hatte seinen ersten Double-Ironman mit einem Vorsprung von über 1:30 Stunden gewonnen, alle angetretenen Welt- und Europameister deutlich geschlagen und als Draufgabe den Weltrekord pulverisiert. Sein jahrelanger Trainingsaufbau, die konzentrierte Vorbereitung auf den Bewerb und nicht zuletzt die Unterstützung seines hochmotivierten Betreuerteams hatten ihn zu seiner ersten sportlichen Sternstunde geführt.

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Hofrat Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST. Oberstleutnant Luis Wildpanner ist Diplomsportlehrer und Referent im Fachstab Luft.

 

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