• Veröffentlichungsdatum : 29.07.2020
  • – Letztes Update : 28.07.2020

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Sprachenlernen smart gemacht

Elisa Schnell

Die Digitalisierung des Sprachwesens am Sprachinstitut des ÖBH

Sprachlern-Apps, Vokabeltrainer, automatisierte Übersetzung und vieles mehr – die Digitalisierung hat schon längst Einzug in die Welt der Sprachen gehalten. Das Sprachinstitut des Bundesheeres beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Frage, welche Technologien eingesetzt werden können, um die Kernbereiche Sprachausbildung, Sprachmittlung und Sprachprüfungswesen zu optimieren. Mit dem Leuchtturmprojekt „Digitalisiertes Sprachwesen“ wurden die notwendigen Schritte gesetzt, um diese Fragen zu beantworten. Wie schnell die Umstellung manchmal gehen muss, um die Sprachausbildung zu unterstützen, zeigt die COVID-19-Krise.

Der Begriff Digitalisierung stammt vom lateinischen Begriff für Finger „digitus“ und bedeutet die Umwandlung von analogen Werten in digitale Formate zu deren Speicherung und Verarbeitung. Durch technologische Entwicklungen änderte sich der Anspruch einer reinen Duplikation in die digitale Welt zu einem tiefgreifenden Wandel von Arbeitsweisen und Prozessen. Gleiches gilt für die Digitalisierung im Bereich des Sprachwesens. Hier sollen nicht nur Inhalte, die früher beispielsweise auf einem Zettel abgedruckt waren, auf einem Bildschirm erscheinen, sondern vielmehr die Lern- und Arbeitsprozesse ergänzt, unterstützt und verändert werden.

Früher wurde beispielsweise ein Zettel vom Lehrer ausgeteilt, den jeder Schüler ausfüllte, um danach die Lösungen zu vergleichen. Nun wäre es zwar möglich, den gleichen Zettel digital zur Verfügung zu stellen, doch würde man dadurch kaum einen Mehrwert erzielen. Dieser entsteht jedoch, wenn man aus dem Zettel eine interaktive Übung gestaltet, wie es die Digitalisierung ermöglicht. Diese Übungen zeigen dem Schüler rasch, ob seine Antwort richtig oder falsch ist und schlagen ihm eventuell weiterführende Übungen vor. Dadurch kann der Schüler gewisse Aufgaben selbstständig erledigen und die Präsenzphase mit dem Lehrer besser nutzen.

Aufgaben des Sprachinstitutes

Das Sprachinstitut des Bundesheeres (SIB) an der Landesverteidigungsakademie in Wien ist der nationale Ansprechpartner im Bereich der sicherheitsrelevanten Fachsprachen. Das SIB bietet Kurse in 17 Sprachen für jährlich etwa 700 Teilnehmer sowie Übersetzungen und Dolmetschungen in 23 Sprachen an. Zusätzlich plant und überwacht es die dezentrale Sprachausbildung des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) mit ebenfalls etwa 700 Teilnehmern im Jahr, wobei der Englischunterricht während der Unteroffiziersausbildung das Schwergewicht ist. Darüber hinaus werden in jährlich bis zu 6 000 Sprachprüfungen die Kenntnisse von Angehörigen des BMLV und anderer Ressorts nach internationalen Standards überprüft.

Änderungen am SIB

Wer eine Abschaffung der Sprachkurse vor Ort befürchtet kann beruhigt sein. Ziel der Digitalisierung ist es nicht, die Lehrkräfte und Sprachmittler durch Sprach-Apps zu ersetzen. Die Technologie soll diese vielmehr bei ihrer Arbeit unterstützen und ihnen zusätzliche Möglichkeiten bieten. Um das umzusetzen, wird das digitalisierte Sprachwesen in fünf Bereiche unterteilt: Sprachausbildung, Sprachprüfungswesen, Sprachmittlung, integriertes Sprachmanagement und Qualitätsmanagement.

Sprachausbildung

Als Bereich, der einen großen Personenkreis innerhalb und außerhalb des Ressorts betrifft, hat die Sprachausbildung die bedeutendsten Neuerungen zu verzeichnen. Große Änderungen gab es bei den 3A- und 3B-Englisch-Blockkursen. Für die Dauer dieser Kurse erhalten nun alle Teilnehmer ein iPad und der Unterricht findet in einem eigens eingerichteten Hörsaal statt, dessen Ausstattung dem neuen Lehr- und Lernkonzept entspricht.

Statt einer klassischen Hörsaalanordnung verfügt dieser über mehrere Lerninseln, wodurch Gruppenarbeiten und kommunikative Aspekte im Unterricht unterstützt werden. Darüber hinaus befinden sich im Hörsaal verschiedene Präsentationsflächen wie ein Smartboard, zwei Beamer und zwei Smart-TVs. Dank der vollständigen Vernetzung des Hörsaales und der Verwendung von Apple-TV können die Teilnehmer ihre erarbeiteten Inhalte jederzeit präsentieren. Das Lehrbuch erhalten sie als E-Book, und die Hausübungen werden – anstatt in einem herkömmlichen Arbeitsbuch – weitgehend selbstständig im Cambridge Lernmanagementsystem erledigt.

Begleitet werden die Kurse von einem Lehrgang auf SITOS Six, der E-Learning-Plattform des ÖBH. Auch im Bereich der Fachsprache Englisch werden Kurse von digitalen Tools begleitet. So wird bei Kursen zu Aviation English unter anderem das Online-Tool Padlet verwendet, auf dem Kursteilnehmer und Lehrkräfte Materialien teilen und optimal zusammenarbeiten können. Auch bei Sprachkursen in Französisch, Russisch, Tschechisch und Slowakisch, die mit dem Kürzel „digit“ gekennzeichnet sind, werden unterschiedliche digitale Medien verwendet.

Zusätzlich zum Unterricht vor Ort gibt es die Möglichkeit, die Fremdsprachenkenntnisse selbstständig mit der Busuu-App auszubauen. Für diese Applikation hat das SIB im Zuge eines Pilotprojektes Lizenzen der Premium-Version angekauft. Insbesondere für Sprachen, in denen aktuell keine Kurse angeboten werden, ist das eine gute Möglichkeit, um die Zeit bis zum nächsten Kurs zu überbrücken. Denn vielfach wird vergessen, dass nicht nur der Spracherwerb von Bedeutung ist, sondern auch der Spracherhalt. Schließlich funktionieren Sprachen nach dem Prinzip „use it or lose it“.

Um den Spracherhalt zu fördern, gibt es am SIB verschiedene Tutorien und Seminare. Für viele Angehörige des ÖBH ist es jedoch nicht möglich, für die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung nach Wien zu fahren. Eine optimale Lösung dieses Problems bietet der Unterricht über Videokonferenz. Im Zuge eines Pilotprojektes fand bereits 2017 ein ausschließlich online abgehaltenes Französisch-Tutorium statt. Die Erfahrungen aus diesem Pilotprojekt sind für den Ausbau weiterer Online-Kurse von grundlegender Bedeutung. Nun gilt es, technische Probleme abzubauen, um einen optimalen Unterricht in dieser Form garantieren zu können.

Sprach-Apps

Eine weitere Aufgabe des SIB ist die Erarbeitung der sicherheitsrelevanten Fachsprache. Zu diesem Zweck werden Glossare und Sprachfibeln zu einsatzrelevanten Themen in verschiedenen Sprachen erstellt. In den vergangenen Jahren wurden die bisherigen Druckwerke vermehrt um Applikationen erweitert, die von Mitarbeitern des SIB erstellt wurden. So wurde beispielsweise ein Verwaltungsglossar für Deutsch und Englisch zur Unterstützung der EU-Ratspräsidentschaft erstellt, das auch als App zur Verfügung gestellt wurde. Dieses kann auf der Website sprachressourcen.at, die als Kooperation des SIB mit dem Zentrum für Translationswissenschaft entstanden ist, heruntergeladen werden. Zusätzlich gibt es Apps in den Sprachen Arabisch, Ungarisch, Paschtu/Farsi/Dari oder für die OSZE-relevanten Fachsprachen, die beim SIB beantragt werden können.

Im Zuge der Zentraleuropäischen Verteidigungskooperation entsteht derzeit eine neue und umfassende App zum Border Management. Diese wird in voraussichtlich elf Sprachen zur Verfügung stehen und dank einer Suchfunktion auch die Begriffssuche zwischen den Sprachen ermöglichen. Darüber hinaus soll diese Applikation über eine Sprachausgabe verfügen, so dass die benötigten Begriffe abgespielt werden können, um deren korrekte Aussprache zu hören.

Sprachmittlung

Weltweit werden automatisierte Übersetzungstools wie Google Translate bereits in vielen Bereichen eingesetzt. Damit stellt sich die Frage, ob Übersetzer in Zukunft noch gebraucht werden. Die Antwort ist ja. Denn obwohl die automatisierte Übersetzung dank des Einsatzes künstlicher Intelligenz immer bessere Resultate erzielt, kann sie einen Übersetzer noch lange nicht ersetzen. Insbesondere bei Texten mit fachspezifischer Terminologie ist die Arbeit eines Übersetzers unerlässlich. Die automatisierte Übersetzung kann daher die Sprachmittlung unterstützen, die letzte Kontrolle sollte aber immer der Übersetzer durchführen. Hierfür setzt das SIB auf Programme zur computerunterstützten Übersetzung, die bereits übersetzte Texte speichern und so die Arbeit bei ähnlichen Texten erleichtern.

Das SIB vertritt die Republik Österreich im EU-Projekt ELRC (European Language Resource Coordination). Dessen Aufgabe ist es, die Sprachressourcen in der Europäischen Union zu verwalten, um so die Qualität des automatisierten Übersetzungssystems der EU zu verbessern und die Mehrsprachigkeit im Bereich E-Government herzustellen. Für Österreich liegt das Schwergewicht darin, auf die österreichische Varietät der deutschen Sprache aufmerksam zu machen und ihr zu einem größeren Stellenwert zu verhelfen.

Im Bereich Dolmetschen konzentrieren sich die neuen Entwicklungen vor allem auf das Videodolmetschen. Angesichts der aktuellen Situation könnte auch diese Entwicklung sehr bald zum Einsatz kommen, da dadurch die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 gewahrt bleiben würden.

Sprachprüfung

Bei den Sprachprüfungen sind ebenfalls Neuerungen angedacht. So befinden sich bereits seit September 2019 ein Englisch-Test und seit März 2020 ein Russisch-Test zur Selbsteinstufung auf SITOS Six, auf den alle Angehörige des ÖBH, auch jene der Miliz, über das Stammportal zugreifen können. Weitere Selbsteinstufungstests in den Sprachen Französisch und Deutsch sind derzeit in Arbeit. Auf diese Weise können Bedienstete vor dem Absolvieren einer Prüfung abschätzen, auf welchem Sprachniveau sie sich in etwa befinden.

Eine weitere Neuerung im Bereich der Prüfungen SLP (Sprachliches Leistungsprofil) und SKF (Sprachliche Kommunikationsfähigkeit) ist das Prüfen der mündlichen Sprachkompetenz mittels einer Videokonferenz. Die wesentlichste Neuerung ist, dass nur mehr ein Mitarbeiter des SIB zu den externen Prüfungen fahren muss, während die Prüfungskommission in Wien bleibt. Da die Möglichkeit besteht, die Kommission auszutauschen, kann die Anzahl der Prüfungsteilnehmer pro Tag wesentlich erhöht und durch die reduzierten Reisebewegungen Einsparungen erzielt werden.

Eine weitere Neuerung wird demnächst das Ausfüllen der Prüfungsbögen direkt am PC sein. Dadurch sollen die zuständigen Mitarbeiter des SIB entlastet und eine schnellere Auswertung gewährleistet werden.

Way Ahead

In den nächsten Jahren soll das Online-Angebot am SIB ausgebaut werden. Die Erfahrungen während der Corona-Krise haben gezeigt, wie rasch Kurse nicht als Präsenzkurse abgehalten werden können und wie notwendig es ist, über funktionierende Alternativen zu verfügen. Für 2020 ist die Entwicklung eines E-Learning-Raumes geplant, bei dem Lehrkräfte per Videokonferenz unterrichten und diese Einheiten auch aufzeichnen können. Diese und weitere Entwicklungen sollen zur Schaffung eines „Globalen Online-Sprachservices“ beitragen, das weltweit abrufbar sein soll.

Selbst wenn bereits viel erreicht werden konnte, befindet sich das SIB – so wie viele andere Dienststellen auch – erst am Beginn der Digitalisierungsentwicklung. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die Umstellung vom klassischen auf den digitalisierten Unterricht nicht nur neue technische Mittel, sondern vor allem viel Zeit erfordert, und das Engagement der Mitarbeiter eine zentrale Rolle spielt. Ebenfalls sind für die Weiterentwicklung des Projektes die Rückmeldungen der Bedarfsträger – sowohl Kursteilnehmer als auch andere Nutzer – von großer Bedeutung. Nur durch eine gute Zusammenarbeit und einen gezielten Erfahrungsaustausch kann das digitalisierte Sprachwesen zu einer wertvollen Bereicherung werden.

Sprachunterricht in der Corona-Krise

Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 ab März 2020 musste auch das SIB rasch handeln und entscheiden, wie die geplanten Sprachkurse fortgeführt werden sollen. Einige geblockte Kurse konnten verschoben, andere mussten abgesagt werden. Bei laufenden Kursen (in den Sprachen Englisch, Französisch, Russisch und Arabisch) wurde festgelegt, dass diese mittels Online-Tools fortgeführt werden. Die Kursteilnehmer erhalten vorab Materialien, unterrichtet wird hingegen über das Programm Adobe Connect. Hinzugekommen ist ein Online-Tutorium Deutsch für ausländische Militärattachés.

Eine besondere Herausforderung ist der Unterricht der internationalen Offiziersanwärter aus Bosnien und Herzegowina sowie aus Montenegro. Diese erhalten bei einem Vorbereitunsglehrgang am SIB eine Sprachausbildung in Deutsch und Englisch, die ihnen die notwendigen Kompetenzen für die weitere militärische Ausbildung vermitteln soll. Aufgrund der aktuellen Krise kehrten sie in ihre Heimatländer zurück und müssen dort mittels Fernlehre unterrichtet werden.

Trotz der Krise und der dadurch erforderlichen Maßnahmen muss sichergestellt werden, dass einsatzrelevante Ausbildungen weiterhin stattfinden. So kam es, dass einige Neuerungen, die am SIB bereits geplant waren, aber erst schrittweise umgesetzt werden sollten, sehr schnell akut wurden. Nun sind vor allem die Lehrkräfte gefordert, da sie ihre Unterrichte vollkommen neu gestalten und sich sehr rasch mit neuen Programmen zurechtfinden müssen.

Elisa Schnell, BA MA ist Hauptlehroffizier, Dolmetscherin und Übersetzerin am SIB.

Das digitalisierte Sprachwesen ist eines der beiden Projekte des ÖBH in der Agenda Digital Austria

 

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