• Veröffentlichungsdatum : 16.08.2020
  • – Letztes Update : 21.12.2020

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Kriegsende im Alpenvorland

Gerold Keusch

Teile des österreichischen Donauraumes und des Alpenvorlandes waren bis zum letzten Tag des Zweiten Weltkrieges in Europa Kampfgebiet. Im Frühjahr drangen die Alliierten vom Osten und Westen an die Flüsse Enns und Traisen vor. Am 8. Mai 1945 trafen die ersten Soldaten der USA und der Sowjetunion im Bezirk Amstetten zusammen. Damit waren der Krieg und die Herrschaft des NS-Regimes in Österreich sowohl faktisch als auch symbolisch zu Ende.

Die Kampfhandlungen zwischen Wien und St. Pölten bis zur Etablierung der letzten Hauptkampflinie zwischen Krems und Lilienfeld waren zunächst ein Teil der „Wiener Operation“, die am 15. April nach dem Fall von St. Pölten und dem Erreichen der Traisenlinie beendet war. Der Kampf in und um Wien war nur ein – wenn auch der wesentlichste Teil – der „Wiener Operation“. Nach der Einnahme der Stadt musste ein „Puffer“ geschaffen werden, damit Wien im Falle eines deutschen Gegenangriffes, für den es zu diesem Zeitpunkt jedoch kaum mehr Kräfte gab, nicht verloren geht. Er musste auch groß genug sein, um dort den Aufmarsch der Truppen für die nächste Operation durchzuführen. Da die „Wiener Operation“ an der Traisen endete, war der Geländeabschnitt zwischen dem Fluss und Wien mit einer Ausdehnung von etwa 40 Kilometer Länge (Ost-West) und 20 Kilometer Breite (Nord-Süd) für diesen Zweck festgelegt worden.

Diesen Raum galt es zunächst zu nehmen (7. April bis 15. April) und dort in weiterer Folge eine starke Hauptkampflinie zu etablieren, hinter der die Vorbereitungen für den letzten Angriff durchgeführt werden konnten (16. April bis 7. Mai), der die Entscheidung in Österreich bringen und die Vereinigung der Alliierten im Donautal/Alpenvorland zum Ziel hatte (8. und 9. Mai 1945). Die deutschen Kräfte verfügten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über ein klares operativ-strategisches Ziel. Für sie ging es im Wesentlichen darum, die unabwendbare Niederlage so lange wie möglich hinauszuzögern und zu diesem Zweck das verteidigungsgünstige Gelände entlang der Linie Krems-Dunkelsteiner Wald-Piestingtal-Lilienfeld möglichst kampfkräftig zu erreichen, um sich dort zur Verteidigung einzurichten. Für die Betrachtung des Kriegsgeschehens zwischen der Donau und dem Alpenvorland wird dieses in Abschnitte unterteilt:

  1. der Beginn der Umfassung Wiens durch die Rote Armee ab dem 4. April bis zum Erreichen der Traisen durch die Spitzen der Roten Armee am 13. April;
  2. die Vorbereitung und der Angriff auf St. Pölten ab dem 14. April bis zur Etablierung der Hauptkampflinie am 22. April;
  3. der „Stillstand der Front“ ab dem 23. April bis zum vorletzten Tag des Krieges (7. Mai 1945);
  4. der Vorstoß von der Traisen an die Enns vom 8. bis 9. Mai 1945.

Vorstoß zur Traisen

Ab dem 4. April 1945 begann die Einkreisung von Wien durch die Armeen der 3. Ukrainischen Front mit dem Ziel, die Stadt einzukesseln und die Voraussetzungen für den Angriff auf diese zu schaffen. Westlich von Wien stießen zwei sowjetische Armeen (9. Garde-Armee, 6. Garde-Panzer-Armee) von Baden kommend über Alland Richtung Tulln und Klosterneuburg vor, denen die 4. Garde-Armee in der Tiefe folgte. Sie konnten das verteidigungsgünstige Gelände des Wienerwaldes rasch und ohne wesentlichen Widerstand durchstoßen. Es kam zwar zu Kämpfen, die den Vorstoß jedoch nur verzögern konnten, da sich die Masse der deutschen Kräfte, die zu diesem Zeitpunkt noch verfügbar waren, in Wien befand. Am 5. April hatten die Sowjets die Umfassung weitgehend abgeschlossen (Klosterneuburg wurde erst am 7. April erreicht) und begannen am Morgen des 6. April den Angriff auf Wien aus dem Westen, nachdem sie am Vortag bereits im Süden aktiv wurden.

Obwohl das Schwergewicht des sowjetischen Angriffes klar auf der Stadt lag, begnügten sich die östlich von Wien eingesetzten Kräfte nicht mit der Sicherung des Geländes, um einen Gegenangriff in den Rücken der Offensive abzuwehren, sondern griffen selbst an. Damit setzten sie den Befehl der Stawka (Hauptquartier des Obersten Befehlshabers der Roten Armee) um, der vorgab, die „Wiener Operation“ bis zum 15. April an der Traisen abzuschließen. Durch diesen Angriff westlich von Wien sollte einerseits der Raum zwischen den Deutschen und Sowjets vergrößert werden, andererseits die Donau erreicht und ein Brückenkopf bei Tulln beiderseits des Flusses errichtet werden.

Dieser Angriff innerhalb der Operation wurde möglich, da die Sowjets über eine erdrückende Stärke an Personal und Material verfügten, rasch vorstießen und sich nur geringe deutsche Kräfte zwischen der Donau und dem Alpenvorland befanden. Diese hatten, als Kampfgruppe Siegmann (ab 8. April Korps Schultz und ab 16. April Korps Bünau; jeweils nach dem Namen der Kommandanten benannt) zusammengefasst, nun den Auftrag, den sowjetischen Angriff Richtung Westen zu verzögern.

Die Sowjets begnügten sich nicht mit der Einnahme von Tulln. Sie konnten die Stadt zwar am 8. April nehmen, jedoch die Donau nicht übersetzen und somit auch keinen Brückenkopf auf beiden Seiten des Flusses bilden, auch weil die beiden Donaubrücken von den Deutschen gesprengt worden waren, bevor sie abzogen. Vielmehr setzten die Teile der Roten Armee (das 38. Garde-Schützenkorps und das 18. Panzerkorps der 9. Garde-Armee) ihren Angriff Richtung Westen weiter fort.

Dieser lief entlang zweier Stoßrichtungen ab, wobei ein nördlicher Stoß zwischen der Donau und der Perschling (38. Garde-Schützenkorps) und ein südlicher Stoß zwischen der Perschling und dem Alpenvorland Richtung Traisen (18. Panzerkorps) geführt wurde. Beide Korps setzten je zwei Angriffsstaffeln ein. Beim 38. Garde-Schützenkorps griff eine Staffel südlich der Donau entlang Tulln-Zwentendorf-Traismauer, die zweite nördlich der Perschling entlang Moosbierbaum-Trasdorf-Herzogenburg an. Beim 18. Panzerkorps griff eine Staffel entlang des Perschlingtales und die zweite entlang der heutigen Autobahn A1 an.

Am 13. April erreichten die Spitzen der Roten Armee bei St. Andrä die Traisen und hatten auch im restlichen Frontabschnitt Positionen bezogen, die eine günstige Voraussetzung für den Angriff auf St. Pölten boten. Nördlich und südlich von St. Andrä standen die sowjetischen Angriffsstaffeln jedoch noch einige Kilometer weiter östlich bei Traismauer im Norden und Böheimkirchen im Süden und somit deutlich hinter den Angriffsspitzen.

Diese Kampfphase war dadurch gekennzeichnet, dass die Sowjets eher behutsam vorgingen und die Deutschen ihren Widerstand in Form von Nachhutgefechten so organisierten, dass sie möglichst kampfkräftig die Traisenlinie erreichen konnten. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kämpfe um manche Ortschaften und taktisch wichtige Punkte mit äußerster Härte und teilweise hohen Verlusten geführt wurden. Manche Geländeteile wechselten sogar mehrmals den Besitzer, bis sie endgültig in die Hände der Sowjets fielen.

Angriff auf St. Pölten

Südlich der Donau verlangsamte sich hingegen der Angriffsschwung der Sowjets, die Traismauer erst am 15. April einnehmen konnten, was für die Operationsführung jedoch unerheblich war. Wesentlicher war, dass die Rote Armee rasch zwischen der Perschling und der heutigen Autobahn A1 vorstoßen konnte und am Abend des 14. April vor St. Pölten stand. Auf ihrem Weg dorthin kam es zu Gefechten mit deutschen Nachhuten, die mehrere Brücken sprengten, den Vormarsch aber nur mehr verlangsamen konnten.

In der Nacht vom 14. auf den 15. April begann der Angriff auf St. Pölten, dem Artillerie- und Luftangriffe der Sowjets vorausgingen. Aus drei Richtungen (Nord von Herzogenburg, Süd über St. Georgen und dem Hauptstoß aus dem Osten über Ratzersdorf) stießen die Kräfte der Roten Armee (104. Garde-Schützen-Division, 38. Panzerkorps und 35. Garde-Artillerie-Brigade; alle 9. Garde-Armee) rasch in die Stadt, wo es teilweise zu heftigen, aber nur kurzen Kämpfen kam, da St. Pölten nicht zur Verteidigung eingerichtet war.

Die deutschen Truppenteile setzten sich nach Westen (Dunkelsteiner Wald) und in den Süden (Traisental) ab und zu Mittag des 15. April war die Stadt vollständig im Besitz der Roten Armee. Nach dem Fall von St. Pölten schoben die Sowjets die Front in den nächsten Tagen etwa fünf Kilometer Richtung Westen, auf die Linie Mamau-Gerersdorf-Ober-Grafendorf vor. Dort etablierten sie eine starke Hauptkampflinie mit einem Puffer zur Traisen und zu St. Pölten. Ab dem 18. April wurde es im Frontabschnitt St. Pölten trotz vereinzelter Gefechte deutlich ruhiger, da sich die Sowjets zunächst auf den Kremser Brückenkopf konzentrierten, bevor sie ihre Aufmerksamkeit ab dem 21. April auf den südlichen Abschnitt (Gölsental) richteten.

Ab dem 15. April forcierten die Sowjets den Angriff im Wölblinger Becken Richtung Dunkelsteinerwald und Wachtberg bei Karlstetten (104. Garde-Schützen-Division) und den Kremser Brückenkopf (105. Garde-Schützen-Division) – der bogenförmigen Geländekante von Hollenburg an der Donau über Theyern und Kuffern bis nach Oberwölbing. Das Nachführen von deutschen Kräften (SS-Regiment „Mähren“), die dort in buchstäblich letzter Minute ankamen, vereitelte jedoch den Durchstoß der Roten Armee nach Krems, womit diese die Donauübergänge nicht nehmen konnte. Bis zum 20. April fanden an diesem Frontabschnitt heftige Kämpfe statt, wobei der Höhenzug Maria Ellend und die Ortschaft Ried besonders hart umkämpft waren. Darüber hinaus versuchten die Sowjets, die Donau zu übersetzen, was unter anderem aufgrund der dort eingesetzten Teile der ungarischen Donauflottille misslang.

Ab dem 21. April ließen auch im Frontabschnitt des Kremser Brückenkopfes/Wölblinger Becken die Aktivitäten der Sowjets nach, die ihr Augenmerk nun auf den Angriff in den Süden richteten. Dadurch verlagerte sich der Kampf in das Gölsental, wo die Rote Armee das I. SS-Panzerkorps, das an das Korps Bünau im Süden angrenzte, in die Alpen abdrängen wollte.

Endphasenverbrechen hinter der letzten Hauptkampflinie

Ab dem 15. April 1945 war der Machtbereich des Dritten Reiches in Österreich deutlich geschrumpft. Aufgrund des raschen Vorstoßes der Alliierten war es nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen bis zur Kapitulation Deutschlands und dem Ende des NS-Regimes. Dieser Umstand führte zu einer Eskalation der Gewalt, die sich in zahlreichen Endphaseverbrechen an Juden, Deserteuren, Widerstandskämpfern und Regimegegnern entlud. So kam es zu zahlreichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei denen noch tausende Menschen ermordet wurden. Beispiele dafür sind die Massaker in Krems/Stein, Göstling, Gresten, Randegg oder Hofamt Priel (bei Persenbeug) sowie die unzähligen Todesmärsche, in denen vorwiegend ungarische Juden in den Westen getrieben wurden. Bei nahezu all diesen Verbrechen hinter der Front waren militärische Einheiten der Waffen-SS involviert, die von NS-Organisationen wie der Hitlerjugend, dem Volkssturm, fanatischen Parteifunktionären und sogar Zivilisten dabei unterstützt wurden.

Einige dieser Mordaktionen, beispielsweise jene von Randegg (15. April), Gresten (26. April) und Hofamt Priel (3. Mai), wurden nicht nur von militärischen Elementen verübt, sondern auch in einer militärischen Planungslogik organisiert, die Hinterhalten ähnelten. Diese Endphaseverbrechen zeigen, dass in diesem Teil des Dritten Reiches – trotz einer grundsätzlich intakten Befehlskette – eine politische Willkür herrschte, die sich auch auf manche militärische Kommandanten übertrug. Schließlich wurden die meisten Mordaktionen ohne direkten Befehl von oben ausgeführt. Sie deckten sich jedoch mit der NS-Ideologie und fanden in diversen Befehlen eine Grundlage.

Etablierung der letzten Hauptkampflinie

Mit der Einnahme von St. Pölten und der Traisenlinie war die Wiener Operation am Abend des 15. April 1945 beendet. Die Sowjets zogen daraufhin wesentliche Kräfte (6. Garde-Panzer-Armee) ab, die sie in ihrem neuen Schwergewicht des Angriffes nördlich der Donau einsetzten, wo sich die Front auf der Höhe von Wien und somit etwa 80 Kilometer hinter dem Traisen-Frontvorsprung befand. Diese Umgliederung hatte auf das Kräfteverhältnis an der Traisenlinie insofern eine Auswirkung, dass es nun kaum mehr rückwärtige sowjetische Kräfte gab, um einen Angriff – der jedoch nicht mehr vorgesehen war – zu unterstützen.

Das deutsche Korps Bünau, das den beiden sowjetischen Kräften gegenüberstand, konnte sich jedoch relativ rasch konsolidieren und aufgrund der Zuweisung neuer Verbände eine erhebliche Kampfkraft entwickeln und bis Anfang Mai eine Stärke von etwa 20 000 Mann erreichen. Das Korps Bünau bestand in weiterer Folge (Stichtag: 1. Mai 1945) aus der 710. Infanteriedivision, der 232. Infanteriedivision, Teilen der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ (Regimenter „Der Führer“ und „Deutschland“), den Panzeraufklärungs-Abteilungen 1 und 3, Heeres-, Armee- und Korpstruppen, Alarmtruppen (z. B. dem SS-Regiment „Mähren“, dessen drei Bataillone am Kremser Brückenkopf eingesetzt waren), Teilen der Luftwaffe und der Marine (Donauflottille) und ungarischen Truppenteilen.

Die sowjetische Überlegenheit von etwa 3:1 reichte aus, um die Front teilweise vorzuschieben und vorteilhaftere Positionen im Gelände zu gewinnen. Sie war jedoch aufgrund des verteidigungsgünstigen Geländes zu gering, um entscheidende Geländegewinne zu erzielen, was auch nicht die sowjetische Absicht war. Diese Umstände ließen die Front allmählich zum Stillstand kommen, wobei die Kämpfe im nördlichen Abschnitt (Kremser Brückenkopf bis Wachtberg) bis 21. April und im südlichen Abschnitt (Wachtberg bis Ober-Grafendorf) bis 18. April andauerten. Im Traisental gingen die Kämpfe, die vor allem den Ort Traisen und dessen Umgebung betrafen, bis zum 30. April weiter, bis auch dort die Front zum Stillstand kam.

Nachdem sich die letzte Hauptkampflinie auf operativer und strategischer Ebene gefestigt hatte, wurde es im Frontbereich zwischen Krems und Lilienfeld zwar ruhiger, friedlich wurde es aber keineswegs. Der Charakter des Krieges änderte sich dahingehend, dass der Bewegungskrieg in einen Stellungskrieg überging, bei dem die Frontlinien relativ stabil blieben. Die Kampfhandlungen fanden nun auf der unteren taktischen und der gefechtstechnischen Ebene statt. Sie bestanden aus gegenseitigen Artillerieüberfällen, dem Einsatz von Scharfschützen und Stoßtrupps, aber auch aus Angriffen bis auf die Kompanieebene.

Damit sollte der Gegner zermürbt und geschwächt sowie die Kampf- und Verteidigungspositionen auf günstigere Geländeteile vorgeschoben werden. Aufgrund der herrschenden Kräfteverhältnisse waren zu diesem Zeitpunkt auf beiden Seiten keine größeren Angriffsmanöver möglich, wobei ein Schlechtwettereinbruch ab dem 30. April größere Aktionen zusätzlich erschwerte. Somit blieb die letzte Hauptkampflinie an der Ostfront zwischen Krems und Lilienfeld auch in den letzten Kriegstagen weitgehend stabil.

Der Vormarsch westalliierter Truppen im Donauraum

In Westösterreich – konkret im Außerfern in Tirol – fand am 28. April der Einmarsch der US-Truppen statt, jener der französischen am 30. April im Norden Vorarlbergs. Britische Truppen stießen erst am 8. Mai nach Kärnten vor. Während die Front im Osten erstarrt war, überschritten Truppen der 3. US-Armee am 30. April die deutsch-österreichische Grenze im Mühlviertel und am 3. Mai auf breiter Front den Inn zwischen Schärding und Salzburg. Der Vorstoß der 11. US-Panzerdivision nördlich sowie der 65., 71. und 80. US-Infanteriedivisionen südlich der Donau traf insgesamt nur mehr auf geringen deutschen Widerstand, obwohl manche Orte teilweise noch hart umkämpft waren. Bereits am 5. Mai hatten die Spitzen der U.S. Army die Enns erreicht, wo der Vorstoß vorläufig zum Stillstand kam, wodurch der deutsche Machtbereich südlich der Donau auf den Raum zwischen der Enns im Westen und der Traisenlinie im Osten zusammenschmolz.

Noch bevor die US-Divisionen die Enns erreicht hatten, wurden deutsche Verbände, wie die 9. SS-Panzerdivision „Hohenstaufen“, von anderen Frontabschnitten abgezogen und östlich des Flusses eingesetzt. Das erschwerte den weiteren Angriff der U.S. Army genauso wie der Umstand, dass aufgrund des raschen Vorstoßes eine Neugruppierung der eigenen Kräfte inklusive der damit verbundenen Versorgungsmaßnahmen notwendig war. Darüber hinaus stand die Enns – zumindest südlich der Donau – bereits als Grenze der politischen Einflusssphären der USA und der Sowjetunion fest.

Nördlich der Donau war der Verlauf der Demarkationslinie noch nicht klar. Dort stießen die Spitzen der 11. US-Panzerdivision, nachdem sie am 5. Mai Linz eingenommen und das Konzentrationslager Mauthausen befreit hatten und somit an der verlängerten Ennslinie standen, am 6. Mai entlang der Donau bis Grein und in das Mühlviertel bis Königswiesen vor. Dort wurden die vorgehenden US-Kräfte in Kompaniestärke, vor allem bei Königswiesen, noch einmal in Kämpfe verwickelt und ihr Vorgehen zum letzten Mal vereitelt. Südlich der Donau versuchten US-Verbände bei Ennsdorf und Ernsthofen die Enns zu überwinden, was aufgrund der verbissenen deutschen Gegenwehr jedoch scheiterte. Dennoch wurden kampfkräftige US-Aufklärungselemente in Zugstärke östlich der Enns eingesetzt, von denen einigen auch das Überschreiten der Enns gelang. Ohne bekämpft zu werden, fuhren diese an den deutschen Verbänden vorbei Richtung Osten, wobei ein Aufklärungselement sogar bis nach Waidhofen an der Ybbs kam, wo sich damals der Gefechtsstand der Heeresgruppe „Ostmark“ befand.

Mit dem Erreichen der Ennslinie durch die Amerikaner war es nur mehr eine Frage von wenigen Tagen, bis die deutschen Kräfte in Österreich kapitulieren mussten. Denn neben der erdrückenden Übermacht an Waffen, Munition, Personal, Gerät und sonstigen Versorgungsgütern der Alliierten war der Versorgungsraum für die deutschen Truppen, die sich zwischen der Enns und der Traisen befanden, in amerikanischer Hand. Somit waren die deutschen Truppen, die rechnerisch nur mehr über Munition und Kampfmittel für maximal zwei Kampftage verfügten, vom Nachschub abgeschnitten und ein weiterer Kampf völlig aussichtslos geworden.

Am 7. Mai 1945 unterzeichnete die oberste deutsche Heeresführung in Reims die bedingungslose Kapitulation gegenüber allen Alliierten, die am 8. Mai 1945 um 2300 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Kraft treten sollte. Am gleichen Tag fuhr der Kommandant der Heeresgruppe „Ostmark“, Generaloberst Lothar Rendulic, in das Hauptquartier der 3. US-Armee nach St. Martin im Innkreis, um die Details der Kapitulation seiner Heeresgruppe zu klären. In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai erhielten die deutschen Kräfte an der letzten Hauptkampflinie zwischen Krems und Lilienfeld den Befehl, Stellungen in der Tiefe zu beziehen. Dieser Befehl wurde in den Morgenstunden des 8. Mai insofern abgeändert, als er nun festlegte, dass sich diese Kräfte Richtung Westen zu den US-Truppen abzusetzen hätten, um dort in Kriegsgefangenschaft zu gehen.

Vorstoß entlang der Traisen in das Gölsental

Nach dem Fall von St. Pölten am 15. April 1945 griffen die Sowjets noch am gleichen Tag entlang des Traisentales Richtung Süden an, um das Gölsental zu nehmen. Dadurch wollten sie das starke Gelände des Alpenvorlandes in Besitz nehmen, um die Bedrohung der nur schwach besetzten Südflanke auszuschließen und eine Verbindung zwischen Leobersdorf östlich und St. Pölten nördlich der Alpenausläufer durch das Triesting-, Gölsen- und Traisental herzustellen. Das war in dem Umstand begründet, den Raum zwischen den Flüssen Traisen und Donau, den Alpenausläufern und Wien als Aufmarschraum für die letzte und entscheidende Operation gegen das Dritte Reich zu nutzen.

Die ersten Kämpfe dieses Vorstoßes fanden zwischen St. Georgen am Steinfelde und Wilhelmsburg statt, wo es zu schweren Panzerkämpfen kam und der sowjetische Vorstoß einen Tag lang verzögert werden konnte, bevor Wilhelmsburg zum Angriffsziel wurde. In Wilhelmsburg kam es über mehrere Tage zu Kämpfen, wodurch der Ort erst am 18. April von den Sowjets besetzt werden konnte, nachdem sie diesen westlich und östlich umfasst hatten. Die Spitzen der Roten Armee stießen nun mit drei Angriffsstaffeln – eine zwischen der Traisen und der Pielach, eine entlang der Traisen und eine östlich über Pyhra-Perschenegg-Schwarzenbach – auf das Traisendreieck (Mündung der Gölsen in die Traisen) vor.

Am 20. April überschritten die Sowjets das Gölsental und griffen den Ort Traisen aus dem Nordosten an. Ähnlich wie beim Kremser Brückenkopf wurden die deutschen Verteidigungslinien dort ebenfalls in der buchstäblich letzten Minute von der hastig bei Graz aufgestellten 10. Fallschirmjäger-Division bezogen. Nachdem die Angriffsspitzen am 22. April bis zur Ortsmitte vorgestoßen waren, entbrannte der Kampf um das dortige Werksgelände, das die Deutschen bis zum 29. April halten konnten. Nordwestlich des Ortes Traisen kam es am Buchberg, der diesen Raum beherrscht, ab dem 21. April zu schweren Kämpfen. Mehrere Tage konnten die deutschen Kräfte dem Ansturm der Roten Armee widerstehen, bis sie in der Nacht vom 25. auf den 26. April zum Absetzen auf die Höhe Marktl gezwungen wurden. Am 30. April war der sowjetische Vorstoß im Traisental beendet und es wurde dort jene Linie bezogen, entlang der die Front bis zum 8. Mai verlief. Das Gölsental war bereits seit dem 24. April in sowjetischer Hand, wodurch der taktische Zweck dieses Angriffes Richtung Alpen erreicht war.

Der Vorstoß am 8. und 9. Mai 1945

In den Morgenstunden des 8. Mai läutete sowjetisches Artilleriefeuer, das sich vor allem auf den Raum Karlstetten und Hofstetten/Grünau konzentrierte, den letzten Angriff der Roten Armee ein. Entlang de facto aller Ost-West-Verbindungen strömten die deutschen Truppen nun Richtung Westen, um die Enns zu überschreiten und bei den Amerikanern in Gefangenschaft zu gehen. Die Sowjets trieben die Deutschen vor sich her und feuerten auf sie, sobald sie in ihre Sichtweite gerieten, vermieden dabei jedoch größere Kämpfe. Der deutsche Rückzug kam aufgrund der mit zurückflutenden Einheiten und verlassenem Militärgerät verstopften Straßen häufig ins Stocken. Um nicht noch in den letzten Kriegsstunden in sowjetische Kriegsgefangenschaft zu geraten, kam es deshalb zu Rückzugsgefechten, wie beispielsweise in Scheibbs, Neumarkt oder auf dem Ybbsfeld bei St. Georgen an der Ybbs. Dabei wurden neben Panzern auch Jagdbomber von den Sowjets eingesetzt.

Am 8. Mai überschritten auch US-Truppen die Enns. Sie taten das aber nicht mit kampfkräftigen Verbänden, sondern mit Spähtrupps in Zugstärke, die beispielsweise nach Haag, Seitenstetten, Ardagger oder Amstetten fuhren. In Amstetten, wo die US-Soldaten am Hauptplatz standen, gerieten sie in den Geschoss- und Bombenhagel sowjetischer Jagdbomber, die dort einen ihrer letzten Angriffe flogen, kurz bevor die Bodentruppen in die Stadt gelangten. Auch nördlich der Donau setzten die Amerikaner entlang der heutigen Bundesstraße 3 zugstarke Aufklärungskräfte ein, die bis vor Krems kamen. Die US-Aufklärungselemente trafen vermutlich an mehreren Orten mit den Spitzen der Sowjets zusammen, wobei das Treffen von Soldaten der U.S. Army und der Roten Armee in Strengberg gesichert ist.

Am Abend des 8. Mai standen die Sowjets auf einer Linie zwischen Strengberg und Ybbsitz. Am 9. Mai setzten sie den Vormarsch fort, um sich mit den US-Truppen an der Enns zu treffen und die Besetzung dieses Teils von Österreich abzuschließen. In Waidhofen an der Ybbs kam es dabei zum letzten organisierten Rückzugsgefecht deutscher Verbände (Teile der 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“) gegen die Sowjets. Dadurch wollten diese deutschen Truppenteile Zeit gewinnen, um sich über die Enns zu den US-Kräften absetzen zu können. Dieser Übergang war zwar offiziell eine Stunde vor Mitternacht geschlossen worden, die US-Soldaten ließen dennoch deutsche Truppen über die Brücke von Ternberg passieren. Das letzte Gefecht zwischen Deutschen und Sowjets dürfte sich in Österreich am 10. Mai 1945 in Altenhofen bei St. Valentin ereignet haben, wo sich noch versprengte deutsche Truppenteile befanden. Seit diesem Tag blieb Österreich von Kampfhandlungen, Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen bis heute verschont.

Offiziersstellvertreter Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.

 

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