• Veröffentlichungsdatum : 12.01.2023

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Feuerwaffen aus Kroatien

Michael Ellenbogen

Ein kleiner Traditionsbetrieb aus Kroatien entwickelte sich innerhalb von 31 Jahren zu einem strategischen Partner für inländische Polizei- und Armeeeinheiten. Was mit der „ersten kroatischen Pistole“ begann, wuchs zu einer sicheren Versorgung mit Pistolen, Sturmgewehren, Minenwerfern und optischer Ausrüstung im Einsatz heran.

In Krisensituationen ist im strategischem Bereich eine Unabhängigkeit von Importen wichtig. Das kroatische Unternehmen HS-Produkt entwickelte sich zu einem Betrieb, der mittlerweile weltweit bekannt ist. Der Traditionsbetrieb wurde als IM Metal kurz nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 im kleinen Ort Ozalj, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt Zagreb entfernt, gegründet. Wegen des Embargos zu Beginn des Krieges der 1990er-Jahre, war der Import von Waffen und Ausrüstung nahezu unmöglich. Dennoch war es in jener Zeit notwendig, die neu formierten Polizei- und Armeeeinheiten mit zeitgemäßen Handfeuerwaffen auszurüsten. Am Anfang fertigten 30 Mitarbeiter die in kurzer Zeit entwickelte „PHP“, die Abkürzung für „Prvi Hrvatski Pistolj“ oder „Erste Kroatische Pistole“.

Für die technische Umsetzung der Waffe nahmen die Konstrukteure Anleihen an älteren, aber bewährten Konstruktionen. Als technisches Vorbild fungierte die Beretta 92 ebenso wie die im zweiter Weltkrieg von der Deutschen Wehrmacht verwendete Walther P.38. Diese 9-Millimeter-Pistole war die erste Schusswaffe, die in Kroatien zwischen 1991 und 1994 eigenständig produziert wurde. Das Nachfolgemodell war die „HS-95“, die als „Hrvatski Samokres“ (Kroatische Pistole) bezeichnet wurde. Dieses Modell war ein Nachbau der seit 1984 produzierten Militärpistole SIG Sauer P226, 9-Millimeter, die seit 1984 in der Schweiz hergestellt wird.

Bei beiden Modelle führten Qualitätsprobleme aufgrund der Kriegslage oft zu einer beschränkten Verwendbarkeit der Waffen. Im Jahre 2001 änderte die, inzwischen in Karlovac ansässige, Firma ihren Namen auf HS-Produkt. Sie brachte mit der „HS 2000“ ihr drittes Modell, eine halbautomatische Pistole mit Polymerrahmen auf den Markt, die in den USA von Springfield Armory Inc. als Modell „XD“ vertrieben wird. Mittlerweile sind 1.850 Beschäftigte im Unternehmen tätig, indem sowohl die gesamte Entwicklung als auch die Produktion im eigenen Haus stattfindet.  Ab dem Jahr 2000 begann auch die Entwicklung von Sturmgewehren, wie dem „VHS“, das 2007 vorgestellt wurde. 50 Stück dieser Neuentwicklung wurden von den Soldaten des kroatischen ISAF-Kontingents in Afghanistan getestet. Anschließend bestellte das kroatische Verteidigungsministerium zwei Jahre später 20.000 Stück.

Das Nachfolgemodell VHS-2 wurde 2013 vorgestellt. „Mittlerweile stellen wir das Sturmgewehr VHS-2S, das mit der Bezeichnung Hellion in den Vereinigten Staaten verkauft wird, so wie unser Pistolenmodell HS H 11, das in den USA als „Hellcat Pro“ angeboten wird“, berichtet Branimir Josipovic. Er ist Verkaufsleiter des kroatischen Waffenherstellers. Mittlerweile bietet HS-Produkt 100 verschiedene Versionen halbautomatischer Pistolen in vier Serien an: HS G2, SF Line, S Line und H11 Line. Viele Sportschützen weltweit verwenden die Handfeuerwaffen, die auch in Österreich erhältlich sind. Vom Sturmgewehr VHS-2S gibt es auch eine zivile Version, die unter der Bezeichnung „Hellion Bullup 223 REM 16,1 BLK“ angeboten wird. Das Modell VHS-BG sieht zwar wie ein Sturmgewehr aus, ist aber ein Granatwerfer, mit dem alle Granattypen der Größe 40x60mm abgefeuert werden können. Diese Waffe kann im militärischen Gebrauch eigenständig oder als Unterlaufgranatwerfer für das Sturmgewehr VHS-2 verwendet werden. „Die strategische Partnerschaft zwischen unserem Unternehmen und dem Verteidigungsministerium der Republik Kroatien besteht seit 30 Jahren. Wir liefern Pistolen, Sturmgewehre, Minenwerfer und optische Ausrüstung an die Armee“, sagt Josipovic.

Die Kooperation zwischen dem Verteidigungsministerium und HS-Produkt schließt die gemeinsame Entwicklung von Waffen sowie die Verbesserung bestehender Handfeuerwaffen ein. Das kroatische Innenministerium rüstet seine Einheiten ebenfalls mit halbautomatischen Pistolen aus, die Antiterrorkommandos haben VHS-K2 Sturmgewehre in verkürzter Version. Immer mehr private Sicherheitsdienstleister in Kroatien stellen ihre Bewaffnung auf Erzeugnisse des heimischen Herstellers um. Ausländische Streit- und Polizeikräfte verwenden die Erzeugnisse der Waffenschmiede ebenso. Bei einer größeren Anzahl von Staaten, wie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Polen, Frankreich, Irak, Jordanien, Indonesien, Vietnam, Togo, Tunesien, Kamerun, Guinea, Brasilien sowie den Vereinigten Staaten von Amerika stehen Erzeugnisse des kroatischen Produzenten im Einsatz.

„Wir arbeiten mit einem der weltweit größten Munitionshersteller, RUAG Ammotec in Deutschland, zusammen. Dieses Unternehmen vertreibt unsere Produkte hauptsächlich im EU-Raum“, berichtet Josipovic. In den USA besteht mit Springfield Armory Inc. eine strategische Partnerschaft. Das Unternehmen vertreibt die Handfeuerwaffen für den US-Markt. Von der Entwicklung einer neuen Waffe über die Produktion der ersten Versuchsmuster bis zur Serienfertigung wird alles im Werk von HS-Produkt in Karlovac gefertigt. Die Firmenleitung legt großen Wert darauf, dass kein einziger Arbeitsschritt in einem anderen Unternehmen umgesetzt wird. Gegenwärtig wird an neuen Pistolen- und Sturmgewehrmodellen gearbeitet. Informationen darüber unterliegen der Geheimhaltung.

Ein wichtiger sicherheitspolitischer Aspekt, der vor allem das Innen- und das Verteidigungsministerium betrifft, ist die Ausrüstung aller untergeordneten Dienststellen. In einer Krisensituation möchten sie gerade in diesem wichtigen strategischen Bereich nicht von Importen abhängig sein, weshalb sie Produkte aus Kroatien verwenden. Das soll die Versorgung mit Pistolen und Sturmgewehren sicherstellen. Diese Lehre wurde am Beginn des Krieges, im Jahr 1991 gezogen. Ein internationales Waffenembargo erschwerte damals die Bewaffnung der Polizeikräfte und später auch der Armeeeinheiten. Die Polizisten und die Angehörigen des neu gegründeten kroatischen Militärs mussten sich oft mit veralteten Waffen der „Milicija“ oder der Jugoslawischen Volksarmee schützen. Ihre Effizienz und Verlässlichkeit war jedoch kaum gewährleistet. Viele Freiwillige zogen damals auch mit Jagdgewehren aus privaten Beständen in den Einsatz. Durch die Produktion von Rüstungsgütern wie jener aus Karlovac ist man in den Fragen der Sicherheit und Verteidigung nun autarker.

Michael Ellenbogen, MA ist freier Journalist.

 

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