• Veröffentlichungsdatum : 17.06.2021

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Das mobile Analysesystem QPAK

Irmina Pucher

Munition und ihre Bestandteile unterliegen einem permanenten Alterungsprozess, der nicht nur die Einsatzfähigkeit, sondern auch die Sicherheit beeinträchtigen kann. Ein besonderes Risiko geht dabei von einer nicht rechtzeitig erkannten Instabilität des Treibladungspulvers aus. Bei dichter Packung oder größeren Kalibern kann diese bis zur Umsetzung durch Selbstaufheizung führen. Man geht davon aus, dass etwa zehn Prozent aller verheerenden Munitionslagerexplosionen (z. B. Zypern 2011) ihre Ursache darin haben. Um den Einfluss der Alterung auf die Lagerstabilität feststellen zu können, wird das Pulver mit chemischen Methoden untersucht. Einen einfachen Weg bietet der Qualitative Pulver-Analyse-Koffer (QPAK), der als „mobiles Labor“ zum Einsatz kommt.

Entwicklung

Die Stabilisierung eines Krisengebietes setzt die sichere Verwahrung von Waffen und Munition in diesem voraus. Vor allem Lager- und Handhabungssicherheit sind für den Aufbau eines sicheren Munitionsmanagements wichtig. Seit 2011 befasst sich die EU-Operation EUFOR/ALTHEA in Bosnien und Herzegowina mit der Reduzierung von Risiken bei der Lagerung von Waffen und Munition. Eine Kernaufgabe war dabei die Sicherheitsbewertung der etwa zwanzig Jahre lang unkontrolliert eingelagerten Munitionsbestände, die als tickende Zeitbombe anzusehen waren. Die Abteilung Explosivstoff, Werkstoff – und Betriebsmitteltechnik des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) untersuchte zunächst Munition, die für die Ausbildung im Munitionsmanagement durch das Mobile Advisory and Training Team vor Ort ausgewählt wurde hinsichtlich ihrer Lager- und Handhabungssicherheit. Dazu wurde im Munitionslager „Krupa“ ein provisorisches Labor eingerichtet, für das rund 400 kg mobiles Equipment transferiert wurden.

Aus den dabei gewonnenen Erfahrungen wurde der Entwicklungsbedarf für ein mobiles und kostengünstiges Analysesystem zur Feststellung der Lagerstabilität von Treibladungspulver erkannt. Dieses Werkzeug sollte durch geschulte Munitionsarbeiter bedient werden können und rasche Ergebnisse bei einem großen Probendurchsatz erzielen. Anhand dieser Vorgaben entwickelte das ARWT/EWBT den Qualitative Pulver-Analyse-Koffer (QPAK), der mit einer an NATO-Standardization-Agreement-Vorgaben (STANAG) angelehnten künstlichen Alterung arbeitet und die qualitative Veränderung des Zustandsbildes der im Pulver enthaltenen Stabilisatorverbindung verfolgt. Die daraus abgeleitete Information über den Alterungsprozess ermöglicht eine Einteilung in die drei Qualitätsklassen:

  • instabil,
  • mittelfristig und
  • stabil (Empfehlung einer Folgeüberprüfung in zwei Jahren) sowie
  • langfristig stabil (Empfehlung einer Folgeüberprüfung in vier Jahren).

Das war der Startschuss für die mittlerweile implementierte Treibladungsüberwachung in Bosnien und Herzegowina. Im Amt für Rüstung und Wehrtechnik erfolgt die umfassende Treibladungspulverüberwachung gemäß den STANAG-Normmethoden, die eine Stabilitätsprognose für zehn Jahre ermöglicht. Zur Entlastung der Prüfkapazitäten wurde der QPAK 2014 in den Heeresmunitionsanstalten des Österreichischen Bundesheeres als „mobiles Labor“ eingeführt. Dieser ist mittlerweile ein fixer Bestandteil der Mobile Advisory & Training Teams Aktivitäten für ein sicheres Munitionsmanagement in Krisenregionen. Das System hat sich in weiterer Folge bei Einsätzen im Senegal, in Georgien, Moldawien und Montenegro bewährt.

Gefahren durch Alterung

Von Munition wird in der Regel eine möglichst lange Verwendungsdauer verlangt, die Jahrzehnte umfassen kann. Sie unterliegt über derart lange Zeit jedoch einem Alterungsprozess, der die Eigenschaften und Verwendbarkeit stark einschränken kann. Dies kann auch dazu führen, dass die Lager- und Handhabungssicherheit sowie die Funkion beeinträchtigt werden.

Der Alterungsprozess kann durch äußere Einflüsse wie UV-Einstrahlung, Feuchtigkeit oder Temperatur beeinflusst bzw. hervorgerufen werden. Er hängt aber auch, wie bei Nitrocellulose-Treibladungspulvern, von den chemischen Eigenschaften des verwendeten Materials ab.

Durch die natürliche Selbstzersetzung des Treibladungspulvers entsteht Wärme, die bei einem bereits schlechten Zustand des Pulvers zur Umsetzung (Zündung) führen kann. Speziell die Lagerung kann zu einem großen Risikofaktor werden, da auch die umliegend gelagerte Munition umgesetzt werden kann. Bei daraus resultierenden Explosionen werden nicht nur das militärische Personal und die militärische Infrastruktur, sondern auch angrenzende zivile Einrichtungen und Personen gefährdet.

Treibladungspulver

Treibladungspulver können mit unterschiedlichen Verfahren in vielfältiger Zusammensetzung hergestellt werden. Ihre Hauptkomponente ist fast immer Nitrocellulose. Basierend auf ihrem Energieträger unterscheidet man ein-, zwei- und dreibasige Pulver. Einbasige Pulver haben als Energieträger lediglich Nitrocellulose, die in einem technischen Verfahren gelatiniert und für die Formgebung verarbeitbar gemacht wird. Zweibasige Pulver enthalten Sprengöl (etwa Nitroglycerin) als zweiten Energieträger und Gelatiniermittel. Sie neigen in der Regel eher zur Selbstzersetzung als einbasige Pulver. Bei der Verarbeitung werden weitere Stoffe zugefügt, die zum Beispiel die Anziehung von Feuchtigkeit minimieren, das Mündungsfeuer dämpfen oder die Oberflächeneigenschaften der Treibladungspulverpellets für eine gezielte Beeinflussung der Abbrandeigenschaften zur Optimierung der ballistischen Eigenschaften verändern.

Bei der natürlichen und grundsätzlich unvermeidlichen Alterung von auf Nitrozellulose basierendem Treibladungspulver kommt es zu einer Abspaltung von Nitrogruppen und es entstehen nitrose Gase/Stickstoffoxide. Diese begünstigen die Selbstzersetzung der Nitrozellulose und beschleunigen so die Reaktion, ebenso wie die dabei frei werdende Wärme. Deshalb spricht man von einer autokatalytischen Reaktion. Dieser Prozess kann durch den sich in größeren Kaliberen bildenden Wärmestau schließlich zur Umsetzung des Treibladungspulvers führen.

Um dieser Reaktion entgegenzuwirken und den Alterungsprozess zu kontrollieren, werden bei der Herstellung von Treibladungspulver Stabilisatoren in einer Menge von etwa einem Masseprozent zugesetzt. Die am häufigsten eingesetzten Stabilisatoren sind Akardite, Centralite und Diphenylamin. Sie nehmen die sich bildenden Stickoxide auf und verlangsamen so die Zersetzungsreaktion. Dabei entstehen neue Substanzen, die Abbauprodukte oder Tochterstabilisatoren genannt werden. Bei der Ermittlung der Lagersicherheit wird das Treibladungspulver einer höheren Temperaturbelastung ausgesetzt und anhand des Abbauverhaltens des Stabilisators und der resultierenden Abbauprodukte die weitere Lagerfähigkeit beurteilt. Einen Rückschluss auf die Funktion, wie die ballistischen Eigenschaften, lässt diese Methode allerdings nicht zu.

Das System QPAK

Die Analyse der Treibladungspulverstabilität mit dem mobilen Analysesystem QPAK basiert auf der Trennung und Identifikation von Stabilisatorabbauprodukten. Anhand eines Vergleiches der Probe im Ist-Zustand mit einer künstlich gealterten Probe lässt sich eine Prognose für die weitere Lagerstabilität unter idealen Lagerbedingungen erstellen. Jeder Stabilisator wird während der Alterung durch die Aufnahme der durch Nitrozellulose abgespaltenen Nitrogruppen „verbraucht“. Je nach Prozessdauer und Auftreten der nitrosen Gase bilden sich unterschiedliche Substanzen in variierender Konzentration.

Anhand der auftretenden Substanzen wird ein Alterungsmodell erstellt, das Rückschlüsse auf die weitere Lagerungsfähigkeit des Pulvers zulässt. Das Prinzip der künstlichen Alterung, das beim QPAK Anwendung findet, fußt auf dem Alterungsmodell, das durch den NATO-Standard AOP-48 (Allied Ordnance Publication) beschrieben wird. Dieses basiert darauf, dass eine Erhöhung der Temperatur zu einem schnelleren Reaktionsverlauf führt ohne ihren Mechanismus zu verändern. Diese Strategie ermöglicht sozusagen durch Alterung über einen relativ kurzen Zeitraum bei höherer Temperatur (z. B. bei 80°C ) einen Blick in die Zukunft zu werfen. So kann festgestellt werden wie sich das Pulver bei normaler Lagertemperatur (Standardannahme 25°C) hinsichtlich seiner Stabilität entwickeln wird. Das Modell nimmt an, dass eine Lagerung bei 80°C über vier Tage einer Lagerperiode von vier Jahren bei 25°C entspricht.

Eingeschultes Personal, auch ohne chemische Vorbildung, kann mithilfe des QPAK die Lagerstabilität von Treibladungspulvern so genau feststellen, dass der Bestand in Pulver von langfristiger (vier Jahre bis zu einer wiederkehrenden Prüfung), mittelfristiger (zwei Jahre) und instabiler Lagerfähigkeit und daher rasch auszuscheidende bzw. zu vernichtende Pulver sortiert werden kann. Für längerfristige Prognosen (bis zu zehn Jahre) und Entscheidungen bei sich dieser einfachen Analytik entziehenden Pulverrezepturen muss allerdings auf eine chemische Analyse in einem Speziallabor zurückgegriffen werden.

Analyseablauf

Im ersten Schritt werden die Pulver auf ihre Zusammensetzung untersucht. So wird festgestellt, welcher Stabilisator verwendet wird und welche Energiebasis das Pulver hat. Diese Vortests erfolgen durch einfache Farbreaktionen. Anschließend werden der Stabilisator und seine Abbauprodukte sowie Zuschlagstoffe aus dem Treibladungspulver extrahiert. Mit Hilfe von Dünnschichtchromatographie können die einzelnen Substanzen nachgewiesen werden, wobei der Auswertefokus auf die Stabilisatoren und deren Abbauprodukte gerichtet ist. Die Bewertung der Pulverstabilität erfolgt aus der qualitativen Beurteilung der Veränderung der Mengenverhältnisse von unverbrauchtem Stabilisator und den Abbauprodukten im Zuge der an AOP-48 angelehnten künstlichen Alterung.

 

Ausblick

Derzeit wird ein weiterer mobiler Analysesatz entwickelt, der noch verlässlichere Beurteilungen ermöglicht. Er basiert auf einer komplementären Analysemethode. Um den NATO-Standards im Bereich der Treibladungspulveranalyse zu genügen, sind mindestens zwei Untersuchungsmethoden anzuwenden. Diese erfassen und charakterisieren unterschiedliche chemische und physikalische Alterserscheinungen. Etwa die Untersuchung des Stabilisatorabbaues mittels chromatographischen Methoden, wie sie beim QPAK-System zum Einsatz kommt, und eine Analyse des Gewichtsverlustes bei der Alterung, wie sie als Erweiterung der mobilen Prüfmethoden entwickelt wird.

Fazit

Das mobile System QPAK ist ein einfaches Analysewerkzeug mit dem man in kurzer Zeit einen Aufschluss über den Alterungszustand von Treibladungspulvern erlangen kann. Nur durch eine entsprechende systematische Untersuchung von alter Munition lassen sich Munitionlagerunfälle bestmöglich verhindern.

Kommissär Dipl.-Ing. Irmina Pucher, BSc; Leiterin des Referats für Explosivstofftechnik am ARWT/EWBT.

 

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