• Veröffentlichungsdatum : 08.03.2021
  • – Letztes Update : 17.03.2021

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COVID-19: Aufbietung der Miliz - Teil 2

Bernhard Schulyok

Das Österreichische Bundesheer musste 2020 mit erheblichen Kräften vielfältige Einsatzaufgaben erfüllen. Die zahlreichen Asssitenz- und Unterstützungsleistungen waren äußerst personalintensiv. Erstmals musste die Miliz zur Unterstützung einberufen werden.

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Die erste COVID-Welle im Frühjahr 2020 war vor allem durch einen Lockdown gekennzeichnet, der sich durch einen tatsächlichen Stillstand in wesentlichen Teilen des öffentlichen Lebens zeigte. Im Herbst war man abermals mit einer rasant ansteigenden Fallzahl von Corona-Infizierten konfrontiert und dadurch gezwungen, in einen zweiten Lockdown zu gehen, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Dabei mussten auch Teile der Miliz aufgeboten werden, um die Durchhaltefähigkeit der militärischen Kräfte sicherzustellen.

Risikoanalyse

In der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020 sind verschiedene Risiken für Österreich aufgelistet, die sich nach Auswirkungen und Eintrittswahrscheinlichkeit unterscheiden. Pandemie und Terroranschlag werden ebenfalls erwähnt. Jedes Risiko und jede Bedrohung erfordern im Detail eine spezifische und individuelle Herangehensweise, weil jedes Ereignis andere Herausforderungen an die gesamtstaatliche Lösungskompetenz stellt. Eines haben alle Risiken gemeinsam: Es gibt bestimmte Parameter, die zur Resilienz einer Gesellschaft beitragen und wesentlich für die Bewältigung vieler Schadensereignisse sind. Resilienz bedeutet letztendlich die Fähigkeit zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Staat und Gesellschaft nach Krisen sowie trotz externer Störungen oder sogar eines Teilausfalles als Gesamtsystem nicht zu versagen. Hierzu hat der Staat vielfältige Vorsorgen zu treffen, beginnend mit einem permanenten gesamtstaatlichen Lagezentrum, wo laufend Informationen zusammengeführt und analysiert werden, bis hin zum Koordinieren des Einsatzes.

Autarkie

Ein Ziel der Risikoanalyse ist die Identifikation von Ableitungen, wie Risiken erkannt bzw. im Vorfeld minimiert werden können, welche Aufgaben bei der Bewältigung der jeweiligen Herausforderung anfallen und welche Akteure notwendig sind. Das ist die Grundvoraussetzung für eine möglichst uneingeschränkte Handlungsfähigkeit der jeweiligen Institution.

Zur Gewährleistung der individuellen und insbesondere der gesamtstaatlichen Resilienz hat die Corona-Krise wiederholt gezeigt, dass in den Bereichen Sicherheit, der Lebensmittelgrundversorgung, den medizinischen Ressourcen, der Energieversorgung unter anderem eine Autarkie und Handlungsfähigkeit notwendig sind. Das Bundesheer ist nur im engen Bereich zur Autarkie fähig, denn nur wer selbst handlungsfähig bleibt, kann anderen helfen bzw. andere Institutionen bei ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen. Dabei deckt das Bundesheer im gesamtstaatlichen Lösungsansatz einerseits Nischenfähigkeiten ab, z. B. in der ABC-Abwehr, dem Lufttransport inklusive MEDEVAC, und unterstützt andererseits im Corona-Einsatz bei der Herstellung von Desinfektionsmitteln oder mit Testkapazitäten der Labors im ABC-Abwehrzentrum oder im Amt für Rüstung und Wehrtechnik. Primär bleibt aber die Wahrnehmung der militärischen Landesverteidigung die Hauptaufgabe des Bundesheeres.

„Schutz- und Hilfe-Zonenmodell“

Schon vor der Corona-Krise war klar, dass es autarker „Sicherheitsinseln“ bedarf, von wo aus unterschiedliche Einsätze gestartet werden können. Sie sollen unter anderem der Versorgung, der Regeneration und als Anlaufstelle für Blaulichtorganisationen dienen. Autarkie bedeutet Versorgungssicherheit in allen Teilbereichen, sowie die Unabhängigkeit der Kommunikationsnetze inklusive der Wiederbelebung des Staatsgrundnetzes zur Aufrechterhaltung sicherer Verbindungen innerhalb des Bundesheeres, zu den Behörden und anderen Dienststellen. Die Autarkie ist für mindestens 14 Tage sicherzustellen. Ausgehend von derartigen Sicherheitsinseln sind die Schutz- und Hilfe-Zonen als zugeordnete primäre Verantwortungsbereiche für die jeweiligen Kräfte des Bundesheeres zu sehen. Dieses Modell ist eine mögliche Variante als rasche Antwort auf regionale Ereignisse und derzeit in Erwägung. Die über 90 politischen Bezirke (die Bundeshauptstadt Wien ist dabei gesondert zu betrachten) können österreichweit in rund 30 Zonen unterschiedlicher Größe gegliedert werden. Ein Truppenkörper (Verband) in der Zone ist unmittelbarer Ansprechpartner für die Organisationen mit entsprechender Entscheidungsbefugnis und mit den Ressourcen für eine erste Aufgabenbewältigung ausgestattet. Diese flächendeckende Sättigung des Bundesgebietes mit selbstständig handlungsfähigen Truppen des Bundesheeres ermöglicht erstens eine rasche Reaktion vor Ort und zweitens ein rasches gesamtheitliches Agieren im Verbund der lokalen und überregionalen Einsatzorganisationen.

Die „Kunst“ ist es nun, je nach Lage und Erfordernis die Kräfte zu bündeln und hierarchisch zu führen, das heißt, diese innerhalb eines Bundeslandes oder sogar bundesländerübergreifend zur Bewältigung einer spezifischen Herausforderung einzusetzen. Dieses Alleinstellungsmerkmal des Bundesheeres muss erhalten bleiben.

Aufgabenspektrum

Die konventionelle militärische Landesverteidigung ist nicht obsolet, wie Konflikte rund um Europa zeigen. Im Gegenteil, moderne Technologien erweitern Optionen der Einsatzführung. Hier stechen besonders (bewaffnete) Drohnen hervor. Die Mehrdimensionalität des Gefechtsfeldes und die zunehmende Beschleunigung der Informationsverarbeitung bedingen den vermehrten Einsatz von Robotik, Automation und Künstlicher Intelligenz, um die Oberhand zu bewahren. Dem kann sich auch das Bundesheer nicht verschließen. Dies erfordert Ressourcen, denn nur wer sich selbst verteidigen kann, kann auch helfen. Daher sind alle Waffengattungen zu erhalten sowie laufend zu modernisieren, neue Fähigkeiten zu implementieren, und im Verbund deren Wirkung zu üben. Das bedeutet, dass Ressourcen nicht erst in einem Einsatz, sondern bereits in Friedenszeiten zur Verfügung stehen müssen. Das (zivile/militärische) Ergänzungsgerät ist nicht mehr zeitgemäß. Was nicht ständig verfügbar ist, wird auch im Einsatz nicht verfügbar sein. Gerade der COVID-19-Einsatz hat gezeigt, dass das in einer Krise benötigte Personal oder Material nicht „auf dem freien Markt“ innerhalb der benötigten Zeit zu erhalten ist.

Das umfangreiche Aufgabenspektrum stellt große Anforderungen an die Kompetenzen der Soldaten, insbesondere an das Kaderpersonal, egal ob Berufssoldaten oder Angehörige des Milizstandes. Die rasche Weiterentwicklung technologischer Komponenten – insbesondere von Wirkmitteln, Gerät und Ausrüstung – sowie die Komplexität gesamtheitlicher Lösungsansätze in enger Zusammenarbeit mit anderen Organisationen erfordert eine ständige Fort- und Weiterbildung. Für die Miliz stellt sich die Frage, ob fünf Tage Übungspflicht alle zwei Jahre auf freiwilliger Basis ausreichen.

 

Kosten

Die Tätigkeiten des Bundesheeres werden als Assistenz oder (bezahlte) Unterstützungsleistung durchgeführt, wie sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsätze beim Bewachen von Liegenschaften oder bei der Grenzraumüberwachung, Assistenz der Gesundheitsbehörden inklusive Telefon-Contact-Tracing und Testen, Desinfektion von Räumen durch ABC-Abwehrkräfte, Umschlagstätigkeiten in Lagerhallen oder Dienstleistung in Postverteilungszentren. Entgegen der Annahme, dass Assistenzeinsätze und Unterstützungsleistungen dem Bundesheer im vollen Umfang abgegolten werden, hat der Rechnungshof festgestellt, dass die dem ÖBH im Zeitraum 2015 bis 2017 angefallenen Kosten von 273 Millionen Euro nur mit 90 Millionen Euro ersetzt worden sind. Den Differenzbetrag von über 183 Millionen Euro musste das Bundesheer aus seinem Regelbudget selbst abdecken. Neben Inlandseinsätzen kommen noch Auslandseinsätze hinzu, die bis zu 1.100 Soldaten im Einsatz oder in einsatzähnlichen Lagen erfordern.

Rahmenbedingungen

Die Einsatzbereitschaft von Kräften des Bundesheeres für unterschiedliche Szenarien im Inlandseinsatz ist kräftemäßig und zeitlich gestaffelt: bis zu 6 000 Soldaten in 72 Stunden für das gesamte Einsatzspektrum, davon bis zu 1.000 Soldaten in 24 Stunden für Katastrophenhilfe, sowie bis zu 12.500 Soldaten für den Assistenzeinsatz bei Katastrophen (Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges gem. WG § 2, Abs. 1 lit. c). Zum bereits abklingenden Höhepunkt der Corona-Krise im Frühjahr 2020 waren rund 4.500 Soldaten gleichzeitig im In- und Ausland einschließlich einsatzähnlicher Verpflichtungen und Unterstützungen im Einsatz. Im Frühjahr wurden Teile der Miliz aufgeboten, um eingesetzte Kräfte abzulösen und die Durchhaltefähigkeit des Bundesheeres sicherzustellen. Damit konnten Kräfte, die teilweise seit Weihnachten im Einsatz standen, sowie die Schulorganisationen des Bundesheers, aber auch etwa 1.200 Polizeischüler herausgelöst und der Ausbildung zugeführt werden. Generell stützt sich das Bundesheer zur Abdeckung seiner Einsätze im In- und Ausland auf die Miliz ab. Je nach Einsatzraum und Aufgabe kommen rund 40 Prozent der Soldaten der Einsatzkontingente (teilweise sogar mehr) aus der Miliz.

Personal im Einsatz

Die politische Vorgabe der Mobilmachungsstärke des Bundesheeres mit insgesamt 55.000 Soldaten ist unverändert. Feldverwendungsfähige Soldaten innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen einsetzen zu können, ist eine Herausforderung. Dafür stehen derzeit rund 15.500 Berufssoldaten (Soldaten im Dienstverhältnis sowie im Ausbildungsdienst) zur Verfügung. Grundwehrdiener, von denen monatlich durchschnittlich 1.400 einrücken, sind erst nach sechs Monaten umfassender Ausbildung (ohne Unterbrechung durch Assistenzeinsätze) feldverwendungsfähig. Sie rüsten aber genau dann ab. Eine Beorderung in der Miliz ist nur mit abgeschlossener Ausbildung möglich, hilft aber in einer Milizstruktur wenig, da das jeweilige Team nicht eingespielt ist und das Kader wenig übt. Die vorhandenen fünf Tage alle zwei Jahre reichen nicht aus. Hier müsste vor einem Einsatz die Teamfähigkeit und volle Einsatzbereitschaft erst hergestellt werden. Erschwerend ist der Entfall verpflichtender Truppenübungen ab dem Jahre 2004 und die darauffolgende Reduzierung des Grundwehrdienstes von acht auf sechs Monate ab 2006. So gibt es seitdem befristet Beorderte ohne Übungspflicht und jene, die sich freiwillig zu einer 30-tägigen Übungspflicht melden.

Verbände und Einheiten des Bundesheeres müssen im Inland, flächendeckend präsent, als Erstreaktion in einer zugeordneten Schutz- und Hilfe-Zone und darüber hinaus rasch unterschiedliche Aufgaben bewältigen können. Wird ein Verband außerhalb seiner Zone eingesetzt (Inland oder Ausland), sind durch ein Rücklasskommando die grundsätzlichen Aufgaben in der Zone und die Verbindung zu anderen Organisationen zu gewährleisten. Hier kommt der Miliz als Verstärkung und Ablöse eine tragende Rolle zu.

Qualität und Quantität

Das Bundesheer als strategische Reserve der Republik Österreich muss Kräfte in passender Qualität und Quantität über einen längeren Zeitraum sicherstellen können. Anlässlich des COVID-19-Einsatzes hat sich bei der Aufbietung der Miliz gezeigt, dass diese Kräfte nicht immer verfügbar waren, da sie zum Betreiben von kritischer Infrastruktur benötigt wurden. Schlüssel- und Fachpersonal der Miliz war nur eingeschränkt vorhanden und musste durch Berufssoldaten ersetzt werden. Gerade im Sanitätswesen ist die Eigenversorgung auch im Mobilmachungsfall durch eigene Kräfte sicherzustellen. So ist zum Beispiel in den Spitalbataillonen der Schweiz Pflege- und Fachpersonal eingeteilt, das nach seiner zertifizierten Ausbildung jährlich seine Fertigkeiten in dreiwöchigen Wiederholungskursen auffrischt und festigt kann. Weil viele davon im Zivilen hauptberuflich nicht im Gesundheitswesen tätig sind, sind diese Kurse wichtig, um im Anlassfall aufgrund der Zusatzqualifikation entweder heeresintern eingesetzt werden zu können oder die zivilen Gesundheitsorganisationen zu unterstützen.

Sechs Monate Grundwehrdienst sind zum Herstellen der Feldverwendungsfähigkeit knapp bemessen und für viele Spezialfunktionen zu kurz. Hier muss die Möglichkeit geboten werden, wieder flexibel freiwillig länger zu dienen, nicht nur in einer engen Struktur wie in den Kaderpräsenzeinheiten. Das betrifft auch die Möglichkeit, später anlassgemäß in seiner Funktion zu üben und erlernte Fähigkeiten zu festigen.

Das seit Oktober-Einrückungstermin/2020 verfügbare Modell „6+3“ (bedarfsorientierter freiwilliger Funktionsdienst zum Zwecke des Assistenzeinsatzes in der Dauer von ein bis drei Monaten mit ca. 3.000 Euro pro Monat Gehalt nach Ableistung des Grundwehrdienstes) ist ein Schritt in diese Richtung. So wird es möglich, dass keine Grundwehrdiener mehr in den Assistenzeinsatz müssen, sondern sie indessen ihre Feldverwendungsfähigkeit herstellen können und damit auch für die Miliz verwendbar werden.

Fazit

Die Miliz mit ihrer vielfältigen Expertise sowie den Überlegungen zu neuen flexiblen Arbeitszeitmodellen ist die Basis für eine intensivere Verschmelzung der Friedens- und Einsatzorganisation mit den Angehörigen des Präsenzstandes. Das Bundesheer muss zukünftig mit designierten Kräften, unterschiedlich strukturiert und teilweise aus dem Stand heraus, innerhalb kurzer Zeit Kräfte für In- und Auslandseinsätze bereitstellen.

Wird fortgesetzt

Oberst Bernhard Schulyok, MA; Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium für Landesverteitigung; Milizfunktion: Kommandant Jägerbataillon Wien 2 „Maria Theresia“.

 

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