• Veröffentlichungsdatum : 22.12.2020
  • – Letztes Update : 17.03.2021

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COVID-19: Aufbietung der Miliz

Bernhard Schulyok

Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik erfolgte eine Teilmobilmachung der Miliz und die Einberufung zum Einsatzpräsenzdienst, um die im Einsatz stehenden präsenten Kräfte abzulösen. Dabei zeigten sich einige Schwierigkeiten in der Aufbietung. Grund genug, um erste Folgerungen zu ziehen und die Auswirkungen auf das Milizsystem zu betrachten.

Im März 2020 tritt erstmals der Nationalrat an einem Sonntag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, die live im ORF übertragen wurde. Einschneidende Maßnahmen werden verkündet, ganz Österreich fährt auf eine Art Notbetrieb herunter. Der Bundeskanzler Sebastian Kurz verkündet „(…), dass er die Frau Bundesministerin für Landesverteidigung ersucht habe, die Mobilmachung von einigen Einheiten der Miliz vorzubereiten." Zusätzliche Details, wie der Aufschub der Entlassung von ca. 2.000 Grundwehrdienern bis Ende Mai, die Einberufung von bis zu 3.200 Milizsoldaten (diese Anzahl wurde bald revidiert) je nach Bedarf im Mai sowie die Verlängerung von bzw. die zusätzliche Einberufung von ehemaligen Zivildienern wurden ebenfalls bekanntgegeben.

Kleiner Virus, große Wirkung

Im Dezember 2019 trat SARS-CoV-2 (COVID-19) erstmals in China auf und verbreitete sich seit Jänner 2020 innerhalb weniger Wochen über die ganze Welt. Problematisch bei diesem Krankheitsbild ist unter anderem, dass eine Übertragung bereits erfolgen kann, wenn man selbst noch keine Symptome (Fieber, Husten, Atemnot) zeigt und das Virus schlimmstenfalls als „Superspreader" unbewusst an viele Personen verteilen kann. Die ersten Fälle traten in Europa Ende Jänner 2020 auf, in Österreich offiziell erstmals am 25. Februar. Ende August 2020 wurden weltweit bereits mehr als 25 Millionen Infizierte und über 800.000 Tote gezählt. COVID-19 ist aufgrund unterschiedlicher Parameter weder mit der Influenza noch mit anderen Krankheiten vergleichbar. Durch die unkontrollierte Ausbreitung ohne besondere Schutzmaßnahmen besteht die Gefahr, das Gesundheitssystem zu überlasten, insbesondere die Intensivmedizin, so dass im schlimmsten Fall durch eine Triage (Aussuche, Auswahl; Anm.) entschieden werden muss, wer die Chance für eine weitere medizinische Betreuung erhält. Abstand halten und das Beachten von Hygienebestimmmungen sind entscheidende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Die öffentliche Meinungsvielfalt schwankt zwischen Verschwörungstheoretikern, Verharmlosern bis hin zu Hysterikern, wenn es um den richtigen Umgang mit der Erkrankung geht. Das beginnt schon beim Tragen der Mund-Nasen-Schutzmasken.

Ausgangslage in Österreich

Bis 1. März 2020 wurden bei ca. 1 800 Testungen zehn COVID-19 Infektionsfälle diagnostiziert. Ab 10. März erfolgte fast täglich eine Pressekonferenz, bei der die Bundesregierung, unter Führung von Bundeskanzler Sebastian Kurz, das schrittweise Herunterfahren des Landes anordnete: Absage von Großveranstaltungen, Schließung von Kindergärten, Schulen und Universitäten bis hin zum „Lockdown". Am 12. März gab es den ersten COVID-19-Todesfall.

Ein Verlassen des Wohnbereiches sollte ab 15. März nur mehr für lebensnotwendige Besorgungen, die Fahrt zur Arbeit (falls Home-Office nicht möglich), Versorgung anderer Personen und Bewegung (alleine oder nur in Begleitung der Mitbewohner) erfolgen.

Das Virus und Österreich

Entscheidend für alle Überlegungen und Einschränkungen für die Gesellschaft war die Betreuung der COVID-19-Erkrankten, ohne das Gesundheitssystem zu überfordern. Hierbei sind drei Kategorien zu unterscheiden: leichte Fälle (Heimpflege), mittlere Fälle (Hospitalisierung) und schwere Fälle, die eine Intensivbetreuung eventuell mit Beatmungsgeräten benötigen. Im weltweiten Durchschnitt, basierend auf den verfügbaren Daten von Februar/März, waren ca. 80 Prozent der Krankheitsfälle leichte, 15 Prozent mittlere und fünf Prozent schwere Fälle zu erwarten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch das Gesundheitssystem nicht nur COVID-19-Fälle, sondern auch andere Erkrankungen sowie Verunfallte weiterhin zu betreuen waren.

Österreich hat eine Kapazität von rund 65.000 Spitalsbetten, von denen 2.500 Intensivbetten sind. Im März standen 2.700 Beatmungsgeräte zur Verfügung. Bei einem exponentiellen Anstieg der Infizierten wäre das Gesundheitswesen in Österreich bei ca. 25.000 gleichzeitig auftretenden akuten Fällen Mitte April an seine Grenzen gestoßen. In Österreich waren jedoch im Schnitt rund 88 Prozent der COVID-19-Erkrankten als leichte Fälle mit Heimpflege einzustufen, etwas mehr als im internationalen Durchschnitt.

Die hohe Dunkelziffer aufgrund geringer Tests (am 30. März waren erst rund 50.000 Tests ausgewertet) verschaffte aber nicht mehr Klarheit über die Lage. Noch dazu waren die Abstriche mittels PCR-Tests (Polymerase-Ketten-Reaktion) nur eine Momentaufnahme, da das Zeitfenster für eine qualitative Aussage dabei klein ist. So konnte ein Test negativ sein, zwei Tage später jedoch positiv. Getestet wurde darüber hinaus nur bei Symptomen. Infizierte sind aber bereits zumindest zwei Tage vor den sichtbaren Symptomen ansteckend, bei asymptomatisch Erkrankten sogar noch länger. Dies war einer der Gründe für die rasche Ausbreitung dieser Pandemie.

Nachdem die Inkubationszeit drei bis 14 Tage beträgt – in einigen Fällen wesentlich länger –, war die Wirksamkeit gesetzter Maßnahmen erst nach rund 14 Tagen ersichtlich. Somit war durch das massive Einschränken von Kontakten (Social Distancing) ab dem 15. März ein Abflachen der Infektionskurve mit Anfang April 2020 erkennbar.

Ein schrittweises Hochfahren/Öffnen wurde erst wieder ab Anfang Mai 2020 signalisiert, nachdem die Zahl der täglich neu hinzugekommenen Infizierten über beinahe zwei Wochen massiv gesunken war (nur mehr zweistellig), die Anzahl der Hospitalisierungen nur mehr dreistellig und die Anzahl der Intensivpatienten ebenfalls sinkend war. Am 4. April überstieg erstmals die Anzahl der an diesem Tag Genesenen jene der neu Infizierten.

Als ab Juni bzw. Juli mit Beginn der eingeschränkten Reisefreiheit und lokaler/regionaler Cluster-Bildung in Betrieben und Familienverbänden die Zahl der COVID-19-Infizierten wieder im dreistelligen Bereich lag, war die Gefahr einer Überforderung des Gesundheitswesens noch nicht auszuschließen. Nachdem die Anzahl der Neuinfektionen über den Sommer stabil blieb, stiegen die Zahlen im September erneut an. Somit ist weiterhin auf Abstand halten zu setzen, um kein neuerliches Anwachsen von Infizierten zu erleben. Aktuell (Ende Oktober 2020) erleben wir erneut einen massiven Anstieg Neuinfizierter, der sogar weit über den Zahlen des Frühjahres liegt.

Rolle des Bundesheeres

Die am 15. März angekündigte Einberufung von Teilen der Miliz war eine der Möglichkeiten, Kräfte und Ressourcen des ÖBH einzusetzen. Durchschnittlich sind ständig bis zu 1.100 Soldaten im Auslandseinsatz (gem. WG § 2 Abs. 1 lit. d) bzw. in einsatzähnlichen Verpflichtungen (z. B. als nationale Reserven für KFOR/EUFOR oder als Teil einer EU Battlegroup) oder in der Vor- und Nachbereitung für derartige Einsätze. Hinzu kommt seit 2015 der sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsatz zur Grenzraumüberwachung mit bis zu 800 Soldaten, beim Höhepunkt Mitte Mai sogar bis zu 950 Soldaten. Ebenso waren Mitte Mai 2020, auf Anforderung der Gesundheitsbehörden (gem. WG § 2 Abs. 1 lit. c), mehr als 2.100 Soldaten im COVID-19-Assistenzeinsatz. Rund 300 Soldaten/Ressortangehörige leisteten zu unterschiedlichen Zeiten bezahlte Unterstützungsleistungen für diverse Firmen und Betriebe (unter anderem Post, Lebensmittelketten). Somit waren Mitte Mai 2020 knapp 4.500 Soldaten/Ressortangehörige gleichzeitig im Einsatz, das ist rund ein Fünftel des uniformierten Personals im Präsenzstand.

Ausgangslage

Angesichts der im März immer noch steigenden Fallzahlen an Infizierten und der Fülle der zu erwartenden Aufgaben und des dadurch benötigten Personals machte es Sinn, Reservekräfte aufzubieten, um die präsenten Kräfte entweder zu verstärken oder ablösen zu können. Immerhin standen zahlreiche Soldaten seit Weihnachten bereits monatelang im Assistenzeinsatz, andererseits galt es, die erwartbaren COVID-19-Ausfälle bei der Polizei, anderen Organisationen und beim Bundesheer selbst abzudecken. Selbst die Schulorganisationen der Polizei (rund 1.400 Polizeischüler) und des Bundesheers (Angehörige der Militärakademie und Kaderanwärter) waren ab März 2020 eingebunden. Diese mussten aber bald wieder herausgelöst werden, um ihre Ausbildung fortsetzen zu können.

Ein Schlüsselelement in dieser dynamischen Lage war der Bedarf an klaren Fakten und Informationen. Viele Anlaufstellen wussten selbst noch keine Details über den bevorstehenden Einsatz bzw. über die Aufbietung. Durch die Initiative einiger engagierter Milizsoldaten wurde jedoch in kurzer Zeit die Plattform „Informationsmodul Miliz" geschaffen. Neben der Bereitstellung allgemeiner Infos unter bundesheer.at/miliz/einsatz findet man aktuelle Artikel, Videoclips mit Portraits, Fitnessprogramme und andere Informationen zu diesem Einsatz. Mittels eines SMS-Dienstes konnten zusätzlich bis zu 30 000 Milizangehörige rasch informiert werden. Über die ÖBH-internen Lernplattformen SITOS-Six wurden zu den verschieden einsatzrelevanten Themen Informationen und Lernunterlagen zur Verfügung gestellt.

Mobilmachung – Teilmobilmachung – Aufbietung

Richtigerweise ist der Überbegriff der (Teil-)Mobilmachung von Kräften des Bundesheeres, in weiterer Folge in Aufbietung und Formierung, zu unterscheiden: „Aufbietung ist die Gesamtheit erforderlicher rechtlicher, politischer und militärischer Maßnahmen zur Heranziehung von Wehrpflichtigen und Frauen in Miliztätigkeit zum Einsatzpräsenzdienst, zu außerordentlichen Übungen und zur Leistung des Aufschubpräsenzdienstes (personelle Aufbietung) sowie zur Inanspruchnahme von Leistungen (materielle Aufbietung). Aufbietung unterscheidet sich in Aufbietung zum Zwecke des Einsatzes zur militärischen Landesverteidigung und Aufbietung zum Zwecke des Assistenzeinsatzes." (MilLex; Grundsatzweisung Mobilmachung). Anmerkung des Autors: Die Inanspruchnahme von Leistungen (materielle Aufbietung) wurde nicht durchgeführt. Außerdem wurden die genormten Abläufe der Mobilmachungsphasen nicht angewendet. Der Aufbietung folgt die Formierung, das „ist die Bildung von Organisationselementen für eine zugewiesene Aufgabe in personeller und materieller Hinsicht bis zur Herstellung von deren Marschbereitschaft und Einmeldung der personellen und materiellen Erstbestandsmeldung in das Führungsinformationssystem LOGFAS" (MilLex). Vor einem tatsächlichen Einsatz formierter Organisationselement ist grundsätzlich eine mehr oder weniger lange dauernde unmittelbare Einsatzvorbereitung durchzuführen, die den Verband bzw. die Einheit befähigt, die jeweils spezielle Einsatzaufgabe zu erfüllen (Herstellen der Feldverwendungsfähigkeit für einen bestimmten Einsatzzweck).

Für den gegenständlichen Assistenzeinsatz wurde eine einsatzspezifische Einsatzvorbereitung von ca. 130 Stunden (zwei bis drei Wochen) festgelegt. Diese Zeit war schon deswegen notwendig, weil auch „Befristet Beorderte" einberufen worden sind (teilweise bis zu 30 Prozent). Das sind ehemalige Grundwehrdiener, die sich nicht freiwillig für 30 Übungstage verpflichtet haben, somit zu keinen Truppenübungen einberufen werden und kein Wissen auffrischen und auch die Angehörigen ihrer Einheit nicht kennen. Um aber ein handlungssicheres Team zu formen, ist die Bildung von Vertrauen und ein gegenseitiges Kennenlernen unerlässlich, damit eine „Kampfgemeinschaft" entstehen kann.

Das Wehrgesetz (WG) regelt die Befreiung und den Aufschub von Wehrpflichtigen. Im Wesentlichen gibt es die Möglichkeit über den Antrag des Arbeitgebers (in der Praxis in Folge von Amts wegen gehandhabt) oder des Arbeitnehmers selbst:

§ 26 (1)

Taugliche Wehrpflichtige sind, soweit zwingende militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes zu befreien

1. von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche Interessen erfordern, und

2. auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Als sonstige öffentliche Interessen gelten insbesondere gesamtwirtschaftliche oder familienpolitische Interessen sowie die Tätigkeiten von Fachkräften der Entwicklungshilfe nach § 15 des Entwicklungshelfergesetzes. Als familiäre Interessen gelten auch solche aus einer eingetragenen Partnerschaft. Eine Befreiung ist auch zulässig, wenn eine Voraussetzung nach Z 1 oder 2 während eines Präsenzdienstes eintritt. Befreiungen nach Z 1 hat der Bundesminister für Landesverteidigung zu verfügen.

Die hohe Befreiungsrate hängt auch damit zusammen, dass viele Milizsoldaten selbst in ihrem Hauptberuf unabkömmlich waren, z. B. in so genannten kritischen Infrastrukturen. Diese Erkenntnis hat – wenig überraschend – auch Auswirkungen auf die zukünftige Einteilung und Verwendung von Milizsoldaten.

Teilmobilmachung

Das Wehrgesetz legt im § 23a folgendes fest: . „(…) (3) Die Gesamtzahl der Personen, die auf Grund einer Verfügung des Bundesministers für Landesverteidigung den Einsatzpräsenzdienst [Angehörige des Milizstandes…] und den Aufschubpräsenzdienst [u. a. Grundwehrdiener] leisten, darf zu keiner Zeit 5.000 übersteigen."

Als eine der ersten Maßnahmen wurde entschieden, die ca. 2.000 Soldaten des Einrückungstermines Oktober 2019, die ab Ende März 2020 für einfache Aufgaben feldverwendungsfähig waren, nicht abrüsten zu lassen, sondern deren Verpflichtung mittels Aufschubpräsenzdienst bis Ende Mai zu verlängern. Dadurch konnte die Zeit für die Vorbereitung einer etwaigen Teilaufbietung genützt werden.

Daher war es Vorgabe bei der Planung im BMLV, deutlich weniger als 3.000 Angehörige des Milizstandes zum Einsatzpräsenzdienst im Mai aufzubieten. So wurden schließlich 13 selbstständig strukturierte Jägerkompanien mit insgesamt rund 2.400 Milizsoldaten einberufen. Aufgrund des hohen Anteiles an Befreiungen waren es letztendlich weniger als 1.400 Soldaten, die sich am Einrückungstag zum Dienst meldeten.

Grundsätzlich wäre eine Mobilmachung der Miliz auch innerhalb von wenigen Tagen möglich gewesen. Aber ohne zu wissen, welche Einheiten für welche Aufgaben in welcher Gliederung und mit welchem Gerätebedarf benötigt würden, wäre dies gegenüber den vorhandenen ausgebildeten Grundwehrdienern und der Lage im Großen überschießend gewesen. So wurde, ausgehend von der Rückwärtsplanung, unter Berücksichtigung einer zwei- bis dreiwöchigen vorgestaffelten Ausbildung und einer Ablösephase, das Einrücken des Miliz-Schlüsselpersonals mit 27. April und der restlichen Truppe mit 4. Mai 2020 fixiert. Dadurch war auch der tatsächliche Ressourcenbedarf in personeller und materieller Hinsicht (aufgrund der laufenden Lagebeurteilung anhand der Fallzahlen und der damit verbundenen Aufgaben) klarer ableitbar.

Neben grundsätzlichen Planungen zur Teilmobilmachung wurden am 6. April die einzuberufenden 13 Jägerkompanien (plus Versorgungsanteile) der selbstständig strukturierten Miliz bekannt gegeben und die Einberufungsbefehle für den Einsatzpräsenzdienst ab 14. April versandt. Erschwerend waren die Vorgaben für die Erstellung der Einberufungslisten, da einige Umbeorderungen vorzunehmen waren. Alle jene, die den vorgegeben Kriterien nicht entsprachen (z. B. befristet Beorderte, deren Ableistung des Grundwehrdienstes zu lange zurücklag), waren durch Freiwillige aus anderen Einheiten zu ersetzen.

Ein Verband kann sich entweder für Aufträge bereithalten, bereits mit Teilen Aufträge erfüllen (Ausbildung, Teile im Einsatz) oder geschlossen mit allen Teilen im Einsatz stehen. Im letzteren Fall ist er jedenfalls nicht mehr in der Lage, etwaige Mobilmachungsanteile oder eine selbstständig strukturierte Mobilmachungseinheit selbst mobilzumachen, er ist „mobbehindert": „Mobilmachungsbehinderung (Mobbehinderung) tritt ein, wenn aufgrund von aktuellen Aufgaben oder des Zustandes einer Truppe oder von sonstigen verfügten oder nicht verfügten Maßnahmen die Vorbereitung und Durchführung einer Mobilmachung stark erschwert oder ausgeschlossen ist." (MilLex)

Hier kam die Diskrepanz der unterschiedlichen Besoldungssysteme zum Tragen. Jemand, der freiwillig Assistenzeinsatz leistet, verdient monatlich etwa 1.000 Euro mehr als jemand, der zum Einsatzpräsenzdienst befohlen wird. Die wenigsten ließen sich angesichts dieser Tatsache und anderer Kriterien jedoch von der Freiwilligenliste auf die Einberufungsliste setzen. Trotz einer Vielzahl von Gesetzesänderungen, neuen Gesetzen und Verordnungen anlässlich COVID-19 innerhalb kürzester Zeit gelang es nicht, diese Ungleichheit (ungleiche Besoldung für gleiche Leistung) zeitgerecht zu beseitigen. Selbst die im Juni verfügte Einsatzprämie konnte diese Tatsache nicht im vollen Umfang ausgleichen.

Die relativ späte Einberufung im Mai kollidierte mit den sinkenden Fallzahlen und dem Wiederhochfahren der Wirtschaft. Darauf beruhten auch die hohen Befreiungsanträge von Amts wegen, denen angesichts des geringer werdenden Personalbedarfes großzügig stattgegeben wurde. Von den tatsächlich rund 2.300 einberufenen Milizsoldaten wurden zirka 40 Prozent – bei einzelnen Kompanien bis zu 60 Prozent – befreit (Befreiung gem. WG § 26). Von den Einrückenden wurden nochmals etwa zehn bis 15 Prozent aus medizinischen Gründen entlassen, wodurch nur rund 1.400 Soldaten für den Einsatz bereitstanden. Letztlich war zu dieser Zeit kaum eine Milizkompanie von sich aus „handlungsfähig" und musste mit Berufssoldaten und Teileinheiten der Präsenzorganisation verstärkt werden, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.

Hier machte sich der mangelnde Besetzungsgrad der Organisationspläne im Milizoffiziers- und erst recht im Milizunteroffiziersbereich bemerkbar. Der spärliche Nachwuchs konnte den laufenden Abgang der vergangenen Jahre bei Weitem nicht mehr ersetzen. Daher wurde ein Pilotprojekt mit modulartiger Ausbildung zum Milizunteroffizier ab Herbst 2020 angesetzt.

Die Organisation der Teilmobilmachung der 13 Kompanien inklusive aller Tätigkeiten der Umbeorderungen, Planung und Durchführung der Ausbildung, Bereitstellung der Ausrüstung und Ausstattung sowie der Verlegungen und Einquartierungen sprengte die Kapazitäten der präsenten kleinen Verbände, die dafür verantwortlich waren, auch da diese bereits selbst mit Teilen im In- oder Auslandseinsatz standen. Vielerorts stützten sich diese auf Angehörige anderer Verbände, sowie Angehörige der Miliz auf Basis von freiwilligen Waffenübungen oder einer freiwilligen Milizarbeit ab, nachdem keine organisierte Einberufung von Stabsmitgliedern und anderem Schlüsselpersonal vorgesehen war.

Alternativen zur Mobilmachung

Die Fallzahlen und anstehenden Aufgaben zeigten Anfang April bereits ein differenziertes Bild. Als mögliche Alternative hätte der Einrückungstermin Jänner 2020 ebenfalls mittels Aufschubpräsenzdienst um bis zu zwei Monate verlängert werden können. Der erhöhte Bedarf an Kaderpersonal (um einerseits die neuen Einrückungstermine auszubilden und andererseits Führungs- und Fachpersonal im Einsatz stellen zu können) wäre bei entsprechender Werbung (ähnlich wie bei Zivildienern) vielleicht auch mit genügend Freiwilligen zu decken gewesen. Letztendlich war es in erster Linie ein politisches Zeichen, sowohl den Aufschubpräsenzdienst als auch die Teilmobilmachung der Miliz erstmals anzuwenden, um die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres gegenüber der Öffentlichkeit zu demonstrieren.

Demobilisierung

Ab 18. Mai 2020 waren die meisten Milizkompanien im Assistenzeinsatz bzw. in der Übernahmephase. Die Bandbreite der Aufgaben reichte von der Grenzraumüberwachung, gemäß Vorgaben der jeweiligen Landes- und Bezirkspolizeikommanden, zumeist mit Aufgaben der Gesundheitsbehörden verknüpft, bis zur Bewachung von Liegenschaften, wie einiger Botschaften im Raum Wien (hier erfolgte der Einsatz aufgrund einer Zusatzausbildung ab 25. Mai) und anderen Einrichtungen in den Bundesländern.

Am 8. Juni war für sechs Jägerkompanien mit etwa 600 Milizsoldaten der Einsatz nach drei Wochen auch schon wieder zu Ende. Nachdem die Grenzen zu den meisten Nachbarstaaten wieder geöffnet worden waren, war deren Einsatzaufgabe hinfällig. Für die sieben weiteren Kompanien endete der Einsatz wie geplant am 20. Juli nach ihrer Ablöse. Nach einer dreitägigen Rückorganisation erfolgten eine Dienstfreistellung bis zum 31. Juli und danach die Rückkehr ins Zivilleben. Einige Milizsoldaten verlängerten ihren Einsatz freiwillig und halfen dort aus, wo weiter Bedarf vorhanden war.

Allen im Assistenzeinsatz stehenden Soldaten wurde als sichtbares Zeichen der Anerkennung die Einsatzmedaille verliehen. Die Stadt Wien nahm diesen Einsatz der Miliz zum Anlass, um die beiden Einsatzkompanien mit einem Festakt im Rathaus zu würdigen und den beiden Wiener Milizbataillonen jeweils ein Fahnenband zu stiften.

Falsche Verwendung?

Aus gesamtstaatlicher Sicht sei kritisch angemerkt, dass bei Weitem nicht alle Aufgaben, die im Zuge des COVID-19-Assistenzeinsatzes angefallenen waren, unbedingt durch Soldaten abzudecken gewesen wären. Beispielhaft erwähnt sind hier die Durchführung von Gesundheitschecks an der Grenze zunächst durch Bedienstete der Straßenmeisterei, die in weiterer Folge durch Soldaten wahrgenommen worden sind. Dazu zählen auch die Checks an Flughäfen, die anderswo von zivilen Angestellten des jeweiligen Unternehmens übernommen wurden. Ebenfalls hätte sich das Contact Tracing anderweitig organisieren lassen, noch dazu, weil bald klar war, dass diese Aufgaben länger anfallen würden. Dadurch wäre der Personaleinsatz des Bundesheeres jedenfalls geringer ausgefallen.

Ansonsten könnte der Eindruck entstehen, Soldaten hätten sonst nichts zu tun und warten geradezu auf subsidiäre Aufgaben, immerhin ist doch die originäre Hauptaufgabe des ÖBH die Einsatzvorbereitung für die militärische Landesverteidigung und die Wahrnehmung derselben. Ob das dem „Aufpolieren" des Prestiges in der Öffentlichkeit, einem Politikum, der Bequemlichkeit oder vermeintlich den geringeren Kosten für den Bedarfsträger (Assistenzkosten werden vom Staat, letztendlich vom Steuerzahler übernommen) geschuldet ist oder dies gar der Weg zu einem neuen Bundesheer mit einer anderen Gewichtung der Aufgaben sein soll, sei dahingestellt. Völlig überraschend wurde Ende Juni 2020 durch die Ressortleitung jedenfalls eine Neuausrichtung des ÖBH mit massiven Änderungen auf die Struktur und Aufgabengewichtung angekündigt – unter anderem soll die Miliz gestärkt werden. Details zur Reform „Unser Heer" sind jedoch noch in Bearbeitung.

Fazit

Die Evaluierung des COVID-19-Einsatzes der Miliz sowie die Folgerungen für die Zukunft laufen. Ableitungen und Gedanken dazu werden im nächsten Artikel präsentiert. Jedenfalls hat die Corona-Krise gezeigt, dass sich Staat, Einsatzorganisationen, Wirtschaft und Gesellschaft bezüglich Resilienz und Abdeckung anfallender Aufgaben in der Gemeinschaft neu orientieren müssen. Der Slogan: „Miliz Neu Denken" greift hier zu kurz, „Gesellschaft Neu Denken" wäre angebracht. In Abwandlung des Kennedy-Spruches „Frage, was kann ich für Staat und Gesellschaft tun, aber frage auch, was kann der Staat für mich und die Gesellschaft tun." Das wäre die neue Win-win-Situation im 21. Jahrhundert.

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Oberst Bernhard Schulyok, MA; Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium für Landesverteidigung; Milizfunktion: Kommandant Jägerbataillon Wien 2 „Maria Theresia".

 

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