• Veröffentlichungsdatum : 03.05.2023
  • – Letztes Update : 04.05.2023

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PerspektivenReich: Werte ohne Wehrwille?

Katharina Reich

Teil 2: Disziplin und Konzentration auf eine gemeinsame Sache – ein gesamtgesellschaftlich-staatliches Ziel – sind in den letzten Jahren kaum zu identifizieren. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das Interesse der Bevölkerung an Politik aktuell laufend sinkt. Untersuchungen zufolge haben nur etwa 20 Prozent der Österreicher einen Bezug zum politischen Geschehen, setzen sich mit diesem kritisch auseinander und versuchen sich umfassend zu informieren. Die restlichen etwa 80 Prozent sind auf die häufig oberflächliche Darstellung politischer Vorgänge durch Medien angewiesen. Die Meinungsbildung ist aber erheblich gestört, wenn diese Medien nicht den Kriterien des Qualitätsjournalismus entsprechen und auf einen emotionalisierten Medienkonsum („Infotainment“) setzen.

1975 wurde die Umfassende Landesverteidigung im Art 9a B-VG beschlossen und wie folgt definiert: „Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hierbei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen.“ Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung. Die Geistige Landesverteidigung setzt das Bekenntnis zur rechtsstaatlichen und liberalen Demokratie voraus. Hierfür erforderlich ist jedoch die Abkehr vom passiven Medienkonsum, eine aktive Diskussionskultur sowie die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen. Diese Voraussetzungen sind, wie im Teil 1 des Kommentars ausführlich beschrieben, derzeit kaum vorhanden.

In der Politischen Bildung soll auch die Geistige Landesverteidigung gelehrt werden. Die reine Vermittlung von Daten und Fakten, also von Informationen, ist allerdings unzureichend, da die Lernenden das Ziel der politischen Mündigkeit erreichen sollen. Anstatt Urteile zu reproduzieren, sollte das selbstständige Denken und Handeln ins Zentrum gerückt werden, nicht jedoch auswendig gelerntes Wissen bzw. vorgefertigte Meinungen zu reproduzieren. Das erfordert die Fähigkeit zur Diskussion, das Vertreten der eigenen Haltung – wohlgemerkt nicht Meinung. Die problematische Verengung Politischer Bildung auf die Staatsbürger- und Institutionenkunde, wird das Erreichen dieses Ziels jedenfalls kaum gewährleisten. Um sich am politischen Diskurs im Alltag kritisch zu beteiligen sind andere und zusätzliche Werkzeuge notwendig. Das bedeutet auch eine Abkehr von emotionsgeladenem Infotainment und die Hinwendung zum kritischenm Reflektieren und Analysieren sowie der eigenen politischen Partizipation innerhalb der Zivilgesellschaft.

Werte wie Solidarität, Loyalität und Nächstenliebe sind aktuell wohl out, perspektivenknappe Ideologien mit vorgefertigten Erklärungsmodellen scheinen dafür in zu sein. Das ist insofern problematisch, da Ideologien mit Glaubenssätzen verbunden sind und an starren Positionen festhalten, die eine demokratische Diskussion erschweren oder gar verhindern. Vielen Jugendlichen fehlt es an Erfahrungen, die jedoch Werte nur durch das eigene Ausprobieren sowie Tun generiert werden und anschließend verinnerlichen. Eigene Erfahrungen stärken Kompetenzen und geben Vertrauen, das soll wieder zentraler Bestandteil von Bildung werden. Denn sie machen Persönlichkeitseigenschaften bewusst und helfen beim Einordnen in die Gesellschaft, wodurch ein Wertegerüst entstehen kann, das in Erlebnissen verankert ist. Dieser Prozeß erfordert Zeit und eigene Erfahrungsbereitschaft.

Die Rolle der Geschlechter hat eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung und Ausgestaltung des Wehrwillens. Schließlich ist es in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft nicht zeitgemäß, dass ausschließlich Männer den Staat verteidigen. Der Wehrwille betrifft auch deshalb sowohl Männer als auch Frauen, da beide Staatsbürger sind, unabhängig der konkreten Ausgestaltung der Wehrpflicht. In vielen Staaten ist es die Norm, dass Frauen ihr Land mit der Waffe verteidigen. Dies gilt nicht nur für Israel, wo es – wie in anderen Staaten auch –eine Wehrpflicht für das weibliche Geschlecht gibt, sondern auch für die Berufsarmeen anderer westlicher Staaten. Damit öffnet sich nicht nur in der Wehrethik ein zusätzliches und breites diskursives Feld, sondern auch für die Geistige Landesverteidigung und die Gesamtgesellschaft.

Um Inhalte der Geistigen Landesverteidigung bzw. der Politischen Bildung zu unterrichten, bedarf es Überlegungen, welche Inhalte in den Stundenplan einfließen, wie diese vermittelt werden und auf welchen weiteren Themen diese aufbauen. Der Fokus des Unterrichts sollte auf dem demokratischen Handeln des mündigen Staatsbürgers liegen. Voraussetzung dazu ist eine theoretisch und methodisch fundierte Vermittlungsarbeit, welche die individuelle Urteilsbildung in den Vordergrund rückt. Die Bedeutung von Dispositionen, Einflüssen und Prägungen der individuellen Erfahrung, eigentlich Inhalte der Ethik und Psychologie, sollten ebenfalls Eingang finden. Besonderes Augenmerk ist auf sachliche Diskussionen zu legen, da nur Zahlen, Daten und Fakten eine Reduktion von Emotionalität und eine Hinwendung zum Abwägen von Vor- und Nachteilen ermöglichen. Schließlich beinhaltet demokratisches Denken und Handeln ein Darstellen und Diskutieren möglichst aller Perspektiven eines Themas, um geeignete Lösungen für die damit verbundenen Herausforderungen und Probleme zu erarbeiten. Diese Fähigkeit muss geübt sowie durch eigene Erfahrungen belebt und verankert werden.

In der Politischen Bildung ist es essenziell „intelligentes Wissen“ durch Fakten und Zahlen belegt, zu vermitteln. Nur so lassen sich die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen von Politik, Staat und Gesellschaft, und damit einhergehend, der Verteidigung des Staates und seiner Grenzen begegnen. Kenntnisse über die Bundesverfassung sind genauso von Nöten, wie jene der eigenen Geschichte sowie deren kritischer Reflexion. So ist die Basis für jene Haltung, die im nächsten Schritt die Verteidigung der demokratischen Werte und die Rolle der Bürger darin diskutiert, gelegt. Das Ziel des mündigen Staatsbürger im Denken und Handeln ist somit ermöglicht.

Wie eingangs erwähnt, hängt die Überforderung der Bevölkerung mit politischen Themen auch mit der Informationsflut, die zunehmend in den neuen sozialen Medien stattfindet, zusammen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es vor 50 Jahren in jedem Haushalt Radio und Zeitungen gab, sich aber nicht jeder einen Fernseher leisten konnte und das Internet noch nicht existierte. Heute beschleunigt sich die Informationsflut und damit verbunden die Anzahl an Informationsquellen und -medien (Radio, Digitalradio, Internetradio, Fernsehen, Video, Kino, Youtube, TV-Mediatheken, Zeitungen, Magazine, Flyer, Newsletter, Briefe, Fax, SMS, E-Mails, Statusmeldungen, Chats, Foren, Portale, Apps etc.). Projizieren wir diese Entwicklung in die Zukunft, liegt die Vermutung nahe, dass keine Sättigung zu erwarten ist. Vielmehr wirken diese Entwicklung und der Umgang mit den neuen Medien in die Geistige Landesverteidigung hinein. Die Vermittlung eines stabilen, aufgeklärten, selbstbewussten und letztlich demokratischen Grundkorsetts wird damit nicht obsolet. Im Gegenteil, es ist heute wichtiger denn je.

Link zu Teil 1

Mag. Katharina Reich ist Privatdozentin zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen.

 

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