• Veröffentlichungsdatum : 27.03.2023
  • – Letztes Update : 22.05.2023

  • 16 Min -
  • 3188 Wörter
  • - 22 Bilder

Lauriacum - Militärgroßstadt der Antike

Gerold Keusch

Teil 1 der Serie zur Militärgeschichte von Enns (zur Artikelserie)

Dort, wo sich früher der Vicus, die römische Zivilsiedlung westlich des Legionslagers, erstreckte, steht heute die Basilika St. Laurenz. Bei und in dieser Kirche sind eine Fülle von Artefakten anzutreffen. Bereits der Parkplatz beim Ennser Friedhof, der ein günstiger Ausgangspunkt für einen (militär)historischen Ausflug ist, liegt somit auf historischem Boden.

Heute befinden sich dort mehrere Tafeln, die eine kompakte einführende Information zur Ennser Geschichte sowie zur geografischen Lage der Region geben, welche die Voraussetzung für die Entwicklung der Stadt war. Die Besiedelung des Ennser Umlandes begann, so verrät die Tafel, bereits im Neolithikum (4.500 bis 1.800  v. Chr.), dauerte auch in der Eisenzeit (ca. 750 v. Chr.) und um das Jahr Null unter den Kelten an, bis schließlich die Römer die Herrschaft in Noricum übernahmen, das zur römischen Grenzprovinz wurde.

Die Anwesenheit der Römer kann für Lauriacum in drei Epochen eingeteilt werden:

  1. Beginn der Römerherrschaft über die Provinz bis zu den Markomanneneinfällen;
  2. Von den Markomanneneinfällen bis zur Blüte am Beginn des dritten Jahrhunderts;
  3. Die Zeit zwischen den neuerlichen Einfällen durch Germanenstämme (vermutlich ab 213) bis zum Abzug der Römer aus Noricum im Jahr 488.

In der ersten Epoche befand sich kein Legionslager in Lauriacum. Dafür gab es eine Zivilsiedlung, die Handel trieb und sich schrittweise entwickelte. Welche römischen Heereskräfte damals vor Ort waren und wo sie sich befanden ist unklar. Vermutlich hat sich eine der neun Hilfstruppeneinheiten der Provinz, mit einer Stärke zwischen 500 bis 1.000 Mann, im heutigen Enns befunden, die ihr Kastell unter Umständen am Stadtberg bzw. am Georgenberg hatte. Für diese Vermutung fehlen jedoch Beweise, auch weil in der verbauten Ennser Altstadt keine Grabungen möglich sind. Die zweite Epoche war jene, die heute am sichtbarsten ist, da die Legion vor Ort war und ihre Einrichtungen intakt sind. Die dritte Epoche begann im dritten Jahrhundert und führte zu einem schrittweisen Niedergang der einst antiken „Großstadt“, bis die Römer schließlich offiziell diesen Raum verließen.

Beim Stiegenaufgang zur Kirche, der nur wenige Meter von der Tafel entfernt ist, befinden sich die ersten Artefakte. Die Reste einer römischen Villa vor den Mauern des Friedhofes geben einen ersten Eindruck von damals. Die Beschilderung der Mauerreste macht darauf aufmerksam, dass Enns – noch als Lauriacum – bereits im Jahr 212 n. Chr. das Stadtrecht erhielt. Neben diesen Ausgrabungen steht eine weitere Tafel, die einen Überblick über die römische Geschichte von Enns gibt, die im Jahr 15 v. Chr. begann und 488 n. Chr. offiziell endete. Die Lorcher St. Laurenz-Basilika ist nicht nur der erste wichtige Punkt dieses Ausfluges, sie war auch ein wesentlicher Teil der oberösterreichischen Landesausstellung 2018. Im Keller dieser Kirche (Unterkirche) wird sowohl das römische als auch das christliche Leben bzw. die Verbindung von beiden und ihre Wirkung bis in die heutige Zeit erörtert. Die Basilika wurde über dem ehemaligen Haus des Legionskommandanten, der auch der Statthalter der Provinz Noricum war, ab dem fünften Jahrhundert, Großteils aus den Steinen der Ruinen des Legionslagers, erbaut und mehrmals erweitert. Der untere Teil des Kirchturmes besteht beinahe vollständig aus römischen Steinen und erinnert in seiner Form an einen römischen Burgus (Wachturm), der er aber niemals war.

Von 1960 bis 1968 wurden umfangreiche archäologische Grabungen unter dem Gebäude durchgeführt, die die Basis der aktuellen Ausstellung sind. Neben den zahlreichen Fundstücken, die bei diesen Ausgrabungen gehoben wurden, gibt es Schautafeln und Pläne. Diese erklären unter anderem die römischen Gräberfelder und geben einen Einblick in den Bestattungsritus, die Grabkultur sowie über das Entstehen und die Bedeutung des katholischen Glaubens in der Region.

Die Kirche gibt nicht nur einen Eindruck der römischen Geschichte. Sie zeigt, dass Enns in beinahe allen militärischen Konflikten, die Österreich nördlich der Alpen bedrohten, involviert war. Die „Ecce Homo“-Darstellung der Verurteilung von Jesus Christus auf dem Karner ist eines der besterhaltenen, antiosmanischen Kunstwerke in Österreich. Diese Plastik wurde Ende des 16. Jahrhunderts, einige Jahre nach dem „Türkenjahr 1683“, dort angebracht und zeugt von der feindseligen Haltung der katholischen Kirche bzw. der habsburgischen Herrscher gegenüber den Osmanen. Als damaliges Propagandamittel betont es die Feindschaft zwischen den Kulturen, Religionen und Herrscherhäusern durch die Darstellung des Pontius Pilatus als osmanischen Großwesir. Die Osmanen standen sowohl in den Jahren 1529 und 1683 als auch im „Kleinen Türkenjahr 1532“ an der Enns. Vor allem 1532 kam es zu harten Gefechten bei Ennsdorf als der Angriffsarmee von Kasim Beg nur mit großer Mühe das Übersetzen der Enns verwehrt werden konnte.

Neben den Spuren der Türkenkriege befindet sich am Friedhof eine Kriegerdenkmalgruppe als Gedenkstätte für die getöteten Soldaten beider Weltkriege. Dabei wird nicht nur an die Toten aus Enns gedacht, sondern auch an jene, die im Ersten Weltkrieg im Ennser Kriegslazarett starben. Diese Gedenkstätte besteht aus mehreren Kleindenkmälern, die dort eine Einheit bilden und in dieser kompakten Form in Österreich nur selten anzutreffen ist. Das Gelände der St. Laurenz-Basilika gibt auch einen Einblick in ein dunkles Kapitel der österreichischen Geschichte. Neben dem Stiegenaufgang zum Kirchenvorplatz befindet sich eine Gedenktafel für die Todesmärsche. Diese Hinweistafel erinnert daran, dass sich dort die Grabstätte für 87 Juden befand. Sie waren dort von 1945 bis 1965 begraben, bevor sie exhumiert und nach Linz verlegt wurden. Diese Menschen wurden bei einem der unzähligen Todesmärsche, die in der Endphase des NS-Regimes bzw. des Zweiten Weltkrieges auch durch Enns getrieben wurden, getötet.

Die St. Laurenz-Basilika zeugt nicht nur von der Shoa im 20. Jahrhundert, sondern auch von den Pogromen an den Juden im 15. Jahrhundert, die mit dieser Kirche untrennbar verbunden sind. Um das Jahr 1420 war Enns, so wie andere Städte im damaligen Österreich auch, von den Einfällen militanter Hussiten – einer reformatorisch-revolutionären Bewegung in Böhmen – gefährdet. Die jüdische Bevölkerung Österreichs wurde beschuldigt, mit den Hussiten verbündet zu sein. Der angebliche „Ennser Hostienfrevel“, der in der Lorcher St. Laurenz-Basilika geschehen sein soll, war der offizielle Anlass zu Pogromen an jüdischen Mitbürgern. Diese führten zu Zwangstaufen, Vertreibungen und der Hinrichtung tausender Juden auf dem Scheiterhaufen. Ihre Häuser wurden eingezogen und verkauft. Mit dem Erlös wurde der Krieg gegen die Hussiten finanziert, die nördlich von Enns bis zur Donau nach Mauthausen vordrangen, den Fluss jedoch nicht überwinden konnten.

Von der St. Laurenz-Kirche gelangt man über die Maria-Anger-Straße auf direktem Weg zum etwa 300 m entfernten ehemaligen Eingang des Legionslagers. Zu diesem Punkt kann man auch auf einem Umweg über die Basilikastraße gelangen. Dieser gibt einen Einblick über die Ausdehnung des ehemaligen Legionslagers, da er entlang des Römergrabens verläuft. Die Straße, die ebenfalls Römergraben heißt, verläuft jedoch nicht im ehemaligen Graben, sondern auf dessen ehemaliger Kante. Der Graben befand sich zwischen dieser und der Walderdorff-Straße und war etwa 15 m breit und 4 m tief. Entlang dieser Wegstrecke kann man den Teil der früheren Lagerbefestigung bis zur Westbahnstraße (neben der Trasse der Westbahn) nachverfolgen.

Der Bau der Westbahntrasse im 19. Jahrhundert schnitt dem früheren Lagergelände einen Teil ab. Dadurch wurden auch wesentliche Zeugnisse der Antike zerstört, da man erst um das Jahr 1900 die Bedeutung der Sicherung des kulturellen Erbes der Menschheit allmählich begriff. Bis dahin – zum Teil auch noch heute und nicht nur an weit entfernten Orten, sondern auch in Österreich – wurden diese Güter, ohne Rücksicht auf die Nachwelt und/oder ohne das Bewusstsein ihres (immateriellen) Wertes, unwiederbringlich zerstört. Ein konkretes Beispiel für die Zerstörung vor Ort sind die Bodenreste vom Nordwest-Tor des Legionslagers, das sich beim fiktiven Kreuzungspunkt zwischen der Westbahn und der Verlängerung der Römergasse befand.

Über die Westbahnstraße gelangt man auf die andere Seite des ehemaligen Lagergrabens zur Walderdorff-Straße, die in etwa dort verläuft, wo sich einst die nordwestliche Lagermauer befand. Diese bestand aus einer etwa 2 m breiten und 6 m hohen Steinmauer, die eine Gesamtlänge von etwa 1,9 km hatte. Auf der Innenseite war sie mit einer Böschung aus Erde gestützt, die auch das rasche Verschieben von Soldaten entlang des Mauerganges im Falle eines Angriffes gewährleistete und das Nachführen von Kampfmitteln sowie Soldaten erleichterte.

Nach knapp 250 m macht die Walderdorff-Straße einen Knick nach Südosten und verläuft entlang der ehemaligen südwestlichen Lagermauer. Der Straßenknick ist beim ehemaligen Südwest-Eck des Legionslagers, wo sich wie an allen Ecken ein Turm der Lagerbefestigung auf der Innenseite der Mauer befand. Neben den vier Ecktürmen gab es weitere 26 Türme an den Längsseiten (je sechs an den kurzen Seiten; drei zwischen Tor und Eckturm – je sieben an den langen Seiten; zweimal drei bzw. vier Türme zwischen Tor und Eckturm).

In dieser Zeit lagen alle Türme, bis auf jene der Lagertore, hinter den Mauern und waren auch nur unwesentlich höher als diese. Das war hinsichtlich der Verteidigung nicht so zweckmäßig, wie Türme vor der eigentlichen Befestigungsmauer, zeugt jedoch vom Entwicklungsstand der Fortifikationstechnik um das Jahr 200, als die Anlage errichtete wurde. Später wurden die Türme der römischen Kastellbefestigungen als Hufeisen- bzw. Fächertürme vor die eigentliche Mauer gesetzt, die diese deutlich überragten. Dadurch erhöhte sich die Reichweite eigener Waffen, jene der feindlichen Waffen wurde herabgesetzt und zusätzlich entstanden Mauerwinkel und sichttote Räume für den Angreifer, die wiederum im Wirkungsbereich des Verteidigers lagen (siehe Stadtbefestigung).

Knapp 200 m nach dem Knick gelangt man zur Kreuzung mit der Maria-Anger-Straße. Dort ist heute eine kleine Brücke über den Bleicherbach, der den ehemaligen Graben des Legionslagers als Bachbett nutzt, und dort bereits seit dem Bau des Lagers fließt. An dieser Stelle stand das Südwest-Tor, das auch der Beginn der Straße zum Vicus im Südwesten war. Alle Tore des Lagers hatten in etwa die gleiche Bauweise und bestanden aus einem Doppelturm, in dessen Mitte sich zwei 5,5 m breite Doppeltore aus Holz befanden. Diese Türme waren etwa 20 m hoch und erlaubten eine weitere Sicht ins Land als die Türme an den Längsseiten. Die Ausführung als Doppelturm dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die Tore als Schwachstelle für einen Angreifer die günstigste Möglichkeit darstellten, das Lager zu erobern und deshalb besonders bewehrt waren.

An dieser Kreuzung befinden sich eine Tafel, die das römische Lagertor thematisiert und ein Bildstock für den heiligen Severin. Der heilige Severin (410 bis 482 n. Chr.) war ein christlicher Missionar, Heiliger und Klostergründer, der als Symbol sowohl für das frühe Christentum als auch für das Ende der römischen Herrschaft in Österreich steht. Die schriftliche Aufzeichnung seines Lebens und Wirkens (Vita sancti Severini) erlaubt einen Einblick in den Alltag im niedergehenden Römerreich. Zusätzlich ist sie ein Zeugnis von der Frühzeit des Wirkens der römisch-katholischen Kirche und deshalb für Historiker wie Kirchenvertreter gleichermaßen relevant.

Von diesem Bildstock kann man entweder entlang der Maria-Anger-Straße direkt in das ehemalige Lager gehen oder entlang der früheren südwestliche Lagermauer entlang des Bleicherbaches (die vorgeschlagene Route) weiterspazieren. Wenn man diese wählt, erreicht man nach etwa 200 m eine Kurve. Hier, wo der Bahnhofweg (Verlängerung der Walderdorff-Straße) in den Teichweg mündet, befand sich einst die Südost-Ecke des Lagers und entlang dieser Straße verlief die südöstliche Lagermauer, die ebenfalls von einem Graben umgeben war. Das Legionslager war – wie alle Lager der römischen Armee – hinsichtlich der Größe und Gebäude normiert und entstand quasi am Reißbrett, dass es damals jedoch noch nicht gab. Diese Normierung sowie der Umstand, dass eine Legion mit etwa 6.000 Mann viel Platz benötigt, dürften der Grund gewesen sein, warum man das Lager nicht auf dem taktisch günstigeren Plateau des Georgenbergs errichtete. Dieses wäre insofern geeigneter gewesen, da man die Böschungen hätte ausnutzen können, was bei kleineren Auxiliarkastellen, die eine Kohorte beheimateten (z. B. in Wallsee) auch der Fall war.

Wenn man dem Teichweg folgt, erreicht man nach etwa 250 m die Kreuzung mit der Kathrein-Straße. Hier befand sich das Südost-Tor des Lagers, das den Beginn der früheren Via Principalis, zwischen dem Ost- und dem Westtor, markiert. Diese war die zweitwichtigste Straße des Lagers und führte zur Principa, dem Haupt- bzw. Kommandogebäude des Legionslagers, das sich an der Kreuzung der Via Principalis und der Via Praetoria befand. Diese Gebäudeanordnung war de facto in allen römischen Kastellen und Lagern gleich. An diesem Platz hatte der Legatus (Rang des Kommandanten einer Legion) seinen Sitz und auch die Legionskasse und das Fahnenheiligtum wurden dort aufbewahrt.

Da der Legionskommandant auch der zivilen Administration vorstand, befand sich an dieser Stelle einst das militärische, politische und administrative Zentrum der Provinz Noricum, deren Hauptstadt Lauriacum war. Die römische Provinz deckte den Großteil des heutigen Österreichs ab und umfasste die Bundesländer Kärnten (de facto vollständig), Salzburg (vollständig), Oberösterreich (bis zur Donau), Niederösterreich (bis zur Donau im Norden und der Ostgrenze der Alpen), Steiermark (vollständig bis zur Ostgrenze der Alpen), Tirol (bis etwa Innsbruck im Westen bzw. dem Inntal im Norden) sowie den Südosten Bayerns (Chiemgau) und nördliche Teile von Slowenien. Diese Provinz war bis zur Eingliederung in das römische Reich im Jahr 15 v. Chr. ein keltisches Reich und das erste staatsähnliche Gebilde Österreichs. Obwohl schon damals Menschen in Enns siedelten, war dieser Landstrich noch unbedeutend.

Im Kreuzungsbereich neben der ehemaligen Principa befindet sich eine Schautafel. Diese gibt Auskunft über das Legionslager und die im Westen vorgelagerte Zivilstadt. Die Ausdehnung des Lagers betrug 539 m x 398 m, was etwa 2,1 ha oder der Größe von 35 Fußballfeldern entspricht. Die Zivilstadt, die es bereits vor dem Bau des Legionslagers gab und die sich zunächst nur westlich des Lagers befand, dehnte sich später rund um das Legionslager aus und beheimatete etwa 20.000 Menschen. Somit lebten dort (inklusive der etwa 6.000 Mann starken Legion) über 25.000 Menschen – deutlich mehr als heute in Enns und dessen unmittelbarer Umgebung. Lauriacum war somit nicht nur das Zentrum einer römischen Provinz, sondern eine Großstadt der Antike.

Von der Kreuzung, die einst das Zentrum von Noricum war, führt ein asphaltierter Fuß- und Radweg nach Nordosten. Neben diesem, der angelehnt an die frühere Via Praetoria – die vom Haupttor (Porta Praetoria) zur Kreuzung mit der Via Principalis und somit zur Principa führte – verläuft, steht eine weitere Tafel. Sie erzählt von der Maria-Anger-Kirche, einer frühchristlichen Kirche, die am Platz des Legionsspitals erbaut und mehrmals umgebaut sowie erweitert wurde, bis sie im Jahr 1792 abgerissen wurde. Möglicherweise war sie jene Bischofskirche, die in der „Vita Sancti Severini“ beschrieben wird. Fest steht jedoch, dass es in Lauriacum den ersten Bischofssitz in Österreich gab, was die Bedeutung des antiken Enns als frühchristliches Zentrum unterstreicht.

Am Ende des Fuß- und Radweges gelangt man zur Lorcher-Straße und zur Westbahnstrecke über die eine Brücke führt. Nachdem man diese überquert hat steht man an einer T-Kreuzung der Lorcher-Straße mit der Mitterstraße. Diese führte einst zum Nordost-Tor, der Porta Praetoria, dem Haupttor des Legionslagers, das sich etwa dort befand, wo sich die Westbahn mit der Verlängerung der Mitterstraße kreuzt. Die beiden Türme dieses Tores waren vermutlich 20 m hoch und überragten somit die anderen Tortürme. Das hatte nicht nur den Zweck, dieses Tor als wichtigstes zu kennzeichnen, sondern war auch notwendig, um die Bedrohung aus dem Barbaricum entlang des Aisttales bzw. das Überqueren der Donau frühzeitig zu erkennen. Es dürfte jedoch nicht der einzige Beobachtungspunkt gewesen sein; auch an der Donau selbst und am Georgenberg dürften sich Aussichtspunkte als Gefechtsvorposten zur Alarmierung befunden haben (siehe Georgenberg und Rondeau).

Der Bau der Westbahn zerstörte zwar wertvolle Relikte, er zeigt jedoch den Niveauunterschied jener Ebene, auf der das Legionslager stand und dem – gerade schon hochwassersicheren Niveau – auf dem die Eisenbahntrasse verläuft. Das Legionslager war so angelegt, dass es einerseits so nahe wie möglich an der Donau lag, andererseits befand es sich auf der zweiten Geländestufe über dem Fluss und war absolut hochwassersicher. Somit war sichergestellt, dass der Weg zur Donau, die schon damals eine wichtige Handelsroute war, bzw. zum Hafen beim heutigen Ort Enghagen, kurz blieb, mögliche Gefährdungen durch den Fluss jedoch gebannt waren.

Dieser Umstand erklärt auch die Form des Lagers, das kein Rechteck, sondern ein Parallelogramm war, wodurch sich das Legionslager in Lauriacum von anderen unterscheidet. In diesem Zusammenhang ist jedoch anzumerken, dass alleine die Lage im Gelände noch kein definitiver Beweis dafür ist, warum das Legionslager tatsächlich diese Form hatte. Schließlich waren die Römer nicht nur geschickt bei der Planung und Standardisierung, sondern scheuten auch keine großen Arbeitsaufgaben, da sie über viele Arbeitskräfte verfügten (z. B. die Legionssoldaten). Unter Umständen fehlte jedoch die Zeit, da man aufgrund der Gefahr aus dem Norden, das Lager so bald wie möglich beziehen musste.

Sobald man an der Kreuzung steht, an der sich einst die Porta Praetoria befand, erkennt man die Nordwest-Ecke des Römerlagers. Diese Ecke ist durch den etwa 15 m breiten und 4 m tiefen Graben im Gelände deutlich sichtbar und ein besonderes Relikt aus der Römerzeit in Österreich. Auch an diesem Ort befindet sich eine Tafel mit Informationen sowie einem Plan des ehemaligen Legionslagers. Der Graben, der bis auf einen Teil entlang der nordwestlichen Lagermauer als Doppelgraben verlief, war eine Geländeverstärkung und somit eine Maßnahme der Eigensicherung und Verteidigung. Er diente als Annäherungshindernis, das unter anderem das in Stellung bringen von weitreichenden Waffensystemen erschweren bzw. verhindern sollte.

Der Graben war als Spitzgraben ausgeführt. Das sollte es angreifenden Fußsoldaten erschweren, einen festen Stand zu finden. Dieser war die Voraussetzung, um kleinere Geschoße zu werfen oder einen Pfeil abzuschießen. Darüber hinaus erhöhte der Graben die Distanz und verringerte dadurch die Reichweite der gegnerischen Waffen. Im Gegenzug wurde durch die erhöhten Mauern bzw. deren Türme die eigene Waffenwirkung und Reichweite erhöht. Darüber hinaus sollte der Graben die feindliche Annäherung kanalisieren und vor die Tore mit ihren Doppeltürmen führen und so die Wahrscheinlichkeit des Abwehrerfolges erhöhen. Zusätzlich war es angedacht, den Graben bzw. die Gräben mit Wasser zu fluten. Somit hätte man diese durchschwimmen oder mit Behelfsmitteln überwinden müssen. Schwimmen konnte damals jedoch praktisch niemand und der Aufbau von Behelfsmitteln hätte ein zusätzliches Schwächemoment für den Angreifer bedeutet. Somit wäre der Gegner erneut gezwungen gewesen, den Angriff über ein Tor zu versuchen, was der Absicht des Verteidigers entsprach.

Da die Donau bzw. ihr Flussbett die nördliche Grenze des Imperiums markierten, war das Lager de facto direkt an die Grenze gebaut. Zusätzlich zu den Landeinheiten, die im Legionslager stationiert waren, gab es in Enghagen einen Hafen für die römische Donauflotte, die vermutlich Aufgaben der Grenzsicherung wahrzunehmen hatte. Der Limes war zwar eine sichtbare und wegen des Flusses nicht einfach zu überwindende Grenze, aber dennoch eine durchlässige. Er zeigte sowohl den Bürgern Roms, als auch Fremden, dass hier das Imperium beginnt, in dem grundsätzlich jeder willkommen war, solange er sich an die Gesetze und Regeln hielt. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Limes auch einen wesentlichen militärischen Zweck hatte und der Machtdemonstration diente. Seine Anlagen sollten nach außen sichtbar machen, dass es Rom ernst meinen würde, seine Interessen und Werte zu verteidigen und dafür auch die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellte.

Die tatsächliche Bereitschaft Ressourcen zur Verfügung zu stellen, nahm jedoch bereits wenige Jahrzehnte nach der Fertigstellung des Legionslagers (vermutlich im Jahr 205) ab. Bereits im Jahr 233 fielen die alemannische Juthungen zum ersten Mal in Lauriacum ein, die 280 erneut kamen und jedes Mal die Zivilstadt niederbrannten. In das Legionslager konnten sie allerdings nicht eindringen. Nach der zweiten Verwüstung wurde der Ort erst etwa 50 Jahre später wiederaufgebaut. Bemerkenswert ist der Umstand, dass in den relativen Friedensepochen zwischen diesen Einfällen weder die Garnison noch die militärischen Verteidigungsanlagen verstärkt bzw. ausgebaut wurden. Im Gegenteil, die Mannstärke in Lauriacum wurde schrittweise gesenkt und diese Kräfte waren auch immer weniger verteidigungsfähig. Gleichzeitig zogen die Menschen aus der Region ab, die so nach und nach ihre einstige Bedeutung verlor. Um 451 erfolgte der vernichtende Schlag für die Zivilstadt, die in diesem Jahr von den Hunnen endgültig zerstört wurde. Das Legionslager blieb jedoch bestehen und wurde danach zur Siedlung der römischen Soldaten und der Zivilbevölkerung.

zur Artikelserie

Hofrat Gerold Keusch, BA MA ist Leiter Online-Medien beim TRUPPENDIENST.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)