Ein General für jede Jahreszeit

General Emil Spannocchi - ein Lebensportrait zum 25. Todestag
132 Seiten, 21x30 cm, broschiert
€ 20,--
ISBN 978-3-902721-62-4
Pallasch, Zeitschrift für Militärgeschichte, Sondernummer 62, Österreichischer Milizverlag, Salzburg 2018
Er war vielleicht der bedeutendste, gewiss aber der populärste General, der in der Zweiten Republik gedient hat: Emil Graf Spannocchi, der Armeekommandant von 1973 bis 1981, dessen reich illustrierte Biographie der Militärhistoriker Georg Reichlin-Meldegg und der Bundesheeroberst a.D. Wolfgang Wildberger als Autorenduo kürzlich vorgelegt haben.
Der 1916 geborene Emil Spannocchi trat 1934 dem Bundesheer bei, besuchte anschließend die Militärakademie und wurde 1938 von der deutschen Wehrmacht übernommen; sein Leutnantspatent erhielt er bereits als deutscher Soldat. Im Zweiten Weltkrieg diente er zunächst bei der Kavallerie und ab 1941 bei der Panzertruppe. Das Kriegsende erlebte Spannocchi als Major i.G. der 2. Wiener Panzerdivision im Großraum Pilsen an der bloß noch imaginären Westfront. Gefahr drohte weniger von den Amerikanern, die mittlerweile die mit den Russen in Jalta vereinbarte Linie erreicht hatten und daher nicht weiter vorrückten, als vielmehr von den immer näher heranrückenden Russen. Spannocchi entschloss sich daher ohne Befehl die ca. 1.700 Österreicher aus seiner Division „herauszulösen“ und als bewaffnete Einheit, die als solche weder tschechische Aufständische noch die Greifkommandos der Standgerichte des GFM Schörner zu fürchten hatte, nach Österreich zurückzubringen. In Krumau ging man - ausgestattet mit von Spannocchi unterschriebenen Entlassungspapieren - auseinander; die Gefahr einer russischen Kriegsgefangenschaft war damit abgewendet. Spannocchi hat später einmal gemeint, dass diese Entscheidung - im Grunde Meuterei - angesichts des Risikos, das damit verbunden war, seine einzige Heldentat im Krieg gewesen wäre.
Nach Kriegsende war Spannocchi zunächst in der Privatwirtschaft tätig, trat aber 1954 der B-Gendarmerie bei und machte ab 1955 im Bundesheer rasch Karriere: 1956 Oberstleutnant im höheren militärischen Dienst, 1957 Kommandant der Panzertruppenschule in Götzendorf, 1960 Kommandant der 9. Panzergrenadierbrigade, 1963 Kommandant der LVAk und schließlich 1973 bis zu seiner Pensionierung 1981 Armeekommandant.
Populär wurde Spannocchi durch das unter seiner Federführung in der Kreisky-Ära entwickelte Konzept der sog. Raumverteidigung (das als solches freilich nicht neu war), das als „Spannocchi-Doktrin“ in breiten Kreisen bekannt wurde, auf die die beiden Autoren ausführlich eingehen (Die sehr detailfreudig geratenen Schilderungen jener Bundesheermanöver, die wichtige Erkenntnisse für das Raumverteidigungskonzept erbrachten, kann der an taktischen Details weniger interessierte Leser getrost überblättern). Spätestens mit der 1971 in Erfüllung eines Wahlversprechens der SPÖ beschlossenen Verkürzung des Präsenzdienstes auf 6 Monate war offenkundig geworden, dass ein stehendes Heer ebenso illusorisch war wie die sprichwörtliche Panzerschlacht im Tullnerfeld. Das auf Miliztruppen gestützte Raumverteidigungskonzept verzichtete hingegen auf eine solche nicht zu gewinnende große Verteidigungsschlacht und setzte stattdessen auf eine auf feste Anlagen gestützte Verteidigung von Schlüsselzonen und auf eine Art Partisanenkrieg im feindlichen Hinterland („Taktik der 1.000 Nadelstiche“). Der hierdurch in die Höhe getriebene Durchmarschpreis hätte einen potentiellen Aggressor vom Versuch eines Durchmarsches durch Österreich abhalten sollen. Das Konzept war eine glaubhafte Strategie, die auch im Ausland, nicht zuletzt auch von den Staaten des Warschauer Paktes, ernst genommen wurde.
Spannocchi war der ideale Kommunikator für die (freilich unvollständig gebliebene) Umsetzung dieses Konzeptes. Den Regierungen der Kreisky-Ära gefiel das Konzept, weil sich die populäre Verkürzung des Wehrdienstes (in Wahrheit wohl unerwartet) als Initialzündung für eine glaubwürdige Verteidigungsstrategie erwies; sie waren bereit, nachhaltig ein Verteidigungsbudget von 1% des BIP bereitzustellen (relativ das Doppelte des aktuellen Budgets!). Widerstände kamen eher von den älteren Offiziersjahrgängen, die befürchteten, dass bei einer nicht grenznahen Verteidigung der „Krieg ins Land getragen würde“. Die beiden Autoren weisen auch zu Recht auf den wenig beachteten Umstand hin, dass die Spanocchi-Doktrin trotz all´ ihrer Sinnhaftigkeit im Grunde mit dem Wehrgesetz schwer in Einklang gebracht werden konnte, demzufolge das Bundesheer „zum Schutz der Grenzen“ bestimmt war.
General Spannocchi war aber auch der ideale Kommunikator für die Propagierung des Konzeptes nach außen, das in der Bevölkerung bekannt und populär wurde. So konnte das Nachrichtenmagazin „Profil“ bei einem 1980 veröffentlichten Artikel über die Raumverteidigung davon ausgehen, dass seine Leser dessen ironisch verfremdeten Titel „Emil und die Defensive“ schon richtig verstehen würden.
General Spannocchi wurde 1981 pensioniert, blieb aber aktiv als gefragter Vortragender. 1992 verstarb er an den Folgen eines Reitunfalles. Das von ihm durchgesetzte Raumverteidigungskonzept ist seit der sogenannten Wende – dem Ende des Kalten Krieges - Geschichte.
General Spannocchi hat als Kommandant der LVAk, als erste, noch theoretische Überlegungen zur Raumverteidigung angestellt wurden, und sodann als Armeekommandant das Bundesheer in seine wohl unumstrittenste Phase geführt und in dieser geprägt wie kein anderer. Die Biographie von Georg Reichlin-Meldegg und Wolfgang Wildgruber ist daher vor allem auch eine zeitgeschichtliche Arbeit über das Bundesheer selbst, die auf die Bedrohungsszenarien des Kalten Krieges eingeht und kritisch aufzeigt, wie Politik und Militär in einem wechselvollen Mit-, bisweilen aber auch Gegeneinander diese Szenarien einschätzten und auf diese reagierten.
-fip-