• Veröffentlichungsdatum : 27.04.2021
  • – Letztes Update : 11.05.2021

  • 6 Min -
  • 1251 Wörter
  • - 7 Bilder

Vom Schubkarren zum teilautonomen Lebensretter

Johannes Mössler

Der Fernlenkmanipulator tEODor, umgangssprachlich EOD-Roboter, ist seit 1972 ein nicht mehr wegzudenkender integraler Bestandteil der konventionellen Entschärfung von improvisierten Spreng- und Brandvorrichtungen. Diese ferngesteuerten Systeme haben in den vergangenen fünf Jahrzehnten weltweit mehreren hundert Entschärfern bei Inlands- und Auslandseinsätzen das Leben gerettet. Ihre hohe Flexibilität und die immer einfacher werdende Handhabung zeichnen diese Geräte ebenso aus, wie ihre robuste allwettertaugliche Bauweise. Sie unterstützen Entschärfer bei ihrem Dienst mit zahlreichen am Roboter montierten Werkzeugen, Schieß- und Röntgengeräten, Kameras und Sensoren.

Schubkarren gegen Terroristen

Heutzutage ist der Roboter in „der Welt der Entschärfer“ selbstverständlich. Doch wie kam es dazu? Um das zu klären, ist eine Rückschau in die Vergangenheit notwendig, genauer gesagt eine Zeitreise nach Belfast (Nordirland) in das Jahr 1972. Das Vereinigte Königreich befand sich zu dieser Zeit inmitten eines bürgerkriegsähnlichen Konfliktes zwischen zwei Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher religiöser Konfession und Zugehörigkeitsauffassung. Autobomben, improvisierte Granatwerfer, Brandbomben, Telefonzellenbomben und andere Sprengfallen, die von der Irisch Republikanischen Armee (Irish Republican Army – IRA) gebaut wurden, standen auf der Tagesordnung und hielten die britischen Soldaten und nordirischen Polizisten in Atem. Die britische Armee versuchte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wieder Herr der Lage zu werden und der „terroristischen Kampfführung“ der IRA mit der Technologie der 1970er-Jahre zu begegnen.

Der Einsatz der erfahrenen und mitunter hochdekorierten munitionstechnischen Offiziere und Unteroffiziere des Royal Army Ordnance Corps war aufgrund der neuen terroristischen Verfahrenstechnik lebensgefährlich und riskant. Viele Bombenentschärfer verloren damals in Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben. So starben 1971 und 1972 acht Bombenexperten in Nordirland beim Entschärfen von improvisierten Spreng- und Brandvorrichtungen (Improvised Explosive Devices – IED). Das hatte zur Folge, dass im Frühjahr 1972 der Waffenversuchsoffizier, Lieutnant Colonel Peter Miller, der für seinen Ideenreichtum, seine Kreativität und seine unorthodoxe Art und Weise für die Lösung von alltäglichen Problemen von seinem Vorgesetzten den Auftrag erhielt, sich dieser Aufgabe zu stellen. Das Ergebnis war einfach und simpel.

Miller kaufte einen elektrisch betriebenen Schubkarren von einem Gartenbaumarkt und stattete diesen nach einigen Umbauten mit einem gefederten Hakenarm aus. Dadurch war es möglich, aus sicherer Distanz unter der Stoßstange eines mit Sprengstoff versehenen Autos einzuhaken und dieses mit einem gepanzerten Fahrzeug von einem Straßenblock zu einer freien Fläche zu schleppen. Dort wurde das Auto dann von Bombenexperten fachgerecht entschärft. Die Feuertaufe des ersten „EOD-Roboters“ war am 26. Juni 1972 in Belfast, wo dieser mitsamt der Autobombe zerstört wurde. Trotz des Verlustes des Karrens war ab diesem Zeitpunkt klar, dass ein umgebauter Schubkarren die Generation der Roboter in der Bombenentschärfung einläutete.

tEODor im KFOR-Einsatz

Im Sommer 1999 beschloss der Österreichische Nationalrat die Entsendung von Soldaten in das Kosovo. An dieser von der NATO geführten Mission beteiligten sich im ersten Kontingent etwa 500 österreichische Soldaten und ein Fernlenkmanipulator tEODor des deutschen Herstellers Telerob. Sein Einsatz bedeutete eine Kompetenzerweiterung des klassischen Kampfmittelbeseitigers zum Entschärfer.

Die Lehrabteilung Munitionstechnik mit Sitz in Großmittel übernahm diese Herausforderung mit dem damals hochmodernen Gerät. In Folge der daraus resultierenden Firmenschulungen, internen Ausbildungen wie Aufschulungen von Kampfmittelbeseitigern am tEODor und an seinen Anbaugeräten sowie des kontinuierlichen Kapazitätenaufbaues in qualitativer und quantitativer Hinsicht wurden in der ersten Phase zwei Fernlenkmanipulatoren dieses Typs für das Österreichische Bundesheer (ÖBH) beschafft – einer für den KFOR-Einsatz und einer für Schulungszwecke. Bis zum Jahr 2016 stieg die Anzahl der im ÖBH vorhandenen Roboter dieses Typs zu einer zweistelligen Zahl an. Alle aktuell im Dienst stehenden tEODors sind mit dem Softwareupdate 2016 ausgestattet und somit auf dem letzten Stand der damaligen Technik. Damit war diese – im Verhältnis zu den großen Abnehmerländern wie Kanada und Deutschland – kleine tEODor-Flotte zu diesem Zeitpunkt die mit Abstand modernste.

Zukunft: Sensoren, Künstliche Intelligenz und Autonome Systeme

Die Terrorismusabwehr verlangt Dynamik und Flexibilität auf allen Ebenen. Einsatztaktiken, -techniken und -verfahren, die gestern noch gut und vielversprechend waren, können schon morgen überholt und tödlich sein. Das ist vor allem im Bereich der Entschärfung von terroristischen Bomben ein großes Thema, weshalb Forschungsinstitute und Rüstungsunternehmen zu unerlässlichen Partnern im Kampf gegen den Terrorismus geworden sind. Längst sind die Abkürzungen LIDAR (Light Detection and Ranging – 3D Laser Scan), FLIR (Forward Looking InfraRed – Wärmebildgerät) und AI (Artificial Intelligence – künstliche Inteligenz) bekannt und die Auseinandersetzung mit diesen Technologien und ihrem Entwicklungsstand erfährt im Fachbereich einen immer höheren Stellenwert. Der Versuch zur Schaffung eines digitalen Lagebildes mittels Echtzeitdatenauswertung durch verschiedene Sensoren und einer selbstlernenden algorithmischen Analyse zu deren Aufbereitung ist auch in der „Welt des Entschärfers“ angekommen. Unzählige weltweite Projekte beschäftigen sich mit dieser digitalen Thematik der Gefechtsfeldaufbereitung oder des Informations- und Kommunikationsmanagements mit Sensoren zum Schutz und zur Unterstützung von Einsatzkräften.

 

Forschungsprojekt „Durchblick“

Von 2017 bis 2019 war das ÖBH unter anderem als Partner am Forschungsprojekt „Durchblick“ des Austrian Institute of Technology (AIT) beteiligt. „Durchblick“ ist eine Abkürzung und steht für „Detektion unterschiedlicher unkonventioneller Spreng- und Brandvorrichtungen mittels intelligenter analytischer Sensorik“. Bei diesem bilateralen Forschungsprojekt wurde mit einem deutschen Forschungsinstitut, dem Unternehmen Telerob, und namhaften österreichischen Firmen in den Bereichen Sensortechnologie, intelligente Softwareprogrammierung und Frühwarn-erkennung von gefährlichen Stoffen, die Untersuchung und Kombination von Sensortechnologien zur robotergestützten Analyse von verdächtigen Objekten im öffentlichen Raum thematisiert und wissenschaftlich aufgearbeitet.

Das Hauptaugenmerk des Projektes lag auf der Entwicklung von Methoden für die Sensordatenfusion und Visualisierung innerhalb weniger Minuten. Dadurch soll das Gefahren- und Schadenspotenzial besser beurteilt und um forensische Untersuchungen erweitert werden. Mit dieser Herangehensweise konnte ein 3D-Umgebungsmodell in Echtzeit erstellt werden, das die aktuellen Messwerte der Gefahrenstoffsensoren verortet. Dieses 3D-Modell ist in der Lage, Informationen über Objekte zu erfassen, auch wenn diese aus der aktuellen Position des Roboters nicht von seinen Kameras erkannt wurden. Der nächste Schritt wäre, unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz dieses 3D-Lagebild für den Bediener aufzubereiten, um ihn bei seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen. Damit würde ein innovatives und leistungsstarkes Sensorik-System für zukünftige Einsätze zur Verfügung stehen, das detaillierte Informationen über Objekte und Räume innerhalb eines Gefahrenbereiches rasch sammelt und auswertet.

Der Hersteller Telerob hat auf diese Bedürfnisse in Teilbereichen reagiert und im Februar 2019 den Nachfolger des tEODors 2016 vorgestellt. Der tEODor EVO ist mit neuer Sensortechnologie (GPS-Modul, Laserentfernungsmesser, HD-Kameras, Wärmebildkamera etc.) und mit einem auf IP-Mesh-basierendem Funksystem ausgestattet. Darüber hinaus verfügt er über eine benutzerfreundliche ergonomische Bedienung mit einem Multi-Touch-Screen. Auch die Möglichkeit einer autonomen Navigation, einer Sprachsteuerung sowie eines 2D-Laser-Scans wurde erkannt und bei einigen Fernlenkmanipulatoren dieser Roboterfamilie integriert. Damit wird der Entschärfer in seiner Risiko- und Gefahrenanalyse auf einem neuen Niveau unterstützt und die Notwendigkeit einer persönlichen Annäherung auf ein Minimum reduziert. Für das ÖBH ergibt sich damit die Möglichkeit, zeitnah ein Update der aktuellen tEODors 2016 durchzuführen, um den Anschluss im Bereich dieses (teil-)autonomen Systems nicht zu verlieren. Dies ist eine Investition in die Zukunft, um eine qualitativ noch hochwertigere Arbeit mit einem erhöhten Schutz für den Entschärfer zu generieren.

Fazit

Das persönliche Engagement, die Initiative und der Ideenreichtum der österreichischen Soldaten sind nicht allein von finanziellen Mitteln abhängig. Dennoch stellen Investitionen sicher, dass Entschärfer mit dem notwendigen Grundverständnis und Know-how ausgestattet sind und das ÖBH bei den laufenden Entwicklungen im Hochtechnologiesektor Schritt hält. Der einfache Schubkarren, der in den 1970er-Jahren von manchen belächelt wurde, veränderte die Verfahrenstechniken der Entschärfer im ausgehenden 20. Jahrhundert. Die Unterstützung mit (teil-)autonomen Systemen wird die Verfahrenstechniken in diesem Fachbereich im 21. Jahrhundert bereichern. Die letztendliche Verantwortung inklusive der Entscheidung zum Entschärfen oder kontrollierten Sprengen einer terroristischen Bombe wird aber weiterhin beim Entschärfer liegen. Dieser soll mit der besten zur Verfügung stehenden Technologie ausgerüstet sein, um seine komplexe Tätigkeit optimal zu unterstützen. Das schützt nicht nur das Leben des Entschärfers, sondern erhöht auch die Sicherheit aller Beteiligten im Anlassfall.

Major Mag.(FH) Ing. Johannes Mössler; Kommandant Lehrgruppe und Hauptlehroffizier Kampfmittelbeseitigung an der Heereslogistikschule.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)